The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Verena Brunschweiger

„Kinderfreie Katzenfrauen“ werden Kamala Harris wählen – und warum die angelsächsische Presse viel fortschrittlicher ist als die deutsche

Von Dr. phil. Clemens Heni

Der reaktionäre Politiker und Vizepräsidentschaftskandidat des Sexisten Donald Trump, JD Vance, hat 2021 in einem Fernsehinterview mit dem US-Sender Fox News gesagt, dass die USA von einem „Haufen kinderloser Katzenfrauen“ regiert und beherrscht werde. Wörtlich sagte er:

„We are effectively run in the country, via the Democrats, via our corporate oligarchs, by a bunch of childless cat ladies who are miserable at their own lives and the choices that they’ve made, and so they want to make the rest of the country miserable, too“.

Die rechtsextreme Sprache fällt schon in der Begrifflichkeit „corporate oligarchs“ auf und steigert sich dann in der narzisstischen Selbstliebe eines daddiots, der meint, dass Frauen ohne Kinder unglücklich seien und ihr Unglück mit Hilfe der Politik auf den Rest des Landes übertragen wollten. So hört sich ja auch die Politik aus Italien von Meloni und von vielen anderen Rechten an. Es ist an Peinlichkeit zudem schwer zu überbieten, dass die EU nicht nur von einer politisch desolaten Frau repräsentiert wird, sondern auch von einer, die sieben Kinder hat.

Nur Zynikerinnen pflanzen sich in einer Welt voller Kriege, islamistischer Gewalt, Antisemitismus, Klimawandel, Rechtsextremismus und reaktionärer Familienideologie fort. Und dabei haben wir das philosophische Problem des Existentialismus und des Natalismus noch gar nicht angesprochen.

Während in Deutschland, dem traditionellen Land des „Mutterkreuzes“ seit 1938, natürlich gleich ein „Faktencheck“ gemacht wird, ob das auch stimmt mit den kinderfreien Frauen bei den Demokraten (Ausgburger Allgemeine) – wobei die gesamte Presse das Adjektiv „kinderlos“ verwendet statt „kinderfrei“ und schon sprachlich der sehr großen Gruppe selbstbstimmt kinderfrei lebender Frauen keine Stimme gibt – oder in der Boulevard-Presse (Gala) betont wird, dass Kamala Harris, der die Attacke von Vance 2021 unter anderem galt, doch immerhin „Stiefmutter“ sei, und schließlich das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die Reaktion der Hollywood-Schauspielerin Jennifer Aniston – die  bekanntlich 2021 eine fanatische Anhängerin der irrationalen, undemokratischen und unwissenschaftlichen Corona-Politik wie der Covid-Gentherapie war und ernsthaft glaubte, wie auch der Mainstream in Deutschland von Spahn über Lauterbach bis Merkel und Steinmeier, dass „Geimpfte“ das Virus (SARS-CoV-2) nicht übertragen könnten und daher einige Freund*innen entfreundete und Hetze gegen Ungeimpfte machte –  in den Mittelpunkt rückt und schreibt:

Aniston, die keine Kinder hat und zuletzt immer wieder über ihre unfreiwillige Kinderlosigkeit gesprochen hatte, kommentierte auf Instagram unter dem Video: „Mr. Vance, ich bete, dass Ihre Tochter das Glück hat, eines Tages eigene Kinder bekommen zu können. Ich hoffe, dass sie sich nicht einer künstlichen Befruchtung als zweite Option unterziehen muss. Denn Sie versuchen, ihr auch diese zu nehmen“

, geht es in England viel feministischer und gesellschaftskritischer zu. In der Tageszeitung The Guardian erschien am 20. Juli 2024 ein Text von Arwa Mahdawi, in dem die Autorin Vance luzide angreift und betont, dass es doch schön sei, dass es immer mehr kinderfreie Frauen gebe und dass wissenschaftlich betrachtet kinderfreie Frauen oft glücklicher und gesünder seien.

Mahdawi betont, dass in den USA nur etwas mehr als ein Viertel der Abgeordneten im Kongress Frauen sind, dass es mehr Männer mit den Namen „John“ gibt, die eine große Firma leiten, als alle Frauen zusammen in solchen Führungspositionen und dass es offenkundig bis heute seit dem 18. Jahrhundert noch keine einzige Präsidentin in den USA gegeben hat.

Doch Mahdawi geht vor allem auf das Thema kinderfrei ein und befast sich mit den Millionen Frauen, die selbstbestimmt auf das Mitmachen im Patriarchat via Kinderkriegen verzichten. Mahdawi schreibt im Guardian:

No, what I’m really here to say is that, rather than being the insult conservatives seem to think it is, “childless cat lady” is a state that more women actually ought to aspire to. Rather than being “miserable”, as Vance said, women who are childfree by choice are often happier and healthier than men and married women with children. This isn’t my opinion; there’s data that backs this up. Back in 2019, Paul Dolan, a professor of behavioural science at the London School of Economics, made headlines when, during a speech at Hay festival, he cited evidence that women are happier without kids or a spouse.

Hier wird entgegen der stumpfen deutschen Presse auch selbstverständlich das Adjektiv „childfree“ verwendet.

Das Thema „kinderfrei“ positiv zu besetzen ist in Deutschland durch die Autorin Verena Brunschweiger gelungen. In ihrem Buch „Kinderfreie aller Länder, vereinigt Euch!“ von 2023 schreibt sie:

Über Virginia Woolf wurden zahlreiche Bücher und Artikel geschrieben. Schon zu Studienzeiten hatte ich ein anglistisches Proseminar, dessen einziger Inhalt ihr Oeuvre war. Kein Zweifel, sie war faszinierend, sie war beliebt. Das ist durchaus eher ungewöhnlich, sie ist ja gerade kein weiblicher Oscar Wilde, obwohl sie ebenso wunderbar mit Worten umgehen konnte, bisexuell war und auf der Insel wohnte. Anders als Wilde, der eine große Anzahl Dramen schuf, war sie nicht ständig im Dunstkreis des Theaters zu finden, wo eigene Stücke aufgeführt wurden. Sie war eine Frau.

Und sie war kinderfrei.

In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie, dass sie überzeugt war, kein Paar wäre so glücklich gewesen wie sie und ihr Mann Leonard, dennoch liest man immer wieder, die beiden wären trotz ihrer Kinderlosigkeit zufrieden gewesen…

Das ist ein Paradebeispiel für den pronatalistischen Bias, der in unserer Welt so omnipräsent ist. Ich möchte da lesen: Weil sie kinderfrei waren, war ihr Glück ungetrübt. Gut, das ist einfach das „andere Extrem“, könnte man meinen. Es ist aber allein schon mal eine kritische Stimme, die den Mainstream anzweifelt, die sogenannte allgemeine Wahrheiten oder Tatsachen mit einem Fragezeichen versieht.

Es ist unglaublich, dass trotz gegenteiliger Expertise wie beispielsweise von Glücksforscher Professor Paul Dolan, sich im Volk immer noch hartnäckig der Fehlmeinung hält, Paare ohne Kinder wären unglücklicher. Nein. Im Gegenteil. Aber da die kinderbesitzende Mehrheitsgesellschaft das nicht anerkennen will, wird gelogen und gebogen, was das Zeug hält. Denen muss doch einfach was fehlen, das kann doch gar nicht sein, dass die glücklicher sind als wir, hört man förmlich die Gedankenblasen dauerempörter Eltern.

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren frauenmörderische Hexenjagden oft mit dem Bild einer Katze verbunden, da Katzen so gut klettern können und zum Beispiel über Dächer in Häuser einsteigen würden, um den bösen Willen einer Hexe umzusetzen.

Das Magazin Forbes schreibt daher zu Vances Agitation:

Malleus Maleficarum, a book published in 1486 by German Catholic clergyman Heinrich Kramer, includes the story of witches who transformed themselves into cats to attack people, notes Jan Machielsen, a historian of early modern religion at the U.K.’s Cardiff University whose next book examines one of Europe’s most notorious witch hunts.

“Cats were also killed in public spectacles for entertainment,” he added in an interview.

Forbes betont ebenso, dass viele Frauen stolz sind, kinderfrei zu leben und deshalb Kamala Harris wählen werden, wie eine Facebook-Gruppe es offen kundtut.

Laut dem Sender MSNBC aus den USA ist jede sechste Frau im Alter von 40 ohne Kinder, 50 Prozent der Frauen sind geschieden oder leben alleine. Bei der US-Präsidentenwahl 2020 wählten 63 Prozent unverheirateter Frauen Joe Biden, wobei hier jene verheirateten kinderfreien Frauen noch gar nicht mitgezählt sind. Auch MSNBC betont, dass Frauen ohne Kinder oder ohne Partner zu den glücklichsten Gruppen der Gesellschaft zählen.

Und rein immanent kapitalistisch gedacht, sind kinderfreie Frauen wie die S.I.N.K. (single income no kids) Teil der wirtschaftlichen Elite, die zu ignorieren nur ziemliche Volltrottel sich anmaßen:

And contrary to Vance’s argument that these women having “no stake in America,” single women in the U.S. are contributing in a big way. Lauren Napier, founder of the SP1NSTER — a lifestyle brand that harnesses the collective spending power of single women — said “child-free women have money and time. There are trillions of dollars circulating the U.S. economy completely powered by single women. There’s even is a movement called “S.I.N.K.”, single income no kids.”

Die Juristin (Solicitor) Louis Vance aus Belfast wiederum erzählte schon 2017, dass sie bereits als Kind nicht mit Puppen Mama spielte und als Teenagerin im Alter von 16 auch so gar kein Interesse hatte, später einmal Kinder zu bekommen:

I ‚ve never felt the biological clock ticking and I never expected it to, either. Even when I was a little girl I didn’t play at being mummy with my dolls – I wasn’t interested.

Motherhood wasn’t something I thought much about, but when I was about 16, I realised that everyone else did.

All my school friends were discussing the names of their future children, yet that wasn’t something I had even considered.

Insofern: Mit Louis Vance gegen JD Vance, für die Freiheit, den Feminismus und gegen patriarchale Zumutungen und Erwartungen.

Verena Brunschweiger, Clemens Heni: Blinde Flecken bei Fridays for Future (FFF), Eschatologie und meditativer Antizionismus bei Extinction Rebellion (XR)

Die zeitweilige Blockade großer Straßenkreuzungen durch „Extinction Rebellion (XR)“, die entgegen jeder linken Theorie und Praxis mit der Polizei kooperieren und es darauf abzielen, kurzzeitig festgenommen zu werden, zeigt: die Klimakatastrophe ist auf den Straßen angekommen. Viele wollen lieber meditieren, verkleiden sich geradezu eschatologisch, als ob nur sie das Ende der Zeit kommen sehen können und wüssten, wie es abzuwenden sei. XR wirkt wie eine religiöse Erweckungsbewegung – dabei muss es um eine Kritik des industriekapitalistischen Naturzerstörungssystems gehen, ohne die Fehler der frühen Grünen zu begehen, die mit alten und neuen Nazis kooperierten. Zudem muss jede soziale Bewegung hier und heute sich der Neuen Rechten entgegenstellen, wer das nicht tut, hat die Zeichen der Zeit, vom Brexit über Trump und Bolsonaro hin zur AfD und anderen identitären Nazis nicht erkannt. Für eine linke Ökologiediskussion gehörte das immer zusammen, Antifa und Anti-AKW etc., aber heute scheint das bei vielen vergessen.

Die verglichen mit XR größere, aber viel dezentraler organisierte soziale Schüler*innen-Bewegung Fridays for Future (FFF) um Greta Thunberg und Millionen von Aktivist*innen haben am Klimastreiktag, Freitag, den 20. September 2019, in einer einzigartigen Aktion weltweit ihre Wut hinausgeschrien. Die Nazis, Klimawandelleugner*innen von AfD bis zu Trump oder Bolsonaro drehen durch und wissen, dass sie es nie schaffen werden, weltweit Millionen von Menschen zu motivieren, für die gleiche Sache einzutreten: alle Menschen sind gleich und alle Menschen sollten sich solidarisch verhalten, denn wir alle sind Teil des Planeten Erde.

Seit Anfang der 1970er Jahre ist das Thema Ökologie auf der Agenda, jedenfalls theoretisch. Bis heute hat sich die Situation des von Menschen gemachten Klimawandels jedoch massiv verschärft. Der Klimabeschluss der Großen Koalition vom 20.9. ist ein Zeichen, wie zynisch die Mächtigen mit der Situation umgehen, Kern ist und bleibt: Es darf sich nichts Grundsätzliches ändern. Doch Fridays for Future tragen unbewusst zu dieser Affirmation des Bestehenden bei, und das zweifach: erstens bezüglich des Natalismus und zweitens angesichts der Euphorie ob der ach-so-ökologischen neuen Klasse von Kapitalist*innen, die „nachhaltig“ produzierten – und das vorgeblich ganz selbstlos.

Neben den streikenden Schüler*innen war am Klimastreiktag das Demonstrieren von Schwangeren und Eltern mit Babies, Kleinkindern, Kindern und Großeltern mit Enkelkindern etc. auffallend. „Parents for Future“ kommen sich obercool vor und merken gar nicht, dass sie selbst Teil des Problems sind. Viele haben ihr Leben lang bei Mercedes, Audi, VW, Porsche, Bosch, RWE, der Verpackungsindustrie, Lidl, Aldi, REWE, in der Landwirtschaft, als Flugbegleiter*in oder einem x-beliebigen anderen Bereich gearbeitet und zur Klimakatastrophe mit beigetragen und kriegen dann im Alter die Vollkrise. Doch was bringen Krokodilstränen außer einem etwas besseren Gewissen?

Internationale Debatten über einen Gebärstreik, wie wir sie aus den USA oder Kanada und anderen Ländern kennen, wurden selbst in der von FFF gemachten Ausgabe der FR vom 20.9. einfach ignoriert. Dabei ist die Sängerin Miley Cyrus weltbekannt und möchte auch aus ökologischen Gründen keine Kinder zeugen.

Dann fehlt außerdem sehr häufig eine klare und analytisch fundierte Kapitalismuskritik. Es geht schnell gegen „Banken“, was aber noch keine luzide Kapitalkritik ersetzt und in den letzten Jahrzehnten und historisch viel zu häufig in eine auch strukturell antisemitische, verkürzte Kapitalismuskritik abrutschen kann. Wenn zudem Vandana Shiva ein Vorwort zu dem extinction rebellion Handbuch „Wann, wenn nicht wir“ (September 2019) schreibt und vor wenigen Jahren mit dem BDS-Aktivisten Roger Waters in einer Jury gegen Israel aktiv war, werden wir skeptisch.

Es muss um den Naturschutz gehen sowie um die Zukunft der heutigen Jugend und aller heute lebenden Menschen und nicht um das Weiterwursteln und Befolgen des patriarchal-natalistischen Imperativs. Wir dachten, dass sich durch den Bestseller von Verena Brunschweiger („Kinderfrei statt kinderlos“) von März 2019, der in fast allen Zeitungen, im Radio und Fernsehen diskutiert wurde, etwas geändert hat, wenigstens bei den „Linken“. Pustekuchen.

Buhu! Das reicht uns nicht. Ein ökofeministischer Sozialismus möchte das patriarchale Dogma der Reproduktion als ein absolut zentrales Element unserer Welt in Frage stellen. Wir haben es satt, wenn bei dem Thema „Frauen“ von der Politik wie den NGOs oder der Zivilgesellschaft immer nur die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ in den Fokus genommen wird, aber niemals Frauen, die aus freien Stücken keine Kinder kriegen wollen.

Es gibt mittlerweile alles Undenkbare, „Metal for Future“, „Unternehmer4F“, „Omis for Future“, „Ungeborene for Future“ und so weiter, was es nicht gibt, grade in Deutschland: „Kinderfreie for Future“, oder „antikapitalistische Radikalfeminist*innen for Future“.

 

Dr. Verena Brunschweiger ist Germanistin, Publizistin und hat als Gymnasiallehrerin derzeit ein Sabbatical.

Dr. Clemens Heni ist Politikwissenschaftler, Publizist und Verleger.

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