The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Westjordanland

„Kulturschaffende“ und Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Ein Aufruf von über 350 sogenannten Kulturschaffenden, vor allem Schauspieler*innen wie Daniel Brühl, Heike Makatsch oder Anna Thalbach, Moderator*innen wie Klaas Heufer Umlauf, Joko Winterscheidt oder Paula Essam, Musiker*innen wie Helmut Zerlett, Clueso oder Sarah Lesch und Regisseur*innen wie Mehmet Akif Büyükatalay, Paulita Pappel  oder Fatih Akin  sowie Autoren wie Marc-Uwe Kling, von dem sich das Känguru sicher spätestens jetzt glasklar und linkszionistisch distanziert, fordern einen kompletten Stopp von Waffenlieferungen an Israel und verlieren – wen wundert es – kein Wort über die 50 Geiseln, die immer noch in den Händen der Muslim-Faschisten in Gaza festgehalten werden, wovon vielleicht 20 noch am Leben sind. Einige von ihnen werden aktuell von den Muslim-Faschisten der Hamas zu Tode gehungert und in Bildern, die an Nazi-Propaganda erinnert, gedemütigt und zum Tode geweiht.

Dazu nicht ein Wort dieser „Kulturschaffenden“, bis auf einen Satz, der geradezu absichtlich nichts explizit sagt zum schrecklichsten Massaker an Juden seit dem Holocaust vom 07. Oktober 2023:

Auch wir verurteilen die grauenvollen Verbrechen der Hamas aufs Schärfste. Aber kein Verbrechen legitimiert es, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen.

Forderung nach Freilassung der Geiseln? Von wegen:

  • Stoppen Sie umgehend alle deutschen Waffenexporte an Israel
  • Unterstützen Sie das Aussetzen des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel
  • Fordern Sie mit Nachdruck einen sofortigen Waffenstillstand und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe

Das sind typische deutsche Stimmen, die sich gegen Israel wenden und nicht dafür bekannt sind, direkt nach dem 7. Oktober sich gegen muslimischen Judenhass und palästinensischen Terrorismus oder die sofortige Freilassung aller Geiseln eingesetzt zu haben.

Erst NACH dem Publizieren dieses offenen Briefes schreibt das Kampagnen-Netzwerk AVAAZ unter dem offenen Brief:

Dieser Brief, den die Kulturschaffenden gemeinsam mit Avaaz lanciert haben, sorgt bereits deutschlandweit Schlagzeilen – von Spiegel und Stern bis hin zu Deutschlandfunk und ZEIT.

Auch wir sind zutiefst erschüttert und betroffen durch die neu erschienen Aufnahmen der israelischen Geiseln. Es muss politisch und diplomatisch alles getan werden, um sie umgehend zu befreien. Aber wie im Brief beschrieben, kann kein Verbrechen es legitimieren, Millionen von unschuldigen Menschen auf brutalste Weise kollektiv zu bestrafen. Und doch hat Netanyahu gerade angekündigt, den gesamten Gazastreifen zu besetzen – mit unabsehbaren Folgen sowohl für die Zivilbevölkerung als auch die Geiseln.

Warum war ihnen das bei dem offenen Brief mit den Geiseln nicht aufgefallen, immerhin sind sie seit 670 Tagen in Geiselhaft der Muslim-Faschisten in Gaza?

Sehr typisch ist auch das dümmliche Reden von Menschen als „Eltern“, als ob man so unfähig sein muss, ungeschützt Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, um gegen das Aushungern von Menschen aller Altersgruppen, auch von Kindern, zu sein:

Kinder, abgemagert bis auf Haut und Knochen, die Augen leer, die Handgelenke dünn. Babys, vor Hunger zu schwach, um zu weinen. Alte, schwache und kranke Menschen, die keine ausreichende Versorgung erhalten.

Die in Gaza sterben. Tag für Tag.

Dabei sind es Menschen. Mütter. Väter. Kinder.

Kinder wie unsere. Kinder wie Ihre.

Gab es ähnliche Aufrufe dieser Schauspieler und Regisseurinnen zu Hungersnöten im Sudan oder ist das zu kompliziert, weil in diesem Konflikt keine Juden involviert sind?

Zudem: Wer obiges Eingangsstatement liest, merkt, dass wirklich alle Unterzeichner*innen Kinder zu haben scheinen. Das wäre eine bemerkenswert erbärmliche homogene Gruppe von „daddiots“ und „mombies“, wie die Fachbegriffe des Radikalfeminismus für natalistische Ideologinnen und Akteure heißen. „Kinder wie Ihre“ hätten sie bei dem letzten Kanzler und der letzten Kanzlerin gar nicht schreiben können, by the way.

Jedenfalls strotzt der Text vor Selbstgerechtigkeit – jetzt geifern sie los. Und das passiert weltweit. Juden und Jüdinnen werden weltweit für die unsägliche Politik Israels in Haftung genommen und angegriffen.

Ganz anders ein seriöser offener Brief an den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu von liberalen Zionistinnen und Zionisten aus England, darunter Milliardäre und Multimillionäre, Philanthropen und langjährige Unterstützer*innen des einzigen Judenstaates. Diesen Brief haben schon über 2000 jüdische Philanthropen, bekannte Aktivistinnen und Aktivisten und Mitglieder von jüdischen Organisationen unterschrieben. Sie stellen erst einmal ganz klar fest:

Wir sind Mitglieder jüdischer Gemeinden auf der ganzen Welt, die den Staat Israel als nationale Heimat des jüdischen Volkes leidenschaftlich unterstützen. Unsere Solidarität gilt stets Israel und den Bürgern Israels, insbesondere seitdem die Hamas am 7. Oktober ihren barbarischen Angriff gestartet hat. (Alle Übersetzungen aus dem Englischen von CH)

Doch diese zionistische und jüdischen Aktivist*innen sind schockiert:

Wir fordern Sie daher auf:

1) Die Versorgung der Bevölkerung in Gaza mit Lebensmitteln und humanitärer Hilfe dauerhaft wiederherzustellen und zu ermöglichen.

2) Beenden Sie den Krieg. Bringen Sie die Geiseln in einem einzigen Deal nach Hause und legen Sie den Schwerpunkt auf ihre Freilassung. Angesichts der unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Geiseln leiden, und der Grausamkeit ihrer Entführer von der Hamas kann die Dringlichkeit nicht genug betont werden. Der Verhandlungsprozess mit einer verkommenen Terrororganisation ist natürlich komplex und schwierig. Aber jede Gelegenheit zur Freilassung aller Geiseln muss genutzt und hat Vorrang vor der Beschwichtigung extremistischer Mitglieder Ihrer Koalition. …

3) Setzen Sie das Gesetz im Westjordanland durch, wo die Häufigkeit und Intensität tödlicher Gewalt durch jüdische Extremisten beispiellos ist. …

4) Verpflichten Sie sich, dass weder Sie noch irgendein Mitglied Ihrer Regierung jemals wieder Hungersnöte oder Vertreibungen als Kriegswaffen einsetzen werden. Mitglieder Ihrer Regierung haben ohne Kritik rassistische, hasserfüllte und aufrührerische Äußerungen getätigt. So prahlte beispielsweise Kulturminister Amichai Eliyahu kürzlich, dass „die Regierung darauf hinarbeitet, Gaza auszulöschen … Gott sei Dank löschen wir dieses Übel aus … Ganz Gaza wird jüdisch sein.” Solche Aussagen sind moralisch verwerflich und ein Chilul Hashem – eine Entweihung jüdischer Werte und der Gründungsprinzipien Israels. …

Die Times of Israel schreibt:

Zu den Unterzeichnern gehören Charles Bronfman, der jüdisch-kanadisch-amerikanische Milliardär und Philanthrop, die Philanthropin Marcia Riklis, Dame Vivien Duffield, Vorsitzende der Clore Foundation, und Trevor Chinn, Präsident der United Jewish Israel Appeal, einer führenden britischen jüdischen Wohltätigkeitsorganisation, die Initiativen in Israel finanziert.

Der Brief ist eine Initiative eines neuen liberalen zionistischen Netzwerks namens The London Initiative, das Anfang dieses Jahres gegründet wurde, um „die israelische Demokratie zu stärken, eine gerechtere gemeinsame Zukunft für alle Bürger Israels zu fördern, die Hoffnung auf die Aussicht auf einen sicheren Frieden wiederzubeleben und die Beziehungen zwischen allen Israelis und dem Weltjudentum zu verbessern“.

Das wird von einem Video von 19 ehemaligen führenden Militärs (Chiefs of Staff u.a.) und Geheimdienstleuten Israels vom 3. August 2025 unterstützt, die ebenfalls ein sofortiges Ende des Krieges fordern. Sie halten fest, dass der Krieg anfangs gerecht war im Kampf gegen die Hamas, und auch erfolgreich, aber dass er seit sehr langer Zeit kein Ziel mehr hat außer Zerstörung des Erreichten. Sie sehen religiöse Fanatiker und nationalistische Verbrecher am Werke und attackieren Netanyahu frontal. Sie sind wahre Zionisten und wollen Israel schützen, also auch die Palästinenser, da es zwei Staaten für zwei Völker geben muss.

Schließlich betont die israelische Soziologin Eva Illouz, dass es sich viele mit ihrer Kritik Israels zu leicht machten und wiederholt, was zionistische Kritiker*innen seit langer Zeit sagen: wer nicht aktiv gegen Antisemitismus kämpft hat gar kein moralisches Recht, erst jetzt Kritik zu üben, wenn Israel im Visier ist, so richtig und wichtig die Kritik an der unerträglichen und für Palästinenser*innen mörderischen Politik Israels aktuell ist.

Wie der Journalist Peter Nowak betont, kann man gerade als Linker gegen die Hamas und gegen Netanyahu sein, aber für Israel – wie zum Beispiel eine Plakatkampagne der Berliner „Emanzipative & antifaschistische Gruppe“ (EAN) zeigt:

Die „Emanzipative & Antifaschistische Gruppe“ (EAG) wurde 2005 in Pankow gegründet. Damals wie heute ging es uns darum den Neonazis im Berliner Nordosten entgegenzutreten. Allerdings war es uns immer zu wenig, ausschließlich Anti-Nazi-Arbeit im Stadtteil zu leisten. Vielmehr gehörte von Anfang an eine umfassende Herrschaftskritik und linksradikale Theoriebildung zu unserem Anspruch. Darüber hinaus wurde die Gruppe auch aus der Kritik am Antisemitismus innerhalb linker Strukturen gegründet sowie den antifeministischen Tendenzen der Antideutschen Szene.

Das unterscheidet auch solche pro-israelischen Gruppen von ach-so-jüdischen Gruppen für Frieden im Nahen Osten, die meist nur antizionistisch sind und gerade keinen Frieden für Juden in einem jüdischen Staat wollen, neben einem palästinensischen Staat.

Was Illouz in der ZEIT vom 06. August 2025 schreibt, passt exakt zu den gut 350 typisch links-deutschen „Kulturschaffenden“ und dem oben zitierten offenen Brief an Bundeskanzler Merz:

Mein Punkt ist ein schlichter: Weil die Kritik an Israel so oft gefährlich nah am Antisemitismus liegt, muss sie Sprache und Behauptungen sorgfältig prüfen. Wer bloß über minimales Wissen zur Geschichte des Konflikts verfügt, sollte aufhören, Israel zum alleinigen Schuldigen zu machen.

Die Soziologin resümiert:

Die rote Linie für die Welt muss lauten: Wenn Netanjahus Regierung – wie von ihm selbst verkündet – eine dauerhafte Besatzung Gazas anstrebt und zugleich die Unabhängigkeit der Justiz endgültig aushebelt, werden Sanktionen zu einer angemessenen Antwort. Bis dahin dürfen Israels Freunde nicht die Augen verschließen vor dem Charakter der Regierung in Jerusalem: vor ihrer Inkompetenz, ihren Kriegsverbrechen, der von ihr verschuldeten humanitären Katastrophe und einem Gaza-Krieg, der längst jede Rechtfertigung verloren hat. Zugleich gilt es zu bedenken, dass ebenjener Extremismus und jene Paranoia der Regierung genährt werden vom Antisemitismus der arabischen wie der westlichen Welt.

Die Zerstörung von Gaza im Schatten des Iran-Krieges und die Pulverisierung der jüdisch-zionistischen Ethik

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das islamistische Regime in Teheran muss fallen. Es hätte nie an die Macht kommen dürfen und ist ein frauenverachtender Terrorstaat, der primitive Beweggründe – fanatische Religion – zu einer Staatsdoktrin gemacht hat. Der Hass auf Juden und Israel ist zentral für alle iranischen Politiker. Schon seit Jahrzehnten hätten alle Botschaften des Iran geschlossen gehört und das Land komplett isoliert – was natürlich nicht geschah, weil zumal der Kapitalismus mit dem Regime viel Geld verdient und der Welthandel von dem Land mit abhängt.

Doch jetzt sieht Israel die schrecklichen Folgen des Krieges vor Ort. Zerstörungen von Häusern, Wohnungen, ja ganzen Straßenzügen wie in Rehovot, Bat Yam, Haifa, Tel Aviv und vielen anderen Orten, schon über Dutzende Tote und Hunderte Verletzte.

Der linke Israeli, ehemalige Elitesoldat der IDF, Publizist und bekannte Menschenrechtsanwalt Michael Sfard schreibt heute in der Haaretz:

Wir müssen zugeben, dass dieses Phänomen so alt ist wie die Menschheit – gewalttätiger männlicher Tribalismus, der geradezu vor Stolz über die Fähigkeit, den stärksten Schlag auszuführen, platzt.

Ich bin kein Pazifist; manchmal ist die Anwendung von Gewalt notwendig. Aber Israel hat sich eine Weltanschauung zu eigen gemacht, nach der jedes Problem mit Gewalt gelöst werden sollte, und das israelische Volk ist zu einem Kollektiv geworden, das Gewalt und Brutalität bewundert, während es den Dialog und Kompromiss verachtet.

Sfar ist schockiert, wie die israelische Gesellschaft verroht und das völlige Plattmachen – im wörtlichen Sinne – des Gazastreifens propagiert, durchführt und feiert.

Verzeihen Sie mir also, wenn meine größte Befürchtung im Hinblick auf den Krieg mit dem Iran darin besteht, dass der geringe internationale und nationale Widerstand gegen die ethnische Säuberung und das Massenmorden im Gazastreifen vollends in sich zusammenbrechen wird.

Sfar ist Israeli, sein kurzes, einjähriges Leben in England war eine „Tragödie“ für ihn, er will in Israel leben – und kämpfen. Kämpfen gegen Rassismus, Ungerechtigkeit und Verbrechen wie die gezielte Vertreibung von Palästinenser*innen im Westjordanland und jetzt auch im Gazastreifen.

Und es ist wiederum der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas, der einen Tag nach dem Massaker von christlichen Milizen an Palästinensern in den Flüchtlingslagern von Sabra und Schatila in Beirut im Libanon – das die israelische Armee und Besatzungsmacht hätte verhindern können und müssen! – mit einigen Hundert bis zu 3000 Massakrierten im September 1982 in einem Radiogespräch vom 28. September im Radio-Communauté mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut Folgendes sagte:

Niemand hat den ‚Holocaust‘ vergessen, es gibt keine Möglichkeit, diejenigen Sachverhalte zu vergessen, die zur unmittelbarsten und persönlichsten Erinnerung eines jeden an seine Verwandten, bezüglich derer man sich bisweilen anklagt, überlebt zu haben, gehören. Das rechtfertigt keineswegs, daß man sich der Stimme der Menschen verschließt, in der ebenso die Stimme Gottes erklingen kann. Sich auf den ‚Holocaust‘ berufen, um zu sagen, daß Gott unter allen Umständen mit uns ist, ist ebenso verabscheuenswert, wie das ‚Gott mit uns‘, das sich auf den Gürtelschnallen der Henker befand.

(Emmanuel Levinas (2007): Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische, Zürich/Berlin: Diaphanes, S. 240.)

Sfard bezieht sich auf eine Analyse in der Haaretz vom 12. Juni 2025, worin es heißt:

Am Vorabend des Krieges hatte der Großraum Rafah im Gazastreifen 275.000 Einwohner. Das Flüchtlingslager Jabalya hatte 56.000 Einwohner. Beit Lahia hatte 108.000 Einwohner.

Da wurden ganze Städte einfach nahezu komplett zerstört. Die Gebäude wurden zerstört zu einem Zeitpunkt als alle Bewohner*innen bereits vertrieben waren. Es ist also kein Genozid. Es ist aber ein Kriegsverbrechen, gezielt die Infrastruktur eines bestimmten Volkes zu zerstören, damit dieses Volk keine Lebensgrundlage und keinen Ort zum Zurückkehren mehr hat.

Es geht Michael Sfard und vielen linkszionistischen Jüdinnen und Juden in Israel darum, dass diese Kriege die jüdische und zionistische Ethik beschädigen. Emmanuel Levinas würde massiv protestieren gegen das aktuelle Israel und die Politik im Westjordanland und in Gaza.

Der Zionismus hat mit religiösen Bedürfnissen rein gar nichts zu tun und „heilig“ ist dem Zionismus nicht das Land, schon gleich gar nicht das Westjordanland, ja nicht einmal die Klagemauer. Zionismus hieß für die Gründungsmütter und -väter: jüdische Souveränität!

Sfard findet es unerträglich, dass angebliche Verhandlungen über die Geiseln von Netanyahu nur benutzt wurden, um den Iran abzulenken. Doch die meisten Israelis scheinen das zu mögen, er ist deprimiert:

Leider weiß ich, dass diese Fragen die meisten Israelis nicht beunruhigen. Dass es hier fast niemanden gibt, mit dem man reden kann. Dass wir auf Drogen sind, voll von schwadronierenden Slogans und in militaristischer Ekstase schwebend.

Wir haben auch hier in Deutschland kaum jemanden, mit dem „wir“ – also die Linkszionist*innen – reden können. Die „Israel-Szene“ ist in einem bunkerfesten Kokon gefangen und sieht in nahezu jeder Stimme gegen „Bibi“ einen Antisemiten und die Palästina-Szene ist voll von blutlüsternen Antisemiten aller Geschlechter.

Das ist die Lage am 4. Tag des Israel-Iran Krieges und des 619. Tages des Krieges gegen die Hamas.

Es ist eine Lage, die viel tiefer blicken lässt, wenn man es sehen will, als es diese Fakten andeuten. Es geht um Millionen völlig kaputter Menschen im Gazastreifen, die Jahre oder Jahrzehnte brauchen werden, um ihre Häuser wieder aufzubauen. Damit züchtet Israel die nächste Hamas-Generation heran – das wiederum weiß die Elite in Israel, die militärische und geheimdienstliche und politische und will deshalb wie Trump alle Gaza-Palästinenser*innen zum Verlassen der Gegend zwingen („freiwillige“ Flucht).

Damit sie in Ägypten oder Jemen oder Jordanien die nächste Terrororganisation gegen die Juden aufbauen können?

Es braucht eine Allianz für den Zionismus und die Abraham Verträge waren ein wichtiger Schritt in diese Richtung, doch Israel verspielt dieses Vertrauen spätestens seit den nicht mehr nachvollziehbaren Aktionen in Gaza von Anfang 2024 bis heute.

Es muss um Angebote an Demokratie und Kooperation gehen, um die ganz konkrete Perspektive eines Staates Palästina, der nur existieren wird, wenn er Israel anerkennt. Wenn aber Israel einen solchen Staat Palästina nicht anerkennt, wird es keinen Frieden geben und weiter in regelmäßigen Abständen Bombenalarm, Tod und Verzweiflung. Auch ökonomisch wird Israel das nicht lange aushalten, zumal viele Junge dann doch auswandern werden, weil sie nicht von Rechtsextremen regiert werden wollen, von der Kriegssituation nicht zu schweigen.

Es kann auch sein, dass Israel sich Sympathien in Iran mit der dortigen eigentlich scharfen Anti-Mullah-Bevölkerung verspielt, weil die nicht sieht, ob all diese Angriffe nachvollziehbar sind und der Opposition im Iran auch helfen.

Natürlich muss das iranische Atomprogramm gestoppt werden – aber ob es gestoppt werden kann, ist offenkundig völlig unklar. Was ist dann das Ziel von Netanyahu? Hat er für Iran so wenig ein klares UND erfüllbares Ziel wie in Gaza? Will er wieder nur seine eigene Haut retten und die Geiseln dabei vergessen, wie schon so oft seit Oktober 2023?

In jedem Fall sieht die Zukunft für Israel und die ganze Region ohne eine starke linkszionistische Regierung in Israel trübe aus. Es wird weiter männliche Stärke, Gewalt und Brutalität geben und die jüdische und zionistische Ethik „des Anderen“ von Emmanuel Levinas, dem großen Zionisten, wird weiter im Geröllstaub von Gaza nicht zu sehen sein.

Der Haaretz-Text auf den Michael Sfar sich bezieht, betont die rechtsextreme Ideologie hinter der Zerstörung von Gaza:

In rechten Kreisen macht ein neuer Begriff die Runde: „Zarbiving“ Gaza, benannt nach Rabbi Avraham Zarbiv, einem Richter am Rabbinatsgericht in Tel Aviv und in der städtischen Siedlung Ariel sowie einem Reservisten in der technischen Einheit der Givati-Infanteriebrigade. Zarbiv hat mehrmals in Interviews auf dem Bibi-istischen Kanal 14 mit der Zerstörung geprahlt, die er und seine Kameraden mit den D9-Bulldozern in Gaza anrichten. „Wir haben begonnen, fünf-, sechs- und siebenstöckige Gebäude abzureißen. Das System wird immer besser, und es funktioniert.“

Viele „Pro-Palästinenser“, die gar nicht Pro-Palästina sind meistens, sondern primär den Judenmord und die Auslöschung des einzigen Judenstaates meinen, können solche Berichte wie in Haaretz auch zitieren – das darf aber niemals ein Grund sein, sie nicht zu zitieren, weil davon die jüdisch-zionistische Ethik wie im Sinne von Emmanuel Levinas abhängt.

Es geht um eine gemeinsame Zukunft und gegen den Hass, wie ihn einige in Israel jetzt schüren oder gar Schadenfreude empfinden, als eine iranische Rakete ein israelisch-arabisches Haus traf und vier Menschen tötete. Entgegen den Hetzern muss es um Koexistenz, gegenseitigen Respekt und Frieden gehen – das alles betont heute in einem kurzen Video der Knessetabgeordnete Rabbi Gilad Kariv und teilte das mit seiner WhatsApp-Gruppe. Kariv ist Mitglied der im Juli 2024 gegründeten Partei „Die Demokraten“.

Wir brauchen exakt solche Stimmen in und aus Israel.

Denn solange „Free Free Palestine“ heißt: Tod den Juden, ist kein Frieden möglich.

Sobald die Parole heißt „Palästina neben Israel in Frieden“ wird es endlich klappen.

Doch solange „Am Israel Chai“ heißt, das Leiden in Gaza oder dem Westjordanland oder die rechtsextreme Innenpolitik zu ignorieren oder zu feiern, ist auch das nicht immer ein zielführender Slogan.

So komplex ist die Welt – zu kompliziert für beide Seiten, fast immer.

 

P.S.:

Wenige Stunden nach meinem Text kommt jetzt ein Kommentar der Soziologin Eva Illouz in der ZEIT, der ziemlich exakt meine Position untermauert:

„Macht es euch nicht zu einfach. Anmerkungen zur großen Frage, wie man den israelischen Angriff auf den Iran beurteilen soll“.

P.P.S.:

Und noch ein Text aus der ZEIT von heute, ein Inteview mit dem Historiker Moshe Zimmermann, der aktuell in Berlin ist:

„Es wird nur besser werden, wenn sich Israel auf Verständigung mit der Umwelt einstellt und gleichzeitig auch die arabische Welt sich mit der Idee versöhnt, dass auch eine jüdische Minderheit in der Region leben und einen Staat haben kann.“

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén

Cookie Consent mit Real Cookie Banner