The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Hamza Howidy

Jenseits von „sine ira et studio“ – Antisemitismuskritik und Linkszionismus, noch einmal: Eva Illouz

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Im ersten Band des Handbuchs religionswissenschaftlicher Grundbegriffe von 1988 gibt es das Stichwort „Antisemitismus“. In dem Beitrag wird die Geschichte des Antisemitismus dargestellt, wobei völlig richtig auch der Antizionismus unter Antisemitismus rubriziert wird:

…freilich lebt [der Antisemitismus] der Sache nach fort im ‚Antizionismus‘ der sich seinerseits als Antirassismus ausgibt“. (S. 497)

Bei der Analyse des Antisemitismus betont der Autor, dass es hierbei „durchaus nicht ’sine ira et studio'“ (S. 496) zugehen solle, wer ganz neutral, abwägend über Judenhass schreibt, hat nicht verstanden, um was es sich dabei handelt.

Am Ende des Eintrags heißt es unter „VII. Antisemitismus nach 1945“:

Nach der Shoah ist A. nicht mehr hoffähig. Wer ihn deshalb für erledigt hält (allenfalls noch eine Sache der ‚ewig Gestrigen‘), übersieht die Surrogate, die doch im Kern dasselbe fortsetzen. Der Antizionismus kritisiert kein Volk und keine Rasse – wohl aber alle Juden, die zu Israel eine Beziehung haben. Der Mechanismus ist perfekt. Der Antizionist kann gar kein Antisemit sein, denn A. ist Rassismus, Zionismus ist (mit UNO-Mehrheit beschlossen) Rassismus, ergo: der Antizionist ist Antirassist und kann deshalb gar kein Antisemit sein (vielmehr kritisiert er die Juden, weil …) (vgl. die polemische, aber in der Aufdeckung dieses Mechanismus sehr wichtige Arbeit von Finkielkraut [„Der eingebildete Jude“, 1982, CH]). Abermals verschlingen sich im Antizionismus Rationales (berechtigte Kritik an der Politik der Regierungen Israels) mit irrationaler Überschätzung der politischen und ökonomischen Möglichkeiten der Juden und dem Erbe der antisemitischen Traditionen. (S. 504)*

Es ist vor diesem Hintergrund merkwürdig, dass der ARD-Tatort-Schauspieler Hans-Jochen Wagner angesichts der Nominierung des Medienunternehmers Wolfram Weimer, der von Religion, Familie und Tradition fabuliert und vom „eigenen Blut“ oder der „eigenen Sippe“ raunt, die aussterben würden, als neuer Kulturstaatssekretär unter Schwarz-Rot und Friedrich Merz, in einem Interview mit dem STERN ausgerechnet das Thema Künstler*innen und Gaza erwähnt und moniert, dass manche Kunstschaffenden sich politisch erklären müssten, um auftreten zu dürfen („Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht, sollte es uns doch allen unangenehm sein, internationale Künstler irgendwelche Grundsatzpapiere unterschreiben zu lassen, bevor sie auftreten dürfen.“) Er hat nicht mitbekommen, wie antisemitisch und antiisraelisch oder eiskalt weite Teile seiner Kunstszene/Musikszene/Schauspielerszene nach dem 7. Oktober 2023 reagiert haben. Gab es Großdemonstrationen von Tatort-Schauspieler*innen gegen das genozidale Massaker der Hamas an Jüdinnen und Juden?

Was heißt „Egal wie man zum Gaza-Konflikt steht“? Damit meint er womöglich, dass es doch egal sei, ob man für oder gegen islamistischen Antisemitismus und das Abschlachten von Juden durch die Hamas ist.

Der Antisemitismus weiter Teile der Kulturszene wie im ganzen Land, der zeigte sich ja exakt am 7. und 8. Oktober 2023, Wochen vor einer militärischen Reaktion Israels.

Ganz anders hingegen die israelisch-französische Soziologin Eva Illouz. In einem Interview mit der Zeitschrift K. Jews, Europe and the XXI Century vom 10. April 2025 spricht sie über Antizionismus, Linkszionismus und den Kampf gegen den Antisemitismus. Bekanntlich wurde Illouz dieses Jahr der Israel-Preis verliehen, doch der aktuelle israelische Bildungsminister Yoav Kisch forderte die Jury auf, ihr den Preis nicht zu geben. Daraufhin gab es tatsächlich eine zweite Abstimmung, die sich aber doch wieder für Illouz aussprach, aber ein Jurymitglied stimmte jetzt gegen Illouz, da sie – das war der Aufhänger für Kisch – 2021 mit über 180 anderen Israelis eine Petition an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag unterschrieben hatte, die sich gegen Kriegsverbrechen Israels im Westjordanland wendet. Dieses Jurymitglied wendet sich nun gegen Illouz und bezichtigt sie in geradezu islamistischer Manier des Verrats, auf dem die Todesstrafe stehe:

In my case and that of the prize, one of the members of the scientific committee changed her opinion and voted against me during the second meeting of the committee that the minister had demanded. The reason she invoked is nothing but stunning: she invoked an old Jewish law that designates Jews as “traitors” if they hand them over to non-Jews. This old religious law invokes the obligation to kill them. The last time it was invoked in public discourse was before Rabin’s murder.

2024 sollte der Israel-Preis in der Kategorie „technologische Innovation“ an den Unternehmer Eyal Waldman verliehen werden. Waldmans Tochter Danielle Waldman und ihr Freund Noam Shai wurde von den Jihadisten am 7. Oktober 2023 auf dem Nova-Festival ermordet. Eyal Waldman war vor dem 7. Oktober als Kritiker von Netanyahu und der geplanten „Justizreform“, die sich gegen die Gewaltenteilung positioniert, in Erscheinung getreten und ist als Unternehmer, der viele Palästinenser*innen beschäftigt, bekannt. Waldman wurde auf Initiative von Yoav Kisch der Israel-Preis nicht verliehen, wie unter anderem Haaretz berichtete.

Es war tatsächlich der Mord an Rabin im Jahr 1995, der für Eva Illouz eine Welt zusammenbrechen ließ, wie sie in dem Interview sagt:

For me, the break came when Rabin was assassinated in November 1995 and Netanyahu, who had led a campaign to demonize Rabin because of the Oslo process, was elected a few months later in 1996. That was when I realized that something very bad was brewing. That was the moment of the great rupture. I understood that the religious messianists had power and that they were leading Israel to disaster. I hoped I was wrong.

Ihr Traum von Zionismus war inklusiv, auf Frieden und Zweistaatlichkeit ausgerichtet, ein Staat für die Juden, einer für die Palästinenser. Mit dem Mord am versöhnenden Rabin und dem ersten Wahlsieg von Netanyahu 1996 war dieser zionistische Traum schon fast beendet.

Und seitdem wurde es noch viel schlimmer. Der Antisemitismus wurde schlimmer.

Die Isolation Israels wurde schlimmer.

Die innere Spaltung des Landes Israels wurde noch gravierender.

Die Situation der Palästinenser angesichts von Jihad, Hamas und Islamismus, aber auch der Rassismus Israels gegenüber den Palästinensern, wurden auch noch viel schlimmer.

In einer brillanten Analyse spricht Eva Illouz von einer „Autoimmunerkrankung“ Israels – die primär den Premierminister Benjamin Netanyahu, aber auch weite Teile des Landes und der Wählerschaft infiziert hat:

The body can no longer distinguish between healthy and diseased tissue. This is what is happening in Israel. The proof? Before October 7, Netanyahu was so busy seeing the demonstrators as enemies that he did not see where the real enemy was. He did not listen to the warnings about Hamas. This government acts as if those who fight to prevent Israel from becoming a pariah state were enemies. This is an autoimmune political disease.

Die Neue Rechte, zu der Netanyahu zu zählen ist, hat im Westen seit vielen Jahren einen turbo aggressiven Kulturkampf begonnen, von Victor Orbáns Agitation gegen den Juden George Soros über Donald Trumps philosemitische Israelkumpelei bei gleichzeitiger Hofierung von Neonazis wie den Proud Boys bis hin zur AfD, den Neuen Rechten in Holland, Frankreich, Italien und vielen anderen Staaten. Familie, Reproduktion, Tradition, Anti-Inklusion, Anti-Gender, Antifeminismus, Kapitalismus, Naturzerstörung, Religion und Kampf gegen alles Linke sind die zentralen Topoi dieser Szene.

Es ist ein Kampf gegen den Universalismus und das große Versprechen des Zionismus, der Souveränität für Juden bei gleichzeitiger Freiheit für die Palästinenser bedeuten sollte – so Illouz:

I fight for peace and brotherhood with the Palestinians, those who want to live in peace, for the maintenance of democracy in Israel, and at the same time I fight against antisemitism. Only ideology and the social division of political camps make these tasks incompatible. I try to hold both ends even if it is sometimes uncomfortable. The big question this raises is this: if Zionism is hijacked by an authoritarian and anti-democratic political project, what will be left of it? Not much, I think. The endless war that Israel has been waging since the creation of the state has blunted a certain human gentleness, its capacity for universal brotherhood, its ability to distinguish between force and legitimacy. Enemies are seen everywhere and the wrong friends are chosen.

Wer ein klein wenig Einblick hat in die Pro-Israel-Szene in Europa, Deutschland oder den USA, weiß: wer nicht auf Linie ist, ist nicht Teil dieser Szene. Wer sich zum Beispiel schon 2017 gegen den Sexisten und Verschwörungsantisemiten Donald Trump wandte, wurde aus sogenannten Pro-Israel Gruppen mitunter ausgeschlossen, während ganz große Denker, Marxisten aus Wien vorneweg, und ihre Epigonen wie Nachbeter in Trump Hegels „List der Vernunft“ zu erahnen vermochten („Da lacht der Horst. Die neue Querfront? Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump…) und den Ton angeben.

Ganz zentral ist folgender Satz bei Illouz:

I fear that the political and moral culture of this country has been destroyed by the Occupation and messianism.

Wo finden sich in aktuellen Konferenzen, Vorträgen oder Symposien in Deutschland diese Themen: Besatzung, Messianismus und religiös-nationalistischer Fanatismus in Israel? Das sind Themen, die nicht zu Themen gemacht werden. Illouz weiß das sehr wohl, warum das so ist, auch sie redet in Israel anders als in Frankreich. In Israel ist sie Teil der Mehrheit und spricht vom israelischen Rassismus, in Frankreich ist sie eine kleine Minderheit und spricht mehr vom Antisemitismus.

Aber der Unterschied ums Ganze zu weiten Teilen der (primär nicht-jüdischen) Pro-Israel Szene in Deutschland liegt darin, dass Illouz auch hier und heute von Frankreich aus Netanyahu frontal angreift und ihn als eine riesige Gefahr für den Zionismus und die Zukunft des Staates Israel erkennt:

I protest against Netanyahu’s authoritarian excesses and the corruption of his government, against the destruction of lives in Gaza, I fear for the future of Israel, which is being undermined from within by too much division and dissent.

Das heißt hier und heute: Wer die aktuelle Hungersnot in Gaza nicht sieht – seit zwei Monaten lässt Israels aus Perfidie keine Hilfslieferungen hinein -, will sie nicht sehen und sieht in nahezu jedem, der sie erwähnt, einen Antisemiten und Israelfeind.

Selbstredend sind jene, die hier und heute und seit dem 7. Oktober 2023 mit Keffiyah rumlaufen oder Palästina-Symbole wie Fahnen an den Balkon oder das Fenster hängen oder entsprechende Aufkleber verkleben, fast immer Antisemiten.

Wer wirklich für Palästina ist, wäre ja schon seit Jahrzehnten gegen die Hamas aktiv und für ein freies Palästina Seite an Seite mit Israel. So wie das aktuell Hamza Howidy in Deutschland ist – als palästinensischer Flüchtling, der vor der Hamas floh – und Tausende andere, sehr mutige Menschen in Gaza, die ihr Leben gleich doppelt aufs Spiel setzen: sie könnten bei Demonstrationen von Israelis (der IDF) erschossen werden oder von der Hamas erkannt und am nächsten Tag massakriert werden.

Ein Intellektueller stellt sich gegen die Mächtigen. Doch was wir nicht nur hierzulande erleben ist ein Gruppendenken und ein monothematischer Rollback, der katastrophal ist: Wer nicht für Merz ist, ist gegen Israel, wer nicht für Weimer ist, ist links und wer links ist, ist antisemitisch.

So einfach ging das schon bei Corona – wer nicht für den irrationalen Maskenwahn oder die (verglichen mit richtigen Impfungen) epidemiologisch sinnfreie ‚Impfung‘ war, war ein Nazi und Schwurbler.

Beim Ukraine-Diskurs werden alle, die gegen Militärhilfen für die Ukraine und für eine diplomatische Lösung sind, als Putinversteher delegitimiert und vom Diskurs ausgeschlossen.

Beides, der Corona- wie Ukraine-Diskurs und das Reden im Mainstream wie im Duktus von Wahrheitsministerien fällt mittlerweile sogar – am Rande – der ZEIT auf („Lassen Sie uns bitte reden. Wir dürfen beim Thema Krieg und Frieden nicht dieselben Fehler machen wie während der Pandemie. Fordern diese Autorinnen und Autoren„.)

Wenn dann hierzulande jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, sind so gut wie nie die Verdrehungen, Halbwahrheiten oder schlichten Lügen („2G schützt vor Übertragung und Verbreitung des Virus“ etc. etc. etc.) der Corona-Politik-Apologeten (m/w/d) gemeint, sondern nur die irrationalen Trottel, die es in der Szene der Corona-Politik-Skeptiker*innen ja tatsächlich in nicht geringer Anzahl gibt.

Wenn hier jemand vom „postfaktischen Zeitalter“ redet, ist fast immer nur Putin gemeint, wenn es um Osteuropa geht (oder Orbán, was jeweils nicht falsch ist, aber nur die halbe Wahrheit) – aber eigentlich nie die Lügen der NATO, die sich seit Anfang der 1990er Jahre extrem aggressiv gegen Osteuropa ausgebreitet hat, obwohl es die mündliche und im Protokoll schriftlich fixierte (!) Zusage gab – gegenüber der UdSSR, die sonst niemals für eine „Wiedervereinigung“ Deutschlands gestimmt hätte! – dass sich die NATO „nicht einen inch ostwärts“ bewegen würde, wenn sich DDR und BRD zusammen schließen würden. Und von den Denkmälern und Straßenbenennungen für Nazikollaborateure und Holocausttäter in der Ukraine sprechen solche, die gerne vom „postfaktischen Zeitalter“ reden, auch fast nie.

Wo waren die zionistischen Demonstrationen gegen Trumps Pläne der Abschiebung aller Palästinenser*innen aus Gaza, um dort ein Immobilienparadies für seine kriminellen und korrupten Machenschaften und Kumpels (inklusive Netanyahu) aufzubauen?

Es ist und bleibt ein Elend: Wer als Intellektueller Kritik an Mythen übt und zudem zionistisch ist, ist eben Linkszionist und insofern vom riesigen staatsautoritären Netanyahu-Lager als Feind deklariert.

Wer hingegen Kritik an Netanyahu nur als Vehikel benutzt, um den Zionismus an und für sich abzulehnen, zeigt seine antisemitische Fratze, wenn auch oft hinter einer Maske versteckt.

Das macht die Position von Eva Illouz so nahezu einzigartig, jedenfalls was richtig berühmte heutige Intellektuelle betrifft. Sie ist und bleibt links und zionistisch. Punkt. Ich hatte darüber ja schon im Dezember 2024 berichtet.

„Woke“ Linke haben sich spätestens am 8. Oktober 2023 großteils als Antisemiten geoutet. Sie haben gekichert, geklatscht – oder geschwiegen. Nur ganz wenige gingen die Tage danach auf Pro-Israel Kundgebungen oder Demonstrationen, während im Januar 2024 Hunderttausende an Anti-AfD-Protesten teilnahmen, weil sich im November 2023 in Potsdam extreme Rechte trafen und mit der AfD rassistische Gedankenspiele diskutierten.

Doch das schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah hat die exakt gleichen „woken“ Linken nicht schockiert oder zum Protest animiert.

Die Rechten sind nicht besser, nur anders gepolt. Sie hetzen gegen Leute, die gegen die Familienideologie sind, gegen Religionskritiker*innen und Säkularismus und gegen Leute, die die Klimakatastrophe thematisieren und gegen sie aktiv werden. In Israel werden Kritiker*innen der Siedlungspolitik als Feinde gesehen, als ob sie Islamisten wären – dabei sind die wahren Feinde des Zionismus die militanten Siedler*innen, da sie die Worte Kompromiss, Gleichberechtigung und gleiche Rechte für Palästinenser nicht kennen.

Mittlerweile gibt es auch in Israel eine Kritik am „woken“ Konservativismus (!) – an einer „Reinheit“ der eigenen Reihen, wie es der Präsident der Ben-Gurion Universität Professor Daniel Chamovitz in der Times of Israel ausdrückt.

Am Ende des Interviews sagt Eva Illouz dann einen Satz, den hierzulande nicht eine bekannte zionistische Person – angenommen es gäbe eins ähnlich bedeutende zionistische Persönlichkeit in Deutschland, wie Eva Illouz es in Frankreich/Israel ist – zu formulieren in der Lage wäre, weil so einen Satz nur eine Intellektuelle und somit eine Linke, eine Linkszionistin zu denken und sagen vermag:

The position of the intellectual requires managing the tension between loyalty and truth all the time. I love Israel, but I am horrified by its authoritarian excesses and what seems to be a profound corruption of the state apparatus…

 

 

*Jürgen Ebach (1988): Antisemitismus, in: Hubert Cancik/Burkhard Gladigow/Matthias Laubscher (Hrsg.) (1988): Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe. Band 1, Stuttgart: Kohlhammer, S. 495-504.

Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 – ein Gespräch mit Prof. Gert Weisskirchen und Dr. Clemens Heni in Heidelberg

 

Am 6. Oktober 2023 ab 19 Uhr fand vor ausverkauftem Haus in der Buchhandlung Blaumilch in Heidelberg eine Diskussionsveranstaltung statt mit Prof. Gert Weisskirchen, jahrzehntelang im Deutschen Bundestag und seinerzeit außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und Begründer der Institution des „Antisemitismusbeauftragten“ und erster Antisemitismusbeauftragter der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und Dr. Clemens Heni, Politikwissenschaftler und Verleger. Einleitung und Einladung durch den Buchhändler Markus Bitterolf.

Hier einige der Themen in einer Zeitleiste des ca. 50-minütigen Gesprächs, das danach in einer interessanten Diskussion mit dem engagierten und ebenso pro-israelischen Publikum weitergeführt wurde.

Foto: Privat

 

 

– Begrüßung, Zitat von Vladimir Jankélévitch von 1973: u.a.: „Und weder das Münchner Olympia-Massaker noch das schreckliche Blutbad am Flughafen von Lod haben unseren ‚Intellektuellen‘ ihre Gelassenheit und ihr gutes Gewissen genommen … Es waren nur Juden, da ist es nicht nötig, sich Zwang anzutun“.

– Min. 4: Zitat Amos Oz von 1967 zum Begriff des Zionismus: „Die Araber haben den Zionismus nicht bekämpft, weil sie ihn nicht verstanden haben, sondern weil sie ihn nur zu gut verstanden haben.“

– Min. 8:  7.10. ein Schock ohne Nachhall

– Min. 12: 2008/09 Versuch einer fraktionsübergreifenden Erklärung gegen Antisemitismus und zur Unterstützung jüdischen Lebens in der Bundesrepublik

– Min. 15: Hamas, Hisbollah und der palästinensische Mainstream gegen Freiheit

– Min. 16: Der Palästinenser Hamza Howidy, Opfer der Hamas und Kämpfer für ein nicht islamistisches freies Palästina Seite an Seite mit Israel

– Min. 19: Klaus Faber (1940-2019): Linke Palästinenser für Freiheit und Verständigung mit Israel

– Min. 23: Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen Philipp Peyman Engel in Heidelberg: Kritik der Rede von „pro-palästinensischen Demonstrationen“, die vielmehr anti-israelisch und antisemitisch sind

– Min. 23: Chefredakteur der Heidelberger Lokalzeitung Rhein-Neckar Zeitung

– Min. 26: Jürgen Gansel (früher NPD, nicht Norbert Gansel, ein Versprecher auf der VA) und die Rechtsentwicklung und Antisemitismus

– Min. 30: Die Wochenzeitung Die ZEIT habe sich seit dem 7.10. merklich pro-israelisch entwickelt verglichen mit Texten vor dem 7.10.

– Min. 32: Massendemos gegen die AfD – psychoanalytische Erklärung: wird da das eiskalte linke Schweigen nach dem 7.10. überkompensiert, weil die Leute denken, wer gegen die AfD demonstriert sei auch für die Juden?

– Min. 36: Israel als Staatsräson, ist das passé?

– Min. 38: Universitätsstadt Heidelberg – Rektorin spricht mit antisemitischen Akteuren und lässt antisemitisches Transparent mit der Aufschrift „Genocide“ erstmal hängen, hindert die Polizei am Abhängen

– Min. 40: Fehlerhafter Freiheitsbegriff der Linken

– Min. 41: Wer meldet antisemitische Vorkommnisse und wer entfernt antisemitische Schmierereien etc.?

– Min. 43: Schon wieder ein runder Tisch „gegen Rassismus“ – auch in Heidelberg?

– Min. 47: Spezifik des Antisemitismus – Antisemitismus ist gerade was anderes als Rassismus

– Min. 48: Forderung: Forschungsstelle Antisemitismus an der Universität Heidelberg gründen!

 

 

Freiheit für Palästina: Hamza Howidy

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Mittwoch, den 24. Juli 2024 sprach der Palästinenser Hamza Howidy auf einer Veranstaltung der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS) und des Bundes Jüdischer Studierender Baden im Hannah-Arendt-Saal dieser Hochschule.

Foto: Privat

Im Gespräch mit einer Studentin der Hochschule ging es über seine Flucht aus dem Gazastreifen 2023, seine scharfe Ablehnung von Jihad und Islamismus in Gaza wie auch über seine Kritik an der „peinlichen israelischen Regierung“ und den „peinlichen pro-palästinensischen Protesten“ wie in Deutschland.

Hamza wuchs im Gazastreifen auf und hatte zeitweise ein recht schönes Leben, wie er betonte. Der jihadistische Putsch der Hamas 2007 war jedoch ein prägender Einschnitt, da war er gerade mal neun Jahre alt. Frauen wurden umgehend angehalten, sich zu verschleiern, selbst Männer durften sich nicht mehr mit kurzen Hosen zeigen, erinnert Hamza. Die Zeit unter der Fatah mit all den mörderischen Selbstmordanschlägen in Israel war jedoch für Hamza noch unerbittlicher und brutaler als die Anfangszeit mit der Hamas, obwohl er sich nie den Islamisten anschloss. Er ging dann auf eine von der Hamas kontrollierte Universität.

Doch die Lebensqualität im Gazastreifen nahm unter der Terrorherrschaft der Hamas konstant ab. So ging Hamza mit vielen anderen erstmals 2019 gegen die Hamas protestieren. Er wurde festgenommen und wie ein Krimineller behandelt, geschlagen und gefoltert. Er demonstrierte wie Amin Abed für ein „besseres Leben„, wie die Times of Israel berichtet. Auf der Veranstaltung in der Heidelberger Altstadt betonte Hamza, dass er noch nicht mal was Positives zu Israel gesagt habe, was die Islamisten der Hamas provoziert haben könnte.

Das wiederholte sich 2023, als er bei Anti-Hamas Protesten wiederum festgenommen wurde. Er konnte dann im August 2023, wie die Times of Israel schreibt, fliehen. Hamza erzählte, dass er über Ägypten und die Türkei fliehen konnte und über die „übliche Flüchtlingsschiffroute“, wie er es nannte, nach Griechenland kam. Dort war er mit vielen anderen Palästinensern in einem Flüchtlingscamp, darunter waren auch Jihadisten und Hamas-Islamisten.

Er suchte Hilfe und erkundigte sich nach einem besseren Zufluchtsort und ein Israeli riet ihm, nach Deutschland zu gehen, das wäre für Juden wie für Palästinener ein sicherer Ort. Via Twitter bzw. X ist Hamza international vernetzt und hat über 21.000 Follower auf X. Er bekommt auch Drohungen, wie er erzählte. Nicht zuletzt seine Erfahrungen mit den Hamas-Terroristen, die als Flüchtlinge verkleidet in Griechenland um Asyl in der EU anfragten, zeigen, wie kompliziert es ist, echte Flüchtlinge wie ihn von Terroristen oder islamistischen Sympathisant*innen der Hamas zu unterscheiden.

 

Foto: privat

Es war ein sehr bewegendener und inspirierender Abend an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Die ca. 60 Zuhörer*innen diskutierten im Anschluss an das Gespräch mit ihm sehr angeregt, auch wenn einige Fragen sich dann wiederholten und gleich mehrere Nachfragen über die Queers in Gaza keinen neuen Erkenntnisgewinn brachten, da Hamza schon zuvor die überall vorherrschende Homophobie betont hatte. Noch abwegiger war ein Statement einer Zuhörerin, die krampfhaft die Situation in Gaza mit der nun wirklich nicht vergleichbaren Situation in Russland in Beziehung setzen wollte, dabei ist ja Russland im gesamten Westen total isoliert und wird boykottiert – wie bei der heute beginnenden Olympiade in Paris – , während die Palästinenser ja sehr viele Fürsprecher haben, gerade in der EU, aber auch weltweit. Dass Demonstrieren auch in Russland lebensgefährlich sein kann, ist schrecklich, doch der Konflikt mit der Ukraine geht nun weit darüber hinaus und zeigt auch die Mitschuld des Westens und der NATO, doch das wäre jetzt ein anderes Thema.

Auf der Veranstaltung in Heidelberg wollten viele einfach Hamza auch nach der Veranstaltung noch direkt ansprechen und mit ihm kommunizieren und ihm ihre Solidarität ausdrücken. Hamza Howidy ist in der Tat die Zukunft Palästinas. Es wird oder besser: es sollte ein freies Palästina geben, ohne die Hamas und andere Terrorgruppen, mit einer weltoffenen Gesellschaft ohne religiösen Fanatismus. Er möchte einen Staat Palästina Seite an Seite mit dem jüdischen Staat Israel. Hamza ist verständlicherweise kein Freund der IDF, die unter anderem auch das Haus seiner Eltern bei einem Angriff getroffen haben. Mittlerweile lebt seine Familie laut der Times of Israel in Ägypten.

Viele der Informationen, die Hamza nur zwei Wochen zuvor der Times of Israel (TOI) in Berlin erzählte, kamen in Heidelberg nicht zur Sprache, es war auch „kein politikwissenschaftliches“ Setting, wie die Moderatorin der Hochschule für Jüdische Studien und auch Hamza selbst betonten. Dabei ist Hamzas Betonung, dass der Gazastreifen erst einmal einige Jahre eine „Deradikalisierung“ benötigt und bis dahin sollten auch keine Wahlen stattfinden, sehr politikwissenschaftlich und durchdacht.

Die Hamas sei so etwas wie „der Islamische Staat IS, nur mit einer besseren PR-Abteilung“ sagte Hamza mehrmals auf der Veranstaltung. Ihm haben die Hamas-Terroristen im Gefängnis wahlweise vorgeworfen, für Israel zu spionieren, mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter einer Decke zu stecken oder mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) zu kooperieren, so die Times of Israel. Nur aufgrund der Lösegeldzahlung von $3000 konnte er 2019 nach drei unendlich langen Wochen der Ungewissenheit und der Schläge der Hölle des Gefängnisses entkommen. 2023 musste seine Familie schon $5000 zahlen, um ihn nach zwei Wochen Gefängnis frei zu bekommen. Seine Familie lebte im relativ wohlhabenden Stadtteil Rimal in Gaza-City, nur 15 Minuten fußläufig entfernt wohnte der Hamas-Chef in Gaza Sinwar, so wiederum die Times of Israel.

Durch einen Kommentar in Newsweek am 25. April 2024 war Hamza Howidy international bekannt geworden. Darin wendet er sich gegen den Islamismus und die Hamas und sagt klipp und klar:

I do not accept hateful speech or terrorist chants, and all of these foolish dreams about eradicating Israel are disgusting—and will never be achieved. Both of us—Palestinians and Israelis—are here to stay.

Hamza ist nun eine Stimme der liberalen Palästinenser im Exil. Muhammad Ali Taha ist ebenfalls ein Anti-Hamas und Pro-Frieden Vertreter der Palästinenser, er sprach am 1. Juli 2024 in Tel Aviv auf einer Friedenskonferenz, wie das Magazin +972 schreibt:

A moving speech by the Palestinian writer Muhammad Ali Taha, which was full of humor and compassion but sharp in its criticism of both Israel and Hamas, captured the essence of what the conference seeks to re-activate. He spoke of the horrors of the current war, the principles of a political solution, and a distant imagined future where both nations play football, listen to music, and celebrate life “in West Jerusalem, the capital of Israel, and in East Al-Quds, the capital of Palestine, as well as Tel Aviv, Ramallah, Beer Sheva, and Gaza.”

Taha may be a dreamer, but in the words of Lennon, and as the conference shows, he is not the only one.

Von Tel Aviv zurück nach Heidelberg: Hamza Howidy und die liberalen Palästinenser*innen haben an diesem Abend in Heidelberg viele neue Freund*innen gewonnen. Ob sein Mut und jener seines Freundes Amin Abed sich in absehbarer Zeit auszahlen werden, bleibt zu hoffen. Für die „pro-palästinensischen“ und de facto antisemitischen Hetzer*innen hat der Palästinenser Hamza nur Verachtung übrig oder ein müdes Lächeln – sie sind wie gesagt für ihn genauso „peinlich“ wie es die aktuelle israelische Regierung für Israel ist. Die Palästinenser wie die Israelis haben jeweils Besseres verdient. Hamza betonte auch völlig richtig, dass es in Deutschland keine „pro-palästinensischen Demonstrationen“ gebe, das seien „anti-israelische“ Demonstrationen und Kundgebungen. Ganz genau! Ob das die Lokalpresse wie die Rhein-Neckar-Zeitung oder die FAZ, die taz und die Süddeutsche, Spiegel und ZEIT noch lernen werden oder gar die dpa und andere Presseagenturen?

Vorgestern die Veranstaltung mit Hamza Howidy, das war eine pro-palästinensische Veranstaltung. Pro-Palästina und Pro-Israel!

Die ganzen Hilfsorganisationen, die es ohne Ende in Gaza gibt, sieht Hamza sehr kritisch. Es ist für eine Gesellschaft nicht nachhaltig, wenn Lebensmittel und ein Großteil der alltäglichen Güter importiert oder geschenkt werden. Das gibt kein Selbstbewusstein, kein Vertrauen auf die eigene Stärke. Politikwissenschaftlich gesprochen: Hilfe zur Selbsthilfe.

Da könnten historische Seminare mit Palästinenser*innen und Zionist*innen über die Anfänge des jüdischen Staates Israel sicher sehr erhellend sein, würde ich ergänzen.

Hamza betonte insbesondere, dass es in der Post-Hamas-Zeit einen Paradigmenwechsel braucht: eine freiheitliche, emanzipatorische Idee. Nur so könnte man die fanatisierten Palästinenser*innen überzeugen, auch wenn heute schon mehr als 50 Prozent gegen die Hamas sein sollten. Er betonte, dass eine freiheitliche oder gar emanzipatorische Idee die Leute begeistern könnte, endlich etwas Neues anzufangen.

Wie wäre es mit Free Palestine from Jihad? Oder Tourismus mit solarbetriebenen kleinen Schifflein im Mittelmeer? Oder zukünftige neue Entsalzungsanlagen gemeinsam mit Graffiti besprühen mit optimistischen Bildern?

Doch dazu braucht es auch die Empathie beider Seiten, wie Hamza betonte. Er sieht das Leid der Juden und er hofft, das es auch Juden und Israelis gibt, die das Leid in Gaza sehen. Vielleicht könnte Kamala Harris da auch hilfreich sein und im November eine weltweite Bewegung für mehr Emanzipation und Freiheit anregen, obwohl sie keine Linke ist, aber immerhin für Abtreibung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen, was ja Gaza auch so enorm bitter nötig hat.

 

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