The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Kriegsverbrechen

Israelische Politiker und Jurist*innen fordern: Für ein sofortiges Ende des Gazakrieges, gegen die völkerrechtswidrige „Humanitäre Stadt“ im Gazastreifen („Auffanglager“)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Es reicht.

Wir können nicht länger unsere Augen verschließen und die Realität ignorieren.

Der in dieser Woche von Nir Hasson und Nurit Yohanan veröffentlichte Bericht über eine ganze Familie, die bei der Bombardierung eines Gebäudes in Gaza getötet wurde, während Rettungskräfte stundenlang daran gehindert wurden, den Ort des Geschehens zu erreichen, wird keine Seele zur Ruhe kommen lassen. Das Gleiche gilt für die Berichte über weitere 20 Menschen, die in einem der von der Gaza Humanitarian Foundation betriebenen Lebensmittelverteilungszentren getötet wurden.

Wir dürfen unsere Augen nicht verschließen. Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken.
Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem Verlust unschuldiger Menschenleben in einem Krieg, der längst hätte beendet sein müssen.

Die Operation „Schwerter aus Eisen“ hat sich zu einem Krieg der Täuschung entwickelt.
Die Fortsetzung des Krieges fordert einen unmoralischen und ungerechtfertigten Preis – von unseren Brüdern und Schwestern, die als Geiseln gehalten werden, von unseren Söhnen und Töchtern, die im Militär dienen, und von unschuldigen palästinensischen Zivilisten.

Der Krieg muss beendet werden. Bis dahin muss die IDF ihr Verhalten bei Angriffen in dicht besiedelten Gebieten ändern.

Die israelischen Medien müssen über die Geschehnisse in Gaza berichten.
Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, um ein Ende des Krieges zu fordern. Und ja, auch meine Partner in der Opposition und ich müssen viel deutlicher und nachdrücklicher ein Ende des Krieges fordern.

Es reicht.

Wir verlieren unsere Werte.
Wir verlieren unsere Widerstandsfähigkeit.
Wir verlieren unseren Weg.“ (Alle Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Text von CH)

Das ist ein Statement vom 17. Juli 2025 des Knessetabgeordneten Gilad Kariv von der Partei Die Demokraten. Er plädiert mit großer Vehemenz für ein Ende des Krieges in Gaza.

Ein offener Brief von israelischen Juristinnen und Juristen, Richterinnen und Richtern fordert jetzt einen sofortigen Stopp der geplanten „Humanitären Stadt“ im Gazastreifen, die auf den Trümmern der Stadt Rafah von Israel gebaut werden soll und in der anfangs 600.000 Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen hineingezwungen werden sollen – nach einer Sicherheitskontrolle, dass sie keine Hamas-Leute sind und ohne die Option die Stadt wieder verlassen zu können. Das Ziel ist die Emigration der Palästinenser*innen und eine teilweise Wiederbesiedelung des Gazastreifens mit jüdischen Siedler*innen.

Das ist kriminell. Das ist illegal. Das verstößt gegen das Völkerrecht.

Damit verließe Israel nochmals den Kreis der zivilisierten Staaten, den es mit der aktuellen Kriegsführung ohnehin schon seit spätestens 2024 verlassen hat, da gezielter Hunger eine völkerrechtswidrige Waffe ist. Wer weiß, was für Folgen Hunger hat – auch für die Geiseln – sieht, wie mörderisch und selbstmörderisch die aktuelle IDF-Strategie ist. Es wird nicht nur zu einer, sondern gleich mehreren Generationen von Jihadisten geradezu erzogen, da braucht es keine Hamas, um so den Hass auf Israel zu schüren.

Diese Kriegsführung hat nichts mit Zionismus zu tun. Sie schadet den Geiseln. Sie mordet unentwegt Palästinenser*innen und greift auch – natürlich „zufällig“ und „nicht absichtlich“ – die fast einzige Kirche im Gazastreifen an, wie jetzt geschehen.

Die 16 oppositionellen Jurist*innen in Israel schreiben am 10. Juli 2025:

In Anbetracht der beschriebenen Rechtswidrigkeit stellt jede Anweisung, die Errichtung einer
„humanitären Stadt“ in Gaza vorzubereiten oder voranzutreiben, einen offenkundig rechtswidrigen Befehl dar, der nicht befolgt werden darf.
Die Ausführung dieses Plans könnte sowohl politische Personen als auch IDF-Offiziere und -Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und in anderen Gerichtsbarkeiten erheblichen
rechtlichen Risiken aussetzen. Im Gegensatz zu Staatsoberhäuptern, die unter bestimmten Umständen Immunität genießen, genießen Politiker und Militärangehörige keine Immunität, und für die oben beschriebenen Verbrechen gilt keine Verjährungsfrist.
Jeder, der diesen Plan plant, genehmigt oder ausführt, kann persönlich für schwere internationale Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Wir sind der Ansicht, dass aufgrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit die Einrede des höheren Befehls nicht möglich ist, schon gar nicht in internationalen oder ausländischen Foren. Anführer und Befehlshaber, die die IDF-Kräfte anweisen, diesen Plan auszuführen, befehlen ihnen effektiv, Handlungen auszuführen, die eindeutig rechtswidrig sind, und setzen sich damit weltweit der Strafverfolgung aus.
Wir fordern daher alle zuständigen Behörden dringend auf, sich öffentlich von diesem Plan loszusagen, ihn zu desavouieren, und sicherzustellen, dass er nicht umgesetzt wird.

Das ist ein außerordentlich wichtiger offener Brief.

Er wurde auch von zionistischen Juristen unterschrieben, die zuvor Israel gerade noch verteidigt hatten gegen den Vorwurf, in Gaza einen „Genozid“ zu verüben, die Times of Israel berichtet:

Das Schreiben wurde unter anderem von Eyal Benvenisti von der Universität Cambridge unterzeichnet, der einer der Experten war, die Israel in dem von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengten Völkermordverfahren verteidigten.

Weitere prominente Unterzeichner waren Yuval Shany von der juristischen Fakultät der Hebräischen Universität, der Schriftsätze zur Verteidigung Israels vor dem ICC eingereicht hat, sowie David Kretzmer, Eliav Lieblich, Tamar Megiddo und andere.

Der Jewish Forward und sein Kolumnist Dan Perry aus den USA klagen Benjamin Netanyahu persönlich für den Zusammenbruch des Zionismus an („The scourge of Netanyahu’s self-interest has brought Zionism to its breaking point„) und bezeichnen ihn als den „zerstörerischsten Führer in der Geschichte Israels“ („I first met Netanyahu in 1988. Here’s how he became the most destructive leader in Israel’s history.„)

Die New York Times wiederum hatte berichtet, dass es Netanyahu war, der spätestens im April 2024 einen umfassenden Geisel-Deal, der die restlichen jüdischen und weitere Geiseln der Hamas befreit hätte, nicht unterschrieb, weil seine faschistischen Regierungspartner wie Bezalel Smotrich ihr Veto einlegten und Netanyahu damit keine Mehrheit mehr im Parlament gehabt hätte und sich schutzloser seinen Gerichtsverfahren gegenüber gesehen hätte („How Netanyahu Prolonged the War in Gaza to Stay in Power„).

Zugleich haben jetzt die beiden faschistischen, rechtsextremen israelischen Politiker Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir Einreiseverbot nach Slowenien, einem EU-Land.

Wer kritisch zu Israel berichtet kann im Zweifelsfall seinen Laptop am Flughafen von der Fluggesellschaft bzw. dem „Sicherheitspersonal“ gestohlen und Tage später kaputt zurück bekommen, wie die taz von einer Kollegin berichtet. Meinungsfreiheit? Freiheit der Presse? Persönlichkeitsrechte? Das soll eine Demokratie sein? Ernsthaft?

Gleichzeitig gibt es nonstop antisemitische Demonstrationen, es werden Pro-Hamas Aufkleber geklebt und bei Antifa-Demos gegen die AfD wie in Heidelberg, werden dann wie selbstverständlich Antifafahnen und Palästina-Fahnen geschwenkt (wie am 18. Juli 2025 in Stadtteil Emmertsgrund). Wären diese Leute für Palästina und für Israel, würden sie auch eine Israelfahne schwenken.

Wieder andere fordern eine Art Konförderation zwischen zwei Staaten – Israel und Palästina – wie die Initiative Two States One Homeland oder A Land for All. Gleichwohl scheint diese Initiative das „Rückkehrrecht“ für alle Palästinenser*innen zu tolerieren (was eine zentrale Forderung der antisemitischen BDS-Bewegung ist), was auch jene Millionen Nachfahren von damals tatsächlich Vertreibenen – von denen nur noch wenige Zehntausend heute leben – bedeutete, was den Staat Palästina extrem vergrößern könnte, da ca. 5 Millionen palästinensische „Flüchtlinge“, die gar keine sind und alle lange nach 1948 in anderen arabischen Ländern oder in Europa, Amerika, Asien etc. geboren wurden, dorthin ziehen könnten.

Wer einen Krieg beginnt, so wie ihn die Araber gegen das von Holocaustüberlebenden, Zionist*innen und in Israel geborenen Juden gegründete Israel 1947/48 anfingen, und ihn verliert – hat auch völkerrechtlich verloren.

Zionismus heißt zwar gleiche Rechte für alle in Israel lebenden Menschen, aber es heißt auch eine sehr deutliche jüdische Mehrheit im Land, seit 1948 bis heute sind ca. 75 Prozent der Bevölkerung in Israel Juden. Das ist ein Zeichen, wie vielfältig dieser Staat ist, arabische Staaten sind extrem homogen und haben nach 1948 ebenfalls ca. 700.000 Juden vertrieben, von Marokko bis Irak. Auch religiös sind arabische Staaten eine nahezu komplette Einöde, es gibt nur den Islam.

Die antizionistische Szene, die als „pro-palästinensisch“ immer falsch tituliert wird, ist hoffnungslos verloren, sie kämpft nicht für ein freies Palästina, sondern verharmlost oder feiert den Islamismus und die Hamas und selbst die anti-Hamas Fraktion ist häufig antisemitisch (im Gegensatz zu Hamza Howidy jedoch!), weil sie den Zionismus und Israel ablehnt.

Die anti-antisemitische Szene ist häufig blind für den Extremismus in Israel, nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern seit Jahrzehnten. Sie hätte aber theoretisch die Möglichkeit, innezuhalten, und sich zu ändern. Aber auch hier sind seit dem 7. Oktober noch stärkere Tendenzen des Sich-Einigelns erkennbar, Abweichler*innen werden diffamiert und Selbstkritik ist für viele ein Fremdwort.

Solche kritischen jüdisch-israelischen Jurist*innen gibt hierzulande nicht in der sogenannten Pro-Israel Szene – und wenn es sie gibt, sind die Protagonist*innen meist zu feige, sich zu zeigen und unterscheiden zwischen privaten Äußerungen („Bibi ist ein elender Drecksack“, das kann ich aber öffentlich niemals sagen) und öffentlichen Auftritten.

Dazu kommen die rechtsextremen und konservativen ‚Freunde‘ und ‚Freundinnen‘ Israels, die zum Beispiel keinerlei Problem mit Treitschke- oder Felix-Wankel-Straßen in Deutschland haben, die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf auch auf gar keinen Fall als Verfassungsrichterin in Karlsruhe sehen wollen oder sich in Fragen des Natalismus- und Kinderfetisch und der Frauenverachtung wie Abtreibungsgegnerschaft mit den Ultraorthodoxen in Israel treffen, die im Schnitt 7 Kinder haben – so wie die Präsidentin der EU-Kommission -, was Israel ohnehin in wenigen Jahrzehnten an den Rand des nicht nur geistigen Zusammenbruchs führen wird, wie der Jewish Forward befürchtet:

Der nationale Selbstmordpakt der Haredi: Netanjahu ist inzwischen ganz auf einer Linie mit den bereits erwähnten Haredi-Parteien, die sich in einem massiven Konflikt mit dem Rest der Gesellschaft befinden. Die Haredi-Gemeinschaft, die den Militärdienst überwiegend verweigert und eine niedrige Erwerbsbeteiligung aufweist, wächst explosionsartig und hat im Durchschnitt fast sieben Kinder pro Familie. Sie machen inzwischen ein Sechstel der Bevölkerung aus und verdoppeln ihren Anteil in jeder Generation. Sie weigern sich, ihre Jugend säkulare Kernfächer studieren zu lassen, die sie in einer modernen Wirtschaft beschäftigungsfähig machen würden, sind von der Sozialhilfe abhängig und bestehen auf einem langjährigen Seminarstudium auf Kosten der Steuerzahler. Netanjahu, der ohne ihre politische Unterstützung keine Mehrheit hat, ist ihr wichtigster Ermöglicher geworden. Das Ergebnis ist eine demografische Zeitbombe. Wenn sich die Dynamik nicht ändert, wird es in Zukunft eine Mehrheit geben, die die Werte des modernen Israel ablehnt.

Worum es also geht? Easy:

Für Israel, gegen Benjamin Netanyahu.

Gegen antizionistischen Antisemitismus, aber auch gegen die aktuelle mörderische Militär-Politik der IDF.

Dass die meisten auch Pro-Israelis darüber hinaus ohnehin keinerlei Ahnung von einer rationalen Coronapolitik hatten (in Israel gab es jenseits der Regierung in der Public Health, Immunologie und Medizinforschung insgesamt seriöse Ansätze, Corona rational und nicht totalitär-panisch hygienestaatsmäßig zu begegnen), bis heute, dazu überhaupt keine Probleme mit ihrer Ukraine-Unterstützung haben und nie etwas zu den Pro-Holocaust-Täter Denkmälern in der Ukraine sagen oder sich gegen die Rot=Braun Ideologie des bürgerlichen Mainstream wenden, kommt ohnehin noch dazu, aber wem sage ich das. Und von kapitalistischer Herrschaft und den Verwerfungen durch die neoliberale und post-neoliberale kapitalistische Weltpolitik haben zumal in dieser Szene auch nur zu wenige eine Ahnung, da wird lieber mit CDU-Politiker*innen gekuschelt, als linkszionistisch gekämpft – gegen Kapitalismus und gegen Antisemitismus in all seinen Formen.

Die Situation als ausweglos zu bezeichnen, wäre euphemistisch.

Die Lage ist dramatisch in Israel und in Gaza: Vier Stimmen für ein Ende des Krieges und für die Freiheit der Geiseln in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for The Study of Antisemitism (BICSA)

Die Sache ist super komplex und eigentlich sehr einfach.

Hätten die Araber 1947 den UN-Teilungsplan für Palästina, die UN-Resolution 181, die einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah, akzeptiert, gäbe es seit 1947/48 einen Staat Israel neben einem Staat Palästina. Doch der Judenhass der Muslime, Araber und Palästinenser war und ist bis heute stärker.

Dabei gilt es, in der arabischen Welt und bei den Palästinenser*innen moderate Stimmen auf vielfältige Art und Weise zu unterstützen.

Doch der enorme Antisemitismus im Westen wie in Deutschland hat sich seit dem 7. Oktober so massiv und brutal gezeigt wie wohl noch nie seit 1945. Nicht nur, aber vor allem – weit überproportional – migrantische und linksextreme Antisemiten feierten den 7. Oktober und feiern jetzt die Hinrichtung von zwei jungen jüdischen Aktivisten, die letzten Mittwoch auf einer Veranstaltung des American Jewish Committee in Washington, D.C., im Jüdischen Museum von einem linken Judenhasser erschossen wurden. Die Frankfurter Rundschau berichtet:

Der Deutsch-Israeli Yaron Lischinsky und seine Partnerin Sarah Milgrim starben im Kugelhagel.

Es gibt jetzt Plakate wie in Berlin, die mit einem roten Dreieck auf die Opfer von Washington zeigen und feiern, dass diese „Zionisten“ ermordet wurden, was die Frankfurter Rundschau in ihrem Beitrag schockiert festhält.

Wir leben also in extrem krassen Zeiten.

Das heißt aber keineswegs, dass Israel nicht auch Fehler begeht oder gar Kriegsverbrechen.

Israel führt seit Ende Oktober 2023 einen Krieg gegen die Hamas, der völlig berechtigt war, aber seit langer Zeit seine Berechtigung verloren hat – weil es unmöglich ist, eine Terrorgruppe wie die Hamas zu eliminieren.

Das gezielte Aushungern des Gazastreifens über 10 Wochen hinweg, was erst vor wenigen Tagen mit der Wiederaufnahme von Hilfslieferungen leicht gemildert wurde, ist schockierend.

Klar ist die Hamas für das Elend verantwortlich, sie hat Terror und Judenhass gesät und die Infrastruktur des Gazastreifens nicht ausgebaut und seit Jahrzehnten Terror gegen Juden und Israel als Waffe eingesetzt.

Ohne das präzedenzlose Massaker des 7. Oktober gäbe es den aktuellen Krieg nicht, das darf man nie vergessen.

Es könnte im Gazastreifen viel mehr Landwirtschaft, zivile Einrichtungen, viel mehr Entsalzungsanlagen und so weiter geben – dafür gibt es Hunderte Kilometer Tunnel dieser islamistisch-faschistischen Horrortruppe – die gebaut wurden und alle wussten es.

Doch deshalb kann man nicht Millionen Menschen von Hilfslieferungen abschneiden. Das ist anti-zionistisch und schadet Israel extrem.

Die israelische Armee, die am 7. Oktober unfassbar versagt hat, möchte offenbar auch nach 18 Monaten Krieg immer noch wieder gut machen, was sie an diesem schlimmsten Tag für Juden seit der Shoah versäumten. Das ist aber nicht wieder gut zu machen. Dazu kommen die rechtsextremen Tendenzen der israelischen Regierungspolitik, die im Jahr 2023 bis einschließlich zum 6. Oktober zu den größten und am längsten anhaltenden Massenprotesten in der gesamten Geschichte Israels führten – gegen die geplante Justizreform, die eine Gewaltenteilung aushebeln würde und Israel wäre damit keine liberale Demokratie mehr.

Es geht also kurzgesagt um zwei zentrale Aspekte:

Ein Ende des Krieges gegen die Hamas und damit die Freilassung der Geiseln und somit zweitens eine Stärkung Israels, eine Rückkehr zur rationalen Bekämpfung des Antisemitismus und zum Zionismus.

Doch die IDF planen exakt das Gegenteil: keinen „Deal“ zur Freilassung der Geiseln, sondern eine Besatzung des Gazastreifens zu 75 Prozent, während die 2 Millionen Bewohner*innen in den restlichen 25 Prozent Fläche leben sollen. Das ist der aktuelle Plan (Stand 26. Mai 2025).

Aus pro-israelischer Sicht weisen auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Schärfe und Diktion aktuell viele Stimmen auf die untragbare Situation hin. Vier dieser Stimmen möchte ich heute kurz zitieren.

Erstens wendet sich am 22. Mai 2025 der Musiker Bono der Rockband U2 in einem Statement, das er live während der Preisverleihung der Ivor Awards für britische Musiker*innen in London gab, für die sofortige Freilassung aller verbliebenen Geiseln der Hamas. Und zugleich hofft er darauf, dass Israel endlich von Benjamin Netanyahu „befreit“ werde. Bono ist seit vielen Jahren pro-israelisch aktiv und hat auch der Opfer des islamistisch-antisemitischen Massakers vom 7. Oktober gedacht, weswegen ihn der Unterstützer der antisemitischen BDS-Bewegung Roger Waters (Pink Floyd) disst.

Zweitens betont der Beauftrage der deutschen Bundesregierung für die Bekämpfung des Antisemitismus, Felix Klein, in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 25. Mai 2025, dass die Sicherheit und Existenz Israels deutsche Staatsräson ist. Er wendet sich selbstredend gegen die Terrorgruppe Hamas und den weit verbreiteten Antisemitismus in Deutschland. Doch Felix Klein, man hätte das von ihm nicht erwartet, distanziert sich jetzt von seiner eigenen Zustimmung zum Trump-Plan, den Gazastreifen zu einer „Riviera“ des Nahen Ostens zu machen, einem Eldorado für Immobilienmakler und Großkapitalisten wie Trump bei gleichzeitiger Entvölkerung des Gazastreifens. Er wendet sich auch gegen manche Kriegshandlungen oder die Blockade der Hilfslieferungen und sagt kategorisch:

Wir müssen uns mit aller Kraft dafür einsetzen, die Sicherheit ­Israels und der Juden weltweit zu bewahren. Aber wir müssen auch klar sagen, dass das keine Rechtfertigung für alles ist. Die Palästinenser auszuhungern und die humanitäre Lage vorsätzlich dramatisch zu verschlimmern, hat nichts mit der Sicherung des Existenzrechts Israels zu tun. Und es kann auch nicht deutsche Staatsräson sein.

Drittens betont der Gründer und Herausgeber der Times of Israel David Horovitz am 21. Mai 2025, dass der Krieg sofort aufhören muss, damit die wenigen noch lebenden Geiseln freikommen. Dadurch würde zwar Netanyahu seine rechtsextreme Regierungskoalition verlieren, da Hetzer wie Smotrich oder Ben Gvir die Regierung verlassen würden, aber das solle es Netanyahu wert sein, zumal dann seine Chancen bei Neuwahlen steigen würden – was natürlich absurd wäre, wenn Israel nochmal Netanyahu wählen würde, obwohl er doch einer der Hauptverantwortlichen für das nie dagewesene Versagen der IDF und der Geheimdienste am 7. Oktober 2023 war und ohnehin eine rechtsextreme Agenda fährt. Horovitz ist sehr dramatisch und wohlüberlegt mit seinen Worten und sagt:

End the war to get back the hostages. Save Israel

Viertens betont der Journalist Jan Roß von der Wochenzeitung Die Zeit, der regelmäßig Texte zu Israel und Nahost schreibt, am 22. Mai 2025,  dass es an der Zeit sei, sich gerade als Pro-Israeli gegen die aktuelle Regierungspolitik und gegen den Krieg in Gaza zu stellen:

Auch wenn Deutschland der israelischen Regierung widerspricht und ihr sogar entgegenarbeitet – mit dem Staat Israel muss es solidarisch sein.

Als vor wenigen Tagen die IDF ein Haus beschoss und neun Kinder unter zwölf Jahren tötete, nur ein Kind und der Vater überlebten, die Mutter war zuvor vom Vater zur Arbeit gefahren worden (beide Eltern sind Ärzte), gab es einen Aufschrei in Israel (die Pro-Israel Szene in Deutschland ist da meist eher ruhig oder ignorant). Die linkszionistische Szene in Israel lebt aber sehr wohl, man sieht das an den Demonstrationen, die sich ja nicht gegen den eigenen Staat wenden, sondern gegen diesen Krieg und sich für ein Ende des sehr brutalen Krieges ausspricht, der die Leute ja auch zermürbt, da er Mitte Januar beendet worden war und jetzt plötzlich wieder aufflammte, Jan Roß berichtete sehr eindrücklich darüber. Und Roß ist wie zitiert ein Pro-Israeli, darum geht es.

In Israel demonstrieren daher die letzten Tage schockierte Israelis gegen diesen Angriff, der nicht mit der ja nicht falschen, aber hier nicht nachvollziehbaren Begründung erfolgte, die Hamas würde sich unter Zivilisten verstecken. Dieses Argument war nicht immer falsch, ist aber zumal in diesem Krieg zu oft als Lüge erkannt worden, gerade von jungen Israelis, die doch alle selbst in der IDF dienten oder dienen.

Israel hat mittlerweile selbst jahrzehntelange Alliierte wie das Vereinigte Königreich (UK), Deutschland und die USA (die keineswegs nur aus Trump bestehen, sondern auch aus dem Senat etc.) gegen sich aufgebracht.

Vermutlich kein Politiker Israels seit 1948 hat den jüdischen Staat dermaßen isoliert wie Benjamin Netanyahu.

Also: Zionismus heißt, für ein Ende des sinnlosen Krieges einzutreten – eine Terrorgruppe wie die Hamas kann man nicht besiegen, da sie auch ohne Tunnel oder Waffen einfach Teil der ‚Zvilgesellschaft‘ wird, Zehntausende Kämpfer – , für die sofortige Freilassung aller Geiseln und für ein Ende des politischen Regimes unter Benjamin Netanyahu.

Es muss darum gehen, den Anti-Hamas Palästinenser*innen eine Perspektive zu geben.

Und es geht darum, jenen in die Augen zu schauen, die jetzt brüllen, dass Israel Verbrechen begehe und ihnen sagen: WAS hast du am 7. Oktober getan? Geweint oder gekichert?

Wir, die wir pro-zionistisch sind, haben das Recht, Israel zu kritisieren. Wer aber den Antisemitismus nicht bekämpft, sondern nur wartet, bis eine Reaktion Israel zu brutal oder gar kriegsverbrecherisch ausfällt, der oder die hat gar kein moralisches Recht, zu urteilen.

So einfach ist das im Zweifelsfall.

Ein Leben ohne Jihad und ohne Hunger, ein westliches, demokratisches Leben, mit freien Wahlen in einigen Jahren und mit der Perspektive mit dem Westjordanland die Zweistaatenlösung umzusetzen. Ein jüdischer Staat Israel und ein demilitarisierten Staat Palästina mit einer starken jüdischen Minderheit (den Siedlern im Westjordanland z.B.). Es ist schockierend genug, dass in Gaza keine Juden mehr leben – wie in fast allen arabischen Ländern kaum noch Juden leben, während in Israel von Anbeginn ca. 20 Prozent Araber/Palästinenser*innen leben.

Am Israel Chai.

 

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