The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Zivilisationsbruch

Antisemitismus im Jahr 2022: Vier Beispiele (BICSA Working Paper, Mai 2022)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das folgende Working Paper versucht an vier aktuellen Beispielen zentrale Erscheinungsformen des heutigen Antisemitismus zu analysieren. Hier werden der sehr akute, gegen Israel gerichtete Antizionismus gleichermaßen wie eher unterbelichtete Formen der Erinnerungsabwehr, des sekundären Antisemitismus, sowie der weit verbreitete Antijudaismus herangezogen. Zudem werden der Ukraine-Krieg sowie die Coronapolitik dazu in Beziehung gesetzt und mit Facetten der politik- und sozialwissenschaftlichen wie historischen, kulturwissenschaftlichen und philosophischen Antisemitismusforschung analysiert. Das Ziel ist, komplexe Sachverhalte auf verständliche Weise darzustellen und zu kritisieren, ohne gleichwohl einem allzu gerne gefrönten Ressentiment gegen den Elfenbeinturm Vorschub zu geben.

1. Ukraine, Holocaustverharmlosung, „Vernichtungskrieg“ und „Zivilisationsbruch“

Einer der stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Johann Wadephul aus Schleswig-Holstein, sprach am 22.04.2022 im ZDF-Morgenmagazin über einen Antrag der CDU/CSU im Bundestag für die Lieferung von schweren Waffen für die Ukraine (wer wirklich gute Nerven hat, kann sich das in der Mediathek anschauen). Am 28.04.2022 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine. Damit ist Deutschland seit 1945 das erste Mal wieder im Krieg gegen Russland. Die Ukraine hat schon angekündigt, auch Ziele in Russland anzugreifen, damit wäre Deutschland Teil eines Angriffskrieges auf das Territorium Russlands.

In diesem knapp fünfminütigen Gespräch im ZDF, das pars pro toto für die aktuelle deutsche Ideologie steht, verharmlost dieser CDU-Politiker den Holocaust auf bemerkenswerte Weise. Er verwendet erstens das Wort „Vernichtungskrieg“, um den ganz normalen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der sich um gar nichts vom Angriffskrieg auf Jugoslawien von der NATO und Deutschland 1999 oder von den USA und ihren Verbündeten 2003 im Irak, von Saudi-Arabien bis heute im Yemen und von unzähligen weiteren Kriegen seit 1945 unterscheidet, zu dämonisieren. Es würde was ganz besonders Schreckliches in der Ukraine passieren. Und dann verwendet dieser zwar sicher nicht sonderlich gebildete, aber doch immerhin mit einer enormen Machtfülle ausgestattete CDU-Politiker gar das Wort „Zivilisationsbruch“, der von Russland und Putin in der Ukraine verbrochen werden würde:

Es ist nicht nur ein rechtswidriger Angriffskrieg, sondern ein Zivilisationsbruch sondergleichen.

Weiter fabuliert der CDU-Großagitator unwidersprochen vom ZDF-Moderator:

Die Freiheit Deutschlands und Europas wird zur Zeit in der Ukraine verteidigt.

Das ist natürlich pure faktenfreie Propaganda. In der Ukraine wird überhaupt nichts verteidigt, außer eben der Ukraine. Wenn jemand eine Gefahr für Europa darstellt, dann ist es die Ukraine mit ihren Tausenden Neonazis, die schwer bewaffnet und politisch gut vernetzt sind. Sollte die Ukraine in die EU aufgenommen werden, hätte die EU nicht nur einen extrem korrupten Oligarchenstaat an der Backe, sondern auch diese brutalen Extremisten.

In dem Vortrag „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ von 1962, den der Soziologe und Philosoph Theodor W. Adorno vor dem Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit hielt, geht es um „Krypto-Antisemitismus“.[1] Es geht um das Gerücht, das Tuscheln, aber es geht auch um die Erinnerungsabwehr, daher der von Adornos Mitarbeiter Peter Schönbach kreierte Begriff „sekundärer Antisemitismus“.[2] Was damals „Dresden“ war ist heute „die Ukraine“:

Beispiel: das beliebte Schema des Aufrechnens; daß es zwar wahr sei, soundso viele Juden wären umgebracht worden; ‚Krieg‘ – so wird einem dann bedeutet – ‚sei Krieg, dabei flögen eben Späne, aber Dresden wäre doch auch entsetzlich gewesen‘. Kein Vernünftiger wird das bestreiten, wohl aber das ganze Schema des Denkens, die Vergleichbarkeit von Kriegshandlungen mit der planmäßigen Ausrottung ganzer Gruppen der Bevölkerung.“[3]

Ja, mehr noch: Von der Kollaboration ukrainischer Antisemiten und Judenmörder ist von dem CDU-Typen nichts zu hören. Dabei stehen in Dutzenden Städten in der Ukraine Büsten, Statuen oder Denkmäler zu Ehren solcher Antisemiten. Viele Straßen und Plätze sind nach ihnen benannt. Nehmen wir Yaroslav Stetsko als Beispiel. Zu seinen Ehren steht in der Großstadt Ternopil, ca. 130 km südöstlich von Lwiw („Lemberg“, früher Galizien), eine Büste. Wer war Stetsko? Ich komme gleich auf ihn zurück.

Verharren wir erst einmal kurz bei dem CDU-Politiker. Was motiviert ihn, den Vernichtungskrieg der Deutschen mit dem ganz normalen Krieg gerade Russlands zu analogisieren? Es liegt nahe, unterbewusst genau jene antisemitische Denkweise zu erahnen, die eben aufrechnet und damit erstens den Holocaust verharmlost und in die ganz normale Geschichte von Kriegen einbettet und zweitens somit eine stabilere deutsche nationale Identität zulässt – wenn doch andere überhaupt nicht besser sind als die Nazis damals.

All das fällt niemand mehr auf, der Mainstream stoppt solche Agitation nicht nur nicht, sondern befördert sie tagtäglich mit solchen Sendungen, den die Demokratie täglich mehr zerbröselnden, so einseitigen wie unwissenschaftlichen Talkshows, und den a-sozialen Medien vorneweg.

In diesem Fall hat die CDU mit solchen Statements Scholz und die SPD vor sich hergetrieben und am heutigen Donnerstag, 28.04., weilt der Kanzler in Japan, während der Bundestag das erste Mal in seiner Geschichte de facto einen Krieg an Russland erklärt. Was für ein historisches Versagen von Olaf Scholz und fast aller Deutschen. Scholz ist für diese seit 1945 nie dagewesene Kriegsbegeisterung, dafür waren die Deutschen ja zuvor schon berüchtigt, dankbar, wie für nichts in seinem Leben, wie es scheint:

Das Treffen der NATO auf dem US-Stützpunkt Ramstein vor wenigen Tagen unterstreicht, dass sich Deutschland, Amerika und fast der ganze Westen als Kriegstreiber verstehen. Die restliche Welt – also die übergroße Mehrzahl der Weltbevölkerung! – allerdings überhaupt nicht. Der Großteil der Weltgemeinschaft, China, Indien, Brasilien, Mexiko, Nigeria, ja ganz Mittel- und Südamerika, ganz Afrika, ganz Nahost (Israel ist gespalten, aber nicht so aggressiv gegen Russland wie Europa oder die USA) und ganz Asien (außer Japan) machen bei der Dämonisierung Russlands nicht mit, ohne den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands zu verharmlosen.

Die fünf Milliarden Euro, die der Westen, vor allem die USA, an Kriegsmaterial für die Ukraine bereitstellen, sind ein Freudenfest für die Rüstungsindustrie und werden noch mehr Menschen in der Ukraine töten. Diplomatisch wird der Krieg beendet, mit Waffenlieferungen wird er verlängert und Deutschland wie die USA und alle anderen – außer der Schweiz, die jetzt nicht mitmacht und keine Munition liefert für die deutschen Panzer – kokettieren auch ganz perfide und gezielt mit Provokationen und einem Atomkrieg oder dritten Weltkrieg.

Dabei ist der Angriff Russlands auf die Ukraine zwar klar völkerrechtswidrig, aber das war der Irak-Krieg auch und das ist der aktuelle und viel mörderischere Krieg im Jemen (u.a. von Saudi-Arabien) auch, ohne jeden Aufschrei in Europa, die Opfer sind aber auch keine weißen blonden Frauen. Und entscheidend ist nun mal, wer stirbt und wer dafür verantwortlich ist. Wenn dunkelhäutige, jedenfalls nicht europäische (Australien, Neuseeland, Amerika und Kanada zählen als Ableger von Europa) Menschen in Nahost oder Afrika in Kriegen getötet werden, dann ist das keinen Aufschrei wert, Saudi-Arabien ist ja ohnehin schon ein extremer Waffenimporteur und zahlt auch gut, vor allem aber sind die Opfer weit weg und es sind keine Weißen.

Also ist der Krieg im Jemen kein Skandal, sicher gibt es auf Arte mal eine Doku zum Thema, aber keine Brennpunkte, keine Treffen in Ramstein oder Washington, D.C. Es geht um den Kapitalismus in der Ukraine, der muss mit aller Gewalt fest in westlicher Hand bleiben, Korruption hin oder her, und es geht um eine Umschreibung der Geschichte. Endlich kann das einzige Land, das wirklich mit unfassbarer Kraft und unbeschreiblichen Verlusten gegen Nazi-Deutschland kämpfte, selbst mit den Nazis in eine Linie gesetzt und ein neues Nürnberger Tribunal (heute z.B. in Den Haag) geplant werden.

Russland ist das größte Land Europas. Jetzt wird massiv daran gearbeitet, Russland und alle außerhalb Russlands lebenden Russinnen und Russen zu diffamieren und ökonomisch, sozial, kulturell auszuschließen. Es werden Konzerte mit Musik von Tschaikowsky abgesagt und Dirigenten entlassen, wenn sie nicht den Kopf von Putin gefordert haben. Diese antirussische Hetze muss umgehend aufhören.

Es muss auf diplomatischem Wege verhandelt werden. Die Ukraine muss über den Status der Ostukraine verhandeln und erklären, dass ihr militärischer Kampf gegen offenkundig Abtrünnige, der seit 2014 über 14.000 Menschenleben gekostet hat, verloren ist und es um eine Autonomie von Luhansk und Donezk gehen muss. Die Krim hat sich bereits vor Jahren in einem Referendum zu Russland bekannt, was nicht weiter verwundert, wenn man historisch argumentiert und daran erinnert, dass die Krim der Sowjetrepublik Ukraine 1954 „geschenkt“ wurde, also willkürlich Teil des Staatsgebietes wurde, nachdem es zuvor 170 Jahre russisch war und heute wieder russisch sein möchte.

Der Kern aber des Konflikts ist die Aggression durch NATO Manöver in der Ukraine seit Jahren. Der Putsch von 2014, der von den USA massiv unterstützt wurde, brachte die Ukraine endgültig auf einen ethnonationalistischen Kurs. Das heißt nicht, dass Putin und Russland nicht ebenso Ethnonationalismus betrieben und mit Dugin einen Heidegger affinen rechtsextremen Vordenker haben, der ideologisch den Kreml befeuert. Doch in Deutschland wie den USA und Europa wird der Konflikt völlig einseitig dargestellt, ein Schwarz-Weiß-Denken wie zu Zeiten des Kalten Krieges reaktiviert. Ukraine=gut, Russland=böse. Und so einfach ist die Welt nicht. Wer von dem Versprechen der USA und von Helmut Kohl, die NATO würde sich „keinen inch“ ostwärts ausbreiten nach 1990, nicht reden will, soll vom Ukrainekrieg schweigen.

Es muss um einen sofortigen Waffenstillstand gehen. Verhandlungen sind das Gebot der Stunde. Was aber macht der Westen? Er torpediert jede Verhandlung, indem er sich vollständig (sofort oder bis 2027) von russischem Öl oder Gas unabhängig machen will. Damit soll Russland tatsächlich komplett von Europa entfernt werden, so wie die offenbar in Kategorien von Sippenhaft denkenden Verantwortlichen des Tennisturniers in Wimbledon, die alle russischen und weißrussischen (!) Sportler*innen ausgeschlossen haben. Auch die UEFA und FIFA haben Russland ausgeschlossen, ja fast alle Sportverbände haben die Russen ausgeschlossen. So beendet man den Krieg in der Ukraine keine Sekunde eher, doch damit wird Vertrauen zerstört und regelrechter Hass auf alle Russen und alles Russische in einem seit 1945, selbst zu Zeiten des Kalten Krieges nicht dagewesenen Maß geschürt.

Die Ukraine muss unmissverständlich klar machen, dass sie sich von Holocausttätern, für die Denkmäler gebaut wurden, distanziert, dass sie nie in die NATO aufgenommen werden möchte und als Brückenland zwischen Russland und dem westlichen Europa fungieren könnte. Dafür gibt es Sicherheitsgarantien von Russland, die international abgesichert werden.

Auch der Angriffskrieg Deutschlands und der NATO gegen Serbien 1999 war ein Verbrechen. Es war ein doppeltes Verbrechen, erstens an der Bevölkerung in Serbien und zweitens an der Erinnerung an Auschwitz, das auf widerwärtige Weise vom damaligen (wie heute: grünen) Außenminister instrumentalisiert, ja in seinem Kern geleugnet wurde.

Diese Leute im Gefolge des US-Außenministers Austin wollen nicht etwa das Ende des Krieges in der Ukraine, sondern – völlig wahnsinnig – einen Sieg der Ukraine. Jeder Panzer, jedes Maschinengewehr und jede Flugabwehrrakete wird mehr Menschen in der Ukraine töten. Also will die deutsche Bundesregierung, dass noch mehr Menschen in der Ukraine sterben. Und natürlich will sie Russen töten, das ist eh klar. Deutschland will wieder Russen töten, das muss man sich klar machen, 77 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus. Die Rote Armee kämpfte gegen die ukrainischen Nationalisten und Antisemiten, die Teil von SS-Divisionen waren und der Wehrmacht halfen, Juden und Polen zu massakrieren. Die deutschen Waffen sollen auch helfen, die Denkmäler, die es in der ganzen Ukraine zu Ehren dieser Antisemiten und Holocaustbeteiligten gibt, zu schützen, denn das ist eine Konsequenz der militärischen Unterstützung dieses Landes.

Die jüdische Zeitung Forward hat eine umfangreiche Forschung des Journalisten Lev Golinkin publiziert, wo er das Gedenken an Antisemiten, Nazikollaborateure und Judenmörder weltweit dokumentiert. Die Ukraine hat ein besonders langes Kapitel. So heißt es über Stetsko:

Ternopil — A bust of the genocidal Yaroslav Stetsko (1912–1986), who led Ukraine’s 1941 Nazi-collaborationist government which welcomed the Germans and declared allegiance to Hitler. A rabid antisemite, Stetsko had written “I insist on the extermination of the Jews and the need to adapt German methods of exterminating Jews in Ukraine.” Five days prior to the Nazi invasion, Stetsko assured OUN-B leader Stepan Bandera: “We will organize a Ukrainian militia that will help us to remove the Jews.”

Das war die Ideologie des Vernichtungskrieges. Da mordeten die Wehrmacht, andere Nazi-Einheiten wie die SS oder die Einsatzgruppen Hand in Hand mit ukrainischen Nationalisten um Bandera (Organisation ukrainischer Nationalisten, OUN-B) oder Melnyk (OUN-M). Auch solche Denkmäler sollen jetzt mit deutschen Panzern und Geschützen verteidigt werden.

Es ist falsch, wenn Putin oder Russland von einem „Genozid“ im Donbass reden, genauso falsch wie die Rede von einem Genozid an den Ukrainern. Es ist aber für die politische Kultur der Ukraine schockierend, dass dort nach Antisemiten und Mördern, die nachweislich am Holocaust beteiligt waren, Denkmäler in der heutigen Ukraine errichtet wurden – fast alle seit Anfang der 1990er Jahre, als die heutige Ukraine entstand.

Aktuell im Kampf um Mariupol hat Putin die russische Armee und ihre Verbündeten angewiesen, das von ukrainischen Kämpfern gehaltene Stahlwerk nicht zu stürmen, sondern den Bewaffneten wie einigen dort verschanzten Zivilisten die Möglichkeit zu geben, sich zu ergeben. Das ist kein Vernichtungskrieg.

Im ZDF aber darf der CDU-Politiker eine direkte Linie vom Holocaust zum heutigen, alles nur nicht auf die Vernichtung der Bevölkerung gerichteten Krieg Russlands ziehen:

Auf dem Gebiet der Ukraine ist der Angriffskrieg von Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion mit besonderer Brutalität und Härte geführt worden.

Es ist exakt dieses oben analysierte Aufrechnen, das der CDU-Politiker hier betreibt. Das ist sekundärer Antisemitismus nach Adorno.

Da redet der Nicht-Historiker von der CDU von einem „Angriffskrieg“, doch das war tatsächlich der Vernichtungskrieg. Und bei diesem Vernichtungskrieg und im Holocaust waren gerade die Ukrainer aktiv beteiligt und enge Nazi-Kollaborateure. Nach einigen dieser Massenmörder sind heute in der Ukraine Straßen und Plätze benannt, nicht nur nach Stepan Bandera, dem bekanntesten Nazi-Kollaborateur und Antisemiten, sondern auch nach Roman Shukhevych, ukrainischer Nationalist und Massenmörder bei der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), Roman Rudiy, Mitglied der SS-Division Galizien, Yaroslav Stetsko, Kopf der ukrainischen Regierung, die mit der Wehrmacht und den Nazis zusammenarbeitete.

Im März 2021 wurde ein Fußballstadion in der Stadt Ternopil nach Roman Shukhevych benannt, was zu einem Protest des Simon Wiesenthal Centers bei der FIFA und zu einem Aussetzen der städtepartnerschaftlichen Kooperation mit der polnischen Stadt Zamość führte. Heute: alles vergessen, Waffen für die Ukraine!

Der Historiker Per A. Rudling hat den Antisemitismus, die völkische Purifikationsideologie („Ukraine den Ukrainern“) und die Pro-Nazi-Ideologie in einem wissenschaftlichen Aufsatz analysiert:

[The OUN periodical] Visnyk subscribed to a conspiratorial worldview. It perceived Bolshevism as a tool of Jewish dominance. The United States, as well as the Soviet Union, were controlled by Jewry, nationalist ideologues argued, and Jewish interests were setting Britain, France, and the United States against Nazi Germany. Referring to the United States, Visnyk spoke of “120 million Aryans over the ocean, under the yoke of Israel.” When Mussolini introduced anti-Semitic legislation in 1938, Visnyk approvingly cited the “practical realization” of the “Jewish question” in Fascist Italy. Nationalist intellectuals like Dontsov and Martynets presented the OUN with a racial theory.

Their repeated rejection of assimilation suggests that the OUN had internalized and “wholeheartedly accepted” a full- fledged, racial, anti-Semitic discourse by the late 1930s.36 The OUN described the 1918–1919 pogroms during the civil war in Ukraine as part of a “social liberation struggle.” Radicalized over the 1930s, anti-Semitism became particularly prominent between 1939 and 1943, reaching a high point in 1941–1942.

Leading members of the Bandera wing wanted Ukrainian Jews killed or removed, and offered to participate in the process. 39 In April 1941, the OUN(b) declared that they “combat Jews as supporters of the Muscovite-Bolshevik regime.” Its propaganda directives in the following month demanded the destruction of the Jews: “Ukraine for the Ukrainians! . . . Death to the Muscovite-Jewish commune! Beat the commune, save Ukraine!”

Soviel zu Stepan Bandera, seinem und der OUNs Antisemitismus. Warum der ukrainische Botschafter Melnyk, der am Grab von Bandera in München Blumen niederlegte und die Neo-Nazi Militärs der Asow-Einheiten feiert, ja sich Kritik verbittet und zugleich ein großer Fan des Antisemiten Bandera ist, weiterhin Botschafter in diesem Land sein darf, ist ein Rätsel. Zu normalen Zeiten wäre ein solcher Pöbler längst ausgewiesen worden. Aber die Politik von Scholz entspricht ja der Agitation des ukrainischen Botschafters, auch wenn der am liebsten Atomraketen hätte oder wenigstens das Verbot der russischen Sprache auf deutschen Schulhöfen etc.

Der Forward betont, dass auch in Deutschland weiterhin Krankenhäuser, Seenotrettungsschiffe, Straßen, Plätze oder Universitäten nach NS-Kriegsverbrechern und Antisemiten benannt sind wie nach Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Das war der letzte Krupp als Leiter des Krupp Konzern. Wegen Sklavenarbeit bei den Krupp-Werken, wo er ab 1943 alleiniger Chef war, wurde er in den Kriegsverbrecherprozessen 1947 zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt, aber 1951 von den Amerikanern begnadigt.

Seit 1931 war Alfried Krupp (1907-1967) ein eifriger Nazi und Förderer der Schutzstaffel (SS), seit 1938 Mitglied der NSDAP. Als er im Februar 1951 vorzeitig entlassen wurde, gab es Jubelstürme in Essen und er konnte zurück in die Villa Hügel fahren, wo er aufgewachsen war. Dass diese Villa eines Hauptkriegsverbrechers nicht enteignet und den Opfern der Politik der Krupp-Familie übergeben wurde, das ist symptomatisch für das Beschweigen und tatkräftige Beklatschen von Nazis in der frühen Bundesrepublik Deutschland, die ein post-nationalsozialistischer Staat war, der seine eigenen Verbrechen beschwieg und affirmierte.

Heute heißen zum Beispiel folgende Einrichtungen nach Alfried Krupp von Bohlen und Halbach:

Das Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald, das Alfried Krupp Krankenhaus in Essen, der Seenotrettungskreuzer Alfried Krupp, ein Lehrstuhl für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Bucerius Law School sowie das Alfried Krupp College auf dem Campus der Jacobs University Bremen sind nach ihm benannt.

Der Forward-Artikel erwähnt noch weitere Nazis, nach denen Straßen oder Plätze etc. in Deutschland benannt sind, bis heute:

The country is strewn with streets honoring Wernher von Braun, who built rockets used to kill civilians in Allied nations; more than 10,000 concentration camp prisoners died constructing these weapons.

There are also streets named for Friedrich Flick, whose steel empire was built on the expropriation of Jewish businesses; Max Ilgner, an executive for IG Farben which produced the Zyklon B gas for the Auschwitz gas chambers; Albert Reinmann Jr., whose plants abused prisoners to the point where even the local Nazi Party office had to step in; and Ferdinand Sauerbruch, who headed the medicine branch of the Third Reich office responsible for authorizing horrific experiments on concentration camp inmates.

Oder denken wir an den Nazi, SS-Mann und Ariseur Hans Martin Schleyer, nach dem in Stuttgart eine Halle und in Esslingen am Neckar eine Brücke benannt sind.

Von all dem spricht der CDU-Politiker natürlich nicht. Er verharmlost aber Auschwitz und den Holocaust wie in Babi Yar unweit von Kiew, wenn er heute bei einem ganz normalen, schrecklichen, aber eben typischen Krieg wie im Blutdurst von einem „Zivilisationsbruch“ daherredet. Wadephul ist ganz stolz auf die deutsche Rüstungsindustrie, die sofort Panzer und schwere Waffen in die Ukraine liefern könnte – wäre Olaf Scholz bislang nicht so zögerlich in dieser Hinsicht.

Es ist ähnlich schockierend, dass da ein ZDF-Journalist bei der antisemitischen Rede vom „Zivilisationsbruch“, der hier und heute in der Ukraine geschehe, nicht abbricht oder die Frage stellt, ob dieser CDU-Mann überhaupt weiß, was der Zivilisationsbruch war. Denn das weiß dieser CDU-Politiker aus Schleswig-Holstein offenkundig nicht. Sonst wüsste er ob der Differenz von industriellem Massenmord an einem Volk, dem Töten um des Töten Willens in der Shoah, dem sechs Millionen Juden den Deutschen und ihren willigen Helfern wie in der Ukraine zum Opfer fielen, und einem ganz typischen Krieg.

Wer angesichts dieses ganz normalen Krieges, der nicht anders abläuft – eher harmloser – denn der Vietnam-Krieg oder der Irak-Krieg der Amerikaner oder ganz aktuell der äußerst blutige Krieg im Jemen, der schon bis zu 300.000 Tote gefordert hat, völlig durchdreht und von „Zivilisationsbruch“ daherredet, ist eine Gefahr für die Demokratie und die Holocausterinnerung.

Im Krieg herrscht Gewalt, aber vor allem geht es um Interessen. Es geht um Expansion, um Macht und Herrschaft.

Im Holocaust ging es weder um Interessen, noch um Expansion, Macht oder Herrschaft. Es ging um die Vernichtung der europäischen Juden. Jegliches Vertrauen in die Rationalität eines Kriegsteilnehmers wurde dort dementiert. Entgegen jeder Kriegslogik wurden die Juden vernichtet. Nichts auch nur im kleinsten Ansatz Vergleichbares passiert aktuell in der Ukraine oder im Jemen etc.

Es ist obszön, infam, unerträglich wie hier dieser CDU-Politiker Auschwitz verharmlost und das ZDF sendet es ohne Widerspruch, dem ZDF-Moderator ist es nur etwas zu vorschnell, dass die Deutschen ausgerechnet „Panzer“ liefern wollen, was doch nicht mal die Amerikaner, Franzosen oder Briten täten. Aber mit den Worten „Vernichtungskrieg“ und „Zivilisationsbruch“ hat der ZDF-Mann kein Problem, sonst hätte er da nachgehakt oder – wäre er konsequent – wegen antisemitischer Verharmlosung von Auschwitz dem CDU-Mann den Saft abgedreht.

Was unterscheidet Auschwitz, Sobibor, Treblinka und den Holocaust von allen anderen Verbrechen in der Geschichte der Menschheit? Dass sie mit jeglicher zivilisatorischen Gewissheit gebrochen haben. Sklaven wussten, dass sie am Leben bleiben, wenn sie sich so oder so verhalten, Kriegsteilnehmer konnten damit rechnen, gefangen genommen zu werden. Auch die auf geradezu widerwärtige Weise instrumentalisierten „Vergewaltigungen“, die dieser CDU/CSU-Vize hier erwähnt, sind bekanntlich in jedem Krieg Teil der Gewalt. Das ist kein Zivilisationsbruch.

Was war der Zivilisationsbruch? In diesem Band von 1988 steht:

Und indem Menschen der bloßen Vernichtung wegen vernichtet werden konnten, wurden auch im Bewußtsein verankerte Grundfesten unserer Zivilisation tiefgreifend erschüttert – ja gleichsam dementiert.

Weiter heißt es im Vorwort des Herausgebers Dan Diner:

Nicht die wirklichkeitsgetreue Rekonstruktion des Menschheitsverbrechens, sondern anhand des eingetretenen Dementis von auf Selbsterhaltung und Überleben gerichteten Denk- und Handlungsformen wird der Bruch offenbar, den Auschwitz zivilisatorisch tatsächlich bedeutet.

Die Journalistin Claudia Mäder sieht in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) die Inflation der maximalen verbalen Verdammung sehr kritisch. Treffend und ziemlich fassungslos geht sie auf ein Video der deutschen Bundesregierung von November 2020 zu Zeiten der Corona-Krise ein, wo ein alter Mann rückblickend diese Zeit des Rumlümmelns auf dem Sofa – dem totalitären Lockdown! – wie als Erinnerung an den „Krieg“ gegen Corona beschreibt. Und da als erster wohl der französische Präsident Macron vom „Krieg gegen ein Virus“ schwadronierte, ist es jetzt angeblich zu wenig, das, was Russland aktuell macht, einfach nur „Krieg“ zu nennen. Dabei war bis März 2020 Krieg eigentlich schon schlimm genug.

Und, ja, die russische Polizei kontrolliert sehr wohl, was die Leute so chatten oder welche Kanäle und Seiten sie in der Chronik haben etc. Auf der anderen Seite hat der andere Vladimir (Selenskyi) Oppositionsparteien verboten und Medien gleichgeschalten. Welche deutschen Medien und welche Politiker*innen der Regierung berichten von Kriegsdienstverweigerern in der Ukraine, die zum Militär- und Kriegsdienst gezwungen werden? Was für eine „Demokratie“ soll die Ukraine sein, die 18-60-jährigen Männern die Ausreise, also Flucht verweigert?

Wer heute Waffen an die Ukraine liefert, möchte unweigerlich, dass noch mehr Menschen in der Ukraine sterben. Sicher ist die unterbewusste Hauptmotivation dieser Waffenlieferungen das Töten von Russen, sehr wohl als Revanche für 1945 und den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Wenn doch Putin irgendwie mit Hitler in einem Atemzug genannt werden kann, ja wenn beide jeweils einen „Zivilisationsbruch“ zu verantworten haben, dann sind wir endgültig quitt.

Wer jedoch heute von einem „Zivilisationsbruch“ faselt, möchte die Verbrechen der Deutschen im Holocaust diminuieren, ja diese Universalisierung leugnet das Nie Dagewesene und auch seither nie wieder Stattgefundene von Auschwitz, Sobibor, Babi Yar und Treblinka.

Wobei diesen Gedanken der Gleichsetzung von Rot und Braun oder von Moderne und NS, Landwirtschaft und Gaskammer schon kurz nach 1945 der einflussreichste deutsche Denker und Philosoph des 20. Jahrhunderts – dem eine gewisse Rolle auch bei den Coronapolitik-Kritiker*innen attestiert werden kann – formuliert hat, wie Teil 2 zeigen wird.

2. Heideggers Antisemitismus im Gewand der Coronapolitik-Kritik: Auschwitz als Pendant zu „motorisierter Ernährungsindustrie“

Das Jahr 1889 war in vielerlei Hinsicht ein schlechtes Jahr. In diesem Jahr wurde der Fußballclub Jahn Regensburg gegründet und er gab sich ausgerechnet den Namen des antisemitischen „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn, ja die Elf wird auch noch „Jahnelf“ genannt und keiner der heutigen so allseits informierten Fußballmoderatoren (m/w/d) geht auf die Judenfeindschaft und das völkische Geraune in „Deutsches Volkstum“ von 1810 ein.

In meiner Dissertation von 2006 (Universität Innsbruck) über die Neue Rechte, die politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland von 1970-2005 und den einflussreichsten Protagonisten der ‚nationalrevolutionären‘ Neuen Rechten – Henning Eichberg (1942-2017) –, habe ich mich auch eingehend mit der Sportwissenschaft beschäftigt. Jahn war für Eichberg ein absolut zentraler Topos. In meiner Dissertation bzw. der fast identischen Druckausgabe von 2007 (Tectum Verlag Marburg) heißt es:

Im Oktober 1978 referierte Eichberg auf einem internationalen Symposium aus Anlass des 200. Geburtstags von F. L. Jahn in Westberlin. Sein Text Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes und die Veränderung der Gesellschaft[4] wird bis heute rezipiert[5] und lässt seine Verbindung von Sportwissenschaft und Politik hervortreten. Er sieht in Jahn – zum wiederholten Male – einen ›Nationalrevolutionär‹, der sich gegen Dynastie und Obrigkeit ›gewehrt‹ habe. Die »›Deutschtümelei‹ Friedrich Ludwig Jahns, Ernst Moritz Arndts« wird als »revolutionäre Massentendenz« eines »›Erwachens der Völker‹« gepriesen und als »Versuch, ›von unten her‹ die Politik selbst in die Hand zu nehmen« für die nationalrevolutionäre Bewegung der 1970er Jahre beschworen.[6] Das wird deutlich, wenn Eichberg Jahn für die ›Alternativen‹ wie die ›Nationalrevolutionäre‹ gleichermaßen zu reklamieren versucht:

»Die alternative Körperkultur war nur ein Teil dieses alternativen ›ganzen Lebens‹, das die nationalrevolutionären ›Chaoten‹ um Friedrich Ludwig Jahn verbreiteten.«[7]

Was kennzeichnete Jahn neben seiner Begründung des Turnens? Eichberg streicht das nationale Moment deutlich hervor:

»Zur altdeutschen Tracht als ›Uniform einer aggressiven Minderheit‹ kam die Jahnsche Sprachreform, die zum grobianischen Jargon und Unterscheidungsmerkmal einer jugendspezifischen Subkultur wurde. Man wollte nicht sein wie die feinen Bürger, also redete man auch anders. Feste mit Höhenfeuern – darunter die Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817 – und ein Fahnengebrauch, der die deutsche Trikolore Schwarzrotgold einführte, festigten den Zusammenhalt und die Selbstdarstellung gegenüber den außenstehenden Bürgern ebenso wie die Entwicklung eines aggressiven eigenen Liedguts, das brüderliche Du und die Praxis des Wanderns, das zum politischen Aufmarsch wurde.«[8]

Eichberg lobt damit nicht nur ganz euphorisch – »Feste mit Höhenfeuern«, die den »Zusammenhalt« »festigten« – die öffentliche, auch antisemitische Bücherverbrennung auf der Wartburg 1817, sondern schmiegt sich an Jahns Judenfeindschaft, die sich hier unter dem Euphemismus »die Entwicklung eines aggressiven eigenen Liedguts« verbirgt, an.

Die Kritik an Jahn und dem Wartburgfest 1817 hat Eleonore Sterling Mitte der 1950er Jahre auf den Punkt gebracht:

»Von den Jahnschen Turnvereinen sind Juden streng ausgeschlossen. Sie werden als Nicht-Deutsche und ›Unchristen‹ diffamiert. Polen, Franzosen, Pfaffen, Junker und Juden, behauptet Turnvater Jahn, seien Deutschlands Unglück. Ebenso antijüdisch sind die Burschenschaften, namentlich die Gießener Verbindungen der ›Schwarzen‹ und die Jenaer ›Unbedingten‹, die ihre ›Christlichkeit‹ aus der germanischen Volkstümlichkeit herleiten, die das Gegenprinzip des ›Jüdischen‹ sein soll. (…)

Vor allem [Jakob] Fries fordert seine Studenten auf, ihren Individualismus und die Humanitätsideale der Aufklärung aufzugeben und sich zum ›deutschen Volkstum‹ zu bekehren. Er verlangt von seinen Heidelberger und Jenaer Schülern, die jüdischen Studenten als ›Feinde unserer Volkstümlichkeit‹ von den Burschenschaften auszuschließen. Gegen die Bücherverbrennung anläßlich des Wartburgfestes 1817, dem er als einziger Professor beiwohnt, hat er nichts einzuwenden. Bei dieser Bücherverbrennung werden nicht nur der ›preußische Ulanenzopf‹ und der Codex der preußischen Polizei als Symbole der Reaktion den Flammen übergeben, sondern auch Werke über den Konstitutionalismus. Auch die Schrift eines Juden wird als Zeichen der Französelei und des Kosmopolitismus und als ›Judenschrift‹ per se unter wilden Schreien in die Flammen geworfen.«[9]

Und dann sind 1889 auch noch zwei Personen geboren worden, die für die schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verantwortlich sind beziehungsweise sie philosophisch legitimiert oder beschönigt haben: Hitler und Heidegger.

Der Politikwissenschaftler und Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) Hans-Martin Schönherr-Mann hat in Dutzenden Online-Vorlesungen für eine Leipziger philosophische Gruppe – Halkyonische Assoziation für radikale Philosophie – eine Kritik der Corona-Politik unternommen. Im Februar 2022 sind daraus zwei Hefte mit komprimierten Kapiteln publiziert worden, zusammen 128 Seiten im Format Din A 5.

Schönherr-Mann taucht auf vielfältige Weise in die Philosophiegeschichte ein, von Platon bis Kant und Nietzsche. Es liest sich recht flüssig – und fühlt sich weniger langatmig als die 90-minütigen Vorlesungen, von denen ich aber nur ein paar wenige gesehen habe –, und der Autor lässt politisch sehr aktuell seine eigene Position gerade nicht außen vor. Schönherr-Mann macht eine klare Ansage:

Ich jedenfalls kaufe erst wieder Bekleidung und gehe erst zum Frisör, wenn die Masken gefallen sind. Ich unterstütze das Corona-Regime nicht und hintertreibe dessen Maßnahmen, wo ich nur kann. (S. 9)

Seine Kritik am Lockdown ist ebenso herausragend – zumal für einen Professor an einer führenden deutschen Universität:

Eine autoritäre Gesellschaft, die ihre Mitglieder eher als Kinder denn als mündig behandelt, hat wenig Interesse daran, dass zwischen diesen ein reger Austausch stattfindet, schon gar keiner, bei dem sich die Bürgerinnen und Bürger intensiv über die sozialen, politischen oder medizinischen Zustände austauschen, so dass eventuell kritische Gedanken entstehen und sich womöglich oppositionelle Strömungen entwickeln. (S. 10)

Insbesondere die Maske wird als das Symbol der Corona-Politik von Schönherr-Mann ethisch, ästhetisch und politisch decodiert und scharf kritisiert:

Ich habe im November 2020 einen Vortrag in der evangelischen Bildungsstätte Hospitalhof in Stuttgart vor ca. 50 Maskierten gehalten. Das war ein sehr unerfreuliches Erlebnis: Man sieht keine Reaktion in den verdeckten Gesichtern. Im Rahmen der Ulmer Denktage an der Universität Ulm nahm ich als Vortragender an einer Veranstaltung teil. Außer auf dem Podium herrschte Maskenzwang. Da ich die Leute nicht kannte, weiß ich nicht, mit wem ich redete und würde die Leute schon gar nicht wiedererkennen. Der Sinn solcher Veranstaltungen ist aber die zwischenmenschliche Kommunikation, so dass man sich unter diesen Bedingungen quasi gleichgeschaltet fühlt. Niemand hat ein Gesicht. Die Individualität ist massiv beeinträchtigt. Denn ohne Gesicht ist man niemand. Das ist das Ergebnis des Maskenzwangs. Mit der Maske verleugnet man sich selbst und andere, die keine Anderen mehr sind, sondern gleichgeschaltete. (S. 11)

In genau diesem „Hospitalhof“ in Stuttgart wohnte ich offenkundig am 2. Oktober 1989 einer politischen Veranstaltung bei, weder Referent*in noch Thema sind mir erinnerlich. Ich hatte Schönherr-Manns Buch „Von der Schwierigkeit Natur zu verstehen“ (Fischer Verlag) dabei und wollte es womöglich dem nicht ganz so säkularen oder religionskritischen Referenten oder der Referentin schenken, da ich vorne in das Buch ohne Anrede eine Widmung hineinschrieb, aber das Buch dann besser doch selbst behielt. In dem Band geht es um eine Kritik der instrumentellen Vernunft, der modernen Naturwissenschaft, auch wenn schon damals (wie in seinem dickeren Band zur Technik und der Schwäche 1989) Heidegger eine Rolle spielte.

Was wir aktuell erleben, ist ziemlich einmalig. In so gut wie jedem Land in Europa (und weltweit) gibt es keine Maskenpflicht mehr, in Demokratien wie in Schweden gab es sie nie. Doch in Deutschland tragen die Menschen großteils weiter Masken. Sie sind gehirngewaschen, irrational, fanatisch. Manche Verkäufer*innen in Bäckereien und Läden haben sogar weiter, entgegen der Gesetzeslage und ohne Anwendung des „Hausrechts“, sondern aus ‚freien‘ Stücken, die Maske auf, doch in Supermärkten sind fast alle Mitarbeiter*innen mit nacktem Gesicht anzutreffen und das auch fröhlich (vom Alltagsstress eines schlecht bezahlten Jobs abgesehen). Da die Medien weiterhin nicht berichten, wie unglaublich harmlos Corona ist – die Infektionssterblichkeit liegt noch weit unter der Fallsterblichkeit von aktuell 0,10 Prozent, da ja, logisch (!), niemals alle Infektionen erkannt werden, da viele überhaupt nicht krank werden oder nur schwache Symptome haben, mit denen sie auch bislang niemals zum Arzt gegangen wären.

Glaubt auch nur ein Mensch ernsthaft, dass die „Inzidenz“ gleich bliebe, wenn wir statt 1,5 Millionen Tests plötzlich 10 Millionen Tests pro Woche machen würden? Was aber exakt gleich bliebe, egal ob 1,5 Mio., 10 Mio oder gar keine (!) Tests gemacht würden: die Zahl der Kranken und die Zahl derjenigen, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, entweder auf die Normal- oder die Intensivstation. Dass bei sehr vielen Patient*innen Corona gar nicht der Grund für die Einweisung ist, aber im Laufe des Krankenhausaufenthalts ein positiver Test auf das Virus hinzukommt, das haben viele auch weiterhin noch nicht verstanden.

Schließlich gilt weiterhin die Befürchtung der britischen bzw. UK-Statistikbehörde, dass nur ca. 12 Prozent oder weniger der als Corona-Tote Aufgelisteten tatsächlich nur an Covid-19 starben, die anderen hatten eine Vielzahl von Krankheiten, wovon Corona nur eine war und ohne die anderen Vorerkrankungen wäre bei diesen ca. 88 Prozent Patient*innen der Verlauf womöglich oder wahrscheinlich nicht tödlich verlaufen. Also die offiziellen Corona-Todeszahlen in Deutschland sind ganz sicher nicht korrekt, das ist der wissenschaftliche Stand.

Seit August 2020 hat Schweden weniger Patient*innen wegen oder mit Covid-19 auf den Intensivstationen liegen als Deutschland – und zwar durchgehend deutlich weniger.

Schon das ein Hinweis, wie vollkommen medizinisch sinnlos Masken sind, die in Schweden nie angeordnet wurden und freiwillig war kaum jemand so irrational, unwissenschaftlich oder fanatisch und hat sie getragen. Ende Dezember 2021 fiel mir selbst in Bussen, die voll besetzt waren, in Malmö nicht eine Person mit Maske auf, von Supermärkten ganz zu schweigen. In England fiel die Maske im Juli 2021 und wurde nur kurz und irrational im Winter wieder befohlen, in Holland gab es in weiten Teilen der Jahre 2020 und 2021 ebenfalls keine Maskenmandate – und Holland hat weniger Tote an oder mit Corona als Deutschland.

Es ist wirklich bemerkenswert, wie hierzulande noch Ende April 2022 das links-liberale journalistische Establishment diese medizinischen Erkenntnisse in den Wind schlägt und weiter für die Maske plädiert. So agitiert die Journalistin der Frankfurter Rundschau Katja Thorwarth gegen die FDP, die es verhindert habe, dass wir weiterhin in Supermärkten Masken tragen müssen. Das sei doch nur ein Akt der Solidarität zumal den Beschäftigten gegenüber. Nun, diese Beschäftigen mag es in besonders krassen Vierteln in Frankfurt am Main vielleicht geben, in den vielen Supermärkten, in denen ich seit Anfang April wieder bin, habe ich so gut wie keine maskierten Angestellen gesehen. In einem Kaufland begrüßte mich eine Verkäuferin mit breitem Lachen und betonte, wie unglaublich schön es sei, endlich wieder Menschen zu sehen, von der wegfallenden Belastung für sie selbst – die Frau ist so Anfang 50 – ganz zu schweigen.

Oder nehmen wir das höchstrichterliche Urteil aus den USA, das Maskenmandate in Flugzeugen, Zügen und allen anderen öffentlichen Transportmitteln verbietet. Das war Mitte April 2022. Nun dürfte selbst einer Journalistin der Frankfurter Rundschau womöglich ersichtlich sein, dass Menschen in Flugzeugen deutlich engeren Kontakt zu anderen Passagier*innen haben, denn Einkäufer*innen in einem Supermarkt zu anderen Einkäufer*innen. Die meisten Flüge dauern auch länger als ein Supermarkteinkauf und kurz mal frische Luft schnappen ist im Flugzeug auch eher kompliziert. Während sich umgehend die 14 führenden Fluggesellschaften in den USA darauf einstellten und die amerikanische Bundesregierung unter Joe Biden noch nicht mal in Berufung geht, weil sie offenbar erkennt, dass sie juristisch und medizinisch keinerlei Argument hat, möchte sich die Frankfurter Rundschau am liebsten nicht an diesen aktuellen Stand der Rechtslage und der medizinischen Forschung halten.

Merkel, Scholz und die ganze politische Klasse, in konzertierter Aktion mit den Medien und der kulturellen Elite haben die Menschen so dermaßen in Todesangst versetzt, dass einem das Grauen kommt. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit für Menschen unter 65 Jahren, wirklich „an“ – und nicht nur mit – Corona zu sterben, so gering wie die Wahrscheinlichkeit auf dem Weg zur Arbeit tödlich zu verunglücken, so der weltweit bekannteste Epidemiologe John Ioannidis mit einem Team schon im September 2020:

The COVID-19 mortality rate in people <65 years old during the period of fatalities from the epidemic was equivalent to the mortality rate from driving between 4 and 82 miles per day for 13 countries and 5 states, and was higher (equivalent to the mortality rate from driving 106–483 miles per day) for 8 other states and the UK. People <65 years old without underlying predisposing conditions accounted for only 0.7–3.6% of all COVID-19 deaths in France, Italy, Netherlands, Sweden, Georgia, and New York City and 17.7% in Mexico.

Mit Omikron hat sich die Situation noch mal dramatisch verharmlost. Aber all das ist in Deutschland absichtlich, vorsätzlich nie kommuniziert worden. Karl Lauterbach und vor ihm Jens Spahn und die jeweilige Bundesregierung wollten und wollen intentional die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen, Stichwort Panikpapier von Horst Seehofer. Hätte sich Thorwarth im Frühjahr 2020 mit diesem Panikpapier beschäftigt, wüsste sie, woher ihre Panik und irrationale Berichterstattung zu Corona herrühren könnte. Mittlerweile wird ja auch die Kompetenz des Virologen Christian Drosten von der Charité in Berlin von einer Vielzahl von Mediziner*innen angezweifelt, zuletzt von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, die sich hinter eine ausführliche und luzide Kritik an Drosten im Hessischen Ärzteblatt von Professorin Ursel Heudorf stellt, ehemalige stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes in Frankfurt am Main. Dabei ging es um Drostens wissenschaftlich fragwürdige Begründung für Schulschließungen und die „Bundesnotbremse“, die vom Bundesverfassungsgericht durchgewunken wurde, aber wissenschaftlich ist der Mainstream in Deutschland – wie das Hessische Ärzteblatt – anderer Meinung.

Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene stellt fest:

Juristisch haben wir die Entscheidung des BVerfG in dieser Frage selbstverständlich als solche zu akzeptieren und es ist nicht unser Anliegen, die besondere Bedeutung des überparteilichen und unabhängigen BVerfG für den Erhalt der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland zu relativieren.

Trotzdem stimmen wir mit Frau Prof. Heudorf überein: die Entscheidung des BVerfG zur Verhältnismäßigkeit der Bundesnotbremse im Hinblick auf Kinder und Schulen ist aus medizinischer (v.a. pädiatrischer) und wissenschaftlicher Sicht fragwürdig u.a., weil sie sich auf ein unzureichendes Gutachten der Charité stützt. Wichtige Aspekte der anderen Gutachten und Mängel der Stellungnahme des Instituts für Virologie der Charité wurden nicht gewürdigt, obwohl das Gericht auf diese Widersprüche und Fehler hingewiesen wurde. Wir sehen, wie Frau Prof. Heudorf, die Gefahr, dass auch in Zukunft Kinder und Jugendliche in ihren Lebenschancen u.a. in ihrem Recht auf Bildung und uneingeschränkte altersentsprechende soziale Teilhabe aufgrund dieser Entscheidung stärker eingeschränkt werden, als es durch die Studienlage und auch durch die Erfahrungen in anderen Ländern geboten wäre.

Dabei sind weder Heudorf und das Hessische Ärzteblatt oder die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene scharfe Kritiker aller Maßnahmen oder wenigstens der Maske. Aber selbst immanent zeigt sich, wie unwissenschaftlich und politisch autoritär, ohne Kontakt zu Mediziner*innen der Chef-Virologe von der Charité vor sich hindümpelt. Drosten ist isoliert, das sollte so langsam auch mal bei Gerichten sich herumsprechen, wenn denn deutsche Gerichte Interesse haben sollten an einer evidenzbasierten Medizin und nicht einer autoritären Virologie, die vom Leben der Menschen so viel Ahnung hat wie Helge Braun oder Ricarda Lang von ausgewogener Ernährung und sportlicher Betätigung.

Die allerfanatischsten Menschen, die wir aktuell noch haben in Deutschland, sind neben Journalist*innen und Politiker*innen (wie der Immer-noch-Gesundheitsminister) die Beamten, Lehrer*innen und auch fast alle Schüler*innen, die großteils fanatisiert wurden und selbst nicht in der Lage sind, sich ein eigenes rationales Bild der Nicht-Gefahr durch Corona zu machen.

In vielen Klassen sind weiterhin, ohne jeden direkten Zwang, 100 Prozent maskiert. Dabei war seit März 2020 klar, dass Kinder und Jugendliche, Teenager überhaupt nicht von dem Virus SARS-CoV-2 und der von ihm resultierenden Krankheit Covid-19 betroffen sind. Es ist ein Virus, das so gut wie ausschließlich sehr alte und sehr kranke Menschen trifft. Aktuell bei Covid-19 liegt die Sterblichkeit bei wirklich läppischen 0,10 Prozent (Fallsterblichkeit, wobei die Infektionssterblichkeit noch deutlich darunter liegt). Das durchschnittliche Todesalter liegt von Anfang an bei über 80 Jahren. Es wäre also von Anfang an sehr wichtig gewesen, dass sich alle Kinder und Jugendlichen anstecken, die meisten haben keine, manche leichte oder mittlere, kurzfristige Symptome und das war es. So lief es in Schweden, wo kein Kindergarten und keine Schule je geschlossen wurde und niemals Maskenpflicht herrschte.

Dass heutzutage, wo seit Anfang April in keiner Schule mehr Maskenzwang herrscht, aufgrund der menschenfeindlichen – das ist es – Politik und den Empfehlungen sowohl von Klabauterbach wie so gut wie jedem einzelnen Schuldirektor (m/w/d) weiterhin alle, wirklich so gut wie alle Leerkörper (ohne „h“) und Schüler*innen sich weiter maskieren, während die Jugendlichen am Wochenende ohne jeden Abstand und ohne Maske in der Disko feiern und wochentags ohne jede Maske einkaufen gehen können oder Freund*innen treffen – die gleichen, mit denen sie völlig hirnverbrannt (das ist es wirklich!) maskiert im Unterrichtsraum saßen, das ist Resultat der schlimmsten Gehirnwäsche in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Und diese Teenager sind keineswegs nur Opfer ihrer fanatischen Eltern und Lehrer*innen sowie der Politik. Sie könnten ja streiken, was beim KlimaStreik auch geht. Nein, gerade die jungen Leute zwischen 14 und 19, und dann die noch krasseren Irrationalisten (m/w/d) von 20-30 sind extrem autoritär, unwissenschaftlich, irrational und menschlich desolat. Von Solidarität mit Minderheiten wie Kritiker*innen, Behinderten, Masken-Befreiten oder gar den  Menschen im Globalen Süden, die extrem unter der Panik des kapitalistischen Westens leiden, eines Westens, der einfach so den von ihm selbst diesen Ländern seit 1492 schrittweise aufgezwungenen Weltmarkt im März 2020 aussetzte – was sind schon 130 bis 270 Millionen Hungernde mehr? -, haben diese geistigen und menschlichen veganen wie fleischlichen Würstchen – wie soll man die anders bezeichnen, haben Sie eine Idee? – keine Ahnung. Was hier gerade für eine Generation heranwächst spottet jeder Beschreibung – für eine Demokratie eine tödliche Generation, die der Generation der Totengräber der Demokratie, also ihren Eltern folgt und noch rücksichtsloser, a-sozialer sein wird. Wenn diese Leute mal Pfleger/in werden sollten und wir dann Pech haben und in so einer hierarchisch-autoritären Anstalt liegen sollten, dann Gnade uns – wer? Es rettet uns kein höheres Wesen …

Wer sieht mit welcher Freude Verkäufer*innen in allen Supermärkten jetzt wieder lächeln, merkt, dass dort der Wahn gebrochen ist. Aber Beamte und deren Abhängige, die sind für die Demokratie auf unabsehbare Zeit verloren, das gilt auch für vollkommen durchgeknallte Polizeibeamte, die maskenfrei im Auto sitzen und sie dann aufziehen, wenn sie aussteigen (hab ich selbst in Städten gesehen).

Exakt diese Autoritätshörigkeit ist zutiefst deutsch. Die Internalisierung irrationaler Imperative gehört dazu. Schönherr-Mann schreibt:

Die christliche Ethik wie moderne säkulare Ethiken, die mit der Moral das Individuum der Gemeinschaft unterordnen wollen, haben damit kaum ein Problem. Für sie soll sich der einzelne Mensch den vorgegebenen moralischen Regeln unterwerfen. Das passt zum Corona-Regime – Regime im Sinne einer Ordnungsstruktur, wie man im 19. Jahrhundert vom Ehe-Regime spricht. Der Staat erlässt diverse Maßnahmen und setzt mit polizeilicher Gewalt die Befolgung derselben durch. (S. 14)

Sehr interessant ist nun der Bezug zu Max Weber und dem deutschen Beamtentum:

Dabei werden die Menschen freilich entmündigt und zum Gehorsam gezwungen wie in den militarisierten Gesellschaften des 19. Jahrhunderts. Für den Zeitgenossen im Corona-Regime gilt, was Weber 1919 über den Beamten sagt:

‚Ehre des Beamten ist die Fähigkeit, wenn – trotz seiner Vorstellungen – die ihm vorgesetzte Behörde auf einem ihm falsch erscheinenden Befehl beharrt, ihn auf Verantwortung des Befehlenden gewissenhaft und genau so auszuführen, als ob er seiner eigenen Überzeugung entspräche: ohne diese im höchsten Sinn sittliche Disziplin und Selbstverleugnung zerfiele der ganze Apparat.‘ (S. 14f.)

Schönherr-Mann kommentiert diese Apologie staatlicher Gewalt des Beamtentums durch Max Weber:

Anders funktionieren die Corona-Maßnahmen nicht, die gar nicht erklärt werden können und an die daher geglaubt werden muss. (S. 15)

Nach dem litauischen Philosophen Emmanuel Levinas ist die „Zwischenmenschlichkeit“ Resultat einer „sozialen Beziehung“ von Menschen. (S. 16) Die Maske zerstört die Ethik und jede Zwischenmenschlichkeit. Warum aber trugen dann alle Maske und warum tragen die besonders Fanatischen sie weiterhin? Weil sie von den irrationalen und unwissenschaftlichen Virologen agitiert wurden oder weil sie hässlich sind, innen wie außen:

Die Maske wird von den Virologen gepredigt wie von den Hässlichen. Und nach Nietzsche hat sich die Moral der Hässlichen und Unerotischen durchgesetzt, die medizinisch wie religiös gepredigt wird. (S. 20)

Auch die Hinweise auf Ivan Illich und Michel Foucault, die Analyse von „Hospitalisierung als polizeiliche Hygienisierung“ (S. 54) sind erhellend.

Doch viele dieser kritischen Erkenntnisse Schönherr-Manns werden durch problematische Referenzen getrübt. Seine Bezüge zu Giorgio Agamben oder Gianni Vattimo, beide promoten auf ihre Weise antisemitische Tropen wie die Analogie heutiger rassistischer Flüchtlingspolitik mit der Shoah oder in der vulgäreren Variante bei Vattimo im Hass auf Israel. Wenn Schönherr-Mann sich vom „Wächterrat wie im Iran“ distanziert und eine durchaus nachvollziehbare Analogie dieses „Wächterrats“ zu den Zeugen Coronas sieht (S. 114), so verpasst er die pro-iranische, pro-islamistische Ideologie des schwulen, kommunistischen Katholiken Vattimo.

2014 schrieb ich in der Times of Israel (Blogs):

Gianni Vattimo (born 1936) is a Member of European Parliament for the Liberal Democratic alliance (ALDE). He is a renowned Italian philosopher, a follower of both Martin Heidegger and Karl Marx. He is a self-declared gay-communist Catholic. He could be a minority rights activist, right? Europe has plenty of homophobic tendencies, and Iran hangs gay men on a regular basis.

Early in 2014, Vattimo co-edited a book on “Deconstructing Zionism. A Critique of Political Metaphysics,” published by Bloomsbury (New York, London, New Delhi, Sydney). The book is dedicated to leading French philosopher Jacques Derrida, known for his anti-American agenda alongside with his friend Jürgen Habermas in 2003. They were the philosophical supporters of German-French anti-Bush-agitation at the time.

In his contribution to the book, Vattimo admits that his piece is a kind of autobiography: “How to become an anti-Zionist”. He writes about his generation, born around the Second World War, and raised with the idea that Jews deserved a state due to the Holocaust. For him the “myth” of “antifascist resistance” (against the Germans/Nazis) was accompanied and promoted by “American films” about Jews and Israel, which argued in favor of a Jewish state.

Vattimo starts his article with reference to anti-Israeli Ilan Pappé and the encounter with what both call “Nakba” or Palestinian history. Around 1968 Vattimo was a socialist fan of Israeli kibbutzim, ignoring “Nakba” as he recalls. Following conspiracy theories, Vattimo writes about the “unbelievable official version” of the US Government of 9/11. Several thousand of potentially lethal missiles from Hamas launched into southern Israel are called “totally harmless missiles.” For him, Holocaust denier and propagandist of a “world without Zionism,” Mahmoud Ahmadinejad, was and is a hero, who dared to attack Israel, the Jews, and American power.

Vattimo writes:

“Better still: the entire Gaza affair contributed in a decisive way, more than any other aspect of Israeli politics, to the idea (I believe with great likelihood) that against the risk of a return of refugees, which would entail the end of the ‘Jewishness’ of the State of Israel, this situation might see no other solution than the progressive extermination of Palestinian Arabs.”

Gianni Vattimo is a loudspeaker for former Iranian President Ahmadinejad and says:

“As to the idea of making the state of Israel ‘disappear’ from the map – one of the usual themes of the Iranian ‘threat’ – its sense may not be completely unreasonable: it could, and ought, according to us, mean that the State of Israel becomes a secular, democratic, non-racist state, without walls and without discrimination among its citizens.”

Vattimo concludes:“When Ahmadinejad invokes the end of the State of Israel, he merely expresses a demand that should be more explicitly shared by the democratic countries that instead consider him an enemy.”

For Vattimo, “memory of the Holocaust” “is imposed like a penalty”. He then takes aim at “Nazi hunters” (!) like French philosopher and critique of Heideggerian antisemitism, Emmanuel Faye. Vattimo attacks “Anglo-Saxon” “mainstream thinking of the Atlantic, North American” region and is upset about Chilean philosopher Victor Farias, another critic of Heidegger, for his linking – for good reason – of “Heideggerianism and Iranian Islamic thought”.

Schon 1989 bezog sich Schönherr-Mann auf Vattimo, der sogar ein Vorwort zum im gleichen Jahr erschienenen Band „Die Technik und die Schwäche. Ökologie nach Nietzsche, Heidegger und dem ‚schwachen‘ Denken“ schrieb.

Das Problem lag schon damals darin, dass Vattimo, wie es viele bis heute bei allen möglichen Typen tun, Heidegger als „vollkommener Bastard“ dem „übergroßen Denker“ aus Meßkirch gegenüberstellt. Und das ist ein kategorialer Denkfehler. Heidegger war gerade als Denker ein Nazi, nicht nur als zahlendes Mitglied der NSDAP. Somit sind Schönherr-Manns Bezüge auf Heidegger und dessen Text „Das Gestell“ (eigentlich „Ge-stell“) von 1949 fragwürdig. Heidegger wird als angeblicher Kritiker der Technik und Technisierung vorgestellt, was kaum falscher sein könnte. Schönherr-Mann schreibt 2022 in „Medizin als göttliche Gewalt“:

Da die Medizin durch und durch technisiert ist, trifft auf sie Heideggers Wort vom Gestell zu, wenn er 1949 schreibt: ‚Gestell heißt das Versammelnde jenes Stellens, das den Menschen stellt, d.h. herausfordert, das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand zu entbergen.‘ Das Gestell ist nach Heidegger das Wesen der Technik, das nichts Technisches ist, sondern etwas Hermeneutisches, das die Welt zu verstehen gibt: In der technischen Welt versteht man Natur und Mensch technisch, in der medizinischen medizinisch: Man kann gar nicht mehr anders denken. Freilich ist das für Heidegger nicht Denken, sondern bloßes Rechnen, was aber den Zeitgeist noch besser auf den Begriff bringt. (S. 114f.)

Dieses Zitat bei Hans-Martin Schönherr-Mann präsentiert den zitierten Text „Das Ge-stell“ beschönigend und philosophisch problematisch. Ein kleiner Exkurs in das ‚Denken‘ Heideggers und zumal in diese Schrift Das Ge-stell ist daher angebracht.

Am 28. August 1947 schrieb der Kritische Theoretiker Herbert Marcuse einen Brief an seinen ‚Lehrer‘ Martin Heidegger:

Ein Philosoph kann sich im Politischen täuschen – dann wird er seinen Irrtum offen darlegen. Aber er kann sich nicht täuschen über ein Regime, das Millionen Juden umgebracht hat – bloß weil sie Juden waren, das den Terror zum Normalzustand gemacht hat und alles, was je wirklich mit dem Begriff Geist und Freiheit und Wahrheit verbunden war, in sein blutiges Gegenteil verkehrt hat.[10]

Am 20. Januar 1948 antwortet ihm Heidegger und sendet sechs durchnummerierte Aspekte. Beim letzten dieser Punkte meint er, Marcuse könne „Juden“ durch „Ostdeutsche“ ersetzen.[11] Damit war in der Tat der Historikerstreit des Jahres 1986, als der Revisionist Ernst Nolte meinte, Stalin habe schon vor Hitler gemordet und also sei der Zweite Weltkrieg und der Holocaust nur eine Reaktion gewesen, vorweggenommen.

Mehr noch. 1949 hielt Heidegger seine berüchtigten Bremer Vorträge (Das Ding, Das Ge-stell, Die Gefahr, Die Kehre). Was Schönherr-Mann nämlich nicht zitiert ist folgende Stelle aus „Das Ge-stell“, die den ganzen Revisionismus von Heidegger auf den Punkt bringt:

Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.[12]

2008 habe ich diese Passage und ihren erinnerungsabwehrenden Antisemitismus in einem fachwissenschaftlichen Artikel kritisiert.

Faye analysiert diese Passage wie folgt:

Indem Heidegger einen solchen Satz ausspricht, schließt er sich selbst aus der Philosophie aus und zeigt, dass er allen menschlichen Verstand verloren hat. Nachdem er in seinen Vorlesungen die Motorisierung der Wehrmacht als ‚metaphysischen Akt‘ gefeiert hatte – und man weiß, dass die ersten Vergasungen in Lastwagen durchgeführt worden sind – bedient er sich nun des globalen Charakters moderner Technik, um die nicht verallgemeinerbare Besonderheit des nationalsozialistischen Völkermords zu negieren und ihn mit einer der alltäglichsten Erscheinungsformen der modernen Technisierung des Daseins, der Verwandlung der Landwirtschaft in eine motorisierte Agrarindustrie zu vergleichen.[13]

Der Philosoph Hassan Givsan hat das „Ge-stell“ ebenfalls analysiert.[14]

In ‚Seminar in Le Thor 1969’ sagt Heidegger: ‚Ein ausgezeichneter Weg zur Annäherung an das Ereignis wäre, bis in das Wesen des Ge-stells zu blicken, insofern es ein Durchgang von der Metaphysik zum anderen Denken ist‘. Bedeutsam an diesem Satz ist, daß Heidegger hier das Ge-stell als den Durchgang von der Metaphysik zum anderen Denken, d.i. zum Heideggerschen Denken, ansieht. (…) An dieser Stelle muß ich eine Zwischenfrage aufnehmen. Es geht um die Frage, wie Heidegger zum Ge-stell steht. Es gehört zum Grundinventar der Heidegger-Literatur zum Thema ‚Ge-stell‘, daß Heidegger als ‚Kritiker‘ desselben dargestellt wird. Ich muß dem grundsätzlich widersprechen. Denn ich frage mich, wie kann Heidegger überhaupt etwas gegen das Ge-stell haben, wenn das Ge-stell die gegenwärtige Wesung des Seins ist.[15]

Den Holocaust trivialisierenden, universalisierenden, ja in seinem Kern leugnenden Satz vom „Ackerbau“, der „motorisierten Ernährungsindustrie“, die „im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern“ sei, zerlegt Givsan in seine Einzelteile und attackiert die Heidegger-Forschung frontal:

Sätze dieser Art gibt es mehrere in dem genannten Vortrag und in den anderen Vorträgen von 1949. (…) Nur eines sei gesagt: Der Satz wird als ‚Kritik‘ am Ge-stell aufgefaßt, weil man stillschweigend die Annahme macht, daß Heidegger, wenn er von ‚Fabrikation von Leichen‘ spricht, dies niemals ‚gutheißen‘ könne. (…) [Das] Grundfalsche daran besteht in der Frageebene der Annahme selber, nämlich ob ‚gutheißen‘ oder ‚nicht gutheißen‘. Denn das eine wie sein Gegenteil gehört zum ‚Denken in Werten‘, von dem Heidegger (1946) sagt, daß es ‚die größte Blasphemie (ist), die sich dem Sein gegenüber denken läßt‘. Also: Heidegger geht es nicht darum und kann es nicht darum gehen, ob etwas ‚gut‘ oder ‚nicht gut‘ ist. Das heißt: Die Rede von ‚Kritik‘ ist, da ‚Kritik‘ hier und in solchen Zusammenhängen allein ein ‚wertendes Ablehnen‘ meinen kann, schlicht falsch.[16]

Heidegger denkt das „Sein“ („Seyn“), aber gerade nicht das Seiende, nicht das Was-hafte. Die gesamte Philosophie von Martin Heidegger ist eine „schlechthinnige Entmenschung des Menschen als Menschen“.[17]

Sich nach der Publikation der „Schwarzen Hefte“ weiterhin nicht mit dem Antisemitismus von Heidegger zu befassen, oder ihn als Schrulle abzutun, ohne ihn in der gesamten anti-metaphysischen Seinsphilosophie zu finden, ist schon bemerkenswert.

Manchmal ist Schönherr-Manns Text auch ein arges eklektizistisches Rumgehüpfe zwischen philosophischen Texten aus Jahrtausenden, ohne viel Erkenntnisgewinn. Andere Stellen mögen Anregung sein zu mehr Forschung wie die Kritik am Ende der Gewaltenteilung im Corona-Regime, Machiavelli oder Hobbes und seine Kritik am NS-Juristen Carl Schmitt. Sein unbedarftes Heranziehen von Israelfeinden wie Judith Butler[18] in einer seiner Vorlesungen (Video) oder sein permanentes Zitieren von Hannah Arendt, ohne auch nur einmal den internationalen Forschungsstand zu ihren skandalösen Texten „Zionism Reconsidered“ sowie „Eichmann in Jerusalem“ zu erwähnen, ist wissenschaftlich und politisch schwach.[19] Sein Bezug auf Butler ist besonders faktenfrei, da sich Butler entgegen der Hoffnung von Schönherr-Mann oder seiner instrumentellen Aneignung anderer Texte von Butler, exakt im Rahmen des Corona-Regimes verhalten hat. Ende April 2020 fabulierte Butler, dass alle Menschen gleich vulnerabel seien, was empirisch schon damals völlig falsch war.[20]

Es ist ärgerlich oder bezeichnend (?), dass Schönherr-Mann auch mit den nach ganz rechts offenen Protagonisten der Coronapolitik-Kritik wie Gunnar Kaiser sprach. In der Tageszeitung Die Welt hat der Journalist Mladen Gladic Ende Januar 2021 eine Kritik an Kaiser publiziert, die gleichermaßen Impffanatiker und Menschenfeinde kritisiert, aber bei Kaiser eine „rote Linie“ überschritten sieht.

Insgesamt allerdings sind die Einwürfe von Schönherr-Mann interessante Hinweise auf philosophische Anknüpfungspunkte zur Kritik der irrationalen Coronapolitik und häufig pointierte und fundierte Widersprüche gegen das herrschende Corona-Regime. Die beiden letzten Sätze in „Medizin als göttliche Gewalt“ bringen die Kritik wunderbar auf den Punkt:

Die Medizin ist an die Stelle der Religion getreten und ihre Anhänger erscheinen als untertänige Gläubige. Man lernt langsam den Sinn von Nietzsches großer Verachtung. (S. 121)

Nach dieser Analyse von erinnerungsabwehrendem Antisemitismus geht es in Teil 3 um heutige, ganz offene Formen von Juden- und Israelhass.

3. Antizionistischer Antisemitismus

Dieses Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) untersucht vier aktuelle Beispiele von Antisemitismus, genauer gesagt sind es vier unterschiedliche Kategorien: Sekundärer Antisemitismus und Universalisierung („Ukraine“, „Zivilisationsbruch“…), Sekundärer Antisemitismus und Derealisierung („Heidegger, Auschwitz, motorisierte Ernährungsindustrie“), Antizionismus und viertens Antijudaismus. Mehrere dieser Kategorien sind aber miteinander verwoben, es handelt sich um einen „Komplex Antisemitismus“.

In diesem Teil drei geht es um Antizionismus, der aber in die aktuelle politische Situation eingebettet wird. Die ausführlichere Analyse der Coronapolitik in Teil 1 und 2 wird hier kursorisch fortgeschrieben, da die moralische Überheblichkeit vieler irrationalen Verfechter*innen der Corona-Maßnahmen, die jedwede substantielle Kritik am Corona-Regime als mehr oder weniger antisemitisch diffamieren, so weit verbreitet ist, gerade unter den Jüngeren und an Universitäten, dass selbst die wichtige Kritik am Antizionismus darunter leidet. Es ist jedoch kein gänzlich neues Phänomen, dass sich Menschen gegen die eine Form von Unterdrückung oder Herrschaft wenden, aber zu anderen Formen schweigen. So ist eine bürgerliche Kritik am Antisemitismus häufig verkürzt, wenn sie nicht typische Abspaltungsprozesse in den Blick nimmt wie die Lobpreisung ‚konkreter Arbeit‘ und die Ablehnung virtueller Prozesse wie Geld, Börse, Spekulation. Als ob das eine von dem anderen zu trennen wäre. Hingegen hat die linke Kritik am Kapitalismus seit langer Zeit keinen Blick für die antisemitischen Tendenzen ihrer Ablehnung der Geldwirtschaft, was bis auf Marx zurückgeht, der allerdings seine eigene verkürzte Kapitalismusmuskritik in späteren Jahren zurücknahm.

Viele wollen aktuell die Panik bezüglich der Ukraine noch weiter aufrechterhalten oder gar massiv erhöhen. Dabei hat die russische Kriegspartei sich bereits aus der gesamten Region Kiew zurückgezogen und befindet sich nur noch im ohnehin seit acht Jahren im Krieg befindlichen Donbass sowie den südlichen Regionen bis hin zur Krim, die sich seit Jahren eindeutig pro-russisch positioniert hat. Die deutsche Bundesregierung möchte offenbar Russland als Teil Europas beerdigen, sich von Russland ökonomisch, kulturell, sozial vollständig abkoppeln. Dieser Rassismus ist ein ungeheuerlicher Vorgang und wird nicht ohne Konsequenzen für die BRD bleiben. Dabei gibt es seit Jahren viel not-wendige Kritik am Putinismus, an den autoritären Tendenzen in Russland, doch es gab auch bis Anfang 2022 scharfe Kritik an der Oligarchenherrschaft, der Korruption und den Neonazi-Banden in der Ukraine.

Wir leben in der politisch gefährlichsten Zeit seit 1945. Ein Atomkrieg zwischen Russland, der Ukraine und dem Westen ist im Bereich des Möglichen. Damit auch die Selbstauslöschung der ganzen Menschheit. Auch die USA sollten sich gewahr sein, dass Russland Hunderte, ja Tausende Atom-Raketen hat, die auch das Festland der USA treffen und alles Leben auslöschen können. Die Provokationen der USA und des Westens mit NATO-Manövern in der Ukraine vor allem seit 2014 sind ein zentraler Faktor im aktuellen völkerrechtswidrigen Krieg Russlands und dieser Gefahr eines alles Leben vernichtenden Atomkriegs.

Dazu kommen ungeheuerliche antisemitische Äußerungen. Zuerst verglich der ukrainische Präsident Selenskyi in einer Ansprache an das israelische Parlament, der Knesset, den Angriff Russlands mit dem Holocaust, ja das Datum des Einmarsches der Russen in der Ukraine, 24. Februar, mit der Gründung der NSDAP. Das ist hochgradig verschwörungswahnsinnig – als ob Putin dieses Datum gewählt habe, um eine Kontinuität zu den Nazis herzustellen! – und antisemitisch.[21] Die Holocaustgedenkstätte Yad Vashem hat auch umgehend Selenskyi der Trivialisierung des Holocaust beschuldigt. Einige Wochen später fantasiert, deliriert und hetzt der russische Außenminister Lawrow, dass Hitler „jüdisches Blut“ in sich gehabt habe und „Juden seien selbst die größten Antisemiten“. Dieser Antisemitismus des russischen Außenministers ist genauso wahnhaft wie die Fantasien von Selenskyi. [Update: für diesen Antisemitismus hat sich Putin persönlich bei Bennett entschuldigt, Times of Israel, 05. Mai 2022]

Es läuft ein Wettbewerb des Sich-Hochschaukelns mit den absurdesten Vorwürfen, wozu ja auch wie in Teil 1 dieses Working Paper gezeigt die in Deutschland von führenden Politikern benutzte Rede vom „Zivilisationsbruch“ gehört.

Olaf Scholz hat nach seinem Scheitern mit der irrationalen und demokratiefeindlichen Impfpflicht jetzt noch deutlicher als Politiker versagt, indem er als Reaktion auf die Aggression Russlands die Bundeswehr in nie dagewesener Weise aufrüstet – 100 Milliarden Sondervermögen, jährlich mehr Geld für das Kriegsministerium („Verteidigungsministerium“). Jetzt liefert er sogar schwere Waffen an die Ukraine und – das ist noch heftiger – bildet ukrainische Soldaten (vielleicht auch Neonazis der Asow-Bataillone) in Deutschland an diesen schweren Waffen aus, was laut des wissenschaftlichen Dienstes im Deutschen Bundestag juristisch einem Kriegseintritt gleichkommt.

Waffenstillstand statt Waffenlieferung – das ist die Parole der Stunde, auch wenn für Argumente nicht mehr zugängliche Agitatoren wie Scholz, von den noch viel brutaleren HetzerInnen wie von der FDP, den Grünen und der CDU/CSU ganz zu schweigen, das zu old-school diplomatisch und reflektiert, weitblickend ist. Mehr Waffen haben seit 1945 noch nirgendwo zu weniger Krieg geführt. Mehr Waffen führen zu mehr Toten, hier: in der Ukraine.

Der gegen Israel gerichtete Antisemitismus, der antizionistische Antisemitismus, ist der sichtbarste Ausdruck von Judenfeindschaft. Bevor wir näher auf aktuelle Fälle in Berlin und den USA eingehen, muss das Thema Corona noch einmal kurz gestreift werden.

Die 2015 gegründete und vom Berliner Senat und anderen Einrichtungen wie der Amadeu Antonio Stiftung finanzierte „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)“ schreibt Ende Januar 2022 in einem Bericht über „Antisemitische Vorfälle und Erscheinungsformen im Kontext der aktuellen Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland“ Folgendes:

Der aktuell unvermindert starke Zulauf bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen geht mit einer vermehrten Sichtbarkeit von antisemitischen Inhalten auf diesen Versammlungen einher. Als Reaktion auf die angekündigte Impfpflicht und die Einführung der 2G- und 3G-Regeln häufen sich die Analogien zur Schoa und insbesondere zur antisemitischen Markierungspraxis im Nationalsozialismus.

Was hier auffällt ist ein ungeheuerliche Bias, eine Vorurteilsstruktur gegen jedwede Kritik an den „Corona-Maßnahmen“. Es gibt in der Tat vielfältige antisemitische Verharmlosungen des Holocaust und des Nationalsozialismus, wenn Menschen sich Armbinden mit einem Judenstern und dem Wort „Jude“ oder „ungeimpft“ darin umbinden, wenn sie Plakate tragen, auf denen Kontaktverbote als „sozialer Holocaust“ bezeichnet werden, wenn „Rothschilds“, „Soros“ und „Bill Gates“ als eine Art Verschwörergruppe imaginiert werden, wenn die antisemitische Verschwörungsideologie von QAnon intoniert oder wenn Israel beschuldigt wird – wie von Neonazis in den USA oder vom Iran oder arabischen Antisemiten – an Corona schuld zu sein. Das alles gibt es und das ist sehr gefährlich und problematisch. Es ist ebenso sehr gefährlich, wenn organisierte Rechtsextremisten in einigen Fällen bei der Organisation der „Montagsspaziergänge“ zur Kritik der Coronapolitik federführend aktiv waren wie die Gruppe „Patriotic Opposition Europe“ in Berlin-Mitte, wie die NZZ berichtete.

Es ist erstmal faktisch falsch, wenn RIAS behauptet, ab dem „13. Dezember 2021“ hätte es solche Montagsspaziergänge gegeben, schon am 22. November 2021 berichtete die Presse von einem solchen gegen die Coronapolitik gerichteten Montagsspaziergang in der sächsischen Stadt Freiberg.

Diese harmlose Ungenauigkeit mag aber Ausdruck einer Ignoranz gegenüber dieser sozialen Bewegung sein, die nur aus Gründen der Abwehr überhaupt in den Fokus von RIAS gerät. Es ist ebenso faktenfrei, wenn RIAS behauptet, es würde nur eine „breite bundesweite Mobilisierung zu suggerieren“ (Herv. CH) versucht von den Protagonist*innen der Coronapolitik kritischen Montagsspaziergängen. Bei bis zu 1500 oder mehr zeitgleich an Montagen stattfindenden Demonstrationen bzw. Montagsspaziergängen bundesweit und bis zu 300.000 Teilnehmer*innen – wöchentlich! – muss man schon empirisch, faktenbasiert von einer tatsächlichen Massenmobilisierung sprechen. Vermutlich waren die Montagsspaziergänge zur Kritik der Coronapolitik die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das wird die sozialwissenschaftliche Protest- und Bewegungsforschung weiter erforschen.

Und es ist ganz sicher nicht übertrieben, wenn man sagt, dass eine einzige Demonstration von einigen Hundert BDS-Anhänger*innen in Berlin eine weit größere Gefahr für Juden darstellt, als diese im Winter 2021/22 bis zu 1500 oder mehr gleichzeitig am Abend stattfindenden Montagsdemonstrationen (allein in Baden-Württemberg, dem bundesweiten Spitzenreiter, waren es mitunter knapp 300 Demonstrationen bzw. Spaziergänge), die nicht in aggressiven Sprechchören „Palestine from the river to the sea“ brüllten.

Es gab es in der der Bundesrepublik noch nicht, dass gleichzeitig zum selben Thema 1500 Demonstrationen stattfanden, und das ohne zentrale Organisation, mit einem breiten Spektrum an Teilnehmenden. Darunter waren sicher auch üble Personen, Antisemiten oder Rechte, Sexisten, SUV-Fahrer*innen etc. pp., aber ob z.B. Rechte mehr als zwei, fünf oder 10 Prozent ausmachten, wurde bislang noch nicht erforscht.

Viele der Spaziergänge hatten keine Parolen, keine Fahnen oder Plakate, mitunter Trillerpfeifen und Musik. Wer schaute früher bei linken Demonstrationen, wer für Mao ist? Dabei war Mao ein größerer Verbrecher als heutige Coronapolitik-Kritiker*innen. Holocaustleugner und Nazis müssen von jeder Demonstration ausgeschlossen werden. Doch unter diesem strafrechtlich relevanten Bereich gibt es eine Vielzahl von Positionen, die man höchst abstoßend finden kann und politisch bekämpfen sollte, aber tolerieren muss, wenn man in einer Demokratie leben will und nicht einem totalitären Staat wie in ZeroCovid-China.

Damit wird der von einigen Coronapolitik kritischen Demonstrant*innen vertretene strukturelle, erinnerungsabwehrende oder auf Verschwörungsmythen basierende Antisemitismus nicht weniger schlimm – aber man muss wissenschaftlich ganz genau differenzieren und kann nicht wie RIAS wenigstens vom Duktus her so tun, als ob so gut wie jede Kritik an den Coronamaßnahmen irgendwie mit Antisemitismus in Verbindung stünde. Das ist schlicht falsch und schadet dem so wichtigen Kampf gegen den Antisemitismus.

Es ist ebenso problematisch, wenn RIAS ohne jeden analytischen Bezug zur wissenschaftlichen Kritik an der irrationalen Coronapolitik von Merkel oder Scholz, Spahn oder Lauterbach einen eindeutigen Konnex von „Protesten gegen die Corona-Maßnahmen“ und einer angeblichen oder tatsächlichen Häufung von Antisemitismus herzustellen.

RIAS konzediert zwar der Form halber, dass die Coronapolitik-Kritiker*innen-Szene irgendwie „divers“ sei, aber von der Wissenschaftsfeindlichkeit von RIAS, das hier wie auch sonst primär seinen Unterstützern wie dem Berliner Senat Folge zu leisten scheint, wird nicht gesprochen. Denn folgender Satz von RIAS widerspricht der virologischen und epidemiologischen internationalen Forschung bzw. möchte mit dem Wörtchen „konsequenter“ offenkundig andeuten, dass die „2G- und 3G-Regel“ exakt richtig gewesen wären:

Ab Anfang Dezember 2021 wurden die Auflagen für Versammlungen aufgrund der hohen Inzidenz regional verschärft und die 2G- und 3G-Regel konsequenter umgesetzt.

Am 19. November 2021 publizierte ein großes Forschungsteam der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und dem amerikanischen Justizministerium eine Studie, die empirisch zeigt, dass gegen SARS-CoV-2 geimpfte Personen exakt so lange und intensiv ansteckend sein können wie nicht geimpfte Personen. Ich habe darüber am 9. Dezember 2021 berichtet. Das macht jede Unterscheidung von geimpft versus ungeimpft zu einem antidemokratischen, medizinischen Willkürakt. Und im Gegensatz zu den Vorstellungen von RIAS ist ein Großteil der Demonstrant*innen gegen die Coronapolitik wissenschaftlich ziemlich gut informiert, jedenfalls besser als der überwiegende Teil der Gesellschaft, der sich mit solchen Studien oder der internationalen Forschung kaum beschäftigt und nur die der Regierung hörigen – so muss man das leider sagen – Mainstreammedien konsumieren. Dass wiederum nicht wenige Teilnehmende an der Coronapolitik-Kritik so wie viele andere Deutsche Verschwörungsmythen zum Beispiel zum 11. September 2001, der ein „inside job“ gewesen sein soll, anhängen, ist dramatisch und ob da noch Aufklärung hilft, über 20 Jahre nachdem wir die Fakten kennen, ist unwahrscheinlich. Doch das betrifft auch sehr viele ganz normale Coronapolitik-Anhänger*innen.

Dass die „2G“-Regel tatsächlich eine Apartheid bedeutet, das wird soweit ich sehe, von RIAS und seinem Leiter in Berlin Benjamin Steinitz nicht einmal diskutiert, sondern jede Kritik von vornherein – a priori – tendenziell ins antisemitische Lager gepackt oder eingerahmt, also geframt, wie das neudeutsch heißt.

Es wäre seriös und wissenschaftlich gewesen, wenn RIAS zum Beispiel sinngemäß geschrieben hätte, dass die 2G- und 3G-Regeln epidemiologisch, demokratietheoretisch und auch virologisch gar keinen Sinn machen und bloße Willkür sind. RIAS hätte auch dazu sagen können, dass Politiker mitunter ganz ehrlich waren im Herbst 2021 und betonten, dass es epidemiologisch völlig sinnlos ist, 2G oder 3G einzuführen, aber die Menschen zum Impfen gedrängt werden sollen, was dann durch eine Impfpflicht in Deutschland mit nie dagewesenem Zwang verbunden gewesen wäre. Nun ist vor wenigen Wochen die Impfpflicht krachend im Deutschen Bundestag gescheitert.

Soweit ich sehe, ging RIAS auch mit keinem Wort auf die Israelfahnen ein, die auf einer der bekanntesten Anti-Coronapolitik-Demonstrationen geschwungen wurden, und zwar am 20. März 2021 in Kassel.

Wie antisemitisch ist eine politische Szene, die Israelfahnen mit sich führt? Bei allen Widersprüchen und allen klar erkennbaren antisemitischen und Holocaust verharmlosenden Tendenzen im Lager der Coronapolitik-Kritik muss doch eine Dokumentationsstelle Antisemitismus wie RIAS hellhörig werden, wenn da immer wieder positive Bezüge zu Israel auftauchen, was bei BDS-Demonstrationen oder islamistischen und muslimischen Anti-Israel-Aktionen niemals passieren würde, genausowenig wie bei Neonazi-Demonstrationen. Selbst bei den Anti-Coronapolitik-Demos in Berlin im August 2020, wo nachweislich Rechtsextremisten mit dabei waren, flatterten mitunter, man konnte das in Livestreams am Computer verfolgen, Reichskriegsflaggen unweit von einer Israelfahne, die offenkundig erstere überdecken wollte, wobei die größte Fahne auf einer dieser Großdemonstrationen eine riesige Deutschlandfahne war, was ja zeigt, wie deutschnational die ganze Szene ist – aber eben in Teilen auch klar pro-israelisch.

RIAS versagt auch insofern, als man in seinen Berichten nicht entdecken kann, dass die Befürchtung vieler Kritiker*innen seit 2020, es würde auf eine Impfpflicht hinauslaufen, was von Merkel bis Scholz, Lindner und Habeck bis September 2021 geleugnet wurde – Bundestagswahl! – richtig war. Ja, das war offenkundig keine Verschwörungsideologie, sondern entsprach den Tatsachen. Das ist noch viel interessanter und demokratietheoretisch von höchster Bedeutung zu eruieren, warum gerade in den Ex-Nazi- bzw. ehemals faschistischen Staaten Deutschland, Österreich und in Teilen in Italien (nicht aber z.B. in Spanien, Rumänien, Griechenland oder Argentinien, auch ehemals faschistische Länder bzw. Ex-Militärdiktaturen) eine Impfpflichtdebatte geführt und eine Impfpflicht in Teilen eingeführt (und in Österreich aktuell wieder ausgesetzt) wurde. Warum in diesen drei Ländern und sonst weltweit so gut wie nirgends? Was sagt das über die politische Kultur des Autoritarismus, der Willkür oder der Bedeutung von staatlichem Zwang aus? Selbst in Israel gab es keine wirkliche Debatte über eine Impfpflicht, obwohl unter Netanyahu und später unter Bennett eine sehr aggressive Coronapolitik – unter anderem mit Maskenzwang im Freien! – exekutiert wurde.

Diese Befürchtung nach dem Ruf einer Impfpflicht in Deutschland hatte sich seit November 2021 bewahrheitet, plötzlich waren Scholz, Habeck und Lindner für die Impfpflicht. Exakt das Gleiche war schon ganz zu Beginn der Pandemie passiert, als Mitte März 2020 der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn es als Fake News diffamierte, dass einige Leute befürchteten, dass gravierende „Maßnahmen“ zur Einschränkung des Lebens angesichts von Corona bevorstünden. Wenige Stunden bzw. Tage später wurde der erste Lockdown beschlossen. Wer Fake News, also Unwahrheiten verbreitet hatte, waren Spahn und die Bundesregierung.

Ich habe mich zum Beispiel in einem Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) im Januar 2021 ausführlich mit antisemitischen Tendenzen in der Coronapolitik-Kritiker*innen beschäftigt und diese Kritik in Dutzenden Texten ergänzt und untermauert – „Antisemitismus im Zeitalter von Corona“.

Aber das war eben immer eingebettet in eine wissenschaftliche Analyse der Fehler der Coronapolitik und des Irrationalismus sowie der Willkürlichkeit und verfassungsmäßigen Fragwürdigkeit der Coronapolitik der Bundesregierung und der 16 Landesregierungen.

Es ist dramatisch, dass gerade Antisemitismusforscher*innen weltweit die antidemokratische, unwissenschaftliche, irrationale, medizinisch nicht evidenzbasierte, juristisch häufig verfassungsfeindliche, rein auf die Exekutive und nicht auf Diskussion und Kompromiss basierende Coronapolitik nicht nur durchgewunken haben, sondern sogar Kritiker*innen fast komplett in die Kategorie „rechts“, „Verschwörungsideologe“ oder „Schwurbler“ gesteckt haben. Es wirkt selbstbeweihräuchernd und eben unwissenschaftlich, wenn nicht zuletzt Nachwuchsforscher*innen immer nur von der Gefahr der Querdenken-Bewegung sprechen ohne auch nur einmal ein Referat über den Irrationalismus von Merkel, Scholz, Spahn oder Lauterbach zu halten oder wenigstens juristisch die Unhaltbarkeit einer Unzahl von Maßnahmen zu thematisieren. Wer vom Irrationalismus, der Unwissenschaftlichkeit und der Impf-Apartheid wie von 2G nicht reden will, soll vom Rechtsextremismus von Teilen der Coronapolitik-Kritik schweigen.[22]

Schauen wir uns nun den antizionistischen Antisemitismus, der im Vergleich zu den Anti-Coronapolitik-Demonstrationen ein viel höheres Gewaltpotential hat, etwas näher an. Die problematische Position der Leitung des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, von Stefanie Schüler-Springorum und vielen ihrer Kolleg*innen im Bereich Jüdische Studien, Geschichte und Sozialwissenschaften, bezüglich Israel und der BDS-Bewegung habe ich im Januar 2021 in einem Working Paper näher untersucht („Initiative GG 5.3 Weltoffenheit„). Schon damals ging es wie auch wenig später in der „Jerusalem Decoaration“ um eine Verharmlosung der antisemitischen Parole „Palestine from the River to the Sea“.[23]

Am Samstag, den 23. April 2022 gab es eine Demonstration gegen Israel in Berlin-Neukölln. Angesichts von mörderischen Anschlägen in Israel durch Palästinenser, von Polizei- und Militäreinsätzen auf dem Tempelberg, in den palästinensischen Gebieten und in Israel, demonstrierten ca. 500 Personen gegen Israel – und gegen Juden. Dabei wurden antisemitische Parolen geschriene wie „dreckiger Jude“, „Kindermörder Israel“, „Frauenmörder Israel“.

Organisiert worden war die Hetzveranstaltung von einer Gruppe mit dem Namen „Palästina spricht“. Schockierend war auch das Verhalten der Polizei, für das der Berliner Senat verantwortlich ist, der aufgrund einer Gesetzesänderung im Jahr 2021 es ermöglicht, dass willkürlich Pressevertreter*innen von Demonstrationen ausgeschlossen werden können:

Journalisten-Gewerkschafter Jörg Reichel von der Deutschen Journalisten-Union hat das Geschehen beobachtet. Er schildert WELT den Vorfall so: Der Veranstalter und Teilnehmer hätten die Pressevertreter auf unterschiedliche Weise als „zionistische, rassistische, jüdische Presse“ markiert. Dann seien Ordner gekommen und hätten gedrückt und geschoben. „Teilnehmer haben aus diesem Pulk heraus zugeschlagen. Dann wurde die Polizei vom Veranstalter zugezogen und ein Ausschluss gefordert.“ Im Vorgehen der Polizei sieht Reichel eine „presserechtliche Katastrophe“.

(Die Welt, 26.04.2022, S. 6)

Auf der „Revolutionären 1. Mai“-Demonstration der linksradikalen Szene Berlin liefen am 1. Mai 2022 auch viele BDS-Anhänger*innen und Palästinenser*innen mit Fahnen mit. Wie am 22.4. wurde auch da wieder „Palestine from the river to the sea“ geschrien, also die Auslöschung des jüdischen Staates Israel gefordert.

Der antizionistische, auf Israel bezogene Antisemitismus spricht Juden das Recht ab, in einem eigenen Staat zu leben. Dabei ist Israel bereits ein sehr multikultureller Staat mit ca. 20 Prozent Arabern – welche europäische Demokratie würde eine so riesige nationale Minderheit ertragen, ohne zu einem antidemokratischen Regime zu mutieren (einmal abgesehen davon, dass ganz Europa bis auf Schweden während der Corona-Krise nicht mehr rechtsstaatlich und demokratisch war, sondern irrational, antidemokratisch und nur auf die Exekutive sowie ein einziges Virus fokussiert, ohne gesundheitliche Schäden, massive, für die ganze Bevölkerung durch Lockdown, Quarantäne, Masken usw. zu berücksichtigen, von den „Kollateraltoten“ im Globalen Süden nicht zu schweigen, die nach Millionen zählen).

Also: Israel ist ein jüdischer und demokratischer Staat. Das heißt nicht, und da ist die Pro-Israel-Szene zumal in Deutschland und Österreich häufig blind, dass Israel nicht auch Fehler macht. Es gibt Rassismus gegen Araber, Muslime und Palästinenser in Israel bzw. den palästinensischen Gebieten. Es gibt auch gezielte Provokationen von jüdischen Extremisten, die z.B. den Tempelberg zum Beten nutzen wollen, was eben nun mal für Muslime eine extreme Provokation darstellt. Daher hat auch jüngst der stellvertretende Ministerpräsident und Außenminister Lapid betont, dass es keinerlei Erlaubnis geben wird für nicht-muslimische Menschen, auf dem Tempelberg zu beten. Die Räumung bzw. Enteignung von palästinensischen Wohngebieten ist ebenso heftig umstritten. Es gibt in Israel viele zionistische Stimmen, die sich gegen den Nationalismus Israels wenden und die weiterhin eine Zweistaatenlösung anstreben.

Antisemiten, die so wie in Berlin krakeelen und Juden bedrohen, Journalist*innen angreifen und ausschließen von der Berichterstattung, die sind völlig verloren für eine rationale Diskussion. Da muss man mit aller Härte durchgreifen und antisemitische Gewalttäter zur Rechenschaft ziehen.

Das heißt aber nicht, dass man politisch die Situation in Israel näher betrachten muss. Darauf weist die Politologin an der Hebräischen Universität, Stadträtin in Jerusalem seit vielen Jahren für die linke Partei Meretz und Publizistin Dr. Laura Wharton hin. In einem Text vom 19. Februar 2022 erläutert sie die Situation in Jerusalem und vor allem in Ost-Jerusalem. Die Enteignungen, die dort im Viertel Sheik Jarrah stattfinden, hält sie für höchst problematisch. Jüdische Siedler und andere melden plötzlich Anspruch auf Eigentum an, weil sie 1948 im Krieg vertrieben worden seien. Wharton betont, dass dies doch genauso andersherum passieren könne, Palästinenser, die aus West-Jerusalem oder jedem anderen heutigen Ort in Israel vertrieben wurden. So wie Israel zu Recht gegen jedes Recht auf Rückkehr sich ausspricht, weil dies das Ende des jüdischen Staates bedeutete, so sollten auch jüdische Israelis solche Enteignungen von Palästinensern in Ost-Jerusalem sofort stoppen. Dabei ist es ohnehin zynisch, da die jüdischen Ex-Eigentümer dieser Häuser oder Wohnungen bereits vor Jahrzehnten entschädigt wurden, wie Wharton betont:

1. Many of the Palestinians now living in East Jerusalem were refugees in 1948 from what is today Israel proper. They were settled in their current homes by the Jordanian government and the U.N., in return for which they waived their rights as refugees. To evict them would make them refugees twice over, an unthinkable prospect from a humanitarian perspective.

2. Jewish families who lived in parts of Jerusalem that were taken over by Jordan in 1948 were compensated and given abandoned property by the Israeli government. This offering them title to the property they left constitutes double compensation, as Adv. Michael Ben-Yair (ex-Attorney General), who was born in Sheikh Jarrah, explains in his eponymous book on the subject.

Es ist also eine Sache, sich gegen den rabiaten, handgreiflichen und zu Gewalt anstachelnden Antisemitismus wie letzten Samstag in Berlin zu wenden. Es ist eine komplementäre Sache, sich konkret mit der Situation in Israel im Sinne des Projekts Zionismus und jüdischer und demokratischer Staat Israel sich mit dem Rassismus gegen Araber und Palästinenser sowie der rechtsextremen Siedlerpolitik kritisch zu befassen.

Wie weit verbreitet mittlerweile die BDS-Bewegung ist, zeigt ein sehr besorgniserregendes Beispiel aus den USA, das uns auch gleich zurückführt auf Jerusalem und den Stadtteil „Sheikh Jarrah“. Am 29. April 2022 publizierte die Redaktion der ältesten kontinuierlich erscheinenden Studentenzeitung in den USA, The Harvard Crimson von der Eliteuniversität der Ivy League Harvard, ein Editorial, das sich hinter die antisemitische BDS-Bewegung stellt:

In dem Artikel beziehen sie sich unter anderem auf den ehemaligen CNN Kommentator Marc Lamont Hill, der den sowohl islamistischen wie säkular-antisemitischen Slogan „From the River to the Sea“ für den arabisch-israelischen Konflikt benutzt.

Der Harvard Crimson ist eine sehr einflussreiche Studierendenzeitung und hat fast 90 Mitglieder in der Redaktion, wozu auch eine eigene Druckerei gehört. Viele einflussreiche Politiker*innen und Prominente waren früher als Studierende Teil von Crimson. Die Texte des Herausgebergremiums bzw. der Redaktion (Editorial Board) werden mit Mehrheitsbeschluss gefasst. Bislang hatte sich Crimson gegen die BDS-Bewegung ausgesprochen. Solche Elitestudierenden wie in Harvard, wo 2021 nur 3,4 Prozent der Bewerber*innen als Student*in aufgenommen wurden, haben ein scharfes Sendungsbewusstsein, wer in Harvard, Yale oder Columbia etc. war, wird eine wichtige gesellschaftliche Position bekommen. Das ist also ein sehr schlechtes Zeichen, wenn jetzt so ein studentisches Gremium von 18-25-jährigen Studierenden so eine antisemitische Bewegung wie BDS gutheißt.

Der Direktor der Anti-Defamation League (ADL) Jonathan Greenblatt ist sichtlich angewidert von der Pro-BDS-Positionierung der jungen Harvard-Studierenden von Crimson, wie der Algemeiner berichtet:

Responding to the editorial on Twitter, Anti-Defamation League (ADL) CEO Jonathan Greenblatt called it “beyond disturbing.”

“Contrary to its claims, endorsing BDS does nothing to help Palestinians & only serves to delegitimize Israel’s existence, and isolate & intimidate the Jewish community, especially on campus,” he wrote. “Before publishing blanket statements on such complex and important issues, the Crimson editors should check their own blind spots in this matter and ask why they deem it necessary to expressly single out the state of Israel.”

“Just imagine if the Crimson would have instead promoted engagement and dialogue, and sponsored efforts on campus & beyond to build foundations for a future of self-determination, security and peace for both Israelis and Palestinians,” Greenblatt continued.

Wie stark gegen Israel sich die jungen Studentinnen und Studenten in Amerika, hier in Harvard, wenden, zeigte bereits ein Artikel von Oktober 2021, der den palästinensischen Aktivisten und Publizisten Mohammed El-Kurd vorstellte. El-Kurd kommt aus Jerusalem und Sheikh Jarrah, hat 250.000 Follower auf Twitter, wurde 2021 Palästina-Korrespondent der Zeitschrift The Nation, die Times wählte ihn und seine Zwillingsschwester zu zwei der einflussreichsten Personen des Jahres 2021. Was macht ihn so außergewöhnlich und erfolgreich mit 23 Jahren? Seine Familie wohnt in einem Haus, das zu den umstrittenen Gebäuden und Grundstücken in Sheikh Jarrah gehört. Über den Fall wurde ein Film gedreht. El-Kurd hat 2021 ein Buch publiziert, Rifqa, worin er wie selbstverständlich die jahrhundertealte antisemitische Blutbeschuldigung aufgreift und zitiert:

In 2009, Swedish photojournalist Donald Boström published an essay titled “Our Sons Are Being Plundered for Their Organs,” in which he exposed the decades-long Israeli practice of returning the bodies of young Palestinian men to their families with organs missing.[24]

Organhandel ist weltweit ein sehr lukratives Geschäft. Auch in Deutschland gab es Organhandelskandale, wie in vielen Ländern, auch in Israel. Was hier aber bei Boström vorliegt, ist eine klassische antisemitische Blutbeschuldigung. Es wird in einem Text von Boström in der größten schwedischen Tageszeitung Aftonbladet behauptet, dass die israelische Armee IDF absichtlich Organe von Palästinensern verwenden würde. Dafür hatte er keinerlei Beweise, wie er im israelischen Radio selbst zugab. Es gab in Schweden allerdings wie auch in Israel und weltweit einen Aufschrei, dass so eine antisemitische Verschwörungsideologie und Blutbeschuldigung in einer großen und als seriös betrachteten Tageszeitung in Schweden publiziert wurde. Eine andere große schwedische Zeitung kritisierte Aftonbladet scharf:

Writing in rival newspaper Sydsvenskan, Mats Skogkär attacks Aftonbladet’s decision. In an Op-Ed piece called Antisemitbladet, he gets to the heart of the issue:

Whispers in the dark. Anonymous sources. Rumors. That is all it takes. After all we all know what they are like, don’t we: inhuman, hardened. Capable of anything. Now all that remains is the defense, equally predictable: ‘Anti-Semitism’ No, no, just criticism of Israel.

El-Kurd tweetet besonders vulgär, sexistisch, antisemitisch und aggressiv,

er trat im Frühjahr 2022 auf der Israeli Apartheid Week in den USA auf, wie die Anti-Defamation League (ADL) berichtet. Die ADL hat auch ein ganzes Dossier über den Antisemitismus von El-Kurd publiziert,

der regelmäßig Israel mit dem Nationalsozialismus vergleicht. Sein Twitter-Account ist voll von solchen antisemitischen Vergleichen von Nazis und Israel, israelischer Politik und der „Kristallnacht“, „der Zionismus“ sei „blutdürstig“ und so weiter. Es ist absolut schockierend, was für Hetze tagtäglich auf Twitter und anderen a-sozialen Medien möglich ist. Und der von der Harvard Law School’s Middle Eastern Law Student Association eingeladene und von Crimson promotete Mohammed El-Kurb ist ein typischer antisemitischer Agitator, der im Mainstream der USA angekommen ist.

Die Tatsache, dass ein Typ wie El-Kurb in Harvard auftreten darf und sogar von einer Zeitung für seine Agitation bezahlt wird (The Nation) ist skandalös. Aber es passt in ein antisemitisches Klima in Harvard, das jetzt vor wenigen Tagen zu dieser Pro-BDS-Position des Harvard Crimson führte. Die linksradikale Szene Berlin und Harvard Hand in Hand gegen die Juden und den jüdischen Staat Israel.

Wer Israel als jüdischen Staat auflösen möchte, handelt antisemitisch. Das macht BDS und das machen jene, die „Palestine from the River to the Sea“ schreien. Das sind Gewaltandrohungen. Ganz im Gegensatz dazu versuchen linkszionistische Lokalpolitikerinnen wie die Publizistin und Politologin Laura Wharton wie gezeigt auf pragmatischem Weg eine Lösung für Jerusalem, die Palästinenser und den arabisch-israelischen Konflikt zu finden. Sie setzt sich gegen Gewalt von Siedler*innen und gegen den anti-palästinensischen Rassismus ein.

Doch BDS wie auch auf ganz anderer Ebene das Corona-Regime kennen nur Schwarz und Weiß. „From the River to the Sea“ oder „Wir impfen euch alle”, wie die Berliner Antifa und andere Antifas krakeelen, haben jeweils wissenschaftlich und politisch keinen Sinn, außer Gewalt anzudrohen.

Ein riesiges Problem für die Demokratie ist also das Schwarz-Weiß-Denken, wie auch das Gruppendenken. Durch die Regierung Merkel und jetzt durch Scholz werden diese beiden autoritären Denkweisen auf nie dagewesene Weise seit 1945 verschärft. Zuerst – und bis heute – ist es die Corona-Ideologie, die jede Kritik an den willkürlichen, medizinisch wie verfassungsrechtlich fragwürdigen Maßnahmen diffamierte, heute ist es die unglaubliche Dämonisierung alles Russischen. Eine rationale Analyse dieses Krieges bleibt aus, ja Deutschland sieht sich zum ersten Mal seit 1945 wieder in einem Krieg mit einem der Befreier vom Nationalsozialismus, nachdem es schon 1999 im Luftkrieg gegen Serbien einen Tabubruch begangen hatte: Nie wieder Krieg. Heute heißt es: Nie wieder Krieg ohne schwere deutsche Waffen auch in Europa!

Die so wichtige Einrichtung RIAS aus Berlin, die Antisemitismus dokumentiert, hat wie gezeigt keinen Blick für die medizinisch und demokratisch äußerst fragwürdige Coronapolitik und diffamiert jedwede substantielle Kritik als irgendwie dem antisemitischen Lager zugehörig. Damit leistet RIAS der Kritik an allen Formen von Antisemitismus einen Bärendienst. Übrigens gab es auf der „Revolutionären 1. Mai Demonstration“ am 1.5.22 in Berlin auch wenigstens eine Person im Schwarzen Block, die ein Plakat hielt mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“ (so ein Live-Blog im Berliner Tagesspiegel), womit seit vielen Jahren gerade auch der antizionistische Antisemitismus mit gemeint ist.

Schließlich ist das Schwarz-Weiß-Denken auch im arabisch-israelischen Konflikt deutlich. Während die kulturelle Elite häufig Israel als Staat der Juden ganz grundsätzlich ablehnt (Judith Butler und die BDS-Bewegung vorneweg) und die Palästinenser nur als Opfer betrachtet werden – es also nur „Gut“ und „Böse“ gebe, ignorieren auf der anderen Seite Pro-Israel-Aktivist*innen die offenkundigen Fehler israelischer Politik seit 1967 und der Besatzung.

Der Unterschied jedoch zwischen CDU-Politikern, die vom „Zivilisationsbruch“ daherreden, ohne jede historische Kenntnis, aber viel psychischem Bedarf nach Entlastung von der deutschen Schuld, und jenen antisemitischen, häufig, aber nicht immer islamistischen Hetzern, die vom Gazastreifen als „KZ“ fabulieren oder von Coronapolitik-Kritikern, die meinten, Israel würde eine noch schlimmere (Corona-)Politik betreiben als die Nazis, dieser Unterschied ist gering und kaum zu erkennen.

Es geht seit Jahren um maximale Erregung, Propaganda, Headlines, was nicht zuletzt Folge der schnelllebigen Welt der a-sozialen Medien Twitter, Telegram, Facebook oder Instagram und YouTube etc. ist.

Diese Sensationsgeilheit und zumal eines der ältesten antijüdischen Ressentiments führt uns zum letzten der vier Beispiele für heutigen Antisemitismus: die Beschneidungsdebatte.

4. Antijudaistischer Antisemitismus im Mainstream und bei Coronapolitik-Kritikerinnen

Am 7. Mai 2012 wurde ein Urteil des Landgerichts Köln verkündet, das als einer der größten Angriffe auf jüdisches Leben in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland betrachtet wird. Das Urteil wendet sich gegen die Beschneidung von Jungen, am Beispiel eines 4-jährigen muslimischen Jungen. Damit hob das Landgericht Köln das anderslautende Urteil des Amtsgerichts Köln vom 21.09.2011 auf.

2012 kritisierte der Publizist und Gelehrte in Jüdischen Studien von der Universität Basel Alfred Bodenheimer den Juristen Holm Putzke und den Anti-Beschneidungsdiskurs.[25] Dabei geht er auch auf einen Beitrag Putzkes in einer Festschrift für dessen Doktorvater Rolf Dietrich Herzberg 2008 ein.

Schon in den 1840er Jahren gab es unter Rabbinern und der jüdischen Gemeinschaft Diskussionen über die Beschneidung. Darauf weist ein umfassender Band zur Beschneidungsdiskussion im Jahr 1896 hin, der gescannt online verfügbar ist.[26]

Da werden medizinische, religiöse wie gesellschaftspolitische Gründe und Diskussionen für die Beschneidung ausführlich erörtert. Alle Beiträge stellen sich hinter die Beschneidung. Medizinisch wird häufig der Vorteil der Beschneidung angeführt, was Probleme bei schlecht durchgeführten Fällen nicht ausschließt. Aber der Kern ist die ungeheuerliche Anmaßung zumal von Deutschen, Juden vorzuschreiben, wie sie ihre Religion auszuüben hätten und das auch noch, ganz im Sinne der antisemitischen Blutbeschuldigung oder Blood Libel den Juden subtil oder weniger subtil Kindesmisshandlung zu unterstellen.

Medizinisch wurde 1896 bereits detailliert auf die häufigen und vielfältigen Erkrankungen des unbeschnittenen Penis mit Vorhaut hingewiesen. Darunter fallen „der weiche Schanker“, „Herpes progenitalis sive praeputialis“, die „katarrhalische Balanoposthitis“, die „gonorrhoische Balanoposthitis“ oder der gewöhliche „Eicheltripper“. Doch diese damals diagnostizierten medizinischen Vorteile einer Beschneidung sind nicht die Begründung für die Brit Mila oder die muslimische Beschneidung. Es sind kulturelle und religiöse Praktiken und eine Demokratie muss Religionsfreiheit gewährleisten. Doch gerade das ach-so-gebildete Bürgertum in Deutschland hetzt seit Jahren gegen die Beschneidung.

Eine Anzeigenkampagne in Bussen, Bahnen und öffentlichen Orten der Giordano-Bruno-Stiftung war besonders perfide, wobei sie einen Jungen als Beispiel nimmt, also vermutlich einen muslimischen Jungen, und keinen neugeborenen jüdischen Jungen, denn im Judentum muss die Beschneidung bis zum achten Tag vollzogen sein.

Der Pädagoge Micha Brumlik hat damals die Giordano-Bruno-Stiftung mit ihrem Namensgeber kontextualisiert:

Gerade diese Übersetzung aber gibt Brunos judenfeindliche Äußerungen im Dialog „Austreibung des triumphierenden Tieres“, erschienen 1584, unmissverständlich wieder. In einer Passage, in der die allegorischen Partner eines Dialogs darüber sprechen, wie ungerecht es sei, Verfehlungen der Eltern an den Kindern zu strafen, heißt es in der neuen Übersetzung, dass sich diese Überzeugung erstmals bei den Juden gefunden habe, „da diese ein so verpestetes, aussätziges und ganz allgemein verderbenbringendes Geschlecht sind, das eher vertilgt zu werden verdiente, als geboren“.

Diese Behauptung vertrat Bruno in einer Zeit, als auf der italienischen Halbinsel, vor allem im Kirchenstaat, die Juden vertrieben wurden. Die, die blieben, wurden ghettoisiert sowie in ihrer Berufstätigkeit und Freizügigkeit massiv eingeschränkt, ihre Kinder wurden oft zwangsgetauft.

Auf jeden Fall: Nicht einmal das Übersetzerduo Blum kommt umhin festzustellen, dass Bruno – wie es pointiert schreibt – ein „rabiater Judenfresser“ war.

Viele Linke, auch aus der Pro-Israel-Szene, haben sich wie die FAZ, Putzke oder die Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Brit Mila gestellt, so die Postille Bahamas und ihre Autoren Thomas Maul und Justus Wertmüller, die Bahamas rief sogar ihre kleine Anhängerschaft dazu auf, im August 2012 nicht auf eine Kundgebung in Berlin zu gehen, die sich für Religionsfreiheit und das Recht auf die Beschneidung aussprach. Andere allzu deutsche Agitatoren gegen die jüdische wie muslimische Knabenbeschneidung waren die Publizisten Thomas von der Osten-Sacken, Tilman Tarach sowie das extrem rechte Portal „Politically Incorrect“.

Der Politikwissenschaftler Mathias Küntzel, der auch aus der Pro-Israel-Szene stammt, positionierte sich differenzierter und hat bei der üblichen linken Agitation gegen die Brit Mila nicht mitgemacht. Er hat 2012 die Diskussion für den Perlentaucher zusammengefasst und zumal das linke Versagen, das Judentum zu verteidigen, herausgestellt und deren de facto Nähe zu Neonazis unterstrichen:

Mit ungewöhnlicher Starrsinnigkeit stellen sich die Beschneidungskritiker auch gegenüber den Alarmrufen der Repräsentanten jüdischer Körperschaften taub. Netanel Wurmser, Landesrabbiner von Baden-Württemberg: Das Urteil „weckt Erinnerungen an schlimmste Szenarien jüdischer Verfolgung.“ Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner: „Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft.“

Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland: „Würde die Beschneidung in Deutschland verboten, würde dies ein jüdisches Leben hier unmöglich machen. Dann müssten wir gehen.“ Dass die NPD der letztgenannte Aussage freudig applaudiert und „allen Verstümmelungslobbyisten, religiös motivierten Tierquälern und anderen Fanatikern, die uns Deutschen ihre Vorstellung von Religionsfreiheit aufzwingen wollen, eine gute Heimreise“ wünscht, kann nicht weiter überraschen. Schwieriger ist die kalte Hartnäckigkeit zu erklären, mit der ein großer Teil des linksliberalen und progressiven politischen Lagers das Kölner Urteil gegen jüdische Proteste zu verteidigen sucht. Exemplarisch ist ein Beitrag der linksliberalen Wochenzeitung „Jungle World“. „Recht vor Glaube!“ fordert darin die Autorin Hannah Wettig.

Zur antisemitischen Dimension der Anti-Beschneidungsdebatte äußerte sich auch ein unabhängiger Expertenkreis Antisemitismus beim Bundesministerium des Innern. Darin heißt es:

Besonders häufig sind es Karikaturen, die antisemitische bzw. rassistische Inhalte zeigen. So veröffentlichte etwa der Berliner Kurier im Juli 2012 einen Cartoon des slowakischen Karikaturisten Marian Kamensky, der antimuslimische und antisemitische Konnotationen gleichermaßen bedient. Zu sehen ist ein Beschneider mit muslimischer Kopfbedeckung, der in der einen Hand ein Messer hält, von dem Blut tropft, und in der anderen den abgeschnittenen Penis eines ihm gegenüberstehenden Jungen, der eine Kippa trägt. Der als muslimisch markierte Beschneider sagt: »Oh, oh, heute ist nicht mein Tag«, woraufhin der als Jude zu erkennende Junge erwidert: »Kopf hoch, es wird bald nicht mehr strafbar!« (…)

Zu einem Artikel von Jörg Lau zum Beschneidungsverbot, der am 5. September 2012 in der Zeit publiziert wurde, sind innerhalb von acht Tagen 1064 Kommentare gepostet worden.1021 Lau geht explizit auf antisemitische Konnotationen in der Beschneidungsdebatte ein:

»Die Entwertung der jüdischen Religion, diesmal nicht im Zeichen des rassistischen Antisemitismus, sondern im Zeichen der Aufklärung und der Menschenwürde. Endlich kann man den Juden am Zeug flicken, ohne sich dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen, denn es geht ja um den Kinderschutz, hier verstanden als Schutz jüdischer Kinder vor den Juden.«

Nicht zuletzt Verschwörungsmythiker*innen, Maskulinisten und ‚Männerrechtler‘ sind untern den antijüdischen Aktivisten, wie der Expertenkreis Antisemitismus betont und einen Text der Journalistin Elke Wittich, der sich gegen diese männerbündische Hetze wendet, zitiert.

Im Dezember 2012 wurde vom Deutschen Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die Beschneidung zulässt, sich also gegen das Urteil vom Landgericht Köln wendet, aber nur unter Vorbehalt sozusagen, wie wir weiter unten in einem Zitat von Gremliza sehen werden.

Der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, stellt völlig schockiert fest, wie der unabhängige Expertenkreis Antisemitismus zitiert:

Wenn ich den Offenen Brief der 700 Wissenschaftler an Bundesregierung und Bundestag lese, dann ist das eine einzige Anklageschrift. Eine Schmähschrift, welche die jüdische Gemeinschaft heute und alle Juden seit Jahrtausenden vor uns als notorische Kinderquäler diffamiert. Da wird von namhaften Medizinern und Juristen behauptet, wir übten ›sexuelle Gewalt‹ gegen unsere Kinder aus. Man tue Kindern nicht weh, heißt es dort, und dieser Satz wird auch noch marktschreierisch mit einem groben Ausrufezeichen versehen. Das ist eine Form von Anklage und Belehrungsdenken, die man nirgendwo auf der Welt sonst noch findet. […] Es gibt eine große überregionale Tageszeitung, die ich selbst seit Jahrzehnten lese, die seit Wochen einen regelrechten journalistischen Kreuzzug gegen die Beschneidung führt. Immer wieder wird die Brit Mila dort gleichgesetzt mit Kindesmisshandlung und -missbrauch, mit Genitalverstümmelung von Mädchen, mit der Prügelstrafe und sogar Menschenopfer.

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. publiziert 2017 mehrere, auch feministische Stellungnahmen gegen die Brit Mila, die auf nicht anders als antijüdische Weise mit der Genitalverstümmelung von Frauen gleichgesetzt (!) wird:

Christa Müller, 1. Vorsitzende von (I)NTACT – Internationale Aktion gegen die Beschneidung von Mädchen und Frauen e.V. , führt aus: „Vor fünf Jahren hat der Deutsche Bundestag mit einem Gesetz die männliche Genitalverstümmelung erlaubt. Damit wurde eine Menschenrechtsverletzung legalisiert. In der Realität sind hiervon vor allem muslimische und jüdische Jungen betroffen. Sind sie uns weniger wert als christliche Jungen?

Bodenheimer bettet seine Analyse des antijüdischen Anti-Beschneidungsdiskurses im Jahr 2012 politisch ein:

Das Jahr 2012 könnte als jenes in die Erinnerung der jüdischen Gemeinschaft eingehen, in dem die Grundfesten der Holocaust-Rezeption in Deutschland ins Wanken gekommen sind, befeuert durch den elektronischen Marktplatz, der eine praktisch ungebremste öffentliche Meinung freigesetzt hat. (…)

Der Kampfruf von der Unantastbarkeit des jüdischen Körpers wird zum effektivsten und erprobtesten Mittel der Antastbarkeit des Judentums in seiner überlieferten Form, nämlich dem Vorwurf einer religionsinhärenten Gewalttätigkeit und Empathieunfähigkeit. Von der Kreuzigung Jesu bis zu Shakespeares Shylock ist dies ein eingeschliffenes Muster abendländischen Kulturwissens.[27]

Vor diesem Hintergrund ist die Ankündigung einer Tagung an der Universität Mainz Anfang Mai 2022 unter dem Titel „Genitalautonomie und Kinderschutz“, wo neben anderen Referent*innen gleich zwei ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete involviert sind, Marlene Rupprecht und Lale Akgün, schockierend. Schon der Titel ist eine Unverschämtheit und insinuiert, dass Juden (wie Muslime) mit „Kinderschutz“ nichts am Hut haben können, wenn sie die Beschneidung durchführen.

Neben dem antijüdischen (und auch antiislamischen) Impetus ist folgendes auffallend: Wie reaktionär und weltweit betrachtet irrational die deutsche Debatte verlief und verläuft, zeigen die weltweiten Zahlen. So sind weltweit ca. 38 Prozent aller Männer beschnitten, in Israel und in arabischen wie muslimischen Ländern sind es 90 Prozent, aber auch in den USA sind es 80 Prozent. Davon haben die Agitator*innen in Deutschland offenkundig keine Ahnung, auch nicht davon, dass die WHO eine Beschneidung als Prävention gegen eine HIV-Infektion in Gegenden mit einer hohen Prävalenz des Virus bzw. der Krankheit sogar empfiehlt, wie es auch Forschungsstand der „evidenzbasierten Rechtswissenschaft“ ist, so Hendrik Pekárek 2013.

Die Tagung an der Uni Mainz wird von deren beiden Professoren Jörg Scheinfeld und Hauke Brettel organisiert. Scheinfeld ist seit Anfang 2022 „leitender Direktor am Institut für Weltanschauungsrecht“. Das Institut heißt wirklich so:

Die Gründung des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) fand am 11. Februar 2017 am Stiftungssitz der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) in Oberwesel statt.

Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung sitzt auch im vierköpfigen Direktorium, im Beirat sitzen unter anderen die Publizistin Seyran Ates, der Jurist Prof. Holm Putzke und die ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Maier.

Die Journalistin Gunda Trepp untersucht in ihrem aktuellen Buch „Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus“[28]:

Insgesamt habe ich sowohl bei den beteiligten Wissenschaftlern als auch den Kommentatoren in Medien und anderen Foren den Eindruck, hier werde nicht ein medizinischer Vorgang bewertet, sondern der moralische Wert einer Religionsgemeinschaft. In vielen Fällen vergriffen sich die Teilnehmer im Ton. ‚Vielfach‘ hätten Bürger in diesem Zusammen Bezeichnungen wie ‚pervers‘, ‚primitiv‘ oder ‚brutal‘ benutzt, oder Begriffe wie ‚blutige Verstümmelung‘, schreiben Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz.[29]

Trepp geht auch auf aggressive Beschneidungsgegner wie den Publizisten und Juristen Thomas Fischer ein, der die Brit Mila und die Knabenbeschneidung mit der kriminellen und lebensgefährlichen Genitalverstümmelung bei Mädchen vergleicht und sie kritisiert auch den Juristen Jochen Schneider, der offenbar in „seiner Dissertation die Beschneidung eines Säuglings mit der Eintätowierung von Nummern in Konzentrationslagern“ auf widerwärtige Weise in Beziehung setzt.[30]

Es ist nun bezeichnend, dass eine der bekanntesten Coronapolitik-Kritiker*innen, die immer so liberal und aufgeklärt tut oder getan hat und die häufig in der Presse publiziert oder interviewt wird und auch im Fernsehen zu sehen war, die Rechtsanwältin Jessica Hamed aus Mainz, auf ihrem Twitter-Account die Ankündigung dieser gegen einen zentralen Teil des Judentums vorgehende Tagung teilt.

Geradezu lustig ist es, wäre es nicht so dramatisch hetzerisch gegen das Judentum und die Juden und den Islam, wenn Hamed damit einen Tweet von Putzke retweetet, in dem es heißt:

„Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass auf dem Boden des GG ein Gesetz zustande kommt, das gestattet, schutzbedürftigen Säuglingen & Kindern ohne medizinischen Grund einen erogenen Körperteil irreversibel abzutrennen, ihnen dadurch Schmerzen zuzufügen…“ Prof. Putzke 1/3

Jessica Hamed ist so begeistert von Putzke, dass sie ihren Twitter-Followern vorschlägt, ihm auf diesem umstrittenen Medium zu folgen.

Heute schreibt sie ganz euphorisch von dieser Tagung an der Uni Mainz:

Es wäre interessant, die 80 Prozent Männer in den USA oder die 90 Prozent in Israel und arabischen Ländern zu fragen, ob denn deren Sexualleben womöglich nicht schlechter ist als das vieler Anti-Beschneidungs-Hetzer*innen, die evtl. nur neidisch sind? Denn medizinisch wäre es interessant zu erfahren, seit wann ein Schnitt durch die Vorhaut, das Entfernen eines „erogenen Körperteil“s sein soll.

Der Kern aber ist der Frontalangriff auf das Judentum – und auch auf den Islam. Dass der Islam vieles vom Judentum einfach nur imitierte, dabei aber oft grotesk und fatal übertrieb, das nur am Rande – Beschneidung nicht am achten Tag, sondern als Kleinkind oder Kind, nicht nur ein Tag fasten wie an Yom Kippur, sondern vier Wochen im Ramadan und so weiter, wie schon Abraham Geiger in seiner Dissertation 1833 an der Uni Bonn untersuchte.

Der Macher des „Verfassungsblogs“ Maximilian Steinbeis hat die Situation 2013 komprimiert und etwas arg positiv, aber durchaus treffend dargestellt, wobei ihm klar ist, dass wir es mit einer großen Diskrepanz zwischen dem Mob auf der Straße und in den Kommentarspalten wie den a-sozialen Medien auf der einen und weiten Teilen der politischen Elite auf der anderen Site zu tun haben:

Insoweit scheint mir die Situation in Deutschland noch ganz passabel. In der deutschen Politik und Medienöffentlichkeit ist das Bewusstsein darüber, was es mit dem New-School-Antisemitismus auf sich hat, ziemlich weit verbreitet. Wer das für selbstverständlich hält, sollte sich mal mit Österreichern unterhalten (von Ungarn ganz zu schweigen).

Deshalb fliegt bei uns ein CDU-Abgeordneter aus der Fraktion, wenn er von den Juden als „Tätervolk“ faselt. Deshalb stürzen wir unseren Nationalnobelpreisträger Günter Grass vom Podest, wenn er Israel den Willen zum atomaren Holocaust an den Leib dichtet. Deshalb ist sich die politischen Elite – in scharfem Kontrast zur breiten Bevölkerung – fast geschlossen einig darin, dass die Beschneidung nicht kriminalisiert werden darf.

Aber ich will hier keine Selbstzufriedenheit verbreiten. Dass dazu kein Anlass besteht, zeigt ein Blick in die Kommentarspalte unter jedem einzelnen der Artikel auf diesem Blog, die das Beschneidungsthema behandeln…

All jenen turbo aggressiven Hetzer*innen gegen die Brit Mila in Deutschland – von ganz links über die breite Mitte bis ganz rechts (AfD etc.)– könnte man entgegenschleudern „Haut ab!“, oder in einer Sprache, die solche Jurist*innen eventuell eher verstehen: „Verpisst euch!“, oder aber eleganter mit den Worten von Hermann L. Gremliza (1940-2019):

„Das Angebot der Deutschen, Beschneidung Unmündiger nicht als Körperverletzung verfolgen zu lassen, ist so faul wie jeder Kompromiß zwischen Tätern und Opfern. Was zu verlangen wäre, wird nicht verlangt: eine Erklärung, daß die Beschneidung nicht bestraft werden kann, weil die Deutschen das Recht, Juden Gebräuche ihrer Gemeinschaft zu untersagen, durch Auschwitz verwirkt haben, wenn nicht für immer, so doch auf eine ihren Verbrechen angemessene Zeit, sagen wir: auf tausend Jahre. So würde das besinnungslose Geschwätz vom ‚besonderen Verhältnis zu den Juden‘ endlich einmal wahr“.[31]

Resümee

Die vier analysierten Beispiele für Antisemitismus im Jahr 2022 zeigen wie unterschiedlich sich dieser „längste Hass“ (Robert S. Wistrich) zeigen kann. In gewissen Kreisen hat sich mittlerweile durchgesetzt, dass Antizionismus hier und heute eine Form von Antisemitismus ist, das mag bei jüdischen Antizionisten um 1900 noch etwas differenzierter zu beurteilen gewesen sein. Aber nach der Shoah und nach der Gründung des Staates Israel ist die Ablehnung des jüdischen Selbstbestimmungsrechts in einem eigenen Staat antisemitisch. Dafür unterstützen wiederum auch Pro-Israelis mitunter andere Formen des Antisemitismus, wie die Agitation gegen die Brit Mila, die gesamtgesellschaftlich vermutlich eine der häufigsten Formen von Antisemitismus darstellt, sich also gegen das selbstbestimmte jüdische Leben richtet, denn der aktuelle Aufhänger von 2012 war ja ein Urteil eines deutschen Landgerichts gegen die Beschneidung. Wieder andere trivialisieren den Holocaust, indem sie die ukrainische Propaganda vom „Vernichtungskrieg“ verwenden oder gar das Wort „Zivilisationsbruch“ in den irrationalen Panikraum werfen, ohne jede historische Kenntnis, was der Zivilisationsbruch war.

Nicht wenige Protagonist*innen aus der Coronapolitik kritischen Szene vertreten antisemitische Topoi. Das hatte ich bereits im Januar 2021 in einem Working Paper des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) detailliert analysiert und mit diesem Working Paper fortgeführt (Teil 1-4 werden als Working Paper auf der Seite von BICSA publiziert werden).

Endnoten

[1] Theodor W. Adorno (1962)/1998: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, in: Ders., Gesammelte Werke, Band 20/1, S. 360–383, hier S. 363.

[2] Ebd., S. 362.

[3] Ebd., S. 368.

[4] Henning Eichberg (1978c): Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes und die Veränderung der Gesellschaft, in: Stadion, H. IV, S. 262–291. Die Herausgeber waren Wolfgang Decker und Manfred Lämmer, die Redaktion hatte Hartmut Becker vom Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln. Eichberg war eines von fünf Mitgliedern im „Beratenden Komitee“ von Stadion.

[5] Zu Eichbergs Beschäftigung mit Jahn und dessen ›grünen‹ Anteilen sagt der anerkannte Historiker Dieter Langewiesche: „Sehr anregend dazu Henning Eichberg: Rekonstruktion eines Chaoten. Die Veränderung des Jahnbildes“ (Dieter Langewiesche (2000): Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland, München (C. H. Beck), S. 253, Anm. 52).

[6] Eichberg 1978c, S. 265.

[7] Ebd., S. 290.

[8] Ebd., Herv. C. H.

[9] Eleonore Sterling (1956)/1969: Judenhaß. Die Anfänge des politischen Antisemitismus in Deutschland (1815–1850), Frankfurt a. M. (Europäische Verlagsanstalt), S. 148 f. Diese Studie ist erstmals 1956 unter dem Titel „Er ist wie du. Aus der Frühgeschichte des Antisemitismus in Deutschland 1815–1850“ in München erschienen.

[10] Emmanuel Faye (2005)/2009: Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie Im Umkreis der unveröffentlichten Seminare zwischen 1933 und 1935, Berlin: Matthes & Seitz, S. 403.

[11] Ebd., S. 405.

[12] Zitiert nach ebd., S. 406.

[13] Ebd.

[14] Hassan Givsan (1998): Heidegger – das Denken der Inhumanität. Eine ontologische Auseinandersetzung mit Heideggers Denken, Würzburg: Königshausen & Neumann (zgl. Habil. TU Darmstadt).

[15] Ebd., S. 291f.

[16] Ebd., S. 295.

[17] Ebd., S. 477.

[18] Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus (= The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), Studien zum Nahen Osten, Band 2), Berlin: Edition Critic.

[19] Siehe dazu Elhanan Yakira (2006)/2010: Post-Zionism, Post-Holocaust. Three Essays on Denial, Forgetting, and the Delegitimation of Israel. Translated by Michael Swirsky, Cambridge: Cambridge University Press.

[20] “Judith Butler: On the one hand, the pandemic exposes a global vulnerability. Everyone is vulnerable to the virus because everyone is vulnerable to viral infection from surfaces or other human beings without establishing immunity”, https://truthout.org/articles/judith-butler-mourning-is-a-political-act-amid-the-pandemic-and-its-disparities/. In einem Video-Interview von Juli 2020 hat Butler weiterhin keinerlei substanielle Kritik an Lockdowns oder Masken, vielmehr fantasiert sie von „Solidarität“, die es in Großbritannien bzw. UK in Teilen der Bevölkerung gegeben habe, zu der extrem unsolidarischen Konsequenz der westlichen Coronapolitik auf die Länder im Globalen Süden, wo laut Schätzungen des World Food Programmes bis zu 270 Millionen Menschen mehr hungern werden aufgrund der Coronapolitik, sagt sie nichts, https://www.versobooks.com/blogs/4807-judith-butler-on-covid-19-the-politics-of-non-violence-necropolitics-and-social-inequality. Allein diese beiden Quellen zeigen, wie widersinnig es ist, gerade Judith Butler in eine Vorlesung zur philosophischen Kritik der Coronapolitik aufzunehmen. Zu Butler siehe auch Edward Alexander (2006): Antisemitism-Denial: The Berkeley School, in: Edward Alexander/Paul Bogdanor (Hg.), The Jewish Divide over Israel. Accusers and Defenders, New Brunswick/London: Transaction Publishers, S. 195–207.

[21] Selensky sagte wörtlich: “On February 24, 1920, the National Socialist Workers‘ Party of Germany (NSDAP) was founded. A party that took millions of lives. Destroyed entire countries. Tried to kill nations. 102 years later, on February 24, a criminal order was issued to launch a full-scale Russian invasion of Ukraine”, https://www.president.gov.ua/en/news/promova-prezidenta-ukrayini-volodimira-zelenskogo-v-kneseti-73701. Die Holocaustverharmlosung von Selenskyi, selbst Jude, ist unerträglich und auch in Israel kam diese Hetze sehr schlecht an: „Listen to what the Kremlin says. Just listen! There are even terms that sounded then. And this is a tragedy. When the Nazi party raided Europe and wanted to destroy everything. Destroy everyone. Wanted to conquer the nations. And leave nothing from us, nothing from you. Even the name and the trace. They called it ‚the final solution to the Jewish issue‘. You remember that. And I’m sure you will never forget! But listen to what is sounding now in Moscow. Hear how these words are said again: ‚Final solution‘. But already in relation, so to speak, to us, to the ‘Ukrainian issue’.” Schließlich möchte der ukrainische Präsident gerade Israel dazu bringen, gegen die Ukraine zu kämpfen und damit zu „Gerechten unter den Völkern“ zu werden, das ist so ahistorisch und so Holocaust verharmlosend, da fehlen einem fast die Worte: „Ukrainians have made their choice. 80 years ago. They rescued Jews. That is why the Righteous Among the Nations are among us. People of Israel, now you have such a choice.”

[22] Ein Beispiel ist die auch mit Bundesmitteln finanzierte Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung (IIA) an der Universität Trier, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles/archiv-1. Sicher arbeitet diese Initiative zu vielen wichtigen Themen, aber die Art und Weise wie die häufig sehr wichtige und richtig Kritik an der Coronapolitik, nehmen wir exemplarisch die Great Barrington Declaration von Oktober 2020, präsentiert wird – ausschließlich als antisemitisch und rechtsextrem – ist jedenfalls hier fragwürdig: „Gerade die Verbreitung von Verschwörungstheorien während der Corona Pandemie verstärkt stereotype Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden“. Diese sehr einseitige Vorstellung der Coronapolitik-Kritik gilt auch für Veranstaltungen, die Impfkritik nur in Bezug auf Antisemitismus thematisieren, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/projekte-1-1-1. Da wird nicht mal angedeutet, dass viele Kritiker*innen der Corona-„Impfung“ gegen andere Krankheiten sehr wohl geimpft sind, aber hier, gerade auch als Medizinerin oder Mediziner, skeptisch sind, was ja die nie dagewesene Zahl von Impfnebenwirkungen auch bestätigt. Die Ankündigung der VA, die für den 24. Juni 2021 angekündigt war, zeigt wie undifferenziert hier vorgegangen wird: „Vortrag von Mathias Berek (Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin) | Online | Facebook-Veranstaltung | Livestreamaufzeichnung. Mit dem Fortschreiten der Impfkampagne gegen die Covid19-Pandemie wächst auch die öffentliche Präsenz der Impfkritik. Vergleicht man den heutigen Zustand der deutschen impfgegnerischen Bewegung mir ihrem Beginn im 19. Jahrhundert, zeigt sich, dass sich seit 1874 nicht nur an ihren Argumenten wenig geändert hat, sondern auch am Vorhandensein antisemitischer Inhalte. Die Bewegungen gegen das Impfen waren und sind sehr heterogen, und es gibt gravierende Unterschiede zwischen der Situation heute und der vor 100 Jahren. Dennoch lassen sich übereinstimmende Muster im antisemitischen und impfgegnerischen Denken identifizieren, die sich in all der Zeit kaum geändert haben. Diese Gemeinsamkeiten, aber auch strukturelle Parallelen der impfgegnerischen Bewegungen wird der Vortrag diskutieren.“ Dass zudem die mRNA-„Impfstoffe“ von der Firma Bayer ganz offiziell auf dem World Health Summit im Oktober 2021 in Berlin gar nicht als Impfung, sondern als „Gentherapie“ (Video) bezeichnet werden, wird nicht einmal angetippt. Der von der Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung an der Uni Trier hier angekündigte Vortragende Mathias Berek vom Zentrum für Antisemitismusforschung ist Unterstützer der unwissenschaftlichen, irrationalen und sich an China orientierenden „Zero Covid“-Bewegung von Januar 2021, die auch von einigen radikalen Linken scharf kritisiert wird, unter anderem von dem Altlinken und Mediziner Karl-Heinz Roth (Jg. 1942): „Zero Covid war eurozentristisch und extrem staatsfixiert“, https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161466.karl-heinz-roth-zero-covid-war-eurozentristisch-und-extrem-staatsfixiert.html. Die Initiative aus Trier unterstützt auch den völlig einseitigen Offenen Brief von „Genozidforschern“ zum völkerrechtswidrigen Krieg Russlands gegen die Ukraine vom 27.02.2022, der mit Schaum vor dem Mund, aber ohne jede rationale Analyse, ohne mit einem Wort auf den Krieg der Ukraine im Donbass seit 2014 mit 14.000 Toten, die NATO-Provokationen in der Ukraine seit Jahren, den von den USA mit finanzierten Putsch 2014 auf dem Maidan oder das antirussische Klima in der Ukraine, das mit staatlichen Sprachverboten einhergeht, einzugehen, https://www.uni-trier.de/universitaet/fachbereiche-faecher/fachbereich-iii/faecher/geschichte/studium-und-lehre/initiative-interdisziplinaere-antisemitismusforschung/aktuelles. Der Krieg Russlands ist völkerrechtswidrig. Der Krieg entstand aber nicht aus einem Vakuum oder purer russischer Aggression, sondern hat eine ukrainische Vorgeschichte, die alle kennen. Die Forderungen nach einem Nicht-Beitritt der Ukraine zur NATO hatte Russland zuletzt im Dezember 2021 an die USA geschickt, aber ohne eine richtige Antwort zu erhalten. Diese Ignoranz war gewollt, gerade die USA hatten offenbar kein Interesse an einer Stabilisierung, sondern an einer Destabilisierung. Diese Erklärung einiger Hundert Forscher*innen und Student*innen hat nach der Holocaust trivialisierenden Rede Selenskyis vom 20. März 2022 keine Ergänzung erfahren, soweit ich sehe, diese Holocaustforscher*innen und Studierenden haben sich nicht in gleicher Weise gegen diese Art von Antisemitismus wie in der Rede von Selenskyi an die Knesset gewandt. Und wo waren oder sind diese Hunderten Historiker*innen und Studierenden, als es um den Krieg im Jemen (andauernd) oder dem Krieg der Türkei gegen die Kurden ging und geht? Wo waren sie, als die NATO völkerrechtswidrig Serbien angriff 1999? Der US-Außenminister James Baker wie auch Bundeskanzler Helmut Kohl, ich habe es oft betont und wissenschaftlich dokumentiert in den letzten Monaten, haben Gorbatschow und der Sowjetunion im Februar 1990 mehrfach und nachdrücklich (!) versprochen, dass die NATO nach einer möglichen Wiedervereinigung von BRD und DDR „not one inch“ ostwärts sich erweitern würde. Und was ist seither passiert? So gut wie ganz Osteuropa ist NATO-Mitglied geworden. Jeglicher Versuch Russlands in die NATO aufgenommen zu werden – Putin hat das nachweislich versucht – wurde zurückgewiesen und dafür mit höchster Aggressivität osteuropäische Staaten aufgerüstet und zu NATO-Mitgliedern gemacht. Schließlich verlinkt die Trierer Initiative auf eine Tagung in Essen am 6./7. Mai 2022 mit dem Titel „Warum Antisemitismus? Zur Politischen Theorie der Judenfeindschaft – 06./07. Mai Campus Essen“, auch hier zeigt sich das Muster, dass interessante Themen vermischt werden mit einer Denunziation offenbar der gesamten Coronapolitik kritischen Szene, anders kann man diese Ankündigungen kaum lesen: „Der Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen als Element des Autoritarismus und seiner Refiguration in der Gegenwart“, Paul Erxleben und Dr. David Jäger (Leipzig)“ sowie der Vortrag „Gefühl als Entscheidung. Emotionstheoretische Überlegungen zur Rolle von Gefühlen im Antisemitismus am Beispiel der Querdenken-Bewegung. Johanna Bach und Valerie Schneider (Berlin)“, https://warum-antisemitismus.de/tagungs-programm/.
Es geht also um den „Antisemitismus der Corona-Protestbewegungen“, was schon im Titel falsch ist, da es eine Coronapolitik-Protestbewegung gibt, aber „Coronaprotestbewegung“ ist ja ein völlig absurder Begriff, als ob diese politische Bewegung gegen Corona, das Virus, protestieren würde. Die Politik, die Medien, die Gesellschaft werden kritisiert – von einigen auf sehr problematische Weise, wie ich gezeigt habe, aber von sehr vielen Leuten auf oft sehr differenzierte und kritische Weise. Eines der wenigen etwas größeren Medien, das sich einigermaßen kritisch mit der Coronapolitik wie auch der Ukrainepolitik beschäftigt, Telepolis, wird aktuell von einem neuen Chefredakteur geleitet, Harald Neuber (der auch politisch wohl in die Fußstapfen von Florian Rötzer tritt), der früher bei der nicht gerade israelfreundlichen Tageszeitung junge Welt beschäftig war und zumal Mitarbeiter der Ex-MdB Heike Hänsel (Die Linke, Wahlkreis Tübingen) war, die insbesondere für einen Antisemitismusskandal bekannt ist, über den ich 2014 berichtete. Seriöse linksintellektuelle Coronapolitik-Kritik, wie auch Kritiker*innen der aktuellen Militarisierung und Kriegstreiber in der Bundesrepublik Deutschlands müssen sich – wie bislang, nur jetzt verschärft –, ihre für Publikationen verfügbaren Orte suchen (Nicht-NATO-Länder sind aktuell sehr begehrt bei unabhängigen Denker*innen, Schweiz? Österreich?) und dazu selbst gestalten. Dazu gibt es immer wieder Kompromisse und große, massenwirksame Aktionen wie jetzt am 29. April 2022 einen Offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz von 28 Intellektuellen, von der Feministin Alice Schwarzer über den Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Merkel, den Schauspieler Edgar Selge bis hin zu den Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr, die sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wenden: „Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik. Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem NATO-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen. Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis. Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“ https://www.emma.de/artikel/offener-brief-bundeskanzler-scholz-339463 In wenigen Tagen haben diesen Offenen Brief über 180.000 Bürgerinnen und Bürger unterschrieben, Tendenz steigend: https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz?recruiter=1263059096&recruited_by_id=707cc780-c7b0-11ec-b13c-f51ede250610. Im Gegensatz zur tatsächlich volksgemeinschaftlichen Unterstützung der irrationalen Coronapolitik, wie von Alice Schwarzer, sind jetzt die Reihen der Intellektuellen und der Regierung nicht mehr geschlossen, vielmehr gibt es massiven Widerstand gegen die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine, gegen die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland (!) und dem ganz offenkundig geradezu herbeigeschrienen NATO-Bündnisfall, damit Russland ein für alle Mal aus der Völkergemeinschaft ausgeschlossen wird. Um die Ukraine geht es dabei überhaupt gar nicht, so wenig wie die Deutschen an den Kriegsopfern in Kurdistan oder im Jemen je interessiert waren, um nur diese beiden Beispiele von blutigen Kriegen (einer davon geführt von einem NATO-Land) zu erwähnen. Das ist alles deshalb von Bedeutung, weil es den wichtigen wissenschaftlichen Einsatz auch von Nachwuchswissenschaftler*innen wie hier in Trier oder Essen trübt, wenn diese sich so undifferenziert gegen die Kritik an der Coronapolitik wenden und die wichtige Kritik an antisemitischen Facetten der Coronapolitik-Kritik damit auch noch verharmlosen, wenn so gut wie die ganze Szene der Kritiker*innen der Coronapolitik (und das suggerieren die zitierten Ankündigungen) antisemitisch codiert wird. Es ist nicht weniger problematisch, wenn solche Kreise von Nachwuchswissenschaftler*innen dann auch noch völlig einseitige, antirussische Propaganda unterstützen und nicht wirklich an einer Friedenslösung Interesse zu haben scheinen (oder haben sie etwa auch den Offenen Brief an Olaf Scholz unterschrieben?), sondern es muss gegen Russland gehen, das ist ja der Tenor des oben zitierten Offenen Briefes der „Genozidforscher“. Dass gerade ein in den letzten Jahren wegen seiner Verharmlosung des Holocaust in seinem Buch „Bloodlands“ in die Kritik geratener Historiker von Yale wie Timothy Snyder ein Erstunterzeichner dieses Briefes ist, ist symptomatisch, siehe zu Snyder: „Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013“.

[23] Angesichts einer Diffamierung der Coronapolitik-Kritikerszene und jener legendären Demonstration in Kassel – Nena brachte es auf den Punkt: „Danke Kassel“ – durch das Internationale Ausschwitz Komitee schrieb ich in einem Offenen Brief Ende März 2021: „Es wäre politisch womöglich weitaus wichtiger, wenn sich das Auschwitz Komitee um die Kritik am Antisemitismus kümmern, und nicht die Kritik am Corona-Hygienestaat diffamieren würde. So wäre es vor allem naheliegend, wenn sich das Internationale Auschwitz Komitee, wenn es sich gegen Antisemitismus aussprechen möchte, auch gegen die „Jerusalem Declaration on Antisemitismus“ wenden würde. Diese Erklärung (vermutlich vom März 2021, sie hat kein Datum) von seit vielen Jahren als Förderer des antizionistischen Antisemitismus in Verdacht stehenden Agitator*innen, von Wolfgang Benz und Gudrun Krämer über Stefanie Schüler-Springorum hin zu ein paar frustrierten jüdischen Israelfeinden, schreibt nämlich Folgendes:

It is not antisemitic to support arrangements that accord full equality to all inhabitants ‚between the river and the sea,‘ whether in two states, a binational state, unitary democratic state, federal state, or in whatever form.

Diese Ausdrucksweise „from the river to the sea“ ist ein Schlachtruf der Palästinenser, von der PLO über die PFLP hin zur jihadistischen Hamas. Der CNN-Kommentator und Professor an der Temple University in den USA Marc Lamont Hill verwendete den Slogan in einer Rede vor den Vereinten Nationen (UN) im November 2018. Der ehemalige Botschafter der USA in Israel unter Barack Obama, Dan Shapiro, kritisierte die Äußerung als „antisemitisch“. Während jedoch das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin weiterhin staatliche Gelder bekommt, wurde Lamont Hill für die gleiche antisemitische Äußerung von CNN entlassen.“

[24] Mohammmed El-Kurd (2021): RIFQA (Kindle-Positionen 424-426). Haymarket Books.

[25] Alfred Bodenheimer (2012): Haut ab! Die Juden in der Beschneidungsdebatte, Göttingen: Wallstein.

[26] https://ia802609.us.archive.org/25/items/diebeschneidung00loewgoog/diebeschneidung00loewgoog.pdf.

[27] Bodenheimer 2012, S. 53.

[28] Gunda Trepp (2022): Gebrauchsanweisung gegen Antisemitismus, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.

[29] Ebd., S. 180f.

[30] Ebd., S. 180.

[31] Hermann L. Gremliza (2016): Haupt- und Nebensätze, Berlin: Suhrkamp, 134. Konkret 11/2018 schreibt: „Das Kleine Blaue Buch ist nicht mehr im Handel. Im Frühjahr bat Gremliza den Verlag, in dessen Edition Suhrkamp seine Haupt- und Nebensätze gerade in zweiter Auflage erschienen waren, anlässlich der Versicherung der Geschäftsführung, der Autor Uwe Tellkamp, der sich zu Pegida bekannt hatte, werde weiterhin bei Suhrkamp verlegt, um Auflösung des Vertrags. ‘Ich wusste, bevor er ein Fall zu werden sich entschloss, nicht, wer oder was ein Tellkamp ist. Nun, da ich es leider weiß, werde ich jene selbstverständliche Distanz zur sympathy for the Nazi markieren, die der Verlag vermissen lässt, und fordere dessen Geschäftsführung hiermit auf, der einvernehmlichen Lösung des Vertrags mit mir zuzustimmen.’ Der Verlag stimmte zu, die noch nicht verkauften Exemplare der zweiten Auflage gibt es ausschließlich bei konkret.“

Spatial turn goes Antifa – Arch+ 235, die Neue Rechte und der antisemitische Fleck des Postkolonialismus

Ein Rezensionsessay

Von Dr. phil. Clemens Heni, 4. September 2019

Man musste nicht bis zum 1. September 2019 warten, als ein Viertel der Wähler*innen in Brandenburg bzw. Sachsen eine Partei wählten, die Spitzenkandidaten[1] hat, die vor wenigen Jahren mit einer Hakenkreuzfahne auf dem Balkon in Griechenland im Kreis von anderen Neonazis aktiv waren,[2] um die enorme Bedeutung des Themas Rechtsextremismus und Neue Rechte zu sehen. Das Volk ist nicht gut oder neutral, sondern häufig sehr böse. Das deutsche Volk liebt es offenkundig, Nazis zu wählen, nicht nur 1933 und davor, auch 2019, was moralisch noch unendlich schlimmer ist – diese deutschen Wähler*innen wissen, was nach 1933 passierte, sie wissen, dass sechs Millionen Juden vergast und massakriert wurden und sie haben damit kein Problem.

Am 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs wählen die Deutschen wieder Nazis in extremer Anzahl in zwei Landesparlamente und alle Mainstreamjournalist*innen interviewen freudestrahlend die AfD-Rechtsextremen. Kein/e Journalist*in weigerte sich, solchen Nazis die Hand zu geben oder sie einfach zu boykottieren, weil das Leute sind, die alle Antifas oder weltoffenen CDUler bei nächster Gelegenheit erschießen würden (die Frauen davor vergewaltigen). Zum ersten Mal seit 1945 haben wir Neonazis im Bundestag und allen Landesparlamenten. Die Fernseh-Journalist*innen grinsen blöd um die Wette, machen Späßchen am Wahlabend und laden seit Jahren die neuen Nazis in die unerträglichen, nicht nur kulturindustriellen, sondern den Faschismus mit vorbereitenden Talkshows ein und bewerfen die neuen Nazis mit Wattebällchen und schauen blöd, wenn mit scharfer Munition zurückgeschossen wird.

Die Journalistin Mely Kiyak ist fassungslos ob Bettina Schausten, stellvertretende Chefredakteurin des ZDF, die nur pars pro toto für wirklich alle Mainstream-Journalist*innen steht, die am Wahlabend in ARD und ZDF moderieren durften, und bringt es auf den Punkt:

Der Faschismus hat keinen moderaten Flügel.[3]

Daher ist seit jeher die Analyse rechter Räume eine Unabdingbarkeit für jede linke Theorie und Praxis. Das Heft 235 von Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus von Mai 2019 hat das aktuelle Thema „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“. Die 27 Autor*innen plus ein Autorenteam von Arch+ 235 haben im Editorial, der Einführung und 33 Texten (oder Fotoessays) sehr wichtige, eingreifende, kritische, faszinierende, häufig klar antifaschistische und teils scharfe Texte gegen die (Neue) Rechte und ihre Räume vorgelegt.

Literaturwissenschaftliche, soziologische, politologische, historische, kulturwissenschaftliche, geografische, kunsthistorische, polit-ökonomische und architekturtheoretische Zugänge ergänzen sich auf vielfältige Weise. Die europäische Dimension des Projektes macht es umso spannender und bedeutender: es geht um eine 7-tägige Reise durch Europa und seine extrem rechten Räume. Der Großteil der Texte ist in diese 7 Tage eingeteilt, beginnend in Rom und endend in Berlin – die Achse Berlin-Rom. Die Reise im November 2018[4] führte also von Italien über Österreich nach Deutschland. 7 Tage (oder 7 x 24 Stunden) dauerte auch meine Rezension des Heftes 235 von Arch+.

Der folgende Rezensionsessay würdigt den großen Einsatz Trübys und seines Teams, die sich der Neuen Rechten in der Architektur, dem Feuilleton und der Gesellschaft insgesamt entgegenstellen. Je länger und intensiver meine Beschäftigung mit dem Heft jedoch wurde, desto klarer traten dann zwar vereinzelte, aber eben doch massive Irritationen auf, die wiederum viel über den postkolonialen Mainstream in den Sozial- und Geisteswissenschaften aussagen.

In dem Heft gibt es ergänzend zu den Reiseberichten eine Vielzahl an Beiträgen über das Gebiet von Ex-Jugoslawien, Ungarn, Spanien, Griechenland, Frankreich, die Schweiz, Holland, Polen, England, USA und die Türkei. Neu-rechte Agitator*innen drehten schon im Frühjahr 2018 durch, als der Protagonist des Heftes, Professor Stephan Trüby vom Institut für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) der Universität Stuttgart, seine Analyse und Kritik der Rekonstruktionsarchitektur am Beispiel der von Neuen Rechten wie Claus M. Wolfschlag initiierten neuen Altstadt von Frankfurt am Main am 8. April 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vorgelegt hatte:[5]

Ganz anders die neue Frankfurter Altstadt: skandalös ist hier, dass die Initiative eines Rechtsradikalen ohne nennenswerte zivilgesellschaftliche Gegenwehr zu einem aalglatten Stadtviertel mit scheinbar bruchlosen Wiederholungsarchitekturen führte; historisch informiertes Entwerfen verkommt damit zum unterkomplexen Heile-Welt-Gebaue, das Geschichte auf ein eindimensionales Wunschkonzert reduziert. Vergangenheit soll für dieses Publikum wie geschmiert laufen, und zwar in Richtung einer alternativen Historie für Deutschland: Einer Historie, in der der Nationalsozialismus, die deutschen Angriffskriege und der Holocaust allenfalls noch als Anekdoten einer ansonsten bruchlosen Nationalgeschichte überleben.

Arch+ wird von der Bundeszentrale für politische Bildung, der Volksbühne Berlin, dem Arch+ Foerderverein und einigen anderen Institutionen gefördert, kostet 22€ und ist derzeit (Stand Anfang September 2019) vergriffen. Das Heft 235 von Arch+ hat 239 Seiten (etwas größer als DinA4) und wurde unter der Regie Trübys mit seinem Team erarbeitet. Ein zentrales Kapitel und Aufhänger ist Trübys Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt. Seine These ist wohlbegründet: Der Bruch, den der Nationalsozialismus bedeutet, soll z.B. via Rekonstruktion und Zerstörung von Bauten, die nach 1945 in den betroffenen und zuvor bombardierten Städten gebaut wurden, verleugnet werden und Städte so wiederaufgebaut werden, wie sie zuvor waren. Die deutsche Geschichte soll wieder in einem architektonischen Kontinuum stehen, natürlich ohne Juden, die vertrieben und vernichtet wurden, aber das macht nichts.

Trübys sehr wichtige und mutige – für eine Professur in Architektur an einer führenden Universität im Bereich Architektur, der Uni Stuttgart, womöglich bahnbrechende – Arbeit hat einen massiven Shitstorm der extremen Rechten verursacht und reicht bis weit in den bürgerlichen Mainstream. Die extrem rechte Hetzseite Politically Incorrect (PI News), Facebookposts von no-names oder auch die „rechtsantideutsche“ Hauspostille Bahamas diffamieren ihn wegen seiner Kritik der Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt, die wie gesagt auf die Idee von Rechtsradikalen zurückgeht wie auch der Wiederaufbau der Garnisonskirche in Potsdam.[6]

In dem Heft 235 von Arch+ gegen die rechten Räume geht es um Hitlers wie Mussolinis Geburtsorte, den rechtsextremen und AfD-Wallfahrtsort Kyffhäuser in Thüringen, um die Dresdner Frauenkirche und das nationale Pathos der breiten Mitte, um die größte Christus-Statue (36 Meter) im fanatisch-katholischen Polen oder die völkischen Siedler*innen in Mecklenburg-Vorpommern. In einem sehr instruktiven Rundblick über rechte Architektur- und heimattümelnde Vordenker geht Trüby auf Wilhelm Heinrich Riehl, Ernst Rudorff, Paul Schultze-Naumburg,[7] aber auch auf Alexander Senger ein, der ebenso als „Protagonist einer ‚Konservativen Architekturrevolution‘“ vorgestellt wird und in Richard W. Eichler einen Kollegen aus der Zunft der extrem rechten Kunsthistoriker hatte.

Die Zeitschrift Tumult oder andernorts im Heft die jüngere neurechte Postille Cato oder die schweizer Zeitschrift DU und das neu-rechte schweizer Netzwerk um Blocher (im Text von Rebekka Kiesewetter) werden hervorragend dargestellt und kritisiert. Es findet sich bei Trüby auch eine nachträgliche Selbstkritik der Arch+, die z.B. 1985 den von vielen erst in den letzten Jahren und posthum als extrem rechts erkannten Historiker Rolf Peter Sieferle mit einem Text zu „Heimatschutz und das Ende der romantischen Utopie“ publiziert hatte.

In einem Gespräch über das Arch+ Heft mit der Wochenzeitung Die Zeit vom 12. Juni 2019 analysiert Trüby detailliert, was an der Rekonstruktionsarchitektur speziell in Dresden so problematisch ist und wie das mit Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und der AfD zusammenhängt:

In der Sporergasse 12 steht zum Beispiel das sogenannte Triersche Haus, rekonstruiert im Jahre 2016 nach dem Vorbild eines 1695 errichten Barockhauses. Ins Vorgängerhaus zog im Jahr 1920 ein jüdisch-orthodoxer Verein ein. Auf die einstigen jüdischen Bewohner wird auch am Erinnerungsschild aufmerksam gemacht, das seit Kurzem am Neubau angebracht wurde. Darauf steht korrekterweise zu lesen: ‚Ab 1940 wurden jüdische Familien gezwungen, hier im ‚Judenhaus‘ zu wohnen, bevor sie in andere Lager deportiert wurden.‘ Aber der Schlusssatz lautet: ‚Bei der Zerstörung des Hauses am 13. Februar 1945 fanden zahlreiche jüdische Bewohner den Tod.‘ Was hier auf engstem Raum gesagt wird, ist eine ungeheuerliche Geschichtsfälschung. Die könnte man so zusammenfassen: ‚Ja, die Nazis haben Juden deportiert, das war nicht gut, aber getötet wurden sie von den Alliierten mit ihren Bomben.‘ Was sich hier geschichtspolitisch abzeichnet, summiert sich zu einer mehr als Besorgnis erregenden Tendenz. Am Trierschen Haus, am Neumarkt und der Frauenkirche ist die ‚erinnerungspolitische Wende um 180 Grad‘, die der AfD-Politiker Björn Höcke fordert, bereits vollzogen.[8]

Das ist eine ganz hervorragende Analyse und Kritik zum städtebaulichen sekundären Antisemitismus der Erinnerungsabwehr in Dresden. Dazu etwas in Kontrast steht hingegen seine Forderung einer Re-Ideologisierung und möglichen Zurückerkämpfung völlig kontaminierter Begriffe und Ideologeme. Denn zur heutigen Debatte schreibt er in dem Arch+ Heft:

Der Frankfurter Altstadtstreit zeigt auch, dass ein zu Unrecht in Vergessenheit geratenes Wort zurück auf die Tagesordnung (nicht nur) architektonischer Debatten kommen sollte: die Ideologie. Denn der revisionistischen Architektur-Ideologisierung der Neuen Rechten, die mit Camouflage-Slogans wie ‚Schönheit‘, ‚Heimat‘, ‚Tradition‘, ‚Identität‘ oder ‚Seele‘ hantiert, ist nur mit einer emanzipatorischen Gegen-Ideologisierung beizukommen, mit der entweder diese Begriffe zurückerkämpft oder verlockende Alternativen angeboten werden.

Da ist man dann allerdings durchaus ganz schnell (bestenfalls) bei Habecks Grünen oder bei Cem Özdemir, der ernsthaft den neuen Nazis im Bundestag vorwarf, zu wenig deutsch zu sein und bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer für Russland anstatt für „unsere“ Deutschen zu sein.[9] Solcherart gründeutsches, linksdeutsches oder liberaldeutsches Gerede, das sich die geliebte „Heimat“ so wenig madig machen lässt wie Steinmeier, der Heimatminister oder Robert J. De Lapuente[10] vom Neuen Deutschland, kann im Architekturdiskurs über rechte Räume keine Option sein.

Da schließlich neu-rechte Attacken wie auf Trüby nerven und nicht ungefährlich sind, wäre die positive Rezeption seiner Kritik der Rekonstruktionsarchitektur womöglich eine Erwähnung wert gewesen.[11]

Matteo Trentini geht auf den Faschismus in Italien im 21. Jahrhundert ein, die Lega Nord (bzw. mittlerweile nur noch Lega) und Matteo Salvini sowie vor allem auf die rechtsextreme identitäre Bewegung CasaPound, die als Ikone die Schildkröte hat. Dieses liebevolle und harmlose Tier wird von diesen Faschos identitär, nationalistisch, faschistisch bzw. national-sozialistisch instrumentalisiert, da die Schildkröten immer ihr eigenen Haus bei sich haben, was Neonazis auf die Gesellschaft übertragen wollen. Die natalistische Ideologie, „Zeit Mütter zu sein“ („Tempo di essere madri“) war ein Slogan von CasaPound von 2007, wobei ja auch viele Linke dem patriarchalen natalistischen Dogma strahlend Folge leisten, in jedem Alter. Treffend fasst Trentini zusammen:

Wie im Faschismus geht es um das Propagieren von Wohnen und Familie als Grundrechte, die der Staat durch direkten Eingriff garantieren muss.

Der Beitrag von Silke Hünecke über den Faschismus bzw. Franquismus in Spanien und dessen „fortwährende Präsenz“ wie in der riesigen Gedenkstätte Valle de los Caidos besticht durch die nachdrückliche Betonung des Skandalons der Abwehr der Erinnerung in Spanien bis auf den heutigen Tag.

Eine ähnliche, aber anders gelagerte Erinnerungsabwehr, wird in einem Gespräch von c/o now mit dem politischen Theoretiker Gal Kirn via einer Kritik der Kapitalisierung der ehemals staatseigenen Gebäude in Ex-Jugoslawien auf den Punkt gebracht:

Mit dem Verkauf des gesamten kommunalen Eigentums – und als Jugoslaw*innen hatten wir dazu eine besondere Beziehung – hat man unsere Geschichte getötet und unsere Zukunft verkauft. Das Kapital hat die alleinige Verfügungsgewalt über die Zukunft errungen, den nationalen Apparaten bleibt die Spekulation mit der Vergangenheit. Ich würde diesen Prozess als eine ursprüngliche Akkumulation von Erinnerungen bezeichnen.

Über diese interessante Transformation des Marx’schen Terminus „ursprüngliche Akkumulation“ auf die Geschichtspolitik könnte man diskutieren. Immerhin geht Kirn auf den Islamismus ein, ohne das Wort allerdings zu verwenden, und kritisiert die „wahhabitische König-Fahd-Moschee“ und „eine salafistische Zelle“ wie auch „Insignien“ vom „Islamischen Staat (IS)“.

Die Hinweise auf Nationalismus und reaktionäres Pathos wie eine „22 Meter hohe Statue Alexander des Großen“ in Mazedonien sowie das Verkleiden von brutalistischer Architektur mit „dorischen Architekturelementen“ ergänzen den skeptischen Blick Kirns. Es stimmt jedoch nachdenklich, dass er aktuell ankündigt, alsbald im relativ kleinen, linksradikalen Verlag „Pluto Press“ zu publizieren,[12] was ein hardcore antiwestlicher und antizionistischer Verlag aus Großbritannien ist, wo antisemitische Autoren wie Edward Said, Ilan Pappé oder der kosmopolitische Israelhasser und Vertreter einer „islamischen Befreiungstheologie“ Hamid Dabashi publiziert werden.[13] Auch Kirns enge Beziehung zum Institute for Cultural Inquiry (ICI) in Berlin lässt zumindest die Frage aufwerfen, wie er selbst zu dortigen, skandalösen Pro-BDS Events wie 2018 steht.[14]

Neben Trübys Beitrag „Altstadt-Opium fürs Volk“ über die Rekonstruktionsarchitektur ist die Forschung von Verena Hartbaum in diesem Heft Arch+ 235 von besonderer Bedeutung für eine Kritik der heutigen Architektur in Deutschland. Sie untersucht in ihrem wunderbar „Rechts in der Mitte. Hans Kollhoffs CasaPound“ betitelten Beitrag den von dem Architekten Hans Kollhoff gestalteten Walter-Benjamin-Platz in Berlin, der 2001 fertig wurde. Der Platz ist 108 Meter lang und 32 Meter breit, er erinnert die Autorin zudem an einen Abschnitt der Via Roma in Turin, der 1936 von Mussolinis Architekt Marcello Piacentini entworfen wurde.

Der Bezug zu Mussolini wird noch extrem verstärkt, indem Kollhoff in das Granitsteinpflaster folgenden Spruch des amerikanischen Dichters Ezra Pound (1885–1972) eingelassen hat: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein / die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, / dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ Man kann nicht sofort erkennen, dass der Spruch von Pound ist, da der Autor nicht genannt wird. Der Antisemitismus spricht aus dem Wort Wucher oder Usura.

Hartbaum resümiert:

Mit dem Ezra-Pound-Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz machte sich Kollhoff Pounds antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik als die Wurzel allen wirtschaftlichen, sozialen und nicht zuletzt schöpferischen Übels zu eigen: Dort, wo der Wucher, im antisemitischen Jargon das ‚zinstreibende Judentum‘, herrscht, kann keine gute Architektur entstehen, verlieren Handwerk und Wertigkeit des Materials ihre Bedeutung.

Kollhoff war im Trend der Zeit, 2003 gründete sich die Neo-Nazi oder Identitäre Bewegung CasaPound in Rom. Auch CasaPound vertritt neben dem Nationalismus eine „Kapitalismuskritik mit antisemitischen Motiven“, wie Hartbaum festhält. Selbst den FAS-Autoren Stephan Trüby will die FAZ, hier Niklas Maak, via einer Kritik an Hartbaum und Arch+ diffamieren.

In einer Besprechung von drei Büchern zu Hans Poelzig, Paul Bonatz und Paul Schmitthenner kritisiert ein Altmeister der kritischen Architekturgeschichte, Winfried Nerdinger, den nationalistischen, monumentalistischen und alsbald nazistischen Einsatz der drei Protagonisten. Der Text wurde original 2011 auf Italienisch publiziert, schon 2010 hatte ich selbst auf zentrale nationalsozialistische Aktivitäten von Bonatz hingewiesen.[15]

Zu Nerdinger passt der Beitrag von Tina Hartmann, auch bei ihr geht es um rechtes Denken im Mainstream. Ihr Beitrag „Die Zeit als Scheibe. Der rechtspatriarchale Raum in der Literatur“ betont die Beziehung von Misogynie und Antisemitismus und glücklicherweise unterstreicht sie hierbei auch, dass die weit verbreitete These, der revolutionäre 1848er Richard Wagner sei ein anderer als der antisemitische deutsch-nationale, falsch ist. Ihre Analyse der Berliner „Bibliothek des Konservatismus“ ist bedeutsam.

Ob Hundt von Radowsky „der Begründer des eliminatorischen Antisemitismus“ ist, mag bezweifelt werden, weil allein schon Achim von Arnim 1811 in „Versöhnung in der Sommerfrische“ die Pulverisierung der Juden durchdeklinierte, was in der literaturwissenschaftlichen Forschung als „der schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ bezeichnet wird.[16] Darüber hinaus geht Hartmann auf die wohl erste politisch motivierte Bücherverbrennung der modernen deutschen Geschichte ein, das Verbrennen von Schriften des Aufklärers Christoph Martin Wieland durch den Göttinger Hainbund im Jahr 1772.[17]

Schließlich ist Hartmanns Hinweis auf einen ideologischen Anker des Rechtsextremismus und der Neuen Rechten sehr relevant: der „Ethnopluralismus“. Gleichwohl transformiert der Ethnopluralismus nicht 1:1 den Antisemitismus in heutige rassistische Ideologie, sondern indiziert eigenständig das Neue am Rechtsextremismus nach 1945: Weg von der „Rasse“ hin zur „Kultur“. „Deutschland den Deutschen, die Türkei den Türken oder Polen den Polen“ ist der Kern des rassistischen Ethnopluralismus-Konzepts, auf das auch Philipp Krüpe in seinem Beitrag „Reaktionäre Architektur-Memes in den sozialen Medien. Von Paul Schultze-Naumburg zu 4chan“ eingeht.[18]

Trüby übernimmt in seinem einführenden Text ein „politisches Positionenmodell“ des slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, das in einem Quadrat links eine „doppelte Linke“, gegenüber die „doppelte Rechte“, oben einen „Progressiven Liberalismus“ und unten die „Querfront“ verortet. So interessant dies sein mag und zumal Trübys sehr treffende Attacken auf Kollegen wie den Architekten Patrik Schumacher, „der Chef von Zaha Hadid Architects, der sich zum rechtslibertären Anarchokapitalisten und Brexit-Fan entwickelt hat“, wichtig sind, so reduktionistisch ist die Definition bzw. Nicht-Definition von Antisemitismus. Denn es werden eine „antisemitische Linke“ und eine „antisemitische Rechte“ erkannt, aber Zizek meint damit reduktionistische Kapitalismusdefinitionen oder völkische Hetzer, jedoch nicht sich selbst.

Gerade nach der Bundestags-Resolution gegen die antisemitische BDS-Bewegung vom Mai 2019 drehen weite Teile der linken kulturellen Elite und der Nahost-, Islam- und Jüdische Studien-Forschung völlig durch[19] und Zizek ist Teil davon. Er wendet sich gegen die Bezeichnung, dass BDS antisemitisch ist (wie es der Deutsche Bundestag tut), das würde den Holocaust „entwerten“[20] und schmiegt sich somit an Leute an, die Juden wenn nicht sofort töten, so doch vertreiben wollen, denn das ist das Ziel der BDS-Bewegung: „Palestine – from the river to the sea.“

BDS ist gerade keine Kritik am Rechtsdrall in Israel oder an der Besatzung des Westjordanlandes, nein: BDS ist antisemitisch, wie die Forschung gezeigt hat,[21] weil es das herbei fantasierte „Rückkehrrecht“[22] der Palästinenser einfordert, die 1948 aus freien, arabisch-antisemitischen Stücken das Land verließen, um nicht den Judenstaat zu legitimieren, oder aber in der Tat vertrieben wurden. Dieses Rückkehrrecht, das völlig absurderweise auch noch alle Nachkommen inkludiert und somit eine Zahl von über 5 Millionen Menschen bedeutet, gibt es nicht. Es ist ein antijüdisches „Recht“, das den jüdischen Charakter Israels zerstören würde. Es gibt keine Indizien, dass Trüby BDS teilt oder damit kokettiert – aber wie sieht es mit Arch+ aus? Wir kommen darauf zurück!

Etwas merkwürdig ist ein Gespräch von Stephan Trüby mit seinem 10 Jahre älteren Stuttgarter Architektur-Kollegen Hartmut Mayer über „Germanische Tektonik“. Der Architekt Paul Ludwig Troost wird gewürdigt und namentlich Mayer fühlt sich geradezu in die Gedanken der frühen Nazizeit ein. Troost starb 1934 und Trüby stellt die merkwürdige Frage, warum Troost „doppelte Eingänge“ für den Münchener „Führerbau“ und ein Nazi Verwaltungsgebäude plante. Zumal bei Mayer hat man das Gefühl, dass er nicht einmal das Wort „Antifa“ je gehört hat. Wie Nazi-Gebäude auf Juden und deren Nachfahren und andere Opfer der Nazizeit und deren Nachkommen wirken – diese Frage wird nicht gestellt. Dabei ist das die einzig relevante Frage, nicht die, die nach dem Unterschied von Säule und Wand, korinthisch oder dorisch fragt oder die vor Affirmation der Geschichte strotzenden Positionen von Mayer, Karl Bötticher habe „die Schinkelschen Ideen fast ein halbes Jahrhundert lang gerettet“ und die „griechische Ornamentik für Berlin bewahrt“. Nicht ein Ton z.B. über den deutsch-nationalen Revanchismus Schinkels und seine Denkmäler für die antifranzösischen „Befreiungskriege“.

Ergänzt wird dies en passant durch nicht weniger problematische, Holocaust verharmlosende, formalistische Analogien von NS- und Stalinscher Architektur. Gleiche Fassade, aber einmal Hakenkreuz, das andere Mal Hammer und Sichel auf der Stirnseite des Gebäudes. Da lachen vielleicht estnische, litauische, ukrainische oder lettische Antisemiten wie auch Joachim Gauck[23] und weitere Unterzeichner der „Prager Deklaration“ von 2008. Letztere setzt kategorial Rot und Braun auf eine Treppenstufe und hält explizit die EU an, das gedenkpolitisch umzusetzen – was die vor Antikommunismus und NS-Verharmlosung triefende EU auch machen wird, wie am Jean-Ray-Platz in Brüssel, was ja in Architekturkreisen 2018 bekannt, oder sagen wir besser wie selbstverständlich goutiert wurde.[24] Das wird ein extrem rechter Raum werden, der die Opfer der Shoah mit Stalinismusopfern mit in den Boden eingelassenen Briefen und Dokumenten gleichsetzen und damit das Nie-Dagewesene von Auschwitz leugnen wird, ein Raum mithin, den auch Arch+ im Auge behalten sollte.

Die beiden letzten Texte des Arch+-Heftes sind nichts weniger als skandalös. Anna Yeboah schreibt über die „Rekonstruktion der Potsdamer Garnisonskirche“ und vor allem über das Humboldt Forum in Berlin, das wieder aufgebaute Berliner Stadtschloss im Herzen des alten Ost-Berlin unweit des Alexanderplatzes. Die Kritik am Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche, die wie kein zweiter Ort für die Kollaboration von Hitler und Hindenburg, Nazis und dem Konservatismus steht, ist sehr wichtig. Das gilt auch für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses bzw. des Humboldt Forums, dessen koloniale Geschichte die Autorin aufzeigt. Die Kritik an beiden Bauten ist allerdings viel zu bedeutsam, um sie einem solchen postkolonial-ideologisierten Text zu überlassen. Denn am Ende schreibt Yeboah, wie es zu ihrem Text kam:

Die Verfasserin bedankt sich beim Bündnis Decolonize the City, ohne deren Arbeit dieser Text nicht möglich gewesen wäre.

Schaut man sich allein den Twitter-Account dieses Bündnisses Decolonize the City an, sieht man den üblichen anti-israelischen Antisemitismus in vielen Tweets.[25] Trüby hingegen bezieht sich mehrfach völlig affirmativ auf Yeboah, so in dem Zeit-Gespräch von Juni 2019 oder auf einer Heftpräsentation in der Volksbühne (siehe dazu unten mehr), wo er erwähnt, dass sie ihm und einer Gruppe von Leuten die postkoloniale Kritik am Beispiel Berlin in einem Stadtrundgang näher brachte.

Die koloniale Geschichte des wieder errichteten Berliner Stadtschlosses, also des Humboldt Forums, ist offenkundig.[26] Die Betonung Yeboahs – die auch den Alltagsrassismus von Neonazis in Brandenburg benennt, den sie persönlich als schwarze Deutsche, die auch einen ghanaischen Pass hat, regelmäßig erlebt –, dass das historische Schloß auf dem Profit basierte, den die Hohenzollern aus dem Kolonialismus zogen, ist wichtig. Es wäre auch naheliegend gewesen zu betonen, dass eine zentrale Motivation für den Bau dieses Forums/Schlosses der Abriss des Palasts der Republik der DDR war.[27] Dieser moderne Bau war ein architektonisches Glanzlicht für Ost-Berlin und die DDR-Bürger*innen. Der nicht weniger als obsessive Antikommunismus der Berliner Republik basiert städtebaulich auf der Auslöschung der Erinnerung an die DDR an diesem zentralen Platz im Herzen Ost-Berlins.

Die koloniale Geschichte des nun wieder aufgebauten Schlosses kommt additiv hinzu. Während eine solche anti-links motivierte Zerstörung oder kapitalistische Vereinnahmung von Bauten aus der Zeit des Realsozialismus im Kapitel zu Jugoslawien im Arch+ Heft unterstrichen wird, ist sie hier plötzlich gar kein Thema mehr. Ist das nicht merkwürdig? Der Postkolonialismus vernebelt auch hier alle Köpfe.

Der entscheidende und kategoriale Denkfehler von Anna Yeboah (und weiter Teile der postkolonialen Autor*innen weltweit), zeigte sich öffentlich auf einer über 2 Stunden dauernden Vorstellung des Heftes 235 von Arch+ in der Berliner Volksbühne am 24. Mai 2019[28] unter der Regie von Trüby und mit einer euphorischen Einführung durch den Arch+ Mitherausgeber Anh-Linh Ngo. Letzterer betonte, dass die rechte Ideologie vom „großen Austausch“ gefährlich und falsch ist, womit er selbstredend völlig Recht hat, und er wie alle anderen natürlich nicht gehen wird.

Im Laufe des Events der Heftvorstellung in der Volksbühne kamen unterschiedliche Beiträger*innen des Heftes auf die Bühne und präsentierten die Ergebnisse. Die Architektin Yeboah sagte, die Idee des „Anders-Seins“ sei „erst mit dem Kolonialismus“ aufgekommen. Da wird man stutzig. Also nochmal: Ausgrenzung und Grenzziehung seien erst mit dem Kolonialzeitalter aufgekommen und hätte es unter Weißen nicht gegeben; „der Standard des weißen Mannes wurde bis heute beibehalten“. Das sagte Yeboah so. Kein Widerspruch von niemand. Warum ist dieser Satz so ungeheuerlich postkolonial und falsch? Weil er die jahrtausendealte Unterdrückung der Juden nicht sehen kann. Die christlichen Kreuzzüge und das Abschlachten der Juden hat demnach wohl nichts mit dem erfundenen „Anders-Sein“ der Juden zu tun gehabt, die ja auch „Weiße“ waren, wie der postkoloniale Antisemitismus es immer sagt, seit Aimé Césaire und W.E.B. Dubois etc.pp.[29] In ihrem Text in Arch+ vertritt Yeboah den gleichen postkolonialen linken Geschichtsrevisionismus:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Sie schreibt mit keinem Wort, dass es zuvor schon viel tiefer gehende „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gab, den Antisemitismus. Sie schreibt nicht, dass mit dem Kolonialismus ein anderes „binäres Macht- und Identitätsmodell“ auftaucht. Nein, sie schreibt, dass „mit dem Kolonialismus“ „binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert“ wurden. Etablieren meint etymologisch „befestigen“ oder „sich niederlassen“. Synonyme sind z.B. laut Duden „sich ansiedeln, aufbauen, auf die Beine stellen, begründen, einrichten, einsetzen, eröffnen, errichten, gründen, ins Leben rufen“. Demnach hat es vor dem Kolonialismus also keine „binäre[n]“ Macht- und Identitätsmodelle“ gegeben. Yeboah hat den Antisemitismus, der viel älter und unendlich tiefer in die europäische Geschichte und Gesellschaft eingeschrieben ist, einfach vergessen oder übergangen oder bewusst weggewischt, wir wissen es nicht. Die Kritik am kolonialen Denken und den kolonialen Verbrechen ist von sehr großer Bedeutung. Aber es scheint bei postkolonialen Autor*innen nicht ohne eine Diminuierung oder Vernebelung zu gehen.

Fakt ist: das ist eine unwissenschaftliche und politisch skandalöse Aussage von Yeboah in Arch+ und auf der Heftvorstellung, wo sie jeweils das exakt gleiche sagte bzw. schreibt, einmal lang diskutiert und formuliert, redigiert und lektoriert, das andere Mal spontan und live. Demnach wurden die Juden zuvor, nehmen wir das Mittelalter, nicht als „Fremde“ ausgeschlossen. Die Juden wurden also nicht als der „Antichrist“, als die Brunnenvergifter oder Blutsauger und Pestverbreiter aus der christlichen Mehrheitsgesellschaft Europas ausgeschlossen und wahlweise massakriert oder in Ghettos gesteckt. Das vierte Laterankonzil von 1215 mit seinen antijüdischen Beschlüssen hat es gar nicht gegeben, weil es ja nicht gegen Schwarze ging und nichts mit dem Kolonialismus zu tun hatte. Die jahrtausendealte Ausgrenzung der Juden wird hier einfach verleugnet und postkolonial die Geschichte umgeschrieben.

Die Juden wurden also nicht als „Fremde“ ausgeschlossen, das Muster des Ausschlusses ganzer Gruppen von Menschen würde es erst seit dem Kolonialismus geben. Das ist ein antijüdisches Märchen von Anna Yeboah, die nur pars pro toto für den postkolonialen Irrsinn steht. Weder der Gastredaktion (Stephan Trüby, Matteo Trentini, Philipp Krüpe, Verena Hartbaum, Tobias Hönig, Hartmut Mayer, Sandra Oehy, Andrea Röck, Zsuzsanne Stanitz) noch den beteiligten „Stipendiat*innen“ und der Redaktion (Nikolaus Kuhnert, Anh-Linh Ngo, Mirko Gatti, Christian Hiller, Max Kaldenhoff, Alexandra Nehmer, Nora Dünser, Angelika Hinterbrandner, Christine Rüb, Frederick Coulomb, Dorothea Hahn, Melissa Koch, Jann Wiegand), also einer geballten Ladung akademischer „Bildung“, ist da was aufgefallen. Ausgrenzung und „binäre Macht- und Identitätsmodelle“ gebe es erst seit dem Kolonialismus.

Eine solche Leugnung der jahrtausendlangen Ausgrenzung der Juden im Jahr 2019 ist beachtlich – und sie wird geschrieben, diskutiert, gedruckt und öffentlich vorgestellt, kein Widerspruch, nirgends. Alle fühlen sich als „die Guten“, es geht ja gegen rechts.

Exkurs: Postkoloniale Geschichtsumschreibung und Antisemitismus

Da sich die Arch+-Autorin Anna Yeboah so euphorisch auf ihre Freund*innen von „Decolonize the City“ bezieht, ohne deren Hilfe das Schreiben ihres Artikels nicht möglich gewesen sei, und das Team um Trüby und Arch+ sich mit „Decolonize the City“ offenkundig nicht befasst hat oder deren Ideologie unhinterfragt goutiert, mag ein Blick in das Buch dieses Bündnisses hilfreich sein. Als Herausgeber*in des Bandes „Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven“ fungiert ein „Zwischenraum Kollektiv“.[30]

„Decolonize the City“ war eine Konferenz vom 21.–23.09.2012 in der Rosa-Luxemburg-Stiftung,[31] um den aktivistischen Charakter zu unterstreichen. 2017 kamen die Beiträge als Buch im Unrast Verlag heraus,[32] 2018 dann als E-Book.[33] Eine der Beteiligten von 2012 war Anna Younes,[34] die später vom Twitter-Account von „Decolonize the City“ mit einem anti-israelischen Text verlinkt wurde. 2016 wurde Younes wegen einem Festival im Ballhaus Naunynstraße in Berlin Kreuzberg kritisiert:

Von Kuratorin Anna-Esther Younes etwa ist laut ‚Berliner Zeitung‘ der Satz dokumentiert, dass ‚mit der Gründung Israels ein weiteres Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurde‘.[35]

Die BDS-Vertreterin und antisemitisch-antizionistische Jüdin Judith Butler, für die der Zionismus nicht Teil des Judentums ist, wird in dem Buch in einem Text von Paola Bacchetta, Fatima El-Tayeb und Jin Haritaworn über „Queer-of-Color-Politik und translokale Räume in Europa“ völlig positiv dargestellt und dafür gelobt, einen Preis des CSD (Christopher-Street-Day) u.a. wegen „antimuslimischem Rassismus“ oder weil die schwul/lesbisch/transsexuellen etc. Organisator*innen zu westlich, kapitalistisch, kriegerisch etc. seien, nicht angenommen zu haben.

Der ganze Ansatz des Buches „Decolonize the City“ wie weiter Teile des Postkolonialismus weltweit wird in einem Beitrag von Ramón Grosfoguel zu „Was ist Rassismus? Die ‚Zone des Seins‘ und die ‚Zone des Nicht-Seins‘ in den Werken von Frantz Fanon und Boaventura de Sousa Santos“ deutlich:

Für Fanon ist Rassismus eine globale Machthierarchie von Über- und Unterlegenheit an der Grenze zum Menschlichen, die jahrhundertelang für die moderne/koloniale, kapitalistische/patriarchale, imperialistische/westlich zentrierte Weltordnung politisch produziert und reproduziert wurde (Grosfoguel 2011). Personen, die sich oberhalb dieser Grenze befinden, werden gesellschaftlich in ihrer Menschlichkeit anerkannt und mit Rechten und Zugang zu Subjektivität und Mensch-/Bürger_innen-/Arbeitnehmer_innenrechten ausgestattet. Personen, die unterhalb dieser Grenze eingeordnet werden, werden als nicht-menschlich oder gar unmenschlich betrachtet; ihre Menschlichkeit wird infrage gestellt und ihnen abgesprochen (Fanon 2010).

Das ist völlig falsch. Das Mensch-Sein würde also einer unglaublich riesigen Zahl von Menschen seit Jahrhunderten abgesprochen, farbigen Menschen aller Art aller Zeiten, seit Kolumbus die neue Welt entdeckte (1492). Es geht hier nicht um eine völlig notwendige Herrschaftskritik, um Kritik am Rassismus Europas – sondern um eine Verleugnung des Regimes, das tatsächlich Menschen zu Nicht-Menschen deklarierte und vergaste: der Nationalsozialismus. Logisch bleiben Antisemitismus, Shoah und die deutsche Spezifik völlige Leerstellen in diesem Konzept des Postkolonialismus, der ernsthaft meint (man sieht das in jedem Text, namentlich bei Grosfoguel) die ganze Welt erklären zu können. Das kann der Postkolonialismus gerade nicht, vielmehr ist er Teil des Problems. Und das Problem heißt Antisemitismus.

Demnach gibt es für Autoren wie Grosfoguel nur Rassismus auf der Welt, Höher- und Niederwertigkeit, ja eine universell anzutreffende „Rassifizierung“, was nur andeutet, dass der Autor noch nie ein Buch oder einen Text von einem nationalsozialistischen Autor gelesen und von Nazi-Deutschland schlichtweg keinerlei Ahnung hat. Die einzige „Gegenrasse“, die jemals konstruiert wurde und vernichtet werden sollte, waren die Juden und niemand sonst. Das wird im gesamten Postkolonialismus verleugnet.

Der regelrechte sprachliche Stumpfsinn des Konzepts „Nicht-Sein“ in dem Band „Decolonize the City“ hört sich z.B. so an:

Ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann in der Zone des Nicht-Seins lebt privilegiert und unterdrückt nicht-westliche heterosexuelle Frauen und/oder Schwule/Lesben innerhalb der Zone des Nicht-Seins. Obwohl ein nicht-westlicher, heterosexueller Mann ein unterdrücktes Subjekt in der Zone des Nicht-Seins im Vergleich zur Zone des Seins darstellt, gestaltet sich die gesellschaftliche Situation für eine Frau oder einen Schwulen oder eine Lesbe in der Zone des Nicht-Seins schlechter.

Die Kritik am Patriarchat, an Homophobie, Sexismus und Rassismus wie der bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung ist von sehr großer Bedeutung – sie wird hier aber so dermaßen absurd als „Zone des Nicht-Seins“ gefasst, dass man dieses Konzept des Postkolonialismus nicht ernst nehmen kann. Mit Gesellschaftsanalyse hat das überhaupt nichts zu tun, mit einer identitären Selbstvergewisserung, das arme Opfer zu sein und gar in einer „Zone des Nicht-Seins“ zu sein und eigentlich gar nicht da zu sein, sehr viel. Da fallen dann antisemitische Ressentiments namentlich von Schwarzen, people of colour, Muslimen, Christen, Säkularen oder anderen Menschen aus nicht-westlichen Gesellschaften völlig durch das Raster. Antisemitismus taucht als Kategorie auch überhaupt nirgends auf. Dafür umso stärker die sekundär antisemitische Analogie von Kolonialismus und Holocaust.

Der „Intersektionalismus“, also die Überschneidung verschiedener Herrschafts- oder Unterdrückungsformen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Klassismus – früher hieß das 3:1[36] – ist nichts Neues. Auffallend aggressiv sind heute jedoch z.B. muslimisch-islamistische Aktivist*innen und ihre Fans. Die Feministin Alice Schwarzer hat das 2017 bei einem Vortrag an der Universität Würzburg erlebt.[37]

Eine Handvoll aggressiver Aktivist*innen haben ihr genau das vorgeworfen, was sie gar nicht gesagt hatte: dass Islamismus und Islam das gleiche seien, dass es nur unter Nicht-Deutschen Sexismus gebe oder dass sie Algerien hassen würde, wobei Schwarzer erst kurz zuvor zwei Wochen bei Freund*innen in Algerien zu Gast war und das Land kennt und schätzt – aber zumal die Traumatisierungen durch den mörderischen islamistischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre mit 200.000 Toten erlebte. Da hörten die jungen verschleierten und nicht verschleierten Hetzer*innen einfach nicht hin. Schwarzer fasst zusammen:

Das Phänomen ist meiner Politikgeneration wohlbekannt. In den 1968er und 1970er Jahren hießen diese Politsekten KBW oder KPDML oder Maoisten oder Trotzkisten. Ihr Diskurs war genauso verhetzt, wirklichkeitsfremd und stellvertretend (für ‚das Proletariat‘) wie der dieser heutigen, pseudolinken Szene (für ‚die Muslime‘), der jedoch fatalerweise zur Verbreitung ihrer wirren Ideen auch noch das Internet zur Verfügung steht. Und die Schlagworte heute lauten nicht mehr ‚Internationale‘ und ‚Klassenkampf‘, sondern ‚Intersektionalismus‘ und ‚Antirassismus‘.

Intersektionalismus und Antirassismus sind auch Kernpunkte des Bandes „Decolonize the City“. Es geht um die „koloniale/kapitalistische/imperiale“ Welt und man fühlt sich wie Schwarzer zurückversetzt in die primitivsten ökonomistischen Analysen der K-Gruppen der 1970er Jahre oder noch früher an die Zeiten der KPD der Weimarer Republik etc.pp.

Der „Decolonize the City“ Autor Grosfoguel steigert das noch massiv, indem er von der „Zone des Seins“ und der des „Nicht-Seins“ daher redet. Damit sind nicht Sobibor, Treblinka oder Auschwitz gemeint – sondern er meint Typisches für unsere Welt:

In der Zone des Nicht-Seins erleben Subjekte, die als unterlegen eingeordnet werden, rassistische Unterdrückung anstatt Privilegierung aufgrund von Rassismus.

Natürlich ist rassistische Diskriminierung schrecklich und gehört bekämpft, hier und heute und an jedem Ort. Aber die Menschen leben doch und das wird mit dem grotesken Terminus „Zone des Nicht-Seins“ geleugnet. Wenn der alltägliche Rassismus in London, Berlin, Paris oder Rio de Janeiro etc. eine „Zone des Nicht-Seins“ bedeutet, dann ist die eigentliche Zone des Nicht-Seins der KZ- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus völlig trivialisiert, ja verleugnet. Der ganze Text strotzt nur so von Nichtwissen und Ignoranz gegenüber den historisch existenten Zonen des Nicht-Seins in NS-Deutschland und während des Holocaust.

Diese postkoloniale, absurde Sprache steht für das obsessive Verweigern einer Beschäftigung mit dem Holocaust. Würde sich der Postkolonialismus mit der Shoah befassen, würde er merken, dass das nicht das gleiche ist wie koloniale Gewalt wo und wann auch immer. Aber die Postkolonialist*innen fühlen sich als „die Guten“ und befassen sich weniger mit der Realität als ihren krampfhaften Analogien von NS und Kolonialismus. Da wird dann aus einer völlig lebendigen Lebensrealität hier und heute eine „Zone des Nicht-Seins“, wie bescheuert, gewalttätig, rassistisch, sexistisch oder klassistisch dieser Alltag auch immer aussieht – die Leute leben und niemand plant sie zu vergasen.

In einem Gespräch der Frankfurter Rundschau vom 4. September 2019 angesichts des Gießener Kultursommers mit zwei Aktivist*innen gegen Antisemitismus und den Sänger Xavier Naidoo, der auf dieser Veranstaltung am 31.8. vor 5000 Leuten auftrat (25 protestierten gegen ihn), kann man lernen, was der Unterschied von Rassismus und Antisemitismus ist:

Nur weil sich jemand für eine gute Sache einsetzt, schließt das nicht aus, dass dieselbe Person bei einer anderen Thematik fragwürdige Sichtweisen öffentlich äußert. Außerdem sind Rassismus und Antisemitismus zwei unterschiedliche Phänomene. Antisemitismus ist das Narrativ der übermächtigen kleinen Gruppe, die für alles Übel der Welt verantwortlich gemacht wird und ein imaginiertes ‚Wir‘ durch Zersetzung bedroht. In der logischen Konsequenz können ‚Wir‘ nur gerettet werden, wenn die übermächtige Gruppe vernichtet wird. Rassismus dagegen ist die Idee, dass es unterlegene, oder gar als unzivilisiert geltende Menschen gibt, die nicht zu ‚Uns‘ gehören.

Eine solche Differenzierung kann man von typischen postkolonialen Autor*innen nicht erwarten. Kien Nghi Ha moniert in „Die fragile Erinnerung des Entinnerten“, dass zwar seit den 1960er Jahren der Holocaust erinnert werde, aber nicht der Kolonialismus, womit schon gesagt ist, dass beides irgendwie ähnlich schlimme Verbrechen gewesen seien:

Die über Jahrzehnte hinweg verweigerte Aufarbeitung des Holocaust und der nazistischen Tradierungen konnte gegen große gesellschaftliche Widerstände letztlich noch erfolgreich institutionalisiert werden, sodass diesem Aufklärungsprozess eine kontinuierliche Struktur verliehen wurde.

In dem Band schreiben zudem Vanessa E. Thompson und Veronika Zablotsky über „Nationalismen der Anerkennung – Gedenken, Differenz und die Idee einer ‚europäischen Kultur der Erinnerung‘“:

Der politische Umgang mit dem Holocaust, dem Völkermord an den Herero und Nama durch das Deutsche Kaiserreich und dem Völkermord an den Armenier_innen und anderen Minderheiten im Osmanischen Reich spannt ein Feld auf, innerhalb dessen strategisch zwischen materiellen Entschädigungen (‚Wiedergutmachung‘), politischer Anerkennung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Rechtsfolgen (‚politische Äußerungen‘) und dem moralischen ‚Stehen‘ zu historischer Verantwortung ohne politische Verhandlungen im eigentlichen Sinne (‚ehrliche Aufarbeitung‘) gewählt werden kann, um ‚Unrechtsschulden“ zu ‚tilgen‘.

Ohne jegliche wissenschaftliche Differenzierung oder Analyse, ob denn das überhaupt ein Völkermord war und selbst wenn, dass ihm ein militärisch antikolonialer Angriff vorausging und so weiter – das wird alles nicht diskutiert, sondern autoritär gesetzt. Man soll es glauben, nicht wissen. Verbrechen gegen die Menschheit sollen demnach alle möglichen Kolonialverbrechen gewesen sein, so wie die Shoah. Das ist eine Universalisierung, die wiederum gesetzt wird, ohne jegliche Diskussion.

An anderer Stelle wird gerade die Architektur des Jüdischen Museums Berlin, das den Bruch, den der Zivilisationsbruch Auschwitz bedeutet, visuell andeuten möchte, diffamiert, da es sich „scharf vom übrigen Stadtbild“ im Multikulti-Bezirk Kreuzberg „absetzt“ und so

lässt sie die Umgebung im Umkehrschluss unbeteiligt erscheinen, als sei diese nun nicht länger in koloniale, imperiale, und nationalsozialistische Vernichtungspolitik impliziert.

Das hört sich so absurd an, dass man den Satz mehrfach lesen muss und ihn immer noch nicht versteht. Ein jüdisches Museum sei aufgrund der Architektur, die gerade den BRUCH, den die Shoah bedeutet, versucht diesen irgendwie in kleinsten Ansätzen darzustellen, höchst problematisch, weil es die (vor allem muslimischen oder migrantischen etc.) Nachbarn nicht dort abholen würde, wo sie wohnen, sondern mit so einer intellektuell gleichsam anmaßenden Architektur nur ausgrenzten.

Das Zitat oben ist zudem ein sekundär antisemitischer Sprech, eine Erinnerungsabwehr, die nur vorgibt, zu erinnern. Warum? Weil sie das Wort „Vernichtungspolitik“ im Kolonialismus und Imperialismus verortet und das 1:1 auf die Shoah überträgt und somit die Präzedenzlosigkeit von Auschwitz, Treblinka und den Wäldern von Litauen leugnet.

In einer Analyse an der Art des Erinnerns oder gerade Nicht-Erinnerns der Spezifik der Shoah zeigte der Historiker Saul Friedländer bereits 1982 (frz., 1984 auf dt.) in seinem Essay „Kitsch und Tod. Der Widerschein des Nazismus“ in seiner Kritik marxistischer Analysen bzw. Reduktionismen des Antisemitismus, was die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust bedeutet:

Eine solche Interpretation [wie vom Marxisten Abraham Léon, CH] sagt uns jedoch nicht, wie ein auf wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Antagonismus basierender Rassenhaß – der in anderen Fällen zu Plünderung, Vertreibung, Versklavung oder sporadischen Tötungen (so etwa in den Kolonien) – hier den festen Vorsatz zur totalen Vernichtung annehmen konnte.[38]

Ganz offensiv wird hingegen diese Leugnung des Nie-Dagewesenen des Holocaust in „Decolonize the City“ von Thompson und Zablotsky propagiert bzw. damit kokettiert:

Kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust als erstem industriellem Massenmord und der Unmöglichkeit, Verbrechen gegen die Menschlichkeit als solche darzustellen, werden somit für die Belange der Mehrheitsgesellschaft instrumentalisiert, welche die Kontinuitäten von Kolonialismus und Eugenik mit Verweis auf Erinnerungskultur und Gedenkorte in Abrede stellt.

Was sind denn „kritische Haltungen in Bezug auf die Singularität des Holocaust“? Lacht da nicht die AfD, wenn das Nie-Dagewesene des Holocaust in Abrede gestellt wird, was ja ein zentrales Ziel jedes Antikommunismus und Antisemitismus seit Ernst Nolte und zuletzt bei Timothy Snyder ist?

Sandrine Micossé-Aikins schreibt über „Vorwärtsgehen, ohne zurückblicken – eine kolonialismuskritische aktivistische Perspektive auf das Humboldtforum“ über die „brandenburgische Kolonie Großfriedrichsburg“, die in „Princess Town“ „von 1683–1717“ bestand und im kolonialen Dreieckshandel Europa-Afrika-Amerika involviert war und die Hohenzollern profitierten davon.

Dieser Text von Micossé-Aikins ähnelt in vielen Aspekten dem Text von Yeboah im Arch+ Heft 235 von 2019, was verständlich ist, da es sich heute um einen häufig sehr unkritischen bis affirmativen Diskurs handelt. Hier merkt man am deutlichsten, warum sich Anna Yeboah bei „Decolonize the City“ so herzlich bedankt. In dem Text von Micossé-Aikins wird jedoch wie selbstverständlich wiederum die Kontinuität von Kolonialismus und Nationalsozialismus und Shoah aufgemacht:

Die Geschichte dieser Gebeine markiert die in der dominanten Geschichtsschreibung weitgehend ignorierten historischen Verbindungen zwischen Kolonialzeit und dem Nationalsozialismus bzw. dem Genoziden in Deutsch-Südwest Afrika und dem Holocaust.

Da merkt man dann durchaus, woher Anna Yeboah ihre eigene Rede- und Schreibweise hat, wenn sie wie zitiert schreibt:

Mit dem Kolonialismus wurden binäre Macht- und Identitätsmodelle etabliert, die Menschen diskriminatorisch in ‚Zugehörige‘ und ‚Fremde‘ unterteilen.

Das ist exakt die Tonlage des ganzen „Decolonize the City“ Buches. Der Bezug auf Aimé Césaire ist ganz typisch für die postkoloniale Literatur. Die Zeitschrift Peripherie („Politik Ökonomie Kultur“) teilt diese Form des postkolonialen Antisemitismus. In der Ausgabe 146/147 von August 2017 schreiben Aram Ziai und Daniel Bendix:

Ein entsprechendes ‚Pro und Kontra Kolonialismus‘-Tabu gilt in der heutigen BRD nicht. Aimé Césaire hat es schon 1955 gewusst: Weiße Opfer, zu denen er Jüd*innen zählte, scheinen (zumindest für die meisten Weißen) gleicher als andere. Deswegen wurden nicht die kolonialen Völkermorde, sondern erst der Völkermord im Nationalsozialismus von der westlichen Welt als ‚Zivilisationsbruch‘ wahrgenommen (Diner 1996).

Demnach war die Shoah kein Zivilisationsbruch, sondern koloniale Verbrechen seien auch Zivilisationsbrüche gewesen. Damit wäre Auschwitz gerade nicht präzedenzlos. Das ist ein Antisemitismus mit bestem postkolonialem Gewissen, trendig und preisgekrönt jüngst via Achille Mbembe, der sich exakt auf diese Passage von Césaire bezieht.

Der Schriftsteller Heiner Müller hatte in dieser Hinsicht die gleiche Holocaust trivialisierende und universalisierende Ideologie. 2017 wurde bei Suhrkamp ein Band mit Texten Müllers gegen den Kapitalismus herausgegeben, der zeigt, wie ungeniert heute im Mainstream der Antisemitismus trivialisiert und der Nationalsozialismus und Auschwitz universalisiert werden. In Anlehnung an ein Wort des später Müller von 1995 – „Für alle reicht es nicht. Daraus folgt die Selektion“ – wird von den beiden Herausgeber*innen Helen Müller und Clemens Pornschlegel der Nationalsozialismus als bloße Epoche in der Geschichte des Kapitalismus herunter dekliniert. Der Antisemitismus hat da nicht nur keinen Platz, Auschwitz wird in seiner Sinnlosigkeit geleugnet:

Die Behauptung, dass es einen systematischen Zusammenhang gebe zwischen Hitlers massenmörderischen Selektionen und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, zwischen Auschwitz und der Deutsche Bank (aber auch: I.G. Farben, VW, Thyssen, Bertelsmann, Audi, Hugo Boss, Oetker usw.), erschien verrückt. (…) In den Jahrzehnten nach 1990 haben nicht Frieden und Wohlstand, nicht blühende Landschaften und das kindlich-naive Vertrauen in die Gesetzlichkeiten oder harmonischen Gleichgewichte des freien Marktes zugenommen, sondern zugenommen haben (vom Reichtum der Reichen und Superreichen einmal abgesehen) Arbeitslosigkeit, Kriege, soziale und politische Gewalt (…).“[39]

Das ist Suhrkamp 2017. Von Auschwitz in wenigen Sätzen zu Arbeitslosigkeit zu gelangen ist an links-antikapitalistischer Obszönität und antijüdischem Ressentiment unüberbietbar. Das ist sekundärer Antisemitismus, eine Abwehr der Erinnerung dessen, was Auschwitz war. Es indiziert die analytische Hilflosigkeit wie auch die unverschämte linke Ignoranz gegenüber dem, was in Auschwitz geschah: der Zivilisationsbruch.

Das intellektuell nicht nur dürftige, sondern regelrecht widerwärtige, sich selbst immer nur obsessiv als Opfer des Kapitals imaginierende Niveau Heiner Müllers passt exakt zu seinen postkolonialen Epigon*innen oder literaturwissenschaftlichen Herausgeber*innen und Fans Helen Müller und Clemens Pornschlegel, wenn Heiner Müller 1984 schrieb:

Es gab ein Gastspiel mit der Aufführung SCHLACHT in Belgrad, bei BITEF, diesem Theaterfestival. Hinterher war eine Diskussion, ein Jugoslawe polemisierte gegen irgendwas, und dann habe ich gesagt, daß man doch auch sehen müßte, daß der deutsche Faschismus nur eine besonders blutige Episode war in dem kapitalistischen Weltkrieg, der schon vierhundert Jahre dauert.[40] Und das Besondere daran, daß zum ersten Mal mitten in Europa etwas gemacht wurde, was in Afrika, in Asien und in Lateinamerika völlig normal war seit Jahrhunderten: die Vernichtung von Völkern, die Versklavung von Bevölkerung. Der Jugoslawe war sehr empört, er war Partisan gewesen und sagte: Für mich war das keine Episode. Für ihn war das sein ganzes Leben. Er hat recht, aber trotzdem ist es richtig, daß man das mal sehen muß in einem globalen Kontext.“[41]

Damit universalisiert und rationalisiert Heiner Müller den Holocaust und die nie dagewesenen Verbrechen der Deutschen und ihrer Alliierten. Nie zuvor gab es den Plan, ein ganzes Volk zu vernichten, alle Juden sollten ermordet werden auf der ganzen Welt. Das gab es nie zuvor und nie seither.

Die Juden wurden mit Verschwörungsmythen wie den „Protokollen der Weisen von Zion“ (um 1905, russisch) für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht, den Kapitalismus, den Kommunismus, die moderne Zivilisation und ihnen eine Weltverschwörung angedichtet. Nichts dergleichen gab es jemals zuvor oder seither mit irgendeiner anderen Gruppe von Menschen. Das zu leugnen und einen jahrhundertelangen, kapitalistischen, kolonialistischen und imperialistischen Krieg der Weißen gegen die Nicht-Weißen oder des Kapitalismus gegen den Rest der Welt zu imaginieren, ist nicht nur ahistorisch, sondern exkulpiert darüber hinaus die jeweiligen Ideolog*innen von ihrem eigenen Antisemitismus, der allein schon darin besteht, in sekundär antisemitischer, erinnerungsabwehrender Weise die Präzedenzlosigkeit von Treblinka, Sobibor, Chelmno, Majdanek, Auschwitz, den Wäldern von Litauen oder der Schlucht von Babi Yar zu leugnen.

Das passt darüber hinaus zu einer Art postkolonialer Geschichte, die Müller erzählte (wie mir berichtet wurde): In Afrika wurden demnach Filmaufnahmen aus den deutschen KZs gezeigt, um Aufklärung über die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus und den Holocaust zu leisten. Doch beim Anblick der Toten und fast Toten lachten viele afrikanische Zuschauer*innen und hielten sich die Bäuche. Warum? Weil sie es komisch fanden, „Weiße“ als Opfer von Weißen zu sehen. Auch das deutsche Publikum von Müller lachte einmal herzhaft, als er das erzählte. Diese Form des (sekundären) Antisemitismus, der Juden zu Weißen macht, ist der Kern der Geschichtspolitik des Postkolonialismus. Heiner Müller, der sich ja selbst als „Neger“ bezeichnete, war ein Vordenker hiervon, in den Fußstapfen von Aimé Césaire.

Auch Decolonize the City vertritt exakt diesen Césaire‘schen Antisemitismus, wenn Thompson/Zablotsky schreiben (in Anm. 4 zu ihrem Text):

Obwohl die Entnazifzierungspolitik der alliierten Besatzungsmächte häufig aus unterschiedlichen Gründen als unzureichend kritisiert worden ist, wurde nur selten ein expliziter Zusammenhang zur kolonialen Vergangenheit hergestellt. Als Ausnahmen sind hier insbesondere Aimé Césaires Diskurs über den Kolonialismus (1950) und Hannah Arendts Elements und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) hervorzuheben.

Dass Césaire Juden zu Weißen machte und gerade nicht den Zivilisationsbruch Auschwitz auch nur ansprach, wird damit akzeptiert.

Andernorts spricht Kien Nghi Ha in dem gleichen universalisierenden und Auschwitz als präzedenzlos leugnenden Duktus, der nicht nur für Decolonize the City, sondern weiteste Teile postkolonialer Literatur (die Autor*innen beziehen sich auf viel Literatur, die das jeweils genauso sieht) steht:

Die strukturelle Verankerung überkommender Ideologeme, die nicht ohne die kolonialrassistische und antisemitische Vergangenheit Deutschlands denkbar sind und analysiert werden können, wirft unweigerlich politisch unangenehme Problemlagen auf.

Der Historiker Dan Diner hat seit den späten 1980er Jahren bei der Analyse des Zivilisationsbruchs Auschwitz Wegweisendes geleistet. Er sagt 2007 über die kategoriale Differenz von Kolonialismus und Holocaust:

Die Kolonialmacht will ‚pazifieren‘, nicht vernichten.

Weiter:

Wie nahe kommen sich genozidale Kolonialkriege und Holocaust? Bei aller Absolutheit der kolonialen Gewalt – und dies im Unterschied zum konventionellen Krieg zwischen sich als Gleiche anerkennenden Gegnern – steht der Holocaust als eine bloße Vernichtung jenseits von Krieg, Konflikt und Gegnerschaft. Weder gilt es durch Gewalt einen Willen zu brechen noch etwas zu erzwingen. Der Vernichtungstod ist ein im Kern grundloser Tod.[42]

Von diesen kritischen Erkenntnissen ist „Decolonize the City“ unendlich weit entfernt und steht damit exemplarisch für den Postkolonialismus. Der Afrika-Historiker Jakob Zollmann hat dieselben haltlosen Positionen einer Linie von Windhuk nach Auschwitz am Beispiel des postkolonialen Gurus Jürgen Zimmerer seit 2007 bis heute detailliert durchdekliniert und scharf kritisiert.[43] Der sekundäre Antisemitismus via Universalisierung der deutschen Tat und der Shoah wird durch den unverblümten antizionistischen Antisemitismus auf dem Twitter-Account von „Decolonize the City“ noch potenziert. Das also sind offenkundig nach Selbstauskunft die Freund*innen von Anna Yeboah, der Arch+-Autorin.

***

Der abschließende Text von Arch+ 235 von Merve Bedir ist nicht weniger desaströs als der Text von Yeboah. Es geht um die Türkei, doch das Wort Islamismus sucht man vergeblich. In einem polit-ökonomischen Reduktionismus, wie wir ihn bis heute von Sekten von MLPD, DKP bis hin zu vielen sonstigen „antiimperialistischen“ Gruppen weltweit kennen, wird der Kapitalismus als einzige Macht herbei fantasiert, die einen faschistoiden Ideologen wie Erdogan determiniere. Der Ausdruck „religiöser Nationalpopulismus“ ist ein Euphemismus und weigert sich beständig, von Islamofaschismus oder Islamismus zu reden. Doch das ganze kulminiert in dieser Suada:

Die Raumpolitik der Neuen Türkei kann nicht ohne diesen erweiterten politischen Kontext verstanden werden. Den populistischen und autoritären Nationalismus, die Entwicklung hin zu einer illiberalen Demokratie, die Ablehnung von Immigrant*innen und Globalisierung und vor allem die Tatsache, dass diese Politik bereits an der Macht ist, hat die Türkei mit Staaten  wie Ungarn, Italien, Ägypten, Israel, Indien, den Philippinen, Brasilien oder den USA gemein.

Die Kritik an Ungarn, Brasilien oder Italien ist von Bedeutung, aber der Kern ist hier der Judenstaat. Der wird einfach so denunziert, ohne jegliche Differenzierung, was zum Israel bezogenen Antisemitismus passt. Es gibt kein Land der Erde, dem mit Vernichtung gedroht wird – außer Israel, wie von der Islamischen Republik Iran. Ich bin seit Jahren ein scharfer Kritiker der rechten Politik von Benjamin Netanyahu[44] – aber als Linkszionist und nicht als antiimperialistisch herum fuchtelnde Autorin, die mit Verve den Judenstaat mit Faschisten in eine Linie setzt. Das ist keine innerzionistische Kritik an Israel, wie sie weite Teile der linken, Demokraten wählenden amerikanischen Juden und weite Teile der jüdischen Intellektuellen in Israel üben.[45]

Was Bedir nicht erwähnt, sind islamfaschistische Regime wie (schiitisch) in Teheran oder (sunnitisch) in Riad. Der Islamismus ist schlichtweg kein Thema. Bei Erdogan nicht von Islamismus zu reden, ist völlig grotesk und zeugt von einem Realitätsverlust.

Auf der Heftvorstellung in der Volksbühne wurde von Trüby am Ende die Leninsche Frage „Was tun“ gestellt, nun: Es gibt eine „Alternative zu Deutschland“,[46] sie heißt intellektuelle Kritik an den gegenintellektuellen Tendenzen. Übrigens gibt es keine rechten „Intellektuellen“, was sich die meisten Autor*innen merken sollten, die Forschung spricht bei Rechten von „Gegenintellektuellen“, auch die häufige Verwendung von „Rechtspopulisten“ oder anderen Formen von „Populismus“ ist fragwürdig und verschleiernd. In Anschluss an Siegfried Kracauer ist ein Intellektueller eine Person, die Mythen knackt und nicht reaktiviert.[47] Also kann kein Rechter je ein Intellektueller sein.

Unterm Strich war auf der Heftvorstellung die postkoloniale Ideologie überall der große Gewinner, sie überlagerte alle noch so guten und wichtigen Analysen der Neuen Rechten. Tina Hartmann sagte auf der Heftvorstellung, heutzutage bzw. seit langer Zeit (seit 9/11 meinte sie wohl) würde ein Gegensatz von Abendland und Morgenland aufgemacht, was sich sehr saidianisch anhört und noch bestärkt wurde durch ihr Betonen, dass die Position, „der Islam“ „bedrohe die Errungenschaften der Aufklärung“, falsch sei.

Doch was ist daran falsch, die Geschlechterapartheit des Islamismus, der ja eine massive Schnittmenge mit „dem“ Islam hat, ohne in ihm aufzugehen, als antiaufklärerisch zu bezeichnen? Was ist daran falsch, nach dem Pulverisieren, Zerquetschen und Verbrennen von 3000 Menschen im World Trade Center durch Mohammed Atta und die anderen Jihadisten am Dienstag, den 11. September 2001, den Islamismus als riesige Gefahr für die Menschheit, den Westen und die aufgeklärte Welt zu erkennen? Die Bemerkungen von Hartmann in der Volksbühne über den armen Islam, der zum Antipoden der Aufklärung gemacht werde und dies somit nicht sei, sind wissenschaftlich und politisch bedenklich. Diese Derealisierung von Jihad und legalem Islamismus ist weit verbreitet im sich links dünkenden kulturellen Establishment, von Arch+ bis zur Volksbühne Berlin und unzähligen Lehrstühlen und Forschungsprojekten aller Art.

Hartmanns Betonen, es gehe der „Bibliothek des Konservatismus“ um eine „Akademisierung“ der Neuen Rechten ist richtig. Nur sieht sie nicht, dass dies bereits in den 1970er Jahren durch den tatsächlich neu-rechten Henning Eichberg geschah. Dieser war national-sozialistisch, nationalrevolutionär, neu-rechts, rechtsextrem und Begründer der Querfront und nicht Siemens-kapitalistisch oder konservativ wie der selbst ernannte Faschist Armin Mohler oder die „Bibliothek des Konservatismus“, was nicht heißt, dass beide Gruppen deutsch-nationale und völkische Schnittmengen haben.

Sicherlich ist schließlich der Antisemitismus nicht mit der deutschen Nationalversammlung von 1848 entstanden, der Gegensatz von „wir“ oder „das Volk“ gegen die Juden, der ist viel älter. Hartmann meinte jedoch auf der Heftvorstellung in der Volksbühne, bis 1848 hätte es den Antijudaismus gegeben, nicht den Antisemitismus, dabei ist diese Unterscheidung in der internationalen Forschung längst ad acta gelegt und widerlegt worden.[48]

Sodann wurde auch auf dieser Heft-Präsentation zu den rechten Räumen am 24. Mai 2019 mit keinem Wort eine der antisemitischsten Kampagnen seit 1945 in der Bundesrepublik Deutschland auch nur erwähnt: die Wahlplakate zur Europawahl der Neonazi-Partei „Die Rechte“: „Zionismus stoppen. Israel ist unser Unglück.“ Ist das kein rechter Raum, wenn Neonazis im Mai 2019 solche Plakate aufhängen? In den Tagen vor der Veranstaltung gab es viele Berichte in Tageszeitungen über diese rechtsextreme antisemitische Aktion.[49]

Man fragt sich, was die letztlich 13 Leute auf dem Podium für Zeitungen lesen oder was für Medien sie konsumieren, wenn nicht eine Person die exakt in dieser Woche vom 24. Mai 2019 bundesweit diskutierte anti-israelische Hetze dieser Neonazis auch nur erwähnte (so ich es nicht überhört habe). Könnte es sein, dass die meisten Leute einfach gar nicht hinhören, sobald es gegen Israel geht, weil man selbst (wie Decolonize the City oder Zizek) gegen ein demokratisches und jüdisches Israel ist? Kein Wort bei der Heftpräsentation von Arch+ zu dieser Neuauflage von Heinrich von Treitschkes Slogan, den die NSDAP dann aufgriff: „Die Juden sind unser Unglück“.

Ja, mehr noch: Leider scheint die Arch+ tatsächlich keinerlei Problem mit dem Antizionismus oder dem Antisemitismus von BDS zu haben, in Heft 231 von 2018 publizierte sie die deutsche Übersetzung eines Kapitels aus dem Buch über Klimawandel und Kapitalismus der Bestsellerautorin und seit 2009 als antiisraelische und BDS-Unterstützerin berüchtigten kanadischen Publizistin Naomi Klein.[50] Neben Judith Butler aus den USA oder dem Musiker Roger Waters aus Großbritannien ist Klein eine der bekanntesten Unterstützerinnen dieser antisemitischen Bewegung, die immer so tut, als ob sie es nicht wäre.

Angesichts der Beiträge von Bekir und Yeboah im Heft, den internationalen Kontakten von Kirn – der Publizist und taz-Kolumnist Micha Brumlik würde hier wieder aggressiv von der angeblichen „Kontaktschuld“ oder so reden und sieht immer nur bei Kritikern des Antisemitismus einen McCarthy, aber ahnt nicht, dass er selbst zum Kommunistenfresser von damals eine viel größere Nähe haben mag, als ihm lieb sein möchte, nur frisst Brumlik keine Kommunisten, sondern Kritiker*innen des antizionistischen Antisemitismus –, der engen Beziehung von Yeboah zu „Decolonize the City“, dem Publizieren von Naomi Klein durch Arch+ und nicht zuletzt durch das Hofieren Zizeks just im Mai 2019, steht man fast sprachlos vor diesem Heft.

Die Kritik an den rechten Räumen mit teils wirklich guten Beiträgen trifft die Neue Rechte, der Aufschrei des bürgerlichen Feuilletons und der rechtsextremen Pöbler im Netz zeigen, wie gut getroffen die Autor*innen und namentlich Trüby oder Hartbaum haben – aber dann dieses selbstverliebte Schweigen und Hinnehmen des postkolonialen oder säkular-leninistisch-hegelianisch-trendigen Mainstream-Antisemitismus oder das Verleugnen der islamistischen Gefahr.

Noch nicht mal Zizeks wirklich vulgärer Patriarchalismus und seine Angst vor weiblichen Entdeckungsreisen zur Vulva sind offenbar in diesen Kreisen ein no-go, obschon doch gerade die Neue Rechte so massiv patriarchal pöbelt. Demnach spricht ein Kommentar von Margarete Stokowski, die zeigt, wie ähnlich männlich-sexistisch misogyn Superstars der Rechten (Jordan Peterson) und Linken (Slavoj Zizek) ticken, offenbar ins Leere, die Kulturelite à la Volksbühne und Arch+ ignoriert ihre Kritik jedenfalls, Zizek bleibt der Star.[51]

Die perfide Logik des Heftes von Arch+ ist nun folgende: die Autor*innen geben vor, gegen Antisemitismus zu sein. Doch darunter wird der Antizionismus gerade nicht gefasst. Auch der Postkolonialismus taucht in diesem Schema gerade nicht als überaus reduktionistische und bisweilen antisemitische Ideologie auf. Der überaus beliebte Hetzer Zizek (von der Süddeutschen Zeitung über die Arch+ bis hin zu jedem hippen Uni-Seminar in den Sozial- und Geisteswissenschaften) spricht im Mai 2019, nur einen Tag nach dem Bauchpinseln durch Trüby, vom „zionistischen Antisemitismus“,[52] weil Israel sich gegen Juden wenden würde, die nicht pro-israelisch sind.

Wer letztendlich die islamistisch organisierte Landnahme via öffentlichem Massengebet auf dem Tempelhofer Feld in Berlin im August 2019 durch die Neuköllner Begegnungsstätte sieht, die mit Tausenden Muslimen, fanatisch getrennt nach Geschlechtern, verschleiert und mit Teppichen ausgestattet, Angst und Schrecken bei weltlichen und antiislamistischen Besucher*innen des Tempelhofer Feldes evozierten (ich selbst wohnte sechs Jahre unweit des Tempelhofer Feldes und besuchte den Ort fast täglich), kann nur der liberal-muslimischen Anwältin und Feministin Seyran Ates zustimmen:

Das sind muslimische Identitäre.[53]

Man könnte sprachlich geschickter vielleicht auch von identitären Muslimen sprechen, denn der Islamismus ist ja keine Unterkategorie des Rechtsextremismus, sondern eine eigenständige Ideologie, die historisch viel mit den Nazis gemein hatte, so wie der neu-rechte Vordenker Eichberg mit Gaddafi kooperierte und die Muslimbruderschaft und die Verschleierung feierte[54] – aber heute kooperiert der Islamismus ideologisch intensiv mit der Linken.[55]

Die Schadenfreude weiter Teile der Kulturelite nach 9/11[56] wie auch das Schweigen oder klammheimliche Klatschen und Kichern angesichts des Jihad von denselben Kreisen wird in dem Band nicht erwähnt. Dabei ist das für nicht wenige heutige neu-rechten Hetzer ein Ausgangspunkt, wobei die not-wendige Kritik am Islamismus und Jihad zu einem deutsch-nationalen Furor gegen „den“ Islam, „die“ Genderideologie oder „die Flüchtlinge“ und das „rot-grün versiffte Gesocks“ sich schnell wandelte.

Vom Antisemitismus zu reden und damit „nur“ den NS oder die Neo-Nazis, die Neue Rechte und Teile der bürgerlichen Mitte zu meinen, aber nie den Antizionismus der Linken, ja nicht mal den antiisraelischen Judenhass von Neonazis, ist reduktionistisch und falsch. Das hatte mich schon im Sommer 2002 angesichts ganz typischer linker und migrantischer Invektiven bei der Hans-Böckler-Stiftung, wo ich seinerzeit Doktorand war, zu folgendem Spruch in meinem Text für die Gewerkschaftlichen Monatshefte (9/2002) bewogen:

Deutsche mögen nur tote Juden, Islamisten gar keine.[57]

Der Bundestag beschließt im Mai 2019 eine nicht verbindliche Anti-BDS-Resolution, die Bundeszentrale für politische Bildung wird vom Bundesinnenministerium finanziert und unterstützt ihrerseits z.B. die Zeitschrift Arch+, die BDS-Unterstützer*innen publiziert.

Die Frage, ob Fotos von Neuen Rechten einen Erkenntnisgewinn haben oder nicht eher affirmativ sind, stellt sich bei dem Heft 235 von Arch+ überall. Das gilt auch für geradezu einfühlend gelayoutete Aufnahmen von NS-Architektur. Solche Bilder passen dann doch besser in Cato, DU, die Junge Freiheit oder auf rechte (Architektur-)Blogs. Es behindert das Lesen nicht unwesentlich und hat teils fragwürdigen Charakter, wenn einfach fröhliche Neo-Nazis abgelichtet werden und gerade nicht Bilder, wie rechtsextreme Politiker*innen oder Akteure eine Sahnetorte ins Gesicht geworfen bekommen oder wie eine Antifa-Demo sich gegen einen rechten Aufmarsch positioniert. Eine antifaschistische Nachricht in Split beim Einmarsch der Wehrmacht 1943 ist die große Ausnahme von der pro-rechten Bebilderung. Hitler-Bilder oder Hitlergrüße etc. haben nichts in einem sich antifaschistisch gebenden Heft zu suchen.

Die Kritik an der „Metapolitik“ in dem Arch+ Heft ist von eminenter Bedeutung. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat es schon vor Jahren in seinem Buch „Die Anti-Europäer“ pointiert auf den Punkt gebracht und dabei nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch den Islamismus und „Eurasier“ im Visier:

Man könnte die selbsternannten Erben der Konservativen Revolution belächeln, würden sie es bei verbalem Radikalismus belassen und ohne Resonanz bleiben. Führt auch heute ein Weg von einsamen Wölfen wie Breivik und den Cliquen eines Dugin oder al-Suri in breitere weltanschauliche Milieus und etablierte Machtzirkel? Zahlenmäßig schwach, betreiben Konservative Revolutionäre eine ‚metapolitische‘ Strategie: Erst sollen die Köpfe erobert werden, dann eventuell Positionen, Territorien und Ressourcen. Das war bereits der Ansatz der Neuen Rechten seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.[58]

Die Rechten versuchen nicht nur, ihre Ideologie in den Mainstream zu tragen, sondern praktizieren das auch ganz konkret mit architektonischen Mitteln: mit Denkmälern, wieder aufgebauten Stadtteilen oder Schlössern und Kirchen, entsprechenden Plätzen und so weiter. Die europäische Dimension wird in dem Arch+ Heft herausgestellt, man könnte das in zukünftigen Studien z.B. mit der Analyse von Würdigungen ehemaliger Nazikollaborateure und Antisemiten in der Ukraine, Lettland oder Litauen empirisch unterfüttern.

Auch die unerträglichen Jahn-Straßen oder –Sportplätze (z.B. Jahn Sportpark Berlin, Jahn-Denkmal auf der Hasenheide in Berlin-Neukölln, Fußball-Bundesligist (2. Liga) Jahn Regensburg), Hermann-Löns-Straßen oder Richard-Wagner-Plätze, -Straßen wie ‑Festspiele verdienten eine Kritik als extrem rechte Räume, mit dem Vorschlag, die jeweils umzubenennen, bundesweit, von den Treitschke- oder Hindenburg-Straßen etc. pp. nicht zu schweigen. Bezüglich der Straßen mit kolonialistischer Geschichte werden solche Änderungen im Heft auch angemahnt.

Unterm Strich gilt: Dank Stephan Trüby, seinem Institut IGmA an der Uni Stuttgart und dem Heft 235 von Arch+ hat die interdisziplinäre Forschung zur Neuen Rechten vielfältige kritische Einblicke in die europaweite ubiquitäre rechtsextreme Raumnahme erhalten, die bis weit in den bürgerlichen Mainstream ausstrahlt. Insofern hat der hypermodische und meist so affirmative wie elfenbeinturmmäßige spatial turn jetzt womöglich einen nicht zuletzt deutschlandkritischen und zur Aktion aufrufenden Touch von Antifa.

Für jene, die im gegenintellektuellen Zeitalter von Twitter und Facebook keine langen Texte zu lesen imstande oder willens sind, eine knappe Zusammenfassung:

1) Die Zeitschrift Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus attackiert in ihrem Heft 235 von Mai 2019 zu dem Thema „Rechte Räume. Bericht einer Europareise“ den sekundär antisemitischen Charakter der Rekonstruktion der Altstadt von Frankfurt am Main.

2) Arch+ 235 skandalisiert den antisemitischen Charakter von Hans Kollhoffs Ezra Pound Zitat auf dem Walter-Benjamin-Platz in Berlin.

3) Arch+ 235 betont das völlig ungenierte Vergessen oder Feiern des Faschismus in Italien oder Spanien.

4) Arch+ 235 unterstreicht die europaweite Dimension der Neuen Rechten, von der Schweiz über Polen, Frankreich, Österreich, Holland und natürlich Deutschland und weiteren Ländern.

5) Arch+ 235 hat unnötigerweise und ohne jeden Erkenntnisgewinn viele hochauflösende Bilder von Neonazis, Neuen Rechten und von Nazi-Gebäuden, die es erschweren, das Heft zu lesen. Diese Bilder passen eher zu rechtsextremen Publikationsorten, aber haben in einem Heft, das vorgibt Antifa zu sein, schlicht nichts zu suchen.

6) Arch+ 235 bedankt sich bei einer postkolonialen Gruppe („Decolonize the City“), die gegen Israel agitiert.

7) Arch+ publizierte 2018 eine der führenden BDS-Vertreter*innen weltweit, Naomi Klein.

8) Arch+ folgt ohne jede wissenschaftliche Differenzierung dem postkolonialen Hype, dessen Antisemitismus in diesem Rezensionsessay analysiert wurde.

9) Arch+ schreibt über die heutige Türkei, ohne das Wort Islamismus auch nur einmal zu verwenden und trivialisiert die Situation mit Ausdrücken wie „Nationalpopulismus“ oder „religiöser Nationalpopulismus“. Zudem agitiert der Text gegen Israel.

10) Mit keinem Wort wird im Heft Arch+ 235 auf den Antizionismus der Neuen Rechten und Neonazis eingegangen.

 

 

Der Autor, Dr. phil. Clemens Heni, ist Politikwissenschaftler, im Dezember 2002 hielt er seinen ersten Vortrag in Israel, er war 2003 und 2004 Felix Posen Fellow des Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) der Hebräischen Universität Jerusalem; dortselbst war er von Oktober 2010 bis Mai 2015 Research Fellow. Er war 2008/09 Post-Doc in Yale und von Juli bis Oktober 2015 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hannover, Fakultät für Architektur und Landschaft, Zentrum für Gartenkunst und Landschaftsarchitektur, Projekt: Hachschara, Landwirtschaft, Architektur. Anfang 1989 hatte er seinen Schulfreund und Mitabiturienten Stephan Trüby eingeladen, ihn auf eine Tagung über die „Dialektik der Aufklärung und die Antiquiertheit des Menschen“ nach Frankfurt am Main zu begleiten.

 

Endnoten

[1] https://www.belltower.news/afd-spitzenkandidat-in-brandenburg-die-rechtsextreme-karriere-von-andreas-kalbitz-89325/.

[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-andreas-kalbitz-war-mit-npd-funktionaeren-bei-neonazi-aufmarsch-in-athen-a-1284319.html.

[3] https://www.zeit.de/kultur/2019-09/landtagswahlen-fernsehberichterstattung-afd-rechtsextremismus-demokratie.

[4] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[5] https://www.mousonturm.de/events/rechte-raeume-in-frankfurt-stadtspaziergaenge/?fbclid=IwAR0gjLVU9-2T8MSdPq56w0FkArPGQ-E_npmN8GgWi2gxzqCZ7D_APJrDgi0.

[6] Der Rezensent selbst steht auf einer der aktuellen quasi Abschusslisten von Neo-Nazis, „Judas Watch“, die jüngst von der Tagesschau-Sendung um 20 Uhr vom 18. August 2019 als Beispiel dafür genommen wurde, warum das Bundeskriminalamt (BKA) den Kampf gegen den Rechtsterrorismus, Hasskriminalität und den Rechtsextremismus forcieren und 10 neue Referate mit 440 neue Stellen einrichten wird, https://www.tagesschau.de/ausland/rechtsextremismus-129.html.

[7] Zu einer Kritik an Riehl, der antisemitischen Naturschutzgeschichte wie der NS-Landschaftsarchitektur siehe Clemens Heni (2009): Antisemitismus und Deutschland. Vorstudien zur Kritik einer innigen Beziehung, Morrisville.

[8] https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik/komplettansicht.

[9] http://www.clemensheni.net/liebende-in-new-york-city-oder-gegen-das-stolzdeutsche-nationalmannschaftsgeschwafel-von-der-heimat-von-edgar-reitz-ueber-robert-habeck-zu-cem-oezdemir-die-antiquierthei/ (07.03.2018), http://www.clemensheni.net/von-walser-1998-bis-oezdemir-2018-das-seminar-fuer-allgemeine-rhetorik-der-uni-tuebingen-die-rede-des-jahres-deutscher-antisemitismus-und-nationalismus/ (13.12.2018).

[10] http://www.clemensheni.net/kein-quentchen-linker-gesellschaftskritik/; Peter Bierl/Clemens Heni (2008): Eine deutsche Liebe. Über die braunen Wurzeln der Grünen und die Lücken der Naturschutzforschung, Konkret 1/2008, S. 24–26.

[11] Clemens Heni (2018): Der Komplex Antisemitismus. Dumpf und gebildet, christlich, muslimisch, lechts, rinks, postkolonial, romantisch, patriotisch: Deutsch, Berlin, S. 289–291.

[12] https://www.berlinerfestspiele.de/de/berliner-festspiele/programm/bfs-kuenstler/bfs_kuenstler_detail_279509.html.

[13] Siehe Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust Trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin, S. 406–415.

[14] http://www.clemensheni.net/how-german-is-the-jewish-museum-berlin/; Heni 2018, S. 450–454.

[15] Clemens Heni (2010): Stuttgart ist doch keine „Vorstadt von Jerusalem“…Paul Bonatz, der Nationalsozialismus und Die Grünen (K21), 24. August 2010, http://www.clemensheni.net/stuttgart-ist-doch-kein-vorort-von-jerusalem/.

[16] Heni 2018, S. 82, Zitat von der Literaturwissenschaftlerin Susanna Moßmann.

[17] Vgl. zum Göttinger Hainbund und zu einer weiteren Bücherverbrennung von Schriften Wielands nur ein Jahr später, 1773, Clemens Heni (2007): Salonfähigkeit der Neuen Rechten. ‚Nationale Identität‘, Antisemitismus und Antiamerikanismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland 1970–2005: Henning Eichberg als Exempel, Marburg, S. 315, Fußnote 1306.

[18] Der Mitbegründer des Konzepts Ethnopluralismus seit den späten 1960er Jahren war Henning Eichberg, siehe Heni 2007, S. 47–50.

[19] https://blogs.timesofisrael.com/the-jewish-museum-fuels-the-anti-jewish-climate-in-germany/ (14.06.2019).

[20] https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus siehe Clemens Heni (2014): Kritische Theorie und Israel. Max Horkheimer und Judith Butler im Kontext von Judentum, Binationalismus und Zionismus, Berlin.

[21] Cary Nelson/Gabriel Noah Brahm (Eds.) (2015): The Case against academic boycotts of Israel. Preface by Paul Berman, Chicago/New York.

[22] http://www.clemensheni.net/koennen-die-juden-in-deutschland-ueberhaupt-eigenstaendig-denken/.

[23] Clemens Heni/Thomas Weidauer (Hg.) (2012): Ein Super-GAUck. Politische Kultur im neuen Deutschland, Berlin.

[24] Heni 2018, S. 547.

[25] Tweet vom 14. Oktober 2015 zu einem Beschluss einer Gruppe von Geographen, sich dem Boykott Israels anzuschließen (https://iccg2015.org/resolution-english/); Tweet vom 26. September 2014 zur antiisraelischen schwarzen „Feministin“ Angela Davis (https://www.colorlines.com/articles/angela-davis-connects-movement-free-palestine-black-feminism), Tweet vom 28. Juli 2014 zu einem Text von Anna-Esther Younes (plötzlich heißt sie Anna-Esther, nicht mehr nur Anna wie 2012 im offiziellen Programm der Tagung „Decolonize the City“, und wird als „deutsch-palästinensische Akademikerin“ präsentiert), wo sie ihre Abscheu vor „Pro Zionisten“ freien Lauf lässt (http://www.migazin.de/2014/07/28/nahost-konflikt-rassismus-und-deutschland/), Tweet vom 25. Juli zu James Baldwins Antizionismus (http://socialistworker.org/2014/07/23/how-baldwin-saw-palestine), Tweet vom 24. Juli 2014 zu Ilan Pappé, der BDS als „legitim“ erachtet. Ebenso Bezüge zu Holocaustverharmlosenden Autoren wie Jürgen Zimmerer auf diesem Twitter Account wie auch im Text von Yeboah via einem von diesem edierten Band zur deutschen Kolonialgeschichte.

[26] https://www.humboldtforum.org/de.

[27] Ich selbst habe als Teenager bei einem Besuch in Ost-Berlin 1986 den Palast der Republik auch von innen gesehen.

[28] https://www.youtube.com/watch?v=4OFykZrIEEs.

[29] Zudem: „Die jamaikanische Kulturwissenschaftlerin Imani Tafari-Ama, von Juli 2017 bis März 2018 Fellow am Flensburger Schifffahrtsmuseum mit dem Projekt ‚KulturTransfer. Unser gemeinsames Kolonialerbe‘, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes in deren Programm ‚Fellowship Internationales Museum‘, wurde in der taz Gelegenheit zur Verbreitung ihrer antijüdischen, den Holocaust als präzedenzloses Verbrechen leugnenden Ungeheuerlichkeiten gegeben: ‚Wenn ich Deutsche nach ihrer kolonialen Schuld befrage, heißt es oft, das kollektive Gedächtnis sei eben mit dem Holocaust viel zu sehr beschäftigt gewesen. Der habe alles andere verdrängt. Das mag stimmen. Trotzdem bleibt der Genozid an den Herero und Nama in Namibia bestehen; trotzdem bleiben die Unterdrückungsmaßnahmen in Togo, in Ruanda, in Tansania, in Kamerun – oder eben auf den Jungferninseln – Verbrechen, für die jemand haften muss. Die Europäer müssen anerkennen, dass die Verschleppung der Afrikaner das größte Verbrechen in der Menschheitsgeschichte ist, größer noch als der Holocaust.‘ Das ist eine offenbar im Mainstream angekommene neue Form der Holocaustleugnung, der Softcore-Variante, wie die Historikerin Deborah Lipstadt sagen würde“, Heni 2018, S. 367.

[30] Zwischenraum Kollektiv (Hg.) (2017): Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche | Aushandlungen | Perspektiven, Münster.

[31] https://www.rosalux.de/dokumentation/id/13988/decolonize-the-city-1/.

[32] https://unrast-verlag.de/neuerscheinungen/decolonize-the-city-detail.

[33] https://unrast-verlag.de/ebooks/decolonize-the-city-473-detail.

[34] https://www.decolonizethecity.de/talks.

[35] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/das-ballhaus-und-die-bds/.

[36] http://www.idverlag.com/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEinsViehmann.html.

[37] https://www.emma.de/artikel/ein-abend-wuerzburg-334477.

[38] Saul Friedländer (1982)/1984: Kitsch und Tod. Über den Widerschein des Nazismus, München/Wien, S. 109.

[39] Helen Müller/Clemens Pornschlegel (2017): Vorwort, in: Heiner Müller (2017): „Für alle reicht es nicht“. Texte zum Kapitalismus. Herausgegeben von Helen Müller und Clemens Pornschlegel in Zusammenarbeit mit Brigitte Maria Mayer, Berlin (zitiert nach dem E-Book).

[40] Das erinnert an die den Holocaust ebenfalls universalisierende und in seiner Spezifik leugnende Kampagne „500jähriges Reich“ von Medico International von Anfang der 1990er Jahre: Bruni Höfer/Heinz Dieterich/Klaus Meyer (Hg.) (1990): Das Fünfhundertjährige Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität 1492–1992, Frankfurt am Main; Stefan Armborst/Heinz Dieterich/Hanno Zickgraf (Hg.) (1991): Sieger und Besiegte im Fünfhundertjährigen Reich. Emanzipation und lateinamerikanische Identität: 1492–1992, Bonn; Heinz Dieterich (1990a): Ironien der Weltgeschichte. Strukturparallelen zwischen Nazi-Lebensraum und Erster/Dritter Welt heute, in: Höfer/Ders./Meyer (Hg.) (1990), S. 69–147.

[41] In Müller 2017.

[42] Dan Diner (2007): Gegenläufige Gedächtnisse. Über Geltung und Wirkung des Holocaust, Göttingen, S. 81.

[43] Jakob Zollmann (2007): Polemics and other arguments – a German debate reviewed, in: Journal of Namibian Studies, Jg. 1, Nr. 1, S. 109–130; Jakob Zollmann (2010): Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen. Die Kolonialpolizei in Deutsch-Südwestafrika 1894–1915, Göttingen; Jakob Zollmann (2019): From Windhuk to Auschwitz – old wine in new bottles? Review article* (im Erscheinen).

[44] http://www.clemensheni.net/please-give-me-some-latkes-before-you-kill-me-jews-and-neo-nazis-in-germany/ (11.02.2019), http://www.clemensheni.net/kenneth-l-marcus-oxymoron-trump-and-civil-rights/ (12.03.2018), http://www.clemensheni.net/was-erlauben-lizaswelt-ueber-die-notwendigkeit-einer-selbstkritik-der-pro-israel-szene/ (24.03.2015), http://www.clemensheni.net/do-not-distract-attention-from-our-homemade-extremists/ (07.04.2014).

[45] Fania Oz-Salzberger/Yedidia Z. Stern (Hrsg.) (2017): Der israelische Nationalstaat. Politische, verfassungsrechtliche und kulturelle Herausforderungen. Aus dem Englischen von Clemens Heni und Michael Kreutz, Berlin.

[46] Clemens Heni (2017): Eine Alternative zu Deutschland. Essays, Berlin.

[47] Heni 2007, S. 87 f.

[48] Robert S. Wistrich (1991): Antisemitism. The Longest Hatred, London; New York; Robert S. Wistrich (2010): A Lethal Obsession. Antisemitism from Antiquity to the Global Jihad, New York.

[49] https://www.hna.de/kassel/israel-unser-unglueck-wirbel-wahlplakate-anti-israel-slogan-ngz-12284359.html, https://www.juedische-allgemeine.de/politik/judenhass-im-wahlkampf-muss-gestoppt-werden/, https://www.nrz.de/staedte/moers-und-umland/die-rechte-kamp-lintfort-entfernt-wahlkampf-plakate-id221160357.html.

[50] https://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,4909,1,0.html. Im Januar 2009 kritisierte der bekannte linke Soziologe David Hirsh aus London die Pro-BDS-Position von Klein, https://engageonline.wordpress.com/2009/01/10/klein-hirsh/. Im Juli 2019 ist Naomi Klein wie gehabt im BDS-Aktivismus voll involviert, http://bdsberlin.org/2019/07/04/talib-kwelis-ausladung-vom-festivalprogramm-ist-teil-des-anti-palaestinensischen-trends-zu-zensur/.

[51] https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-angst-der-maenner-vor-weiblicher-sexualitaet-kolumne-a-1258544.html, 19.03.2019.

[52]  Im oben bereits zitierten Text, https://www.rt.com/op-ed/460228-anti-semitic-bds-israel-zizek/ (25.05.2019).

[53] Seyran Ates zum Gebet auf dem Tempelhofer Feld „Das sind muslimische Identitäre“, 12.08.2019, https://www.tagesspiegel.de/berlin/seyran-ates-zum-gebet-auf-dem-tempelhofer-feld-das-sind-muslimische-identitaere/24895706.html. Zum Islamismus siehe Clemens Heni (2011): Schadenfreude. Islamforschung und Antisemitismus in Deutschland nach 9/11, Berlin; Clemens Heni (2011a): Entry „Germany“ in World Almanac of Islamism, Washington, D.C., American Foreign Policy Council (ed.), auch online (letztes Update September 2018) auf http://almanac.afpc.org/Germany.

[54] Vgl. Heni 2007.

[55] Siehe das Kapitel „The Red-Green Axis“ in Wistrich 2010, S. 399–434.

[56] Heni 2011.

[57] http://clemensheni.net/wp-content/uploads/Gewerkschaftliche-Monatshefte-2002-Heni.pdf.

[58] Claus Leggewie (2016): Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co., Berlin, S. 9 f.

©ClemensHeni

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