The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

Schlagwort: Die Zeit

Das antizionistische Israel und die Hungersnot in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am heutigen 22. August 2025 wurde erstmals im Nahen Osten eine Hungersnot festgestellt.

Im Bezirk Gaza, inklusive Gaza-City, wurde von der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) die Stufe 5 einer akuten Hungersnot erklärt. Die Stufe 5 ist die schlimmste Stufe. Schon vor Monaten wurde vor einer Hungernot gewarnt, aber Israel hat nichts getan, um die von Israel zu verantwortende Krise abzumildern. Im Gegenteil: die aktuell laufende „Eroberung“ von Gaza-City wird nicht nur die Geiseln gefährden, sondern auch die palästinensische Bevölkerung.

Der 59-seitige Bericht der IPC zeigt detailliert, dass die örtliche Nahrungsmittelversorgung, inklusive der Landwirtschaft und der Zugang zu sauberem Wasser, nahezu vollständig in sich zusammengebrochen sind und durch den Krieg zerstört wurden.

Die israelische Regierung gibt entgegen ihrer Leugnung einer Hungersnot in Gaza, zu, dass es diese gibt, und zwar indirekt:

„There is no famine in Gaza,“ the ministry said, accusing the IPC of presenting a report „based on Hamas lies laundered through organizations with vested interests.“

„Over 100,000 trucks of aid have entered Gaza since the start of the war, and in recent weeks a massive influx of aid has flooded the Strip with staple foods and caused a sharp decline in food prices, which have plummeted in the markets,“ the ministry said.

Wie die Tagesschau berichtet, ist das eine viel zu geringe Zahl an LKWs:

Die Zahl der von Israel veröffentlichten Lastwagen-Lieferungen lässt sich derzeit nicht unabhängig bestätigen. 100.000 Lkw-Ladungen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, wie Hilfsorganisationen wiederholt betont haben. Vor dem 7. Oktober 2023 kamen nach Angaben der Organisation Medico International zwischen 500 bis 600 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das ergäbe bei dem seit 685 Tagen andauernden Krieg eine Menge von 342.500 bis 411.000 Lastwagen – deutlich mehr als die von Israel verzeichneten 100.000 Lkw. Hinzu kommt, dass der Bedarf durch die massive Zerstörung der Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen nun deutlich höher liegen dürfte als vor Beginn des Krieges.

Damit wäre nur ca. 25% der notwendigen Menge an Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Gaza gekommen. Zudem hat die komplette Blockade von 11 Wochen im Frühjahr 2025 die 2 Millionen Menschen im Gazastreifen extrem geschwächt, zusätzlich zu den Traumatisierungen durch permanentes Schießen, durch Explosionen, Panzergeräusche, Maschinengewehre und so weiter.

Dass das alles vorbei wäre, würde es einen Aufstand gegen die Hamas geben, ist wahrscheinlich. Aber die Hamas lässt die Geiseln nicht frei und Israel tut spätestens seit April 2024 alles, um einen „Deal“ zu verhindern.

Wie ein ehemaliger enger Berater des damaligen US-Außenministers Blinken jetzt im israelischen Fernsehen auf Channel 13 sagte, hat Netanyahu gleich zu Beginn des Krieges klar gemacht, dass ihm völlig egal sei, was die USA denken und dass der Krieg unendlich lange gehen wird.

Das wiederum hat sehr viel mit der rechtsextremen und religiösen, messianischen Ideologie der aktuellen israelischen Regierung und weiter Teile Israels zu tun. Darauf weist ein Kritiker des Messianismus in einem Gespräch auf Haaretz hin. Er meint, dass in wenigen Jahren kein Linker mehr in Israel leben werde, weil die Gesellschaft total religiös fanatisiert sei. Dafür spricht der rassistische Messianismus des Projektes E1 im Westjordanland, das einen palästinensischen Staat verhindern wird, wie Minister Smotrich verkündet.

Ich habe im Juni 2022 über die katastrophalen Konsequenzen des E1-Projektes berichtet („Schwanengesang der Israelsolidarität, „sekundärer Analphabetismus“ oder Kritik am „linearen Denken“ von Corona über die Ukraine bis zu Israel?“).

Der ehemalige Vizechef der israelischen Luftwaffe Nimrod Sheffer sagt in einem Gespräch mit der Zeit am 18. August 2025, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil er sinnlos ist:

Israel hat in Gaza mehr Gewalt eingesetzt als in jedem anderen Krieg in der Geschichte. Und das auf einem sehr kleinen Gebiet und gegen eine Terrororganisation – nicht gegen die mächtige ägyptische Armee oder die syrische Armee wie 1973. Wie kann der Einsatz von noch mehr militärischer Macht etwas erreichen, was wir in den letzten zwei Jahren nicht erreicht haben? Das geht nicht. Diejenigen, die sagen, wir werden die Hamas völlig vernichten, indem wir noch mehr Gewalt anwenden, führen uns in die Irre.

Der außenpolitische Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit, Jörg Lau, hat in einem Gespräch mit seiner Kollegin, der Journalistin Hannah Grünewald, am 31. Juli 2025 verdeutlicht, dass die aktuelle Kriegspolitik Israel dem Staat Israel enormen Schaden zufügt und dass die Situation für die hungernden Palästinenser*innen im Gazastreifen katastrophal ist. Grünewald unterstreicht das in einem längeren Intro, in dem sie die verschiedenen Kritiken an Israels Kriegsführung in Gaza darstellt. Es wird in dem Gespräch deutlich, dass beide eine pro-israelische Haltung haben und ziemlich fassungslos sind, zumal der langjährige Nahostexperte Jörg Lau, wie Israel sich verhält und Länder vor den Kopf stößt, die doch klar pro-israelisch sind.

Kein Politiker Israels hat Israel so stark isoliert wie Netanyahu. Ob das überhaupt wieder zu reparieren ist, ist völlig unklar. Er unterstellt ja allen diesen Ländern Judenhass und Antisemitismus – und das ist eine Diffamierung von klar als Israelfreunden bekannten Politiker*innen, die aber jetzt die menschenverachtende Hunger- und Kriegspolitik Israels in Gaza nicht mehr mittragen können und wollen.

Das was Netanyahu repräsentiert, ist ein messianisches, nationalistisch-religiöses und somit antizionistisches Israel.

Zionismus basiert auf den Menschenrechten – nicht auf ein herbei fantasiertes Gesetz Gottes.

Zionismus basiert auf der Gleichheit der Menschen bei jüdischer Souveränität im eigenen Land – nicht auf Gesetzlosigkeit, Macht und Gewalt gegenüber jenen, die keine Juden sind im Staat Israel oder den besetzten Gebieten.

Zionismus heißt jüdisch und demokratisch – und nicht religiös-fanatisch, frauenverachtend und 12 Kinder pro Familie und eine Indoktrination der Kinder von Kindesbeinen an.

Zionismus heißt selbst denken und nicht in Yeshivas nachbeten, was andere für Hirngespinste ausgeheckt haben.

All das wird die religiöse Bewegung nicht abschrecken, gerade die israelische Armee IDF weiter zu indoktrinieren, wie der oben zitierte Aktivist und Rechtsanwalt Yair Littman Nehorai sagt. Die Verleihung des Israelpreises an den Rabbiner Eli Sadan 2016 war für ihn so ein Knackpunkt, wo der Staat offiziell eine extrem rechte, messianische Ideologie ausgezeichnet hat:

Eli Sadan ist General in der Armee von Zvi Tau – dem Vorsitzenden der Noam-Partei – und hat in Eli [einer Siedlung im Westjordanland] das Vorbereitungsprogramm für den Militärdienst mit einem klaren Ziel ins Leben gerufen: eine religiöse Revolution im Land anzuzetteln. Er wurde für seine Rolle als „Brücke“ zwischen verschiedenen Teilen der israelischen Gesellschaft ausgezeichnet, während er gleichzeitig eine Institution gründete, die das größte Projekt zur Untergrabung der demokratischen Werte Israels darstellt. Seit Jahrzehnten vermitteln er und seine Mitarbeiter jungen Menschen alle messianischen Werte: Widerstand gegen säkulare Juden, reformierte Juden, konservative Juden, LGBTQ-Personen, Linke. Gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit. (Übersetzung CH)

 

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz warnt in einem Artikel in  Haaretz am 8. August 2025 nachdrücklich und eloquent davor, dass sich die Pro-Israel Szene angesichts der schrecklichen Entwicklungen in Gaza und Israel sowie der Westbank in Schweigen hüllt.

Es muss darum gehen, den Antisemitismus genauso zu erkennen und zu bekämpfen, wie die rechtsextreme Politik von Netanyahu zu erkennen und zu bekämpfen, im Zweifel auch mit Sanktionen – das sagt eine linke Zionistin:

Die Welt braucht rote Linien. Wenn die Regierung Netanjahu die dauerhafte Besetzung des Gazastreifens anstrebt und wenn sie, wie sie es versucht hat, die juristischen – und damit demokratischen – Schutzmechanismen des eigenen Staates untergräbt, dann könnten Sanktionen eine angemessene Reaktion sein.

In der Zwischenzeit dürfen Freunde Israels nicht die Augen vor dem Wesen der Regierung in Jerusalem, ihren fehlgeleiteten Prioritäten, ihrer Inkompetenz und ihrem nicht mehr zu rechtfertigenden Krieg gegen den Gazastreifen verschließen. (Übersetzung CH)

Wenn man sich angesichts dessen Texte in der Jüdischen Allgemeinen oder Äußerungen von Aktivist*innen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft oder nahezu jeder Pro-Israel NGO anschaut, kann man nur den Kopf schütteln: so viel Realitätsverweigerung ist nicht auszuhalten. Diese Leute merken wirklich (!) nicht, dass sie Juden und Israel schaden, wenn sie nicht die Regierung Netanyahu und die rechtsextrem-messianische Ideologie Israels kritisieren.

Mit einer dauerhaften Besatzung Gazas, mit neuen Siedlungen und dem E1-Projekt wird es keinen Staat Palästina geben – und das wiederum wird Israel on the long run zerstören. Wer das nicht sieht, will es nicht sehen und ist kein Freund eines demokratischen und jüdischen Staates Israel, dem einzigen Judenstaat. Die Neue Rechte muss in den USA so bekämpft werden wie in Israel, Ungarn, Italien, Deutschland, Holland oder wo immer – genauso wie der linke Populismus und Antisemitismus kritisiert werden muss, ob er nun Regierungsmacht hat oder in der Opposition ist.

Nimrod Sheffer, der IDF-Soldat, hat mehr Erfahrung von Militär als die meisten in der deutschen Pro-Israel Szene und hält kategorisch fest:

Jeder, der etwas von Truppeneinsatz, Operationen und militärischer Macht versteht, weiß, dass es keine Möglichkeit gibt, den letzten Terroristen zu töten oder das letzte AK-47-Sturmgewehr zu zerstören. Es gibt keinen Grund dafür, den Krieg weiterzuführen und dafür einen so hohen Preis zu zahlen. Das zu tun ist unmoralisch. Wenn das Militär seine Rolle erfüllt hat, die Fähigkeiten der Gegenseite zu zerstören, dann muss die Diplomatie übernehmen. Und das ist der fehlende Teil.

Ob es darüber hinaus strategisch noch besser gewesen wäre, die diplomatische und weltweite Unterstützung Israels direkt nach dem 7. Oktober, in eine Allianz gegen die Hamas und den Iran zu schmieden, wie es der Jurist, Völkerrechtler und Zionist Irwin Cotler meint, sei dahingestellt. In jeden Fall hat der anfangs nachvollziehbare Krieg gegen die Hamas seit langer Zeit seine Berechtigung verloren.

Dass jetzt Israel für die erste Hungersnot im Nahen Osten verantwortlich ist und Milliarden Menschen Israel mit den Bildern von hungernden Kindern assoziiert, das geht auf das Konto der Hamas, die den Krieg begonnen hat und ohne die es ihn nicht geben würde – es geht aber ebenso auf das Konto von Benjamin Netanyahu, der diesen Krieg nur führt, weil er Panik hat, endlich dahin zu kommen, wo ihn Millionen Israelis sehen: ins Gefängnis, wegen Korruption und mittlerweile auch wegen Kriegsverbrechen.

Dass eine Demokratie wie Israel Hunger als Waffe einsetzt, hätte niemals passieren dürfen. Das beschädigt den Zionismus und es tötet Palästinenser und Palästinenserinnen, jung wie alt. Das Bild des bis auf die Knochen abgemagerten 18-monatigen Jungen Mohammed al-Mutawaq ging um die Welt, die New York Times brachte es auch. Und dann gibt es wirklich viele Leute in dieser Pro-Israel-Szene, die sogleich – medizinisch ‚geschult‘ und menschlich am Ende – feststellen wollten, dass der arme Junge genetisch vorerkrankt sei.

Das bringt den Kinderarzt Professor Dan Turner aus Israel völlig aus der Fassung. In einem ausführlichen Gespräch mit der Times of Israel sagt er, dass der Hunger diesen Jungen so zugerichtet hat und keine noch so dramatische genetische Vorerkrankung. Ja schlimmer noch: gerade wenn das Kind vorerkrankt ist, hätte es umso bessere Ernährung und medizinische Hilfe benötigt, so Turner.

Turner berichtet darüber hinaus von Rassismus und menschenverachtenden Maßnahmen in israelischen Krankenhäusern, die man nicht glauben kann, man muss sich den Podcast anhören, um das von einem, der es live gesehen hat, wie Dan Turner gesagt bekommen, wie z.B. ein 12- oder 13-jähriger palästinensischer Junge, dem ein Bein amputiert worden war, weil israelische Soldaten den unbewaffneten Jungen angeschossen hatten (es gab nie ein Verfahren gegen den Jungen wegen Angriffs auf die IDF, so Turner), am nächsten Morgen mit beiden Händen am Bett gefesselt lag.

Noch in vielen Jahren und Jahrzehnten werden die Palästinenser aus Gaza von dieser Hungersnot gezeichnet sein – zwei Millionen Menschen (abzüglich der Muslim-Faschisten der Hamas und des Islamischen Jihad). Das ist ein Trauma und erschütternd. Wie soll da jemals Frieden entstehen?

Es geht ganz grundsätzlich darum endlich zu erkennen, dass beide Seiten große Schuld haben. Die Palästinenser am präzedenzlosen Massaker vom 7. Oktober, der zweiten Intifada und vielen weiteren Terroranschlägen. Und Israel wegen der seit 1967 andauernden Besatzung und der Weigerung, Palästinensern wirklich zuzuhören.

Das muss sich ändern, auch wenn die Chancen dafür nie so schlecht waren wie heute.

Aber die Regierung Netanyahu muss zerbrechen, wenn Israel – als jüdischer und demokratischer Staat – überleben will – und natürlich darf keine Regierung folgen, die genauso extremistisch ist…

Die obige sehr menschenverachtende Krankenhausgeschichte passierte lange vor dem 7. Oktober und zeigt eine (nicht zuletzt patriarchale) Gewaltförmigkeit, die der tief brutalisierten israelischen Gesellschaft eigen ist. Das kommt gleichwohl nicht von ungefähr, seit 1948 ist das Land von Feinden umzingelt.

Aber das rechtfertigt nicht die Demütigung des Anderen, wie Immanuel Kant oder der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas sagen würden.

Der Arzt und Zionist Dan Turner bringt es auf den Punkt:

Unsere Feinde menschlich zu behandeln, macht uns zu Menschen. (Übersetzung CH)

Doch davon will die deutsche Pro-Israel Szene lieber schweigen.

Der Militärstratege Maxim Biller, eine Hungersnot und Waffengewalt in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Viele Deutsche und vor allem die kulturelle Elite des Landes, die sich doch sonst zu allem sofort und wortgewaltig äußern, haben am 7. Oktober 2023 geschwiegen oder gelacht – es ging ja auch nur um Juden, die massakriert wurden. Die Täter waren Palästinenser, nicht nur die Hamas und der Islamische Jihad, auch Zivilistinnen machten mit und feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden oder kochten einen Hirsebrei für die verschwitzten und blutverschmierten Söhne und Brüder – in den Häusern der massakrierten jüdischen Israelis in den Kibbutzim, zum Beispiel in Nir Oz.

Wir haben es täglich mit Antisemitismus im Alltag zu tun, seien es verschleierte muslimische Frauen, die sich ein Palästinensertuch um die Schulter legen, wenn sie in den Bus einsteigen, säkulare linksradikale Antisemiten, die mit ihren Graffiti „Free Gaza“ Tod den Juden und Israel meinen, oder aber verdruckster und erinnerungsabwehrender im deutschen Mainstream, wie die Jüdische Allgemeine am 29. Mai 2025 berichtet:

Endlich ist die Vergangenheit Geschichte oder die Geschichte Vergangenheit. Das jedenfalls erklärt Gabor Steingart, Ex-Handelsblatt-Chefredakteur und Gründer von Media Pioneer, in seinem jüngsten Kommentar im Nachrichtenmagazin »Focus«. Denn »Deutschland war Gefangener der Hitlerzeit«, so behauptet er, und mit den kritischen Worten von Bundeskanzler Friedrich Merz an Israels Kriegsführung im Gazastreifen »hat diese Haltung ein Ende«.

Das ist der Ausgangspunkt.

Es muss darum gehen, Israel zu unterstützen und den Zionismus zu verteidigen.

Israel muss als jüdischer und demokratischer Staat erhalten bleiben.

Kampf gegen Antisemitismus heißt logisch auch Kampf gegen den Antizionismus.

Daher ist es auch so eine Katastrophe, dass ein Linker und Antizionist jetzt beste Chancen hat, Bürgermeister der Stadt mit den meisten Juden weltweit zu werden – in New York City.

Worum geht es? Der Schriftsteller Maxim Biller hat in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit eine seiner Kolumnen publiziert – Morbus Israel. Warum regen sich die Deutschen immer so über die Juden des Nahen Ostens auf?

Darin rechtfertigt er die Strategie, dass Palästinenser*innen in Gaza Hunger leiden und nimmt achselzuckend zur Kenntnis, ja verteidigt, dass immer wieder Palästinenser von israelischen Soldaten offenbar willkürlich erschossen werden.

Maxim Biller schreibt (Die Zeit, 26. Juni 2025, Feuilleton, S. 44):

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß.

Dass auch die israelischen Geiseln dann hungern – was juckt das den Superstrategen und Kolumnisten Biller? Hat er sich je mit den Angehörigen der Geiseln unterhalten, die seit über einem Jahr einen Deal fordern und panische Angst haben um ihre Liebsten, die durch die Hungersnot noch zusätzlich leiden?

Es gibt in der Tat Millionen ganz normale Deutsche, die wie ihre Großväter gegen ‚den‘ Juden kämpfen oder Israel mit den Nazis vergleichen, man schaue sich die täglichen Leserbriefe in jeder ganz normalen deutschen Tageszeitung an.

Das hat aber exakt gar nichts mit der internationalen Kritik an den vermuteten Kriegsverbrechen in Gaza oder der Siedlergewalt im Westjordanland zu tun und der religiös-extremistischen Ideologie und Praxis der israelischen Regierung.

Aktuell kritisieren zumal Zionisten in Israel ihr eigenes Land und die Kriegsführung.

Es geht um die Verteilung von Essenspaketen im Gazastreifen. Dazu schreibt die Haaretz, die links und zionistisch ist, am 27. Juni 2025 (alle englischen Zitate in diesem Text habe ich ins Deutsche übersetzt):

„Es ist ein Schlachtfeld“, sagte ein Soldat. „Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und fünf Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Macht behandelt – keine Maßnahmen zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfes Feuer mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum geöffnet wird, hören die Schüsse auf, und sie wissen, dass sie sich nähern können. Unsere Art der Kommunikation ist das Gewehrfeuer“.

Der Soldat fügte hinzu: „Wir eröffnen frühmorgens das Feuer, wenn jemand versucht, sich aus einigen hundert Metern Entfernung zu nähern, und manchmal stürmen wir einfach aus nächster Nähe auf sie zu. Aber es besteht keine Gefahr für die Truppen.“ Ihm zufolge „ist mir kein einziger Fall von Gegenfeuer bekannt. Es gibt keinen Feind, keine Waffen.“

Was schreibt Maxim Biller nur einen Tag zuvor in der Zeit?

Kommt ein Israeli zum Arzt und sagt: »Herr Doktor, ich war gerade vierzig Tage mit meiner Einheit in Gaza und hab keine Lust mehr, auf Araber zu schießen. Was soll ich tun?« »Sie könnten damit natürlich sofort aufhören, wenn Sie wollten«, sagt der Arzt, »aber raten würde ich es Ihnen nicht. Auch nicht nach unserer Therapie.«

Das ist nicht lustig oder ‚scharf‘, sarkastisch oder polemisch, das ist zynisch und menschenverachtend.

Biller verachtet nicht ’nur‘ palästinensische Zivilist*innen (so übel die in weiten Teilen sein mögen und am 7. Oktober mitgemacht haben auf die eine oder andere Weise), sondern auch israelische Soldaten, die das nicht mehr aushalten und mit der Haaretz darüber sprachen.

Er verachtet noch mehr die Palästinenser*innen in Gaza, die ja schon zuvor zu Zehntausenden Opfer von israelischen Angriffen wurden, wovon offenbar sehr wohl auch bis zu 20.000 Hamas-Kämpfer waren, aber darüber hianus ca. 30.000 Zivilist*innen.

Die Redaktion der Zeit hat diese Abgründe des Textes nicht erkannt und der Text wurde gedruckt.

Dann gab es einen Aufschrei von einigen Leser*innen der Zeit und die Redaktion hat auf lächerliche Weise den auch online publizierten Text wieder depubliziert – nachdem er Hunderttausendfach gedruckt in jedem Kiosk vorliegt.

Das ist lachhaft und zeigt die doppelte Unprofessionalität der Zeit.

Wer von einer „strategisch richtigen Hungerblockade“ schreibt, ist ein Zyniker, kein Kritiker des Antisemitismus der Deutschen, den es ja ohne Ende in der Tat gibt.

Der Text von Maxim Biller schadet Israel und den Juden.

Biller ist keineswegs ein Polemiker wie es zum Beispiel Eike Geisel war, der den Antisemitismus der ganz normalen Deutschen zumal der frühen 1990er Jahre luzide attackierte und offenlegte.

Doch Biller ist kein Polemiker, er ist ein Zyniker, der im Kern die schlimmen Zustände, womit hier die israelische Kriegsführung gemeint ist, affirmiert und nicht aufheben oder bloßlegen möchte.

Er lebt offenkundig in einer Zeitschlaufe der Jahre 1998 bis 2002, als der antisemitische Schriftsteller Martin Walser im Oktober 1998 in seiner Paulskirchenrede die Abwehr der Erinnerung an den Holocaust im deutschen Mainstream fest verankerte und dafür vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ins Bundeskanzleramt eingeladen wurde, am 8. Mai 2002.

Zwar ist die Abwehr der Erinnerung weiterhin sehr weit verbreitet und hat mit dem Postkolonialismus noch ein weiteres linkes Muster des Antisemitismus hinzubekommen.

Doch heutzutage, nach 25 Jahren Pro-Israel-NGO-Szene, haben wir einen konservativen Kanzler, der sich bei Israel bedankt, das islamfaschistische Regime in Teheran in seine Schranken gewiesen zu haben, und „die Drecksarbeit“ für uns gemacht zu haben, einmal abgesehen davon, dass militärisch noch gar nicht klar ist, was genau erreicht wurde mit den israelischen und amerikanischen Militärschlägen im Iran. Ein Ende des islamistischen Regimes in Teheran ist leider nicht absehbar – doch Israel hat die Möglichkeit, jederzeit dort militärisch einzugreifen, was sehr wichtig ist.

Was Biller nicht erwähnt, weil es nicht passt: Der Bundestag, der den Ukraine-Krieg nicht diplomatisch beendet sehen möchte, sondern ihn weiter anfachen tut und auch die unerträgliche Aufrüstung beschlossen hat und Deutschland zu einem Militärstaat machen wird, der 20 bis 30 Prozent des gesamten Bundeshaushalts für Kriegsvorbereitung („Verteidigungshaushalt“) ausgeben wird die nächsten Jahrzehnte, hat die letzten Jahre Resolutionen gegen die antisemitische Boykottbewegung gegen Israel BDS sowie für den Schutz jüdischen Lebens verabschiedet.

Gleichzeitig haben wir eine aggressive zumal linke antisemitische Szene, die am 7. Oktober 2023, als Palästinenser und die Hamas 1200 Jüdinnen und Juden in einem genozidalen Massaker im Süden Israel, in Kibbutzim, Moshavs und auf einem Musikfestival auf unschilderbare Weise abschlachteten, lachte, kicherte, klatschte oder aber großteils schwieg. Es wurden von der Hamas und den Palästinensern 251 Geiseln genommen, viele wurden in „Geiseldeals“ freigelassen – im Gegenzug zum Freilassen von kriminellen und blutbeschmierten palästinensischen Terroristen, die aus israelischen Gefängnissen freikamen – von denen vermutlich nur noch 20 leben.

Der Krieg, den die Hamas am 7.10.23 begann und den Israel einige Wochen später als Abwehrkrieg gegen den Jihad, Islamismus und antizionistischen Palästina-Kult als Abwehrkrieg fortführte, war notwendig und berechtigt. Es wurde aber seit langer Zeit klar, dass ein Krieg gegen eine in der Zivilbevölkerung vernetzte Terrororganisation nicht zu gewinnen ist. Die Angehörigen und Freund*innen der Geiseln, das Hostage Forum, sind seit 2024 in höchster Alarmbereitschaft, weil sie der israelischen Regierung vorwerfen, nicht genug zur Freilassung der Geiseln zu tun.

Die rechtsextreme israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu, der selbst eher ein Opportunist war, konservativ, aber nicht rechtextrem wie Ben Gvir oder der selbst ernannte Faschist Smotrich, hat mehrere Geiseldeals offenbar vorsätzlich nicht gemacht, weil das das Ende des Gaza-Krieges bedeutet hätte. Das Ziel ist aber nach der Zerstörung von Gebäuden (50 Prozent aller Gebäude sind vollständig zerstört), auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen zu vertreiben oder zur Emigration zu bewegen.

Biller schreibt:

Ja, wenn es um Israel geht, um Benjamin Netanjahu und die strategisch richtige, aber unmenschliche Hungerblockade von Gaza oder die rein defensive Iran-Kampagne der IDF, kennen die meisten Deutschen keinen Spaß. Das Drama, das sie dann aufführen, begleitet von der bigotten Beschwörungs-
formel »Das Völkerrecht! Das Völkerrecht!«, mit der sie niemals Leute wie Sinwar oder Ali Chamenei belegen würden, hat nichts mit einer zivilisierten politischen Auseinandersetzung zu tun.

Richtig. Aber: Nur weil Antisemiten mit dem Wort „Völkerrecht“ herumfuchteln, gerade und fast immer nur, wenn es um Israel und die Juden geht, heißt das nicht, dass es kein Völkerrecht gibt!

Der Springer-Konzern und Andreas Rosenfelder von der Tageszeitung Die Welt stellen sich hinter Biller:

Wer auch nur ein paar Zeilen von Maxim Biller gelesen hat, der weiß, dass dieser tragische Sarkasmus, der die jüdische Literaturtradition von der deutschen mit ihrer auftrumpfenden Thomas-Mann-Ironie unterscheidet, ein Wesensmerkmal seiner Texte ist. Anstatt zu vertuschen und zu verschleiern, spricht der Witz die unerträgliche Realität aus, dass der Kampf gegen den Hamas-Terror im Alltag der Soldaten konkret bedeutet, „auf Araber zu schießen“. Und in der Antwort des Arztes benennt der Witz die noch brutalere Wirklichkeit, dass es für diese Unerträglichkeit keine Therapie gibt. Denn sie betrifft die Existenz jedes Juden in Israel.

Das ist eben Ideologie und faktenfrei. Das Erschießen von nach Nahrung anstehenden Zivilist*innen ist ein Verbrechen – wenn der Haaretz-Bericht so stimmt und es gibt außer Dementi der IDF keinen Grund, ihm nicht zu glauben – und hat mit der „Existenz jedes Juden in Israel“ nichts zu tun – abgesehen von dem ethischen und moralischen Schaden für Juden in Israel, die durch solche IDF-Aktionen entstehen.

Die Berliner Zeitung hingegen schreibt:

Ausführlich hat sich auf Instagram der Autor und Verleger Dinçer Güçyeter zu Billers Text geäußert. Der 2023 für seinen Roman „Unser Deutschlandmärchen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Schriftsteller wendet sich direkt an Maxim Biller: Kollegen öffentlich zu diffamieren gehöre eigentlich nicht zu seinem Geschäftsmodell, schreibt Gücyeter. „Gestern, beim Lesen deiner Kolumne, habe ich mich gefragt, wie ein Autor so über seine Wut stolpern kann. Die ganze Nacht habe ich nach einer Antwort gesucht. Dieser Zynismus, dieses Gemetzel unter dem Schleier des Wortes ist genauso schmerzhaft wie die Meinung von Ahnungslosen, die sich für Nahostexperten halten, weil sie mal eine Shisha von unten gesehen haben.“

Die kapitalistische Weltwirtschaft verstößt tagtäglich seit Jahrzehnten gegen das „Völkerrecht“. Das juckt von den Eliten kaum jemand, das ist klar. Weltweit hungern aktuell ca. 735 Millionen Menschen. Das ist aber kein Grund, auch die mehr als zwei Millionen Palästinenser*innen in Gaza vorsätzlich und perfide hungern zu lasen – und die jüdischen Geiseln somit auch.

Das Institut für Menschenrechte hält fest:

Nach Angaben der Vereinten Nationen hungern weltweit 735 Millionen Menschen. Und das, obwohl jeder Mensch ein Recht auf Nahrung hat. Warum ist das so?

Sarah Luisa Brand: Gleich vorab: Im Jahr 2024 müsste kein Mensch mehr hungern, denn es wird genug Nahrung für alle produziert. Hunger ist also vor allem die Folge ungleichen Zugangs zu Nahrung. Es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht genug zu essen haben, beispielsweise Armut, Diskriminierung oder soziale Benachteiligung. Kriege und bewaffnete Konflikte führen dazu, dass Menschen ihr Zuhause und ihr Einkommen verlieren und landwirtschaftliche Flächen, Betriebe oder Infrastruktur zerstört werden.

(…)

Das Menschenrecht auf Nahrung besagt, dass Nahrung für jeden Menschen angemessen, verfügbar, zugänglich und bezahlbar sein muss. Völkerrechtlich verbindlich ist es in Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 verankert. 2004 verabschiedete die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in Rom „Freiwillige Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“.

In der Berliner Zeitung heißt es weiter zu Maxim Biller, dem großen Strategen ohne Empathie und Ethik:

Die Kolumne, die in ihrer Drastik einen Einblick in das Denken vieler Unterstützer Israels erlaubt, mag sich zwar vor allem an vielen Deutschen und ihren Doppelstandards etwa bei der Kritik an Israels Regierung abarbeiten und mit der Wucht des durchaus nachvollziehbaren Hasses Punkte treffen. Dieser rhetorische Angriff Billers geht aber vor allem auf die Kosten der Palästinenser. Und deshalb kommt nun vehementer Widerspruch.

Das ist die Pointe. Es geht Biller nur um die deutschen Befindlichkeiten, die Schuldabwehr und Schuldumkehr. Dieses Muster gibt es, aber es greift hier nicht, weil man sieht, wie wenig Biller im internationalen Diskurs über den sinnfreien Krieg in Gaza drinsteckt. Er ignoriert offenkundig die von IDF-Soldaten beschriebenen und nicht widerlegten Verbrechen.

Zudem schreibt die Berliner Zeitung in dem zitierten Text:

Auf Instagram hat sich auch der 1987 in Haifa geborene Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus geäußert, der seit 2010 in Berlin lebt und 2023 mit seinem Romandebüt „Birobidschan“ auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, ein Buch, das auch im Feuilleton der Zeit sehr gut besprochen worden ist. Nicht nur, dass Dotan-Dreyfus sein Zeit-Abonnement aufgrund von Billers Text gekündigt hat und zum Boykott der Zeitung aufruft. Er schreibt:„Das Problem, liebes Zeit-Team, ist nicht ein Text von Maxim Biller. Das Problem ist, dass ihr eine Atmosphäre kreiert habt, in der ein solcher Text entstehen kann.“

 

Richtig: Ohne die Islamfaschisten der Hamas gäbe es diesen Krieg gar nicht. Punkt.

Aber ohne Netanyahu und seine ignorante Fan-Basis wäre es vermutlich gar nicht zum 7.10 gekommen – Warnungen wurden absichtlich ignoriert, unter anderem weil sie von weiblichen IDF-Sicherheitsexpertinnen kamen und die patriarchale Führungsstruktur der IDF das lächerlich machte; es war zu wenig Militär vor Ort und der Grenzzaun war alles nur nicht unüberwindbar –  und zumal dieser Krieg vermutlich längst beendet und die Geiseln endlich befreit.

Die Zerstörungen im Gazastreifen, das Zerstören von Tausenden von Häusern sind militärisch nicht zu begründen, die Rückkehr der Geiseln haben sie nicht gebracht. Das offen ausgesprochene Ziel der israelischen Regierung ist die Vertreibung oder Zusammenpferchung der Palästinenser auf ca. 25 Prozent der Fläche des Gazastreifens und die Wiederbesiedelung mit jüdischen/israelischen Siedlern.

Es gibt also eine rechtsextreme Regierung in Jerusalem, die alles dafür tut, die Zweistaatenlösung – die seit 1947 von den Arabern und Palästinensern abgelehnt wird! – unmöglich zu machen.

Wenn die von Israel bewaffneten islamistischen Gruppen wie die Shabab-Miliz und andere in Gaza für dieses Töten von Zivilist*innen auch mitverantwortlich sein sollten, liegt auch hierbei die Verantwortung bei der Besatzungsmacht, Israel.

Das ist der ethische Grundgedanke des Philosophen Emmanuel Levinas, auf den ich ja die letzten Monate schon hinwies, da er 1982 in Beirut bei dem (christlichen) Massaker an Palästinensern in den Flüchtlingslagern Sabra und Schatila die Besatzungsmacht Israel verantwortlich machte, da sie es hätte verhindern können und müssen:

„Aber es gibt auch eine ethische Grenze dieser politischen Existenz, eine ethisch notwendige“ sagt er am 28. September 1982 in dem Gespräch mit Shlomo Malka und Alain Finkielkraut, wenige Tage nach dem Massaker an einigen Hundert bis zu Tausenden Palästinensern in Sabra und Schatila.

Levinas wendet sich auch gegen den „Messianismus“ und betont die Bedeutung der Verinnerlichung von Gewalt durch den (so überlebensnotwendigen) Sieg im Sechstagekrieg 1967, wovon 1970 auch der Linkszionist Amos Oz in einem Gesprächsband mit israelischen Soldaten berichtet hat („Man schießt und weint“). Von diesem Leiden ist Biller weit entfernt, er schreibt auch nicht „sarkastisch“, wie viele seiner rechten Freund*innen (von express.at bis Nius etc. pp.) meinen, sondern wie gesagt: zynisch. Und Zynismus ist mit dem Bestehenden – hier der Gewalt der IDF in Gaza – einverstanden.

Dass es die über 500 Toten jedoch gibt, ist unbestritten, fast täglich berichten ja die Medien darüber wie die Times of Israel. Doch Biller stellt nicht mal in Abrede, dass die Verbrechen passieren, sondern behauptet, im Witz verkleidet, dass sie notwendig seien wie das Aushungern von über zwei Millionen Menschen.

Und das ist nicht mehr eine freie Meinungsäußerung, sondern das ist Affirmation und Agitation und hat mit einer Kritik am deutschen Antisemitismus rein gar nichts zu tun.

Natürlich hat Biller mit seiner Attacke auf Markus Lanz grundsätzlich Recht:

Neulich zum Beispiel, bei Lanz, der politischen Talkshow für politische Anfänger, das war noch kurz vor dem Israel-Iran-Krieg. Gerade ging es um die EU, Flüchtlinge und den opaken Minister Dobrindt, als sich im entspannt fragenden Gastgeber plötzlich alles zusammenzog. Denn jetzt war der Nahe Osten dran! Er ging in seinem Moderatorenstuhl in eine raubtierhafte Angriffshocke, er zischte und fauchte, statt zu sprechen, und versuchte immer wieder, von seinen Gästen die Aussage zu erpressen, dass Israel im Gazastreifen der Al-Kassam-Brigaden »Kriegsverbrechen« begehe. Und während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder ihm erklärte, wie selbstkritisch und demokratisch die israelische Gesellschaft sei und dass er dieses Land nie aufgeben würde, rollte der nervlich stark angegriffene Moderator mit den Augen wie Elon Musk auf Ketamin.

Nur weil ein deutscher Dampfplauderer, der von allem und nichts wirklich eine Ahnung hat, von möglichen Kriegsverbrechen in Gaza redet, heißt das doch nicht, dass es die nicht geben kann! Wo lebt denn Maxim Biller? In Berlin, alles klar.

2019 schrieb ich:

Am Dienstagabend, 5. März 2019, hatte sich der gebührenfinanzierte Dampfplauderer vom Dienst, Markus Lanz, neben Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der ZEIT, den ehemaligen Bundesminister und das SPD-Urgestein Klaus von Dohnanyi zum Plausch in die nach ihm benannte Sendung im ZDF geladen. Was der Gast dabei von sich gab – und der Moderator durchgehen ließ, ohne nachzufragen, ließ tief blicken und indiziert, wie die politische Kultur in diesem neuen Deutschland funktioniert, auch ganz ohne AfD.

Für einen ganz normalen Deutschen ist Wissenschaft unnötig. Er oder sie weiß es aus eigener Anschauung ohnehin besser. Jeder gute Deutsche hat einen „gesunden Menschenverstand“, was Kritiker als ungesund oder krank dastehen lässt. Dohnanyi machte in der Sendung den Austritt der SPD aus der Reichsregierung 1930 für den Aufstieg der NSDAP verantwortlich. Widerstand habe es massenhaft in Deutschland gegeben, nach 1933, fast jeder und jede hatte einen Juden, der versteckt oder versorgt wurde, das war der Tenor des SPDlers. So klang dieser mit vollem Kalkül vorgetragene Schrei gegen die heutige Schonzeit für Juden aus dem Munde eines SPD-Vordenkers. Es müsse Schluss sein mit der Erinnerung an die „Judenvernichtung“, die Zukunft rufe, so sprach er.

Da wird der zapplige, nie den Status des pubertierenden Strebers loswerdende Lanz, der sich quasi freut wie Oskar, der seinen ehemaligen verknöcherten autoritären Schulleiter wiedertrifft und der alleine für das Wackeln mit seinen aalglatten Schuhen einen Werbevertrag einer großen Schuhfirma erhalten sollte, ganz hellhörig. Er habe jüngst ein Interview mit dem Historiker Götz Aly gelesen, der darauf abheben würde, dass „Hitler den Sozialstaat aufgebaut habe“. Hitler und Sozialstaat, da werden Deutsche ganz wuschig, das ist spannend und irgendwie doch fast verboten. Sind eventuell gar Juden im Publikum? Oder vor den TV-Geräten? Wurden die Juden von einem ganz modernen Sozialstaat ermordet? War es gar nicht böse gemeint?

Wenn Maxim Biller Lanz so oder ähnlich kritisiert hätte, warum nicht? Hat er aber nicht, sondern er affirmiert eine nicht mehr zu rechtfertigende Kriegsführung, die den Palästinensern und Israel extrem schadet, wenn auch auf unterschiedliche Weise, die einen sind tot, die anderen psychisch traumatisiert und diplomatisch isoliert.

Und nochmal, an die ganzen Biller-Fans, die jetzt heulen: Es ist klar, ohne die Hamas gäbe es diesen Krieg nicht.

Hat sich Biller mit den Berichten aus Israel mit dem offenkundig willkürlichen Feuern auf Zivilisten, die verzweifelt Nahrung von den LKWs erwarten, überhaupt näher beschäftigt?

Ist es ihm vollkommen egal, was real auf der Welt passiert, solange es nicht in sein Weltbild passt? Offenkundig hat er sich erkundigt, er weiß, dass die IDF auf Araber schießt – und er behauptet auf unerträgliche, zynische Weise, dass es halt nicht anders gehen würde.

Amos Oz dreht sich im Grab um.

Es muss um ein „neues Sprechen“ gehen, um ein Reflektieren innerhalb der völlig eingeigelten und fanatisierten Pro-Palästina- und Pro-Israel-Camps – so fordert es die pro-israelische, gegen Antisemitismus anschreibende Volontärin bei der Zeit, Anastasia Tikhomirova, vor einigen Wochen („Raus aus dem Freund-Feind-Schema„). Das wäre mal eine Lektüre gewesen für Maxim Biller.

Aber hätte Die Zeit wenigstens ein paar linkszionistische Redakteur*innen, wäre diese Kolumne von Maxim Biller, so wie sie da gedruckt steht, nicht erschienen.

 

 

 

 

 

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