The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Palästina

Kritik aus Israel und USA: Zionisten dürfen zu den Verbrechen Israels in Gaza nicht schweigen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Nehmen wir typische Aktivist*innen, die gegen Antisemitismus sind und sich für Israel einsetzen. Sie sind im privaten Gespräch klar gegen die Politik von Benjamin Netanyahu, finden es aber höchst suspekt, ja im Zweifelsfall antizionistisch oder zumindest den Antisemitismus befördernd, wenn das jemand öffentlich sagt.

Von daher ist – wie immer – der unabhängige Diskurs in Israel, aber auch und zumal in der Diaspora wie in den USA viel schärfer, politischer, öffentlicher und relevanter. Während die bekannten NGOs in USA ähnlich angepasst agieren wie in Deutschland, gibt es in USA und natürlich immer noch in Israel eine sehr vielfältige und kritische Publizistik.

So schreibt der Zionist, Publizist und Rabbiner Dr. Donniel Hartmann im Herbst 2021:

Bis vor kurzem waren die „unentschlossenen Unentschlossenen“ relativ marginal. Die eigentliche Sorge in der amerikanischen zionistischen Community bestand bis vor einigen Jahren darin, dem Wachstum der „unbesorgten Unentschlossenen“ entgegenzuwirken – jener Menschen, die sich einfach entfremdet hatten und kein Interesse mehr an Israel zeigten.

Die neue Angst ist jedoch die Abwanderung der „besorgten Engagierten“ in das wachsende Lager der „besorgten Unentschlossenen“. Die Ereignisse in Sheikh Jarrah und die jüngste Gaza-Kampagne waren ein Wendepunkt: Die „unentschlossenen Unentschlossenen“ sind in den Mainstream des jüdischen und nordamerikanischen Lebens und Diskurses eingetreten. Jüngste Umfragen zeigen, dass fast ein Drittel der amerikanischen Juden es für legitim hält, Israels Politik mit Apartheid in Verbindung zu bringen. (Alle englischen Zitate in diesem Text sind von mir übersetzt, CH)

Hartmann machte 1971 Alijah – und merkte schon damals als Teenager, dass Israel als Besatzungsmacht dem Zionismus enorm schadet. Das wurde seither nur noch schlimmer. Dabei weiß er natürlich, dass die Palästinenser keine Chance ausließen, eine Zweistaatenlösung anzunehmen – aber das entbindet Israel nicht von seinen eigenen Fehlern und der Siedlungspolitik und dem Rassismus.

Auf diesen Text weist der Kolumnist des Jewish Forward und Professor an der Brown University Dany Bahar am 29. Juli 2025 hin und resümiert:

Ein Israel, das bei der Mehrheit der Juden in der Diaspora kein Vertrauen und keine Verbundenheit mehr weckt, ist vielleicht nicht unmittelbar einer militärischen Bedrohung ausgesetzt. Aber es läuft Gefahr, seine Daseinsberechtigung zu verlieren: ein Staat, der nicht nur auf Souveränität, sondern auch auf einem gemeinsamen Schicksal gründet.

Wenn der israelische Außenminister Sa’ar jetzt sagt, es habe „noch nie einen Staat Palästina gegeben“ und Juden hätten das Recht in Judäa und Samaria zu siedeln, dann ist das rechtsextreme Propaganda. Es gibt die UN-Resolution 181 vom 29. November 1947, darin heißt es:

Unabhängige arabische und jüdische Staaten und das in Teil III dieses Plans festgelegte besondere internationale Regime für die Stadt Jerusalem sollen zwei Monate nach dem Abzug der Streitkräfte der Mandatsmacht in Palästina entstehen. (Herv. CH)

Der Zionist und Schriftsteller David Grossmann hat sich im Sommer 2023 für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel ausgesprochen (David Grossmann (2024): Frieden ist die einzige Option. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer und Helene Seidler, München: Hanser, S. 27-39).

Er war nach dem Massaker der Hamas und der Palästinenser vom 7. Oktober 2023 fassungslos und fragte:

Ich spreche von der Tiefe des Israelhasses, von der schmerzhaften Einsicht, dass wir Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und in ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen. Ununterbrochen bemüht, Athen und Sparta gleichzeitig zu sein. Immerzu fragend, ob uns jemals ein normales, von Angst und äußerer Bedrohung freies Leben vergönnt sein wird. Ein dauerhaft geborgenes Dasein. In einem behüteten Heim.

(Ebd., S. 47)

Der Staat Israel ist weltpolitisch im August 2025 so isoliert wie vielleicht noch nie in seiner Geschichte seit 1948. Das liegt an der rechtsextremen Politik der Regierung von Benjamin Netanyahu.

Ja, es gibt unglaublich viele Antisemit*innen, die am 7. Oktober jubelten und schon im Oktober 2023 „Genozid“ geschrien haben – und damit nicht das in der Tat genozidale Massaker der Hamas meinten, sondern Israel, noch bevor sich der Judenstaat zu wehren begann. Das sind jene, die am 7. Oktober stolz mit ihren Blut beschmierten Palästinensertüchern durch Heidelberg, Frankfurt, Duisburg, Berlin-Neukölln oder Berlin-Kreuzberg, Mannheim oder Heilbronn liefen. Das ist ein gefährliches und zu Gewalt bereites Antisemitenpack, schlichtweg.

Aber das darf Zionist*innen nicht abhalten, weiter kritisch und selber zu denken. Sie sollten endlich aufhören, nachzubeten, was die rechtsextreme israelische Regierung oder deren deutsche Sprachrohre sagen.

Man kann viel sinnvolle und zionistische Kritik an Israel im Jewish Forward, der Haaretz, in der Times of Israel und anderen Medien finden und man sollte vor allem immer eines tun: selber denken.

Wissenschaft ist immer noch das höchste Gut, das wir haben – und nicht Aktivismus, so wichtig der hie und da auch ist.

Der Herausgeber der Times of Israel David Horovitz schreibt am 30. Juli 2025:

Wird der Premierminister verspätet die am wenigsten schlechte der miserablen Optionen zur Beendigung des Krieges wählen – ein Abkommen, um alle möglichen Geiseln zurückzuholen, und die Bereitschaft, einen von den USA geführten internationalen und regionalen Mechanismus zum Aufbau eines nicht mehr gefährlichen Gazastreifens zu schaffen – zum Preis einer streng überwachten Rolle für die zutiefst problematische PA, aber ohne Rolle für eine entwaffnete, abgelöste Hamas? Ein solcher Schritt würde auch den globalen diplomatischen und potenziellen wirtschaftlichen Druck für eine palästinensische Staatlichkeit verringern, die die Hamas belohnen und Israel erneut bedrohen würde.

Oder ist er, der bereits Israels Justiz und demokratischen Charakter attackiert, entschlossen, eine unhaltbare, langfristig nicht tragbare Besetzung des Gazastreifens zu initiieren, die Israels Isolation vertiefen und es zu einem erweiterten Staat mit schwindendem jüdischen Anteil machen würde – was das vollständige Scheitern der jüdisch-demokratischen zionistischen Vision bedeuten würde?

Gleichzeitig verurteilen im Juli 2025 auf einer Konferenz in New York City, die von Frankreich und Saudi-Arabien initiiert wurde, arabische Staaten wie Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und andere den Terror der Hamas vom 7. Oktober, fordern ein Ende der Hamas – und Übergabe der Waffen etc. an die Palästinensische Autonomiebehörde – und erkennen den jüdischen Staat Israel an und fordern eine Zweistaatenlösung. Gerade jetzt!

Das ist eine ungeheuerliche Ungleichzeitigkeit – Israel begeht die wohl schlimmsten Verbrechen in seiner Geschichte – als völlig aus dem Ruder gelaufene Reaktion auf das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah durch Palästinenser, die Hamas und dem Islamischen Dschihad am 7. Oktober 2023 – und die arabischen Staaten erkennen den einzigen Judenstaat endlich an und fordern: Frieden. Zwei Völker, zwei Staaten.

Update, 4. August 2025:

Der Fellow bei der Foundation for the Defense of Democracies Hussain Abdul-Hussain schreibt in einem Blog-Text für die Times of Israel, dass diese Initiative allerdings auf der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 basiert, die ein „Rückkehrrecht“ für palästinensische und jüdische Flüchtlinge vorsieht. Es ist natürlich eine absurde Resolution, da sie den jüdischen Charakter Israels in Frage stellt, damals wie heute. Wobei die damals ca. 700.000 vertriebenen und auch aus eigenen Stücken gegangenen Araber sich heute auf ca. 5,9 Millionen vermehrt haben. Das Absurde ist, dass sich dieser Flüchtlingsstatus vererbt, was natürlich völkerrechtlich höchst zweifelhaft ist – da nahe alle heute lebenden Palästinenser nach 1948 geboren wurden und gar nicht vertrieben wurden. Wie Hussain Abdul-Hussain festhält, haben 5 Millionen der heute 5,9 Mio. behaupteten palästinensischen „Flüchtlinge“ eine andere Staatsangehörigkeit, z.B. deutsch, niederländisch, amerikanisch. Die Einfügung dieses Passus in das 30-seitige Dokument ist insofern für Israel nicht tragbar:

14. We urged rnernber States, the United Nations, its agencies, international organizations to provide resources and assistance at scale to support recovery and reconstruction, including through a dedicated reconstruction international Trust Fund to that airn. We underlined the indispensable role of UNR W A, and expressed our cornrnitrnent to continue supporting, including through the appropriate funding, the agency in the irnplernentation of its rnandate and welcorned its cornrnitrnent and ongoing efforts to irnplernent the recornrnendations of the Colonna report. Upon the achievernent of a just solution to the Palestinian refugee issue to be agreed upon in accordance with U.N. General Assernbly Resolution 194, UNRWA will hand over its public-like services in the Palestinian territory to ernpowered and prepared Palestinian institutions.

Von daher ist es auch so wichtig, von Israel als jüdischer Staat zu sprechen – genau genommen jüdisch und demokratisch, was in der Tat in Frage steht aufgrund der rechtsextremen Politik von Netanyahu seit vielen Jahren – und nicht nur von Israel. Denn Palästinenser würden gegebenenfalls ein Israel, das kein jüdischer, sondern ein binationaler Staat mit einer potenziell arabischen Mehrheit wäre, auch leichter anerkennen.

Dass eine Anerkennung eines Staates Palästina am Ende des Friedenssprozesses stehen sollte, war lange Jahre Konsens. Jetzt erodiert das – Frankreich wird Palästina anerkennen, vermutlich auch UK und Kanada, was die FAZ auf die Palme bringt.

Doch was, wenn gerade die arabischen Staaten die Hamas ausschalten wollen, diplomatisch?

Man hätte doch, wenn der Judenhass so groß ist in der arabischen Welt, erwarten müssen, dass die arabischen Staaten sich jetzt so stark gegen Israel wenden wie selten zuvor.

Aber was tun sie? Sie bieten Frieden an – WENN, ja nur wenn Israel eine Zweistaatenlösung akzeptiert – was wie gesagt mit der UN-Resolution 194, die Israel zwar taktisch unterschrieben hat, aber nicht umsetzen wird und kann, niemals gehen wird. Es gibt kein Rückkehrrecht für Palästinenser, die überhaupt nicht vertrieben wurden und selbst jene, die vertrieben wurden, haben kein solches Recht – denn dann hätten völkerrechtlich gesehen auch über 12 Millionen Deutsche direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ein Rückkehrrecht nach Pommern, Schlesien etc. bekommen müssen, was sie natürlich nicht bekamen. Sie haben einen Krieg verloren – so wie die Araber 1948 den Krieg gegen Israel verloren haben.

Das heißt: Ende der Siedlungen im Westjordanland und jene, die dort sind, können Teil eines Staates Palästina werden, womit auch die Palästinenser lernen könnten – wie die Juden in Israel -, was es heißt, mit einer ca. 20-prozentigen nationalen Minderheit im Staat zu leben. Völlig unrealistisch, in der Tat. Aber in Israel klappt es seit 1948 …..

Wenn das hier und heute nicht ein historischer Moment ist, was dann?

Schlechter als Israel kann man eine solche Mega-Krise gar nicht kommunizieren.

Warum lässt Israel keine Journalist*innen aus Gaza berichten? Weil niemand sehen soll, was dort passiert, ganz einfach. Würde Israel sich an das Kriegsrecht halten, müsste es keine Angst vor unabhängigem Journalismus haben. Dass es viele böswillige und antisemitische Journalist*innen gibt – klar. Aber es könnten ja auch die zionistischen und trotzdem unabhängigen Journalist*innen berichten und Fake News korrigieren etc. pp.

Doch Netanyahu wird alles tun – alles – um den Krieg weiter zu verlängern, an der Macht zu bleiben, die Besatzung im Westjordanland auszubauen und die Siedlergewalt offensiv zuzulassen und Pläne für die völlige Zerstörung Gazas zu forcieren, inklusive der Hungerpolitik gegenüber Gaza – ein Bruch mit dem Völkerrecht und dem Kriegsrecht.

In den USA schwindet der Rückhalt für Israel dramatisch.

Der bekannte, junge, zionistische Journalist und Senator Jon Ossoff aus dem US-Bundesstaat Georgia hat sich vor wenigen Tagen gegen bestimmte Waffenlieferungen wie Gewehre an Israel ausgesprochen („Erstmals Mehrheit von Linksliberalen im US-Senat für Blockade von Waffenlieferungen an Israel„), zugleich aber grundsätzlich betont, dass Israel Waffen braucht, um sich vor Angriffen zu schützen – aber er will keine Waffen an den Fascho Ben Gvir schicken lassen, der Oberster Polizeichef in Israel ist.

Wenn jetzt Deutschland und Jordanien Hilfsgüter über Gaza mit Flugzeugen und Hubschraubern via Fallschirmen abwerfen – ist das ein Katastrophe für Israel. Zwar sind die geringen Mengen an Nahrung oder Medizin, die auf diese Weise in den Gazastreifen gelangen, wirklich nur symbolisch – aber noch symbolischer ist es, dass eine Demokratie, die Israel ja auf dem Papier ist, eine ganze Bevölkerung aushungert und andere Länder mit solchen Maßnahmen helfen müssen, was gerade von engen Freunden wie Deutschland bemerkenswert ist.

Das brachte die bekannte Fernsehmoderatorin Yonit Levi von Channel 12 dazu, von einem „moralischen Versagen“ Israels zu sprechen  – live im TV – und nicht nur von einem „Versagen der PR-Kampagne“. Dafür wird sie von rechten Medien und Hetzern aller Art unter anderem als „Sprecherin der Hamas“ diffamiert, wie die Haaretz berichtet. Yonit Levi betreibt auch den Podcast Unholy mit dem Guardian-Kolumnisten Jonathan Freedland, der meist die liberal-zionistische Position vertritt, während sie immer eher mainstreamiger und angepasster redet und wirkt. Das hat sich jetzt etwas geändert, wie auch die Haaretz festhält.

Der Professor für Jüdische Studien an der University of California Los Angeles David N. Myers, der auch viel zu Zionismus und zu Antisemitismus forscht, schreibt am 31. Juli 2025 – und das, was er meint, kann man sicher auch säkular übersetzen und man kann Solidarität mit den Palästinensern haben ohne gleich einen „Gottesdienst“ mitzumachen, das ist eh klar:

Tisha B’Av [dieser jüdische Feiertag beginnt am heutigen Samstagabend, CH] erinnert in der Regel an eine Reihe von Katastrophen, die das jüdische Volk heimgesucht haben, beginnend mit der Zerstörung des Ersten und Zweiten Tempels in der Antike. Letztes Jahr wurde an Tisha B’Av das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in die lange Kette jüdischen Leidens aufgenommen, und es wurden neue Kinot, poetische Klagelieder, verfasst, um den unerträglichen Schmerz dieses Tages zum Ausdruck zu bringen.

Aber dieses Jahr ist es anders. Die Juden sind nicht die Opfer. Wir sind die Täter.

(…)

Zunächst müssen wir die palästinensischen Opfer dieser schrecklichen Gewalt beim Namen nennen, sie menschlich machen und bei jeder Gelegenheit laut für ihr Wohlergehen beten, genauso wie wir für die Rückkehr der israelischen Geiseln beten, die noch immer in Gaza festgehalten werden.

Zweitens müssen wir neue liturgische Formen in unsere Gottesdienste integrieren, die nicht nur die verzweifelte Lage der Palästinenser in Gaza zum Ausdruck bringen, sondern auch ihre grundlegende Menschlichkeit. Dabei sollten wir der Bitte eines der bedeutendsten Dichter aus Gaza, Refaat Alareer, Folge leisten, der prophetisch schrieb, bevor er bei einem israelischen Luftangriff ums Leben kam: „Wenn ich sterben muss, lebe du, um meine Geschichte zu erzählen.“

Dany Bahar läutet die Alarmglocke – doch wer wird sie hören? Die schweigenden ach-so-dermaßen-unbedingt-pro-israelischen Aktivist*innen und Publizist*innen hierzulande? In USA sind sie da hellhöriger und kritischer:

Für viele von uns haben die Argumente, mit denen wir Israel lange Zeit erklärt, verteidigt und uns mit ihm solidarisiert haben, angesichts der glaubwürdigen Berichte über die aktuellen Ereignisse vor Ort keine Gültigkeit mehr.

Israel sollte alarmiert sein, wenn die schweigende Mehrheit der Juden in der Diaspora – viele von ihnen „besorgte, engagierte Zionisten“ –, die ihm mit Liebe und Kampfgeist zur Seite gestanden haben, beginnt, sich abzuwenden. Und es gibt immer mehr Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist.

Es ist antisemitisch, Israel das Existenzrecht abzusprechen. Das tut die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“. Man sieht das auch auf T-Shirts oder Postern antizionistisch-antisemitischer Gruppen und Aktivist*innen, da die Landkarte dort nur ein Land kennt: Palästina, womit Gaza, die Westbank und Israel gemeint sind. Jetzt hat ein Richter des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin eine Aktivistin freigesprochen, die diesen Vernichtungsslogan gegen den einzigen Judenstaat hinausschrie und sich auch dazu bekennt. Der Richter hat „Hochachtung“ vor dem Engagement der Täterin, die Staatsanwaltschaft ist konsterniert und legt erstmal ein „unbestimmes Rechtsmittel“ gegen den Freispruch ein.

Das macht natürlich in der Pro-Israel Szene seine Runde, zu Recht. Aber dafür schweigen die meisten dieser Aktivist*innen zur rechtsextremen und Hungerpolitik von Netanyahu, der israelischen Regierung wie der israelischen Armee IDF.

Daher eine weitere jüdisch-zionistische Stimme aus dem Forward, der Kolumnist Sruli Fruchter schreibt am 25. Juli 2025:

Rabbi Abraham Isaac Kook, der geistige Großvater des religiösen Zionismus, verurteilte Nationalismus oft als eine Form von unmoralischem Chauvinismus, der zwangsläufig in Brutalität enden würde. Was den jüdischen Nationalismus seiner Meinung nach von anderen unterschied, war, wie Rabbi Yoel Ben-Nun einmal schrieb, sein Engagement für die Menschheit „als Paradigma für Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit und Gesetz für alle Völker“.

Man braucht nur einen Blick auf die Fotos und Videos aus Gaza zu werfen, um das dortige Grauen zu sehen – ausgemergelte Kinder, hungernde Mütter, zerstörte Hoffnung – und zu erkennen, wie sehr Israel versagt. Der größte Verrat besteht darin, diese Hungersnot weitergehen zu lassen, anstatt zuzugeben, dass sie stattfindet.

Für unabsehbar lange Zeit werden Bilder von Hungernden jetzt mit Israel assoziiert. Ein unfassbarer Vorgang, an dem Israel Schuld trägt und niemand sonst – es ist die Besatzungsmacht und könnte unendlich viele LKWs in den Gazastreifen lassen, damit die Hamas gar nicht hinterherkäme, die zu plündern und der Preis auf dem Schwarzmarkt würde ins Bodenlose fallen. Doch das will Israel absichtlich nicht. Sie wollen Hunger verbreiten. Und das muss aufhören – der Schaden ist ohnehin auf Jahre und Jahrzehnte angerichtet. Hungernde Kinder und Israel ist Schuld – das bleibt in Milliarden Köpfen jetzt hängen. Gerade auch nicht-antisemitische Menschen können einen solchen Staat nicht mehr bedingungslos unterstützen, das sagen alle hier zitierten Autorinnen und Autoren.

Denn schließlich sagt der berühmteste von ihnen, der oben zitierte, zionistische, preisgekrönte und in über einem Dutzend Sprachen übersetzte israelische Schriftsteller David Grossmann am 1. August 2025 Folgendes:

Der preisgekrönte israelische Autor David Grossman bezeichnete am Freitag erstmals die Militäraktion seines Landes im Gazastreifen als „Völkermord“ und erklärte in einem Gespräch mit der italienischen Tageszeitung La Repubblica, dass er diesen Begriff mit „großem Schmerz und gebrochenem Herzen“ verwende.

Seine Äußerungen erfolgten vor dem Hintergrund wachsender weltweiter Besorgnis und Empörung über die weit verbreitete Hungersnot in dem vom Krieg zerrütteten Gebiet aufgrund unzureichender Lebensmittelversorgung.

„Viele Jahre lang habe ich mich geweigert, den Begriff ‚Völkermord‘ zu verwenden“, sagte der bekannte Schriftsteller und Friedensaktivist der Zeitung. „Aber jetzt, nachdem ich die Bilder gesehen und mit Menschen gesprochen habe, die dort waren, kann ich nicht anders, als ihn zu verwenden.“

Sicher wird der Großteil der deutschen Oberlehrer*innen, die in der Pro-Israel Szene aktiv sind, David Grossmann als Israelfeind, Antizionist oder Antisemit diffamieren. Weil eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, niemand so gut weiß, was für Juden wirklich gut ist, als (nicht-jüdische) Deutsche aus der Pro-Israel Szene.

Sapere aude.

„Stoppt den Krieg in Gaza“ (Haaretz, New York Times), aber: Netanyahu isoliert Israel noch weiter – die USA distanzieren sich

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Benjamin Netanyahu ist eine große Gefahr für die Zukunft des jüdischen und demokratischen Staates Israel.

Nach dem nie dagewesenen Massaker der Hamas und der Palästinenser am 7. Oktober 2023, als über 1200 Israelis auf teils unbeschreibliche Weise gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, erschossen, lebendig verbrannt wurden und 251 Geiseln genommen wurden, von denen 59 noch im Gazastreifen sind, allerdings nur geschätzte 24 leben noch, gab es zwei Reaktionen der Weltgemeinschaft.

Einerseits tiefe Betroffenheit und Solidarität, vorneweg vom damaligen US-Präsidenten und Zionisten Joe Biden, aber auch von vielen europäischen Staaten.

Andererseits gab es umgehend an jenem Samstag, den 7. Oktober, Freudengelächter und Partystimmung, als Araber in Deutschland und weltweit Süßigkeiten verteilten und jubelten. Sie feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden, schlichtweg.

Zumal die kulturelle Elite und viele ‚Linken‘ in Deutschland haben auf ihre Weise gezeigt, dass sie kein wirkliches Problem mit Judenhass hat, indem sie großteils einfach schwiegen, wenn nicht gar mehr oder weniger offen israelfeindlich agierten und weiter agieren.

Wer hat an jenem Tag nicht auch (alte) Freund*innen verloren, deren Eiseskälte oder Schadenfreude ihren immer schon in ihnen schlummernden Judenhass zum Vorschein brachten wie nie zuvor in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Hätte Israel im Oktober 2023 und seither eine seriöse Regierung gehabt, hätte sie die große Sympathie, die ihnen angesichts des schrecklichsten Massakers an Juden seit der Shoah von der Politik, wie vor allem von den USA, entgegenkam, nutzen können. Aber Benjamin Netanyahu hat panische Angst vor dem Gefängnis, in das er bei einer Verurteilung wegen Korruption oder anderer Delikte, die Verfahren sind noch offen, kommen könnte.

Und von daher macht er da weiter, wo er 1996 angefangen hat: Israels politische Kultur nach rechts zu schieben und im Linkszionismus den größten Feind zu sehen, größer noch als die Hamas, die ja vielmehr gerade parallel zu ihm und mit seiner Hilfe, anwuchs.

Ein Baustein für die linken Antizionisten wiederum in ihrem Kampf gegen den jüdischen und demokratischen Staat ist die sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus von 2021, in der es in dem zentralen Abschnitt heißt:

„Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die eigentlich eine marginale Erscheinung von mehr oder weniger antizionistischen oder mit dem Antizionismus liebäugelnden Forscher*innen ist und sich aggressiv gegen die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wendet, ist zu einem Kernbestandteil des Kampfes gegen den einzigen Staat der Juden geworden.

Die Antisemitismusdefintion der IHRA, die von 35 Staaten, darunter fast alle euroäischen Staaten, unterzeichnet wurde, ist hingegen in ihrer Klarheit vorbildlich:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Weiter heißt es:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Die Partei Die Linke hat gestern auf ihrem Parteitag in Chemnitz entgegen der IHRA Definition von Antisemitismus jene Jerusalmer Erklärung zum Antisemitismus angenommen, da der antisemitisch-antizionistische Flügel in dieser Partei seit dem unerwarteten Wiedereinzug in den Bundestag massiv an Schlagkraft gewonnen hat.

Wer vor diesem Hintergrund fabuliert, „Kritik“ an Israel würde von der Antisemitismusdefinition der IHRA verunmöglich, lügt schlichtweg oder verbreitet die beliebten Fake News; der Tagesspiegel berichtet:

In der Aussprache warnte van Aken die Delegierten vor der Annahme dieses Antrags. Die Linke könne einen wissenschaftlichen Streit über die Definition von Antisemitismus nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden. Der Parteichef wollte so verhindern, dass der Kompromiss von Halle über den Haufen geworfen wird.

In der Gegenrede erklärte die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel-Böhlke, dass durch die Definition der IHRA jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden könne. ‚Und das akzeptieren wir nicht.‘

Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist – sagen wir die Ablehnung einer bestimmten Regierungspolitik – ist gerade nicht antisemitisch, so die IHRA, aber das kümmert solche Linken nicht, die kokettieren lieber mit der Zerstörung Israels, wie es ja die Jerusalemer Erklärung erlaubt sozusagen.

Selbst Forscher, die viele bislang als Kritiker des zumal linken Antisemitismus kannten oder einschätzten, wie Wolfgang Kraushaar, kokettieren jetzt mit der oben angedeuteten „Einstaatenlösung“, ja fordern sie geradezu ein, und das in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Jungle World vom 10. April 2025:

Anschließend führen Sie aus, dass die Zweistaatenlösung, welche bis heute die Hoffnung beflügelt, den Israel-Paläs­tina-Konflikt friedlich beilegen zu können, nicht mehr realistisch sei. Stattdessen schlagen Sie die Einstaatenlösung vor, also einen gemeinsamen Staat von Israelis und Palästinensern. Ist das nicht der utopischste aller Lösungs­ansätze?
Das ist nicht allein meine Vorstellung, eine solche hatte bereits der Religionsphilosoph Martin Buber in den 1920er Jahren ins Spiel gebracht. Im Wesentlichen basiert sie auf der Idee, eine Art von Konföderation unter einem gemeinsamen Dach zu errichten.

Die Einstaatenlösung ist kategorial antizionistisch. Und der Antizionismus ist seit 1948 die aggressivste Form des Antisemitismus, weil er sich gegen jüdisches Leben wendet. Israel ist der Staat der Juden, wer diesen Staat weg haben möchte, möchte Juden weg haben und töten, will Juden ins Meer treiben oder sonst ermorden, abschieben (nach Europa, USA etc.) oder sie zwingen, zum Islam oder Christentum zu konvertieren.

Die Einstaatenlösung wendet sich gegen jüdische Souveränität und Selbstbestimmung. Juden wären nicht mehr in der Mehrheit im eigenen Land, das kein eigenes Land mehr wäre.

Es ist ahistorisch und absurd, hier mit Martin Buber zu kommen. Denn zwischen den 1920er Jahren und heute liegt Auschwitz, liegt der arabische und islamistische Antisemitismus von Hebron 1929, der Aufstand von 1936, die Ablehnung eines palästinensischen Staaten, wie ihn die UN Resolution 181, der Teilungsplan für Palästina, am 29. November 1947 beschloss.

Und nicht zuletzt ignoriert so ein Gerede auch die Kollaboration des Mufti von Jerusalem al-Hussaini mit Hitler und den Deutschen, einem Mufti, der die antisemitische politische Kultur der Palästinenser über Jahrzehnte prägte, was wir bis heute sehen können.

Ja, es gibt moderate und weltliche, Israel akzeptierende Palästinenser*innen. Die gilt es auch mit aller Kraft zu unterstützen. Aber niemals mit einer „Einstaatenlösung“, die das Ende des Zionismus und somit Lebensgefahr für Millionen Juden bedeuten würde.

Wer sich in der Geschichte Israels etwas auskennt, weiß, dass Zionisten wie Gershom Scholem, der 1923 Alija gemacht hatte, anfänglich auch für die binationale Idee offen waren, aber nur wenige Jahre später vom kulturellen zum politischen Zionismus wechselten, weil der Judenhass der Araber schlichtweg überwältigend war.

Die bittere Ironie liegt nun darin: Sowohl die Islamisten und die Hamas, deren Fans wie auch säkulare Antisemiten / Antizionisten sind ebenso für die Einstaatenlösung wie die rechtsextreme israelische Regierung.

Die rechtsextreme Regierung Israels möchte dabei möglichst viele Palästinenser*innen vertreiben, zumal aus dem Gazastreifen, dazu das Westjordanland annektieren, aber ohne politische Rechte für die dort lebenden Millionen Palästinenser.

Es ist also unverantwortlich, gerade als Forscher und Publizist zu (linkem) Antisemitismus, die Einstaatenlösung zu propagieren.

Die rechtsextreme, ultra-nationalistische und rassistische Einstaatenlösung, die Netanyahu und seiner Koalition und einem substantiellen Teil der israelischen Bevölkerung vorschwebt, ist aber ebenso eine riesige Gefahr für den einzigen Judenstaat und für die Palästinenser.

Diese Gefahr zeigt sich jetzt von unerwarteter Seite. Donald Trump scheint sich von Israel abzuwenden. Er wird nächste Woche in den Nahen Osten fliegen und Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar besuchen – aber nicht Israel. Es ist klar, dass Trump eine Vorliebe für Monarchien, Hierarchien und Diktatoren hat. Aber viele seiner Fans – auch in Israel – dachten wohl, dass ein ultranationalistischer Netanyahu wie schon bei der ersten Amtszeit von Trump genau dessen Geschmack treffe. Pustekuchen.

Dass dies nicht so ist, betont ein Kommentar des preisgekrönten Journalisten Thomas L. Friedman in der New York Times vom 9. Mai 2025.  Friedman betont, wie fürchterlich die Hamas den Gazastreifen ins Elend gezogen hat und dass Hamas verantwortlich ist für das Massaker vom 7. Oktober. Aber Friedman betont ebenso, dass aktuell die rechtsextreme Regierung Netanyahu, vorneweg der sich selbst so bezeichnende Faschist Bezalel Smotrich, den Gazastreifen entvölkern wollen und wieder besiedeln – jüdische Siedlungen wieder bauen.

Ein besonders absurdes Argument für eine Einstaatenlösung, wie es auch Kraushaar vorbringt – ohne Kritik der Jungle World – ist die Idee, dass die jüdischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis seien für eine Zweistaatenlösung? Warum? Warum sollten nicht diesen Juden, wenn sie schon dort leben wollen – freiwillig – Teil eines Staates Palästina werden, als Minderheit so wie die Araber in Israel eine Minderheit sind und zwar sogar ungefähr in einer ähnlichen Größenordnung, ca. 20 Prozent der Bevölkerung.

Trump hatte sich, so Friedman, in seiner ersten Amtszeit für die Zweistaatenlösung ausgesprochen und Friedman, dessen Kolumne sich direkt an den US-Präsidenten richtet, möchte weiterhin eine Zweistaatenlösung mit einem entmilitarisierten palästinensischen Staatsgebiet.

Wer das nicht möchte, möchte den Untergang Israels. Entweder via Ultranationalismus, Messianismus und Siedlungspolitik in Gaza wie im Westjordanland oder via der ‚linken‘, islamistischen oder säkularen Einstaatenlösung.

Friedman beendet seinen Text mit einem Zitat aus dem Editorial der Haaretz vom 7. Mai 2025, das die palästinensischen Opfer jüngster Angriffe Israels betrauert und die Situation unerträglich findet:

We must not avert our eyes. We must wake up and cry out loudly: Stop the war.

Wir wissen, dass jene, die hierzulande mit Palästinafahnen und Kefiyah demonstrieren, nicht für Palästina, sondern gegen Juden und den jüdischen Staat Israel demonstrieren, fast alle auf diesen Demonstrationen sind für die Einstaatenlösung und für die Zerstörung Israels – ansonsten könnten sie ja mit Israel- und Palästinafahne demonstrieren, aber das gibt es hierzulande nicht (in Israel schon).

Von daher gilt es, gegen Netanyahu und gegen die Einstaatenlösung aktiv zu werden, also: den Zionismus wiederbeleben, den Linkszionismus, der gleiche Rechte für alle Menschen fordert und zwei Staaten für zwei Völker, wie es 1947 von den Vereinten Nationen und somit der Weltgemeinschaft beschlossen wurde:

Israel und Palästina, Seite an Seite.

 

 

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén

Cookie Consent mit Real Cookie Banner