The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Markus Lanz

Der Militärstratege Maxim Biller, eine Hungersnot und Waffengewalt in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Viele Deutsche und vor allem die kulturelle Elite des Landes, die sich doch sonst zu allem sofort und wortgewaltig äußern, haben am 7. Oktober 2023 geschwiegen oder gelacht – es ging ja auch nur um Juden, die massakriert wurden. Die Täter waren Palästinenser, nicht nur die Hamas und der Islamische Jihad, auch Zivilistinnen machten mit und feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden oder kochten einen Hirsebrei für die verschwitzten und blutverschmierten Söhne und Brüder – in den Häusern der massakrierten jüdischen Israelis in den Kibbutzim, zum Beispiel in Nir Oz.

Wir haben es täglich mit Antisemitismus im Alltag zu tun, seien es verschleierte muslimische Frauen, die sich ein Palästinensertuch um die Schulter legen, wenn sie in den Bus einsteigen, säkulare linksradikale Antisemiten, die mit ihren Graffiti „Free Gaza“ Tod den Juden und Israel meinen, oder aber verdruckster und erinnerungsabwehrender im deutschen Mainstream, wie die Jüdische Allgemeine am 29. Mai 2025 berichtet:

Endlich ist die Vergangenheit Geschichte oder die Geschichte Vergangenheit. Das jedenfalls erklärt Gabor Steingart, Ex-Handelsblatt-Chefredakteur und Gründer von Media Pioneer, in seinem jüngsten Kommentar im Nachrichtenmagazin »Focus«. Denn »Deutschland war Gefangener der Hitlerzeit«, so behauptet er, und mit den kritischen Worten von Bundeskanzler Friedrich Merz an Israels Kriegsführung im Gazastreifen »hat diese Haltung ein Ende«.

Das ist der Ausgangspunkt.

Es muss darum gehen, Israel zu unterstützen und den Zionismus zu verteidigen.

Israel muss als jüdischer und demokratischer Staat erhalten bleiben.

Kampf gegen Antisemitismus heißt logisch auch Kampf gegen den Antizionismus.

Daher ist es auch so eine Katastrophe, dass ein Linker und Antizionist jetzt beste Chancen hat, Bürgermeister der Stadt mit den meisten Juden weltweit zu werden – in New York City.

Worum geht es? Der Schriftsteller Maxim Biller hat in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit eine seiner Kolumnen publiziert – Morbus Israel. Warum regen sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens auf?

Darin rechtfertigt er die Strategie, dass Palästinenser*innen in Gaza Hunger leiden und nimmt achselzuckend zur Kenntnis, ja verteidigt, dass immer wieder Palästinenser von israelischen Soldaten offenbar willkürlich erschossen werden.

Maxim Biller schreibt (Die Zeit, 26. Juni 2025, Feuilleton, S. 44):

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.

Dass auch die israelischen Geiseln dann hungern – was juckt das den Superstrategen und Kolumnisten Biller? Hat er sich je mit den Angehörigen der Geiseln unterhalten, die seit über einem Jahr einen Deal fordern und panische Angst haben um ihre Liebsten, die durch die Hungersnot noch zusätzlich leiden?

Es gibt in der Tat Millionen ganz normale Deutsche, die wie ihre Großväter gegen ‚den‘ Juden kämpfen oder Israel mit den Nazis vergleichen, man schaue sich die täglichen Leserbriefe in jeder ganz normalen deutschen Tageszeitung an.

Das hat aber exakt gar nichts mit der internationalen Kritik an den vermuteten Kriegsverbrechen in Gaza oder der Siedlergewalt im Westjordanland zu tun und der religiös-extremistischen Ideologie und Praxis der israelischen Regierung.

Aktuell kritisieren zumal Zionisten in Israel ihr eigenes Land und die Kriegsführung.

Es geht um die Verteilung von Essenspaketen im Gazastreifen. Dazu schreibt die Haaretz, die links und zionistisch ist, am 27. Juni 2025 (alle englischen Zitate in diesem Text habe ich ins Deutsche übersetzt):

„Es ist ein Schlachtfeld“, sagte ein Soldat. „Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und fünf Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Macht behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfes Feuer mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum geöffnet wird, hören die Schüsse auf, und sie wissen, dass sie sich nähern können. Unsere Art der Kommunikation ist das Gewehrfeuer“.

Der Soldat fügte hinzu: „Wir eröffnen frühmorgens das Feuer, wenn jemand versucht, sich aus einigen hundert Metern Entfernung zu nähern, und manchmal stürmen wir einfach aus nächster Nähe auf sie zu. Aber es besteht keine Gefahr für die Truppen.“ Ihm zufolge „ist mir kein einziger Fall von Gegenfeuer bekannt. Es gibt keinen Feind, keine Waffen.“

Was schreibt Maxim Biller nur einen Tag zuvor in der Zeit?

Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: »Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?« »Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten«, sagt der Arzt, »aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.«

Das ist nicht lustig oder ‚scharf‘, sarkastisch oder polemisch, das ist zynisch und menschenverachtend.

Biller verachtet nicht ’nur‘ palästinensische Zivilist*innen (so übel die in weiten Teilen sein mögen und am 7. Oktober mitgemacht haben auf die eine oder andere Weise), sondern auch israelische Soldaten, die das nicht mehr aushalten und mit der Haaretz darüber sprachen.

Er verachtet noch mehr die Palästinenser*innen in Gaza, die ja schon zuvor zu Zehntausenden Opfer von israelischen Angriffen wurden, wovon offenbar sehr wohl auch bis zu 20.000 Hamas-Kämpfer waren, aber darüber hianus ca. 30.000 Zivilist*innen.

Die Redaktion der Zeit hat diese Abgründe des Textes nicht erkannt und der Text wurde gedruckt.

Dann gab es einen Aufschrei von einigen Leser*innen der Zeit und die Redaktion hat auf lächerliche Weise den auch online publizierten Text wieder depubliziert – nachdem er Hunderttausendfach gedruckt in jedem Kiosk vorliegt.

Das ist lachhaft und zeigt die doppelte Unprofessionalität der Zeit.

Wer von einer „strategisch richtigen Hungerblockade“ schreibt, ist ein Zyniker, kein Kritiker des Antisemitismus der Deutschen, den es ja ohne Ende in der Tat gibt.

Der Text von Maxim Biller schadet Israel und den Juden.

Biller ist keineswegs ein Polemiker wie es zum Beispiel Eike Geisel war, der den Antisemitismus der ganz normalen Deutschen zumal der frühen 1990er Jahre luzide attackierte und offenlegte.

Doch Biller ist kein Polemiker, er ist ein Zyniker, der im Kern die schlimmen Zustände, womit hier die israelische Kriegsführung gemeint ist, affirmiert und nicht aufheben oder bloßlegen möchte.

Er lebt offenkundig in einer Zeitschlaufe der Jahre 1998 bis 2002, als der antisemitische Schriftsteller Martin Walser im Oktober 1998 in seiner Paulskirchenrede die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust im deutschen Mainstream fest verankerte und dafür vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Bundeskanzleramt eingeladen wurde, am 8. Mai 2002.

Zwar ist die Abwehr der Erinnerung weiterhin sehr weit verbreitet und hat mit dem Postkolonialismus noch ein weiteres linkes Muster des Antisemitismus hinzubekommen.

Doch heutzutage, nach 25 Jahren Pro-Israel-NGO-Szene, haben wir einen konservativen Kanzler, der sich bei Israel bedankt, das islamfaschistische Regime in Teheran in seine Schranken gewiesen zu haben, und „die Drecksarbeit“ für uns gemacht zu haben, einmal abgesehen davon, dass militärisch noch gar nicht klar ist, was genau erreicht wurde mit den israelischen und amerikanischen Militärschlägen im Iran. Ein Ende des islamistischen Regimes in Teheran ist leider nicht absehbar – doch Israel hat die Möglichkeit, jederzeit dort militärisch einzugreifen, was sehr wichtig ist.

Was Biller nicht erwähnt, weil es nicht passt: Der Bundestag, der den Ukraine-Krieg nicht diplomatisch beendet sehen möchte, sondern ihn weiter anfachen tut und auch die unerträgliche Aufrüstung beschlossen hat und Deutschland zu einem Militärstaat machen wird, der 20 bis 30 Prozent des gesamten Bundeshaushalts für Kriegsvorbereitung („Verteidigungshaushalt“) ausgeben wird die nächsten Jahrzehnte, hat die letzten Jahre Resolutionen gegen die antisemitische Boykottbewegung gegen Israel BDS sowie für den Schutz jüdischen Lebens verabschiedet.

Gleichzeitig haben wir eine aggressive zumal linke antisemitische Szene, die am 7. Oktober 2023, als Palästinenser und die Hamas 1200 Jüdinnen und Juden in einem genozidalen Massaker im Süden Israel, in Kibbutzim, Moshavs und auf einem Musikfestival auf unschilderbare Weise abschlachteten, lachte, kicherte, klatschte oder aber großteils schwieg. Es wurden von der Hamas und den Palästinensern 251 Geiseln genommen, viele wurden in „Geiseldeals“ freigelassen – im Gegenzug zum Freilassen von kriminellen und blutbeschmierten palästinensischen Terroristen, die aus israelischen Gefängnissen freikamen – von denen vermutlich nur noch 20 leben.

Der Krieg, den die Hamas am 7.10.23 begann und den Israel einige Wochen später als Abwehrkrieg gegen den Jihad, Islamismus und antizionistischen Palästina-Kult als Abwehrkrieg fortführte, war notwendig und berechtigt. Es wurde aber seit langer Zeit klar, dass ein Krieg gegen eine in der Zivilbevölkerung vernetzte Terrororganisation nicht zu gewinnen ist. Die Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, das Hostage Forum, sind seit 2024 in höchster Alarmbereitschaft, weil sie der israelischen Regierung vorwerfen, nicht genug zur Freilassung der Geiseln zu tun.

Die rechtsextreme israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu, der selbst eher ein Opportunist war, konservativ, aber nicht rechtextrem wie Ben Gvir oder der selbst ernannte Faschist Smotrich, hat mehrere Geiseldeals offenbar vorsätzlich nicht gemacht, weil das das Ende des Gaza-Krieges bedeutet hätte. Das Ziel ist aber nach der Zerstörung von Gebäuden (50 Prozent aller Gebäude sind vollständig zerstört), auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen zu vertreiben oder zur Emigration zu bewegen.

Biller schreibt:

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß. Das Drama, das sie dann aufführen, begleitet von der bigotten Beschwörungs-
formel »Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!«, mit der sie niemals Leute wie Sinwar oder Ali Chamenei belegen würden, hat nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun.

Richtig. Aber: Nur weil Antisemiten mit dem Wort „Völkerrecht“ herumfuchteln, gerade und fast immer nur, wenn es um Israel und die Juden geht, heißt das nicht, dass es kein Völkerrecht gibt!

Der Springer-Konzern und Andreas Rosenfelder von der Tageszeitung Die Welt stellen sich hinter Biller:

Wer auch nur ein paar Zeilen von Maxim Biller gelesen hat, der weiß, dass dieser tragische Sarkasmus, der die jüdische Literaturtradition von der deutschen mit ihrer auftrumpfenden Thomas-Mann-Ironie unterscheidet, ein Wesensmerkmal seiner Texte ist. Anstatt zu vertuschen und zu verschleiern, spricht der Witz die unerträgliche Realität aus, dass der Kampf gegen den Hamas-Terror im Alltag der Soldaten konkret bedeutet, „auf Araber zu schießen“. Und in der Antwort des Arztes benennt der Witz die noch brutalere Wirklichkeit, dass es für diese Unerträglichkeit keine Therapie gibt. Denn sie betrifft die Existenz jedes Juden in Israel.

Das ist eben Ideologie und faktenfrei. Das Erschießen von nach Nahrung anstehenden Zivilist*innen ist ein Verbrechen – wenn der Haaretz-Bericht so stimmt und es gibt außer Dementi der IDF keinen Grund, ihm nicht zu glauben – und hat mit der „Existenz jedes Juden in Israel“ nichts zu tun – abgesehen von dem ethischen und moralischen Schaden für Juden in Israel, die durch solche IDF-Aktionen entstehen.

Die Berliner Zeitung hingegen schreibt:

Ausführlich hat sich auf Instagram der Autor und Verleger Dinçer Güçyeter zu Billers Text geäußert. Der 2023 für seinen Roman „Unser Deutschlandmärchen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Schriftsteller wendet sich direkt an Maxim Biller: Kollegen öffentlich zu diffamieren gehöre eigentlich nicht zu seinem Geschäftsmodell, schreibt Gücyeter. „Gestern, beim Lesen deiner Kolumne, habe ich mich gefragt, wie ein Autor so über seine Wut stolpern kann. Die ganze Nacht habe ich nach einer Antwort gesucht. Dieser Zynismus, dieses Gemetzel unter dem Schleier des Wortes ist genauso schmerzhaft wie die Meinung von Ahnungslosen, die sich für Nahostexperten halten, weil sie mal eine Shisha von unten gesehen haben.“

Die kapitalistische Weltwirtschaft verstößt tagtäglich seit Jahrzehnten gegen das „Völkerrecht“. Das juckt von den Eliten kaum jemand, das ist klar. Weltweit hungern aktuell ca. 735 Millionen Menschen. Das ist aber kein Grund, auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen in Gaza vorsätzlich und perfide hungern zu lasen – und die jüdischen Geiseln somit auch.

Das Institut für Menschenrechte hält fest:

Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern weltweit 735 Millionen Menschen. Und das, obwohl jeder Mensch ein Recht auf Nahrung hat. Warum ist das so?

Sarah Luisa Brand: Gleich vorab: Im Jahr 2024 müsste kein Mensch mehr hungern, denn es wird genug Nahrung für alle produziert. Hunger ist also vor allem die Folge ungleichen Zugangs zu Nahrung. Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht genug zu essen haben, beispielsweise Armut, Diskriminierung oder soziale Benachteiligung. Kriege und bewaffnete Konflikte führen dazu, dass Menschen ihr Zuhause und ihr Einkommen verlieren und landwirtschaftliche Flächen, Betriebe oder Infrastruktur zerstört werden.

(…)

Das Menschenrecht auf Nahrung besagt, dass Nahrung für jeden Menschen angemessen, verfügbar, zugänglich und bezahlbar sein muss. Völkerrechtlich verbindlich ist es in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 verankert. 2004 verabschiedete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Rom „Freiwillige Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“.

In der Berliner Zeitung heißt es weiter zu Maxim Biller, dem großen Strategen ohne Empathie und Ethik:

Die Kolumne, die in ihrer Drastik einen Einblick in das Denken vieler Unterstützer Israels erlaubt, mag sich zwar vor allem an vielen Deutschen und ihren Doppelstandards etwa bei der Kritik an Israels Regierung abarbeiten und mit der Wucht des durchaus nachvollziehbaren Hasses Punkte treffen. Dieser rhetorische Angriff Billers geht aber vor allem auf die Kosten der Palästinenser. Und deshalb kommt nun vehementer Widerspruch.

Das ist die Pointe. Es geht Biller nur um die deutschen Befindlichkeiten, die Schuldabwehr und Schuldumkehr. Dieses Muster gibt es, aber es greift hier nicht, weil man sieht, wie wenig Biller im internationalen Diskurs über den sinnfreien Krieg in Gaza drinsteckt. Er ignoriert offenkundig die von IDF-Soldaten beschriebenen und nicht widerlegten Verbrechen.

Zudem schreibt die Berliner Zeitung in dem zitierten Text:

Auf Instagram hat sich auch der 1987 in Haifa geborene Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus geäußert, der seit 2010 in Berlin lebt und 2023 mit seinem Romandebüt „Birobidschan“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, ein Buch, das auch im Feuilleton der Zeit sehr gut besprochen worden ist. Nicht nur, dass Dotan-Dreyfus sein Zeit-Abonnement aufgrund von Billers Text gekündigt hat und zum Boykott der Zeitung aufruft. Er schreibt:„Das Problem, liebes Zeit-Team, ist nicht ein Text von Maxim Biller. Das Problem ist, dass ihr eine Atmosphäre kreiert habt, in der ein solcher Text entstehen kann.“

Die bekannte Journalistin der Times of Israel, Sarah Tuttle-Singer, eine wortgewaltige wie zarte Zionistin, eine der bekanntesten Stimmen der Times of Israel von Anbeginn, schreibt angesichts des Haaretz-Berichts, von dem sie hofft, dass er nicht stimmt, auf Facebook:

Es tut weh, dies zu schreiben. Aber es muss gesagt werden.

Ich liebe mein Land.

Ich liebe Israel in all seiner unmöglichen, widersprüchlichen Schönheit. Ich liebe den Klang der hebräischen Sprache im Wind und den Jasmin, der in den Ritzen dieses zerbrochenen, heiligen Landes blüht. Ich liebe die Menschen, die hier leben – Menschen, die der Gefahr entgegenlaufen, nicht vor ihr weglaufen.

(…)

Es gibt keine Sicherheit beim Abschlachten.

Es gibt keine Gerechtigkeit, wenn man die Hungernden ins Visier nimmt.

Es gibt keinen Sieg, wenn wir auf dem Weg dorthin unsere Seelen verlieren.

Und ja, wir begraben immer noch unsere Toten vom 7. Oktober. Wir beten immer noch – jeden einzelnen Tag – für unsere Geiseln. Wir sind immer noch voller Angst und Wut. Aber diese Schrecken geben uns nicht das Recht, unsere eigenen zu begehen.

Ich glaube immer noch an unsere Soldaten. Ich glaube immer noch an dieses Land. Aber Glaube ohne Verantwortlichkeit ist blinde Loyalität. Und blinde Loyalität ist gefährlich.

Wenn Haaretz Lügen veröffentlicht hat, dann sollten sie einen hohen Preis für die Verleumdung unserer Soldaten und unseres Landes zahlen.

Aber wenn diese Berichte wahr sind – und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sie es nicht sind – dann müssen alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Von jedem Soldaten, der das Feuer auf Zivilisten eröffnet, über die gesamte Befehlskette bis hin zum Premierminister selbst.

Denn auch das alles ist Liebe. Kämpferische, fordernde Liebe, die sagt: Ihr müsst es besser machen. Wir müssen es besser machen. Oder all dies bedeutet überhaupt nichts.

Schließlich ist ganz Israel füreinander verantwortlich.

Das ist Zionismus. Das ist eine „kämpferische, fordernde Liebe“ zu Israel und kein zynisches Geschwätz.

Sarah Tuttle-Singer möchte die IDF vor sich selbst retten, Maxim Biller, der Schaukelstuhl-Zionist aus Deutschland mit Laptop, möchte offenkundig eher noch mehr Verbrechen, weil es anders nicht gehen würde.

Richtig: Ohne die Islamfaschisten der Hamas gäbe es diesen Krieg gar nicht. Punkt.

Aber ohne Netanyahu und seine ignorante Fan-Basis wäre es vermutlich gar nicht zum 7.10 gekommen – Warnungen wurden absichtlich ignoriert, unter anderem weil sie von weiblichen IDF-Sicherheitsexpertinnen kamen und die patriarchale Führungsstruktur der IDF das lächerlich machte; es war zu wenig Militär vor Ort und der Grenzzaun war alles nur nicht unüberwindbar –  und zumal dieser Krieg vermutlich längst beendet und die Geiseln endlich befreit.

Die Zerstörungen im Gazastreifen, das Zerstören von Tausenden von Häusern sind militärisch nicht zu begründen, die Rückkehr der Geiseln haben sie nicht gebracht. Das offen ausgesprochene Ziel der israelischen Regierung ist die Vertreibung oder Zusammenpferchung der Palästinenser auf ca. 25 Prozent der Fläche des Gazastreifens und die Wiederbesiedelung mit jüdischen/israelischen Siedlern.

Es gibt also eine rechtsextreme Regierung in Jerusalem, die alles dafür tut, die Zweistaatenlösung – die seit 1947 von den Arabern und Palästinensern abgelehnt wird! – unmöglich zu machen.

Wenn die von Israel bewaffneten islamistischen Gruppen wie die Shabab-Miliz und andere in Gaza für dieses Töten von Zivilist*innen auch mitverantwortlich sein sollten, liegt auch hierbei die Verantwortung bei der Besatzungsmacht, Israel.

Das ist der ethische Grundgedanke des Philosophen Emmanuel Levinas, auf den ich ja die letzten Monate schon hinwies, da er 1982 in Beirut bei dem (christlichen) Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila die Besatzungsmacht Israel verantwortlich machte, da sie es hätte verhindern können und müssen:

„Aber es gibt auch eine ethische Grenze dieser politischen Existenz, eine ethisch notwendige“ sagt er am 28. September 1982 in dem Gespräch mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut, wenige Tage nach dem Massaker an einigen Hundert bis zu Tausenden Palästinensern in Sabra und Schatila.

Levinas wendet sich auch gegen den „Messianismus“ und betont die Bedeutung der Verinnerlichung von Gewalt durch den (so überlebensnotwendigen) Sieg im Sechstagekrieg 1967, wovon 1970 auch der Linkszionist Amos Oz in einem Gesprächsband mit israelischen Soldaten berichtet hat („Man schießt und weint“). Von diesem Leiden ist Biller weit entfernt, er schreibt auch nicht „sarkastisch“, wie viele seiner rechten Freund*innen (von express.at bis Nius etc. pp.) meinen, sondern wie gesagt: zynisch. Und Zynismus ist mit dem Bestehenden – hier der Gewalt der IDF in Gaza – einverstanden.

Sarah Tuttle-Singer hofft, dass die Verbrechen, von denen die Haaretz berichtet, so nicht stattgefunden haben. Dass es die über 500 Toten jedoch gibt, ist unbestritten, fast täglich berichten ja die Medien darüber wie die Times of Israel. Doch Biller stellt nicht mal in Abrede, dass die Verbrechen passieren, sondern behauptet, im Witz verkleidet, dass sie notwendig seien wie das Aushungern von über zwei Millionen Menschen.

Und das ist nicht mehr eine freie Meinungsäußerung, sondern das ist Affirmation und Agitation und hat mit einer Kritik am deutschen Antisemitismus rein gar nichts zu tun.

Natürlich hat Biller mit seiner Attacke auf Markus Lanz grundsätzlich Recht:

Neulich zum Beispiel, bei Lanz, der politischen Talkshow für politische Anfänger, das war noch kurz vor dem Israel-Iran-Krieg. Gerade ging es um die EU, Flüchtlinge und den opaken Minister Dobrindt, als sich im entspannt fragenden Gastgeber plötzlich alles zusammenzog. Denn jetzt war der Nahe Osten dran! Er ging in seinem Moderatorenstuhl in eine raubtierhafte Angriffshocke, er zischte und fauchte, statt zu sprechen, und versuchte immer wieder, von seinen Gästen die Aussage zu erpressen, dass Israel im Gazastreifen der Al-Kassam-Brigaden »Kriegsverbrechen« begehe. Und während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ihm erklärte, wie selbstkritisch und demokratisch die israelische Gesellschaft sei und dass er dieses Land nie aufgeben würde, rollte der nervlich stark angegriffene Moderator mit den Augen wie Elon Musk auf Ketamin.

Nur weil ein deutscher Dampfplauderer, der von allem und nichts wirklich eine Ahnung hat, von möglichen Kriegsverbrechen in Gaza redet, heißt das doch nicht, dass es die nicht geben kann! Wo lebt denn Maxim Biller? In Berlin, alles klar.

2019 schrieb ich:

Am Dienstagabend, 5. März 2019, hatte sich der gebührenfinanzierte Dampfplauderer vom Dienst, Markus Lanz, neben Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, den ehemaligen Bundesminister und das SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi zum Plausch in die nach ihm benannte Sendung im ZDF geladen. Was der Gast dabei von sich gab – und der Moderator durchgehen ließ, ohne nachzufragen, ließ tief blicken und indiziert, wie die politische Kultur in diesem neuen Deutschland funktioniert, auch ganz ohne AfD.

Für einen ganz normalen Deutschen ist Wissenschaft unnötig. Er oder sie weiß es aus eigener Anschauung ohnehin besser. Jeder gute Deutsche hat einen „gesunden Menschenverstand“, was Kritiker als ungesund oder krank dastehen lässt. Dohnanyi machte in der Sendung den Austritt der SPD aus der Reichsregierung 1930 für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich. Widerstand habe es massenhaft in Deutschland gegeben, nach 1933, fast jeder und jede hatte einen Juden, der versteckt oder versorgt wurde, das war der Tenor des SPDlers. So klang dieser mit vollem Kalkül vorgetragene Schrei gegen die heutige Schonzeit für Juden aus dem Munde eines SPD-Vordenkers. Es müsse Schluss sein mit der Erinnerung an die „Judenvernichtung“, die Zukunft rufe, so sprach er.

Da wird der zapplige, nie den Status des pubertierenden Strebers loswerdende Lanz, der sich quasi freut wie Oskar, der seinen ehemaligen verknöcherten autoritären Schulleiter wiedertrifft und der alleine für das Wackeln mit seinen aalglatten Schuhen einen Werbevertrag einer großen Schuhfirma erhalten sollte, ganz hellhörig. Er habe jüngst ein Interview mit dem Historiker Götz Aly gelesen, der darauf abheben würde, dass „Hitler den Sozialstaat aufgebaut habe“. Hitler und Sozialstaat, da werden Deutsche ganz wuschig, das ist spannend und irgendwie doch fast verboten. Sind eventuell gar Juden im Publikum? Oder vor den TV-Geräten? Wurden die Juden von einem ganz modernen Sozialstaat ermordet? War es gar nicht böse gemeint?

Wenn Maxim Biller Lanz so oder ähnlich kritisiert hätte, warum nicht? Hat er aber nicht, sondern er affirmiert eine nicht mehr zu rechtfertigende Kriegsführung, die den Palästinensern und Israel extrem schadet, wenn auch auf unterschiedliche Weise, die einen sind tot, die anderen psychisch traumatisiert und diplomatisch isoliert.

Und nochmal, an die ganzen Biller-Fans, die jetzt heulen: Es ist klar, ohne die Hamas gäbe es diesen Krieg nicht.

Hat sich Biller mit den Berichten aus Israel mit dem offenkundig willkürlichen Feuern auf Zivilisten, die verzweifelt Nahrung von den LKWs erwarten, überhaupt näher beschäftigt?

Ist es ihm vollkommen egal, was real auf der Welt passiert, solange es nicht in sein Weltbild passt? Offenkundig hat er sich erkundigt, er weiß, dass die IDF auf Araber schießt – und er behauptet auf unerträgliche, zynische Weise, dass es halt nicht anders gehen würde.

Amos Oz dreht sich im Grab um.

Es muss um ein „neues Sprechen“ gehen, um ein Reflektieren innerhalb der völlig eingeigelten und fanatisierten Pro-Palästina- und Pro-Israel-Camps – so fordert es die pro-israelische, gegen Antisemitismus anschreibende Volontärin bei der Zeit, Anastasia Tikhomirova, vor einigen Wochen („Raus aus dem Freund-Feind-Schema„). Das wäre mal eine Lektüre gewesen für Maxim Biller.

Aber hätte Die Zeit wenigstens ein paar linkszionistische Redakteur*innen, wäre diese Kolumne von Maxim Biller, so wie sie da gedruckt steht, nicht erschienen.

 

 

 

 

 

Markus Lanz, das ZDF und ein anständiger Hamburger. Der sekundäre Antisemitismus des sicherlich Nicht-Antisemiten Klaus von Dohnanyi

Von Dr. Clemens Heni, 18. April 2019

Am Dienstagabend, 5. März 2019, hatte sich der gebührenfinanzierte Dampfplauderer vom Dienst, Markus Lanz, neben Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, den ehemaligen Bundesminister und das SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi zum Plausch in die nach ihm benannte Sendung im ZDF geladen. Was der Gast dabei von sich gab – und der Moderator durchgehen ließ, ohne nachzufragen, ließ tief blicken und indiziert, wie die politische Kultur in diesem neuen Deutschland funktioniert, auch ganz ohne AfD.

Für einen ganz normalen Deutschen ist Wissenschaft unnötig. Er oder sie weiß es aus eigener Anschauung ohnehin besser. Jeder gute Deutsche hat einen „gesunden Menschenverstand“, was Kritiker als ungesund oder krank dastehen lässt. Dohnanyi machte in der Sendung den Austritt der SPD aus der Reichsregierung 1930 für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich. Widerstand habe es massenhaft in Deutschland gegeben, nach 1933, fast jeder und jede hatte einen Juden, der versteckt oder versorgt wurde, das war der Tenor des SPDlers. So klang dieser mit vollem Kalkül vorgetragene Schrei gegen die heutige Schonzeit für Juden aus dem Munde eines SPD-Vordenkers. Es müsse Schluss sein mit der Erinnerung an die „Judenvernichtung“, die Zukunft rufe, so sprach er.

Da wird der zapplige, nie den Status des pubertierenden Strebers loswerdende Lanz, der sich quasi freut wie Oskar, der seinen ehemaligen verknöcherten autoritären Schulleiter wiedertrifft und der alleine für das Wackeln mit seinen aalglatten Schuhen einen Werbevertrag einer großen Schuhfirma erhalten sollte, ganz hellhörig. Er habe jüngst ein Interview mit dem Historiker Götz Aly gelesen, der darauf abheben würde, dass „Hitler den Sozialstaat aufgebaut habe“. Hitler und Sozialstaat, da werden Deutsche ganz wuschig, das ist spannend und irgendwie doch fast verboten. Sind eventuell gar Juden im Publikum? Oder vor den TV-Geräten? Wurden die Juden von einem ganz modernen Sozialstaat ermordet? War es gar nicht böse gemeint?

Diese modernistische Pointe Alys und Lanz‘ ist eine Position der Neuen Rechten seit Jahrzehnten, namentlich von Rainer Zitelmann und Michael Prinz, die das ach-so-moderne Element des Nationalsozialismus herauskehren. Nicht der Antisemitismus, sondern der ökonomische Surplus die Deutschen habe jene dazu gebracht habe, die Juden zu vertreiben, totzuschlagen, zu denunzieren, zu deportieren, zu vergasen und zu massakrieren, wobei natürlich bei den Neuen Rechten der Holocaust ohnehin gar nicht im Fokus steht, sondern Hitler als „Revolutionär“ umarmt wird (Zitelmann).

Im Gespräch von Lanz mit Dohnanyi und Lorenzo geht es somit um Trump und AfD, die so wenig böse seien wie Hitler und die Deutschen 1933, einfach nur die „soziale“ Frage nicht richtig beantworten würden, aber es an sich gut meinen würden.

Als dann aber Giovanni di Lorenzo von der „nationalsozialistischen Ideologie“ und „einem entsetzlichen, ungeschminkten Antisemitismus“ redet, wird Dohnanyi wütet und sagt, „aber nicht in Deutschland“, „sehr viel mehr bei der Nazipartei“, „aber die war damit nicht erfolgreich“.

Die NSDAP habe also erstens keinen Kontakt zu den Deutschen gehabt und zweitens habe sie zwar irgendwie Antisemitismus in sich gehabt, aber sei damit nicht erfolgreich gewesen. Diese Exkulpation Deutschlands vom Antisemitismus ist die typische Lüge der Deutschen seit jeher. Dann fragt Lanz wie der kleine Schuljunge, immer noch der Streber, der alles wissen möchte und insgeheim schon weiß, Dohnanyi, „wieviel hat denn die Bevölkerung gewusst?“ – natürlich so gut wie gar nichts, nur das Militär wusste manches, so der SPDler. Und weil sie ja nichts wissen konnten, sind sie auch nicht schuldig.

Und dann wendet sich der ganz normale Deutsche aus Hamburg an di Lorenzo und sagt „Ich bin anderer Meinung als Sie und meine nicht, dass das ständig wiederholt werden muss“ – die Sache mit dem Antisemitismus. Er möchte nicht mehr hören, „was hinterher dann passiert ist“ – damit ist Auschwitz gemeint, das interessiert den Erinnerungsverweigerer nicht, und da klatscht das Publikum, nicht AfD frenetisch mit Getrampel oder bayerisch mit Klatschen auf die Lederhosen, sondern gediegener, ZDF-mäßiger, Hamburgerischer, auch wenn die Sendung aus Mainz kommt.

Und sofort kommt der Erste Bürgermeister a.D. und Rot=Braun-Ideologe und Shoahverharmloser auf die DDR, auch die Eltern von Merkel hätten nicht „gewusst, was alles geschah“ – also wieviel KZs es gab und wieviele Millionen Menschen in Bautzen vergast wurden etc. pp. Dieser Wahnsinn flutscht nicht nur beim ZDF und bei Lanz hinunter wie Honig.

Bereits 1995 unterstrich der nationalpolitische Vordenker Klaus von Dohnanyi, was für ein guter Deutscher er ist, als er im Stern schrieb:

Seit das deutsche Kaiserreich 1871 entstand, wuchs in Europa die Unruhe über dessen Stärke und in Deutschland mit dieser Stärke der Übermut. Aus diesem Gemisch entstand der Sprengstoff des Ersten Weltkriegs. Dieser wiederum wurde dann auf dem Hintergrund des für Deutschland unerträglichen Versailler Vertrags und einer trotzigen deutschen Unbelehrbarkeit zum Nährboden für den Nationalsozialismus. Allerdings läßt sich auch nicht bestreiten, daß Kriege in Europa nicht nur von der vereinten deutschen Nation geführt wurden, sondern zuvor über Jahrhunderte gegen die kleinen deutschen Teilstaaten, und zwar mit dem Ziel, diesen die staatliche Einheit Deutschlands unmöglich zu machen… Immer wieder war es zentrales Ziel der Politik der europäischen Großmächte, die Einheit Deutschlands notfalls auch militärisch zu blockieren… Nicht von der Wiedervereinigung, sondern von den Kommunisten wurden die Unternehmen, die ja vor 1945 genauso wettbewerbsfähig waren wie die im Westen, zerstört.“

 Das kommentierte Hermann L. Gremliza (Literatur-Konkret 1995):

 „Auch in einem großen Arschloch steckt mitunter ein exaktes Thermometer. Seit dem 3. Oktober 1990 nämlich gilt: Die deutsche Vergangenheit ist bewältigt, Erinnerungen an sie, Verbindung zwischen einst und heute sind zu unterlassen; die deutsche Geschichte hat, soweit sie nicht Vergangenheit ist, viele helle Seiten und eine dunkle; die dunkle Seite heißt DDR; deren Abschaffung war politisch, ökonomisch und vor allem sittlich geboten, die daran beteiligten Personen waren edel, hilfreich und gut.“

 Das soziale Moment ist Lanz so wichtig und da ist er ganz bei Dohnanyi. Und das trifft sich auch mit weiten Teilen der unkritischen, also typischen und Mainstream-Forschung. Die Neue Rechte, die betont, wie „modern“, also auch sozialstaatlich der NS gewesen sei, wird von sport- und fußballinteressierten Frauen wie  der Historikerin Christiane Eisenberg umworben, die in ihrer Habilitationsschrift von den ach-so-schönen Seiten der Olympiade 1936 geradezu schwärmte und das „moderne“ Element wie Liegestühle, Blumenrabatte oder ein Kino für die Sportler*innen herausstrich.

Und wieder ein SPDler, der Berliner Innen- und Sportsenator Andreas Geisel, hat nun die Idee, 2036 wieder eine Olympiade nach Berlin zu holen, hat schon damals so schön geklappt. Dieser Bezug zu Nazi-Deutschland via dem immer noch stehenden Berliner Olympiastadion ist für die ganz normalen Deutschen richtig prickelnd. Am besten kommt das, wenn keine offen als Nazis erkennbaren Personen solche Vorschläge machen, es ist viel galanter, wenn die SPD anstatt der NPD oder der AfD solche Vorschläge macht.

Dohnanyi ist viel zu alt fürs Rumzappeln wie Lanz, er promotet seinen Ehering, die Familiengeschichte und weiß sehr genau, wie man den sekundären Antisemitismus bedient und selbst generiert.

Dohnanyi verleugnet den Antisemitismus im Jahr 1928. Ja, die Deutschen hätten später, nach 1933, „sehr viel für die Juden getan, das wird völlig unterschätzt heute“. Also auch dieses Märchen, das jeder geschichtswissenschaftlichen Studie über das Leben von Juden im NS entgegensteht, ist Dohnanyi ganz wichtig. So wichtig, dass er ja bereits 1996 bei der Goldhagen-Debatte in vorderster Front gegen den jüdischen Politikwissenschaftler, der die „ganz normalen Deutschen“, „Hitlers willige Vollstrecker“ untersuchte, Front machte. Dabei wurde er auch von jüngeren Kollegen wie den Historikern Norbert Frei oder Johannes Heil tatkräftig unterstützt, wie z.B. der Historiker Martin Kött in einer Studie über „Goldhagen in der Qualitätspresse“ 1999 quellengesättigt zeigen konnte.

Man sollte vor allem nicht die Vergangenheit nach „heutigen Maßstäben“ beurteilen, so der ehemalige Hamburger Bürgermeister. Reden wir doch Tacheles: Wir „Gutmenschen“ kriegen die Vollkrise, wenn jemand Juden mit Flöhen vergleichen würde, aber 1926, als Joseph Goebbels vom „linken“ Flügel der NSDAP dies in seinem „Nazi-Sozi“ tat, da war das der Zeitgeist. Da nun mit heutigen Maßstäben zu kommen, das geht schon mal gar nicht. So denken die Dohnanyis, die für die große Masse von Deutschen sprechen.

Es ist bei all diesen Debatten typisch, dass die Deutschen Antisemitismus nicht kritisieren, sondern als „Antisemitismusvorwurf“ bezeichnen. Klaus von Dohnanyi generierte diesen Topos der armen gebeutelten Deutschen nach 1945 doch selbst – und zwar als Redner im Deutschen Bundestag zum Gedenken an die Befreiung von Auschwitz in einer Gedenkstunde am 31. Januar 1997:

Man darf aber nicht vergessen, in welch existentieller Not auch Deutschland und die Deutschen in den ersten Jahren nach Kriegsende waren.

Da ist sie, die sekundär antisemitische Redeweise, die die deutschen Täter, Mitläufer und Mittäter und Mitwisser und Wisser und Henker und Denker, Richter und Hausfrauen, BDM-Führerinnen wie Ex-Wehrmachtsgeneräle, Industriekapitäne, NSDAP-Mitglieder und Ex-Nazi-Funktionäre wie auch Antisemiten, die keine NSDAPler waren, in Schutz nimmt. Dieser Satz – „Man darf aber nicht vergessen, in welch existentieller Not auch Deutschland und die Deutschen in den ersten Jahren nach Kriegsende waren“ – kommt aus tiefstem Herzen und spricht die Wahrheit aus.

Gerade das Wort „existentielle Not“ ist verräterisch, da die Deutschen überhaupt gar nicht in existentieller Not waren, das Land war erstmal besetzt und die Alliierten verteilten später sogar Kaugummi und Schokolade und waren unterm Strich doch viel zu freundlich zu den Deutschen, namentlich die Amerikaner, die ja neue Alliierte brauchten, ab 1947/48 im Krieg, dem „kalten“, gegen den Kommunismus.

Massenhaft wurde erstmals im Januar 1979 über die TV-Serie „Holocaust“ diskutiert und da waren grade die Linken nicht sehr interessiert, wie der Politologe Andrei Markovits, der damals Fellow der Hans-Böckler-Stiftung war, schockiert bemerkte. Sogleich ging es bei den Linken darum, sich selbst als mögliches Opfer eines „Atomtodes“ zu imaginieren wie die Juden damals („atomarer Holocaust“). Der Antisemit Ernst Nolte hat dann 1985 und verschärft 1986 den Historikerstreit begonnen, indem er die Schuld bei Stalin suchte, beim Erzfeind Kommunismus und die „asiatische Tat“ als Ursache für Hitler und den Holocaust herbei fabulierte.

Damals verlor Nolte den Historikerstreit gegen Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler (erster hat das schon zuvor mit der Depotenzierung der Kritischen Theorie und Adornos, letzterer 1996 in seinen Attacken gegen Goldhagen wiedergutgemacht), aber on the long run ist er der große Sieger, noch posthum. Denn 1986 fand 1997 im „Schwarzbuch des Kommunismus“ in Frankreich und bei Joachim Gauck einen Nachfolger und mit dem Hamburger Institut für Sozialforschung und bei Ulrike Ackermann und vielen anderen ein euphorisches Publikum. Seit einigen Jahren gibt es auch ein sehr laut hörbares Echo aus den USA via der Publikation „Bloodlands“ (2010) des Historikers Timothy Snyder, preisgekrönter Schriftsteller nicht nur in Leipzig, sondern eine Ikone litauischer Geschichtspolitik.

Dann kam der 9. November 1989, als die SPD im Bundestag zu Bonn am Rhein die deutsche Hymne anstimmte und nur wenige begriffen, was passierte und aus dieser Partei austraten, wie Gremliza. Manche verrückten Kritiker wie wir Abiturienten des Frühjahrs 1989 schrieben dann Widervereinigung ohne „e“, ahnend, was sich da zusammenbraute. Seit damals wird von den braven und guten Deutschen von den „zwei Diktaturen auf deutschem Boden im 20. Jahrhundert“ gleichsam gefaselt. Rot tendiere zum Braun und vice versa, das ist die Ideologie, die jetzt von der EU aufgegriffen wird und wir bald einen gesamteuropäischen Gedenktag 23. August haben werden, der den Holocaustgedenktag ablösen wird.

Am 28. März 2018 gaben die „Platform of European Memory and Conscience“ und die Europäische Union (EU) bekannt, dass der britisch-chinesische Architekt Tszwai So den Architekturwettbewerb für ein „Gesamteuropäisches Denkmal für die Opfer des Totalitarismus“ gewonnen hat. Das wöchentliche Architects‘ Journal (AJ) aus London gab die Entscheidung freudig bekannt und machte sich somit zu einem Sprachrohr dieser in Architektur zu gießenden Ideologie des Rot = Braun. In Brüssel wird der Jean Ray Platz nach Sos Vorstellungen geplant: es sollen in Bodenplatten tausende Briefe von Opfern des „Totalitarismus“ eingelassen werden. So läuft heute Geschichtsrevisionismus und der Antisemitismus aus Erinnerungsabwehr. Das ist vollkommen Mainstream und nicht mal die paar selbst ernannten (universitären, zivilgesellschaftlichen oder NGO-mäßigen) Kritiker*innen des Antisemitismus hierzulande merken das.

Anstand ist den Dohnanyis so wichtig. Der Journalist Otto Köhler hat das festgehalten (Konkret 3/98), die Sache mit dem deutschen „Anstand“ und dem „Widerstand“, für den der Vater Dohnanyis stand. 1997 hatte Dohnanyi in der Frankfurter Paulskirche ein Loblied auf den 20. Juli singen dürfen, Köhler kommentierte:

Dohnanyi, der in seiner Ansprache mit maliziösen Bemerkungen nicht sparte –  [meinte,] Goldhagen solle doch mal erklären , ‚warum sein Manuskript von der Harvard University Press nicht zum Druck angenommen wurde‘ – fällt über den Berliner Historiker Christian Gerlach ebenso her wie über den ‚in Ton und Gemeinheit vergleichbaren Artikel‘, den der Historiker David Morley in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ veröffentlicht hatte – im beiden Fällen handele es sich ’schlicht um perfide Diffamierungen‘ des besseren Deutschland. Gegen die er seine Argumente setzt: ‚Es ist sicher wichtig zu wissen, daß sich auch Signaturen von Treskow (sic!) auf verbrecherischen Befehlen finden; es wäre aber dann auch wichtig, darauf hinzuweisen, daß ein erfolgreicher Putsch nur aus dem aktiven Militär und nicht aus der Emigration möglich war.‘

Otto Köhler resümierte:

Aber Dohnanyi kann noch mehr: ‚Es ist auch richtig, daß jeder Offizier – auch ein Mann im Widerstand – im Krieg Schutzmaßnahmen gegen Partisanen ergreifen mußte und daß diese überall von großer Härte waren.‘ Das müsse – anstelle von ‚ehrabschneidenden Schlußfolgerungen‘ eine ‚wissenschaftliche Aufarbeitung der Fakten‘ berücksichtigen. Die Wissenschaft hat längst aufgearbeitet. Auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt läßt keinen Zweifel daran, daß Wehrmacht und SS ihre Massenmordaktionen an jüdischen Kindern, Frauen und Männern als ‚Schutzmaßnahmen gegen Partisanen‘ tarnten. Doch mit Argumenten darf man dem Festredner nicht kommen: ‚Denn‘, so Dohnanyi, ‚die verläßlichste Quelle, auch der Solidarität des Widerstandes, war niemals irgendein theoretisches Gebäude, sondern immer menschlicher Anstand. Wenn es sein mußte, bis in den Tod. Diese Eigenschaft des menschlichen Anstandes, diesen ‚reinen Heroismus‘ ehren wir durch die Ausstellung, die wir heute eröffnen.‘ Der Herr, der da so eifrig mit dem Wort ‚Anstand‘ jonglierte, sollte, auch wenn er sonst wenig weiß, das eine Zitat doch wenigstens kennen, das zeigt, was in Deutschland aus diesem Begriff geworden ist – eine Primärtugend für Mörder. Himmler am 4. Oktober 1943 vor SS und Polizei: ‚Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen, oder wenn 1.000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwäche – anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Das ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte.‘

Die Abwehr der Erinnerung – dazu gehört auch und vor allem das geschwätzige Reden über „damals“, startend mit Richard von Weizsäcker 1985 – ist das zentrale Thema der Deutschen nach dem 8. Mai 1945. Die Wehrmachtsausstellung 1995 hat Neonazis zu Demonstrationen und Aktionen motiviert, alte Kämpfer heulten los und viele alte „Kameraden“ zündeten ein Feuer, wie es die Deutschen seit der „Flak“ auf ihren „Flaktürmen“ nicht mehr gesehen hatten. Parallel dazu wurden Dutzende Nicht-Deutsche ermordet.

Das gab es schon lange vor 1989, Franz-Josef Degenhardt („Väterchen Franz“) sang davon schon in den 1960er Jahren bezüglich der abgestochenen Italiener, aber danach wurde es exzessiv und führte auch dank der „akzeptierenden Jugendarbeit“ zur Gründung des NSU Ende der 1990er Jahre und im Jahr 2000 zum ersten Mord an einem Migranten durch den NSU.

Im Oktober 1998 hielt der Schriftsteller Martin Walser seine Dankesrede für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Entgegen Dohnanyi, der nur ein Jahr jünger als Walser ist, zitterte er vor „Kühnheit“ und wehrte in einer antijüdischen Diktion die Erinnerung an Auschwitz ab, wie nicht einmal Nolte es vermocht hatte:

Das fällt mir ein, weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage: Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung.

Ein Dohnanyi lässt sich natürlich nicht einschüchtern und deshalb zitterte er auch nicht, als er in Walsers Tonlage im März 2019 bei Lanz im gleichen antisemitischen Duktus lospolterte.

Zudem bekam Walser entgegen Nolte 1986 standing ovations in der Frankfurter Paulskirche, bis auf den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dessen Frau Ida, und Friedrich Schorlemmer. Heute ist diese Position Mainstream, das ZDF freut sich über einen Gast wie Dohnanyi, der eine Art Großvater auch für die Katrin Müller-Hohensteins ist, die gerne vom „inneren Reichsparteitag“ (2010) reden, wenn ein deutscher Fußballspieler ein Tor schießt.

Der erste Intendant des ZDF war 1962/63 Karl Holzamer, ein katholischer antihumanistischer Antisemit, der den „Rembrandtdeutschen“ (1890) Langbehn 1946 an der neu gegründeten Universität Mainz als „Mahner“ würdigte und später jungen schicken Frauen und Männern in Existentialistencafés das unchristliche Lesen, Diskutieren, Nachdenken, Rauchen, Trinken und Cool-Sein übel nahm.

Holzamer erinnerte 1985 zudem daran, wer alles in seinem Bund Neudeutschland war, so auch neben Filbinger und Barzel der Bruno Heck. Bruno Heck (1917–1989) war CDU-Bundestagsabgeordneter (1957–1976), Bundesfamilienminister, von 1967–1971 erster Generalsekretär der CDU, von 1950–52 Regierungsrat im Kultusministerium von Württemberg-Hohenzollern und von 1968–1989 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). 1983 publizierte er einen Aufsatz, in dem er in typisch sekundär antisemitischer Diktion erklärte:

Die Rebellion von 1968 hat mehr Werte zerstört als das Dritte Reich. Sie zu bewältigen, ist daher wichtiger, als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden,

wie der Journalist Albrecht von Lucke in einer luziden Kritik an Heck festgehalten hat. Da lacht und klatscht Klaus von Dohnanyi.

2002 lud Kanzler Gerhard Schröder Walser just am 8. Mai ein und ließ ihn über Versailles fabulieren und wiederum die Deutschen als Opfer böser Mächte und der Geschichte präsentieren. 2003 heulte dann Schröder vor Rührung, wie vielleicht kein Kanzler seit 1949, als er den Film „Das Wunder von Bern“ sah, wo von Sönke Wortmann das deutsche „Wir“ gefeiert und damals die erste Strophe der Nationalhymne millionenfach gesungen wurde. Nur wenige Jahre nach Auschwitz waren „wir“ wieder „wer“. Nicht mehr die Schlächter von Sobibor oder Majdanek, nein, Fußballweltmeister, das ist ja noch besser. Außer dem Vergessen der Shoah ist den Deutschen nichts so wichtig wie die Fußballweltmeisterschaft, vor allem jene von 1954, die ersteres so begünstigte wie kein anderer Vorgang es je vermocht hätte.

Das „Sommermärchen“ von 2006 (den Dokumentarfilm dazu drehte ebenfalls Wortmann, der grüne Deutsche) schoss „dank“ Jürgen Klinsmann nicht nur die Polen ab, sondern hat geschafft, was selbst 1954 nicht konnte: schwarzrotgoldene Unterhosen und Untertassen waren nun allgegenwärtig, „der“ Deutsche kam jetzt zu sich selbst. Die jungen Leute, die weder wussten, was Abseits ist, noch, dass man nicht 7 Spieler im Laufe eine Spieles auswechseln kann oder gar das ganze Team, waren frenetisch und fanatisch („ausgelassen“, „Partypatriotismus“), sie waren stolze Deutsche, keine international interessierten Sport- und Fußballfans. Nicht die Welt war „zu Gast bei Freunden“, sondern Deutschland war Gast bei sich selbst und schrie die Erinnerung an den Holocaust so laut weg, dass man es vom Brandenburger Tor über das Holocaustmahnmal (ein Mahnmal, „zu dem man gerne gehen soll“, R. Schröder) bis zum Denkmal für Hermann den Cherusker bei Detmold hören und fühlen konnte.

Der Aufstieg der AfD (2013) und von Pegida (2014) waren die Konsequenz, wobei der Millionenbestseller von Thilo Sarrazin von 2010 (auch ein Genosse wie Schröder und Dohnanyi), „Deutschland schafft sich ab“, im Kern ein Loblied auf den „Wiederaufbau“ der 1950er Jahre und die „deutschen Tugenden“ legte und das Wort „Deutschland“ mit Genuss ausspricht.

Die Sendung von Lanz mit Dohnanyi zeigt, wie un-nötig die AfD für den Betrieb ist, sekundären Antisemitismus kann der deutsche Mainstream auch ohne die neuen Nazis im Bundestag und den Landtagen.

Der Gemeinderat von Herxheim am Berg, einer kleinen Gemeinde in Rheinland-Pfalz mit ein paar Hundert Einwohner*innen und unzähligen Weinstöcken, idyllisch gelegen, hat sich 2018 dafür ausgesprochen, eine Bronzeglocke mit der Inschrift „Alles für’s Vaterland. Adolf Hitler“, mit einem Hakenkreuz untermalt, in seiner evangelischen Kirche St. Jakob hängen zu lassen. Dieser allzu deutsche Vorgang sagt alles über die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018 aus.

Der Auftritt von Klaus von Dohnanyi bei Markus Lanz 2019 ist das Pendant hierzu. Der Antisemitismus ist bei dumpf-deutschen Pfälzern so sehr beheimatet wie beim Hamburger sozialdemokratischen Nationalisten und Erinnerungsverweigerer und einem der beliebtesten ZDF-Vorbeter. Dohnanyi ist auch kein alter Mann, der vergessen möchte, sondern ein ganz typischer jung-deutscher unverschämter Ausdruck der Zukunft des (sekundären) Antisemitismus, der sich als dessen angebliches Gegenteil (SPD, „Widerstand“) vorstellt.

Natürlich ist Klaus von Dohnanyi ganz sicher kein Antisemit. Es gibt keine Antisemiten mehr – bis auf ein paar linke oder muslimische Spinner und „Unverbesserliche“, das wissen wir doch alle. Er treibt den sekundären Antisemitismus, den kaum jemand auch nur erkennt, geschweige denn attackiert, nur zu einem weiteren Höhepunkt und dafür lieben ihn die Deutschen, nicht nur Lanz und das Publikum im Studio.

Mit diesem Personal hat Deutschland wieder eine Zukunft – eine Zukunft für seine Vergangenheit, wie der Publizist Wolfgang Pohrt es Anfang der 1980er Jahre auf den Punkt gebracht hatte.

Wer sich hingegen mit der Wirklichkeit in Deutschland der Jahre 1928 bis 1934 beschäftigen möchte, kann zu einem kleinen Buch mit großer Wirkung und Relevanz greifen: „Antisemitismus zum Weihnachtsfest. Boykotte gegen jüdische Geschäfte 1928–1934“ von der Historikerin Hannah Ahlheim (2018). Dort wird die Bedeutung des Antisemitismus gerade schon vor 1933 exemplarisch am Beispiel jüdischer Gewerbetreibender und der Bedeutung des christlichen Weihnachtsfestes kritisch untersucht.

Davon wollen aber die normalen Deutschen nichts mehr hören. Schluss, aus, Ende, fertig. Antisemiten waren nur ganz wenige und vor allem: „nicht wir“.

Kein Antisemitismusbericht und keine „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS)“ wird diesen neuen Antisemitismus je erfassen. Er ist viel zu ubiquitär und würde jede Statistik sprengen und ad absurdum führen.

©ClemensHeni

 

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