The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

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Ließ sich Hitler im Alter von 6 Jahren in Paris zu „Mein Kampf“ inspirieren? Warum die Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ ein Friedenshindernis ist

Von Dr. Clemens Heni, 5. März 2019

Die Stadt Göttingen, die Universität Göttingen und die Sparkasse Göttingen haben sich entschieden und werden der Verleihung des sog. Göttinger Friedenspreises 2019 am Samstag, den 9. März 2019 an die Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ fernbleiben. Das ist gut so, auch wenn es eine Redakteurin des Tagesspiegel, Andrea Dernbach, anders sieht und eher ein Problem mit der Kritik am Antisemitismus zu haben scheint, denn mit der neuen Form des Antisemitismus via „Rückkehrrecht der Palästinenser“, denn das ist ein Kernpunkt der BDS-Bewegung, der die Preisträger nahe stehen.

Frieden ist ein großes Wort und wäre in Nahost gleichwohl ein Traum. Als Politikwissenschaftler und Aktivist habe ich z.B. 2007 die Nichtregierungsorganisation „Scholars for Peace in the Middle East (SPME)“ in Berlin mitgegründet. 2017 hat mich der Vorstand mit einstimmigem Beschluss ausgeschlossen, weil ich es gewagt hatte, die Unterstützung von SPME in USA für den Sexisten, Rassisten, Nationalisten und Antisemiten Donald J. Trump, den 45. Präsidenten der USA, zu kritisieren.

Die Boykottbewegung BDS gegen Israel möchte Israel nicht nur isolieren und einseitig verantwortlich machen, sondern vor allem auch das angebliche Rückkehrrecht der 1948 vertriebenen Palästinenser durchsetzen. Dabei handelt es sich um mittlerweile über 5 Millionen Menschen, die in völlig grotesker Weise als „Flüchtlinge“ rubriziert werden und gar eine eigene exklusive UN-Einrichtung für sich haben, die UNRWA.

Die deutsche Sektion der Juden für gerechten Frieden in Nahost ist Mitglied der „European Jews for a Just Peace“. Dort ist auch die französische Gruppe Mitglied („Union Juive Francaise pour la Paix“), die am 25. Februar 2019 nochmal deutlich machte, dass all die harmlosen Worte dieser ach-so-friedlichen-Juden, die angeblich Israel anerkennen und nur einen Staat Palästina Seite an Seite mit dem Israel von 1967 haben wollen, Makulatur sind oder schlicht Propaganda für die Dernbachs oder Brumliks dieser Welt: Denn die Mitglieder der französischen Sektion sagen klipp und klar, dass sie „Antizionisten“ sind und somit den Anspruch der Juden auf einen jüdischen Staat ablehnen. In der Erklärung wird einzig und allein Israel für den Nahostkonflikt verantwortlich gemacht. So wichtig es ist, die Besatzung des Westjordanlandes zu kritisieren, so falsch und verräterisch ist es, dabei den Judenhass der Araber, Islamisten und Palästinenser nicht einmal en passant zu erwähnen.

Ein Unterstützen der BDS-Bewegung sowie aktives Kooperieren durch die Gruppe „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ (wie es hier oder hier von ihnen selbst erklärt wird) ist antisemitisch, weil es nicht nur einseitig Schuld sucht und sie bei den Zionisten findet, aber nie bei den Jihadisten oder säkularen palästinensischen Judenfeinden, sondern auch, wie die Amsterdamer Erklärung von 2002 verdeutlich, mit dem Rückkehrrecht der Vertriebenen von 1948 kokettiert, ja es einfordert („the recognition by Israel of its part in the creation of the Palestinian refugee problem. Israel should recognise in principle the Palestinian right to return as a human right.”).

Floskeln, diese „Rückkehr“, die ja für fast alle gar keine Rückkehr wäre, da nur noch wenige Zehntausend tatsächlich 1948 vertriebenen (oder aus eigenen Stücken gegangen) Palästinenser*innen leben, dürfe „Israels Existenz“ nicht bedrohen, sind so wertvoll wie eine Debatte mit der AfD über Vielfalt, Demokratie und die Erinnerung an den Nationalsozialismus.

Viele Menschen, die sich einen Friedensvertrag aller arabischen Staaten mit Israel, ein Ende des islamistischen Terror- und Willkürregimes von Erdogan und der AKP in der Türkei sowie das Ende des Islamischen Republik Iran wünschen, hoffen zudem, dass Benjamin Netanyahu die kommende Wahl in Israel verliert und endlich ein wenigstens nicht rechtsextremes, ja liberales bis linksliberales (wenn auch ganz sicher nicht linkes) Koalitionsbündnis die Nachfolge antritt.

Nationalismus wie die Kooperation mit europäischen Rechtsextremisten und Holocaustrevisionisten durch die aktuelle israelische Regierung (mit der Ukraine, Litauen, Polen, Ungarn) werden in Israel, aber auch von vielen Juden in USA und Europa scharf kritisiert. Allerdings gibt es in Deutschland eine völlig realitätsferne und selbst ernannte Pro-Israel-Szene, die de facto Juden und Israel schadet, da sie extrem rechts agiert und nur nachplappert, was Netanyahu von sich gibt und linkszionistische Stimmen seit Jahren gezielt negiert und totschweigt. Das gilt auch für Einpunktbewegungen wie „Stop the Bomb“, die sich von Trump viel verspricht und in ihm nicht die größte innere Gefahr für die westliche Welt sieht, die er darstellt. Dass der Sexismus und anti-hispanische Rassismus von Trump sie nicht anwidert, verwundert nicht. Wer sich gegen den Verschleierungszwang im Iran wendet, aber Trump nicht wegen dessen „grab her by the pussy“-Sexismus attackiert, hat gar nichts kapiert und heuchelt auf unerträgliche Weise.

Wer jedoch auf der anderen, der vorgeblich guten Seite steht wie Micha Brumlik und nun in der taz die Kritiker*innen des Antisemitismus und der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden“ diffamiert und dann auch noch zusammen mit einer Person wie Jacqueline Rose (und dutzenden weiteren problematischen, den Antisemitismus diminuierenden oder fördernden Personen) Erklärungen zur Unterstützung der Juden für einen gerechten Frieden in Nahost unterschreibt, hat jegliche Seriosität, jede Wissenschaftlichkeit, jede politische Reputation verloren und kann nicht mehr ernstgenommen werden.

Denn was schreibt Rose in ihrem Buch „The Question of Zion“? Zitat:

„It was only when Wagner was not playing at the Paris opera that he [Herzl, CH] had any doubts as to the truth of his ideas. (According to one story it was the same Paris performance of Wagner, when – without knowledge or foreknowledge of each other – they were both present on the same evening, that inspired Herzl to write Der Judenstaat, and Hitler Mein Kampf)“.

Das ist nicht irgendwie eine Meinung von Rose, das ist Fanatismus und Unwissenschaftlichkeit in Potenz. Hitler habe sich also im Alter von 6 Jahren zu „Mein Kampf“ inspirieren lassen. Dass so etwas gelesen, lektoriert und gedruckt wurde, hätte das Ende des Verlags Princeton University Press bedeuten müssen – dass es das nicht tat, zeigt wie desolat „Forschung“ heute funktioniert. Dass eine Person wie Jacqueline Rose, die diesen wirklichen Schwachsinn, der nichts als antisemitisch motiviert ist – nämlich Herzl und den Zionismus mit dem größten Verbrecher der Geschichte der Menschheit in direkte Verbindung zu bringen – so formuliert hat, von einem Mann wie Brumlik (oder anderen Unterzeichnern wie Moshe Zuckermann und Moshe Zimmermann) goutiert wird, ist bezeichnend. Es ist ja keine offene Liste von Zehntausenden Namen, wo man nie weiß, was für ein Schwachkopf sich darunter mischt.

Nein, es ist eine ausgewählte Liste eines Offenen Briefes von über 90 Leuten, die alle wissen, wer Jacqueline Rose ist. („In einem offenen Brief verurteilen mehr als 90 namhafte jüdische Wissenschaftler und Intellektuelle, darunter Noam Chomsky, Eva Illouz, Alfred Grosser, Moshe Zimmermann, Judith Butler und Micha Brumlik, die Anfeindungen gegen unseren Verein und rufen die deutsche Zivilgesellschaft auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden.)“

Der arabische und islamistische Antisemitismus sind eine enorme Gefahr für Juden und Israel. Die nationalistische Politik von Netanyahu hingegen ist auch problematisch und für die politische Kultur in Israel eine sehr große Belastung. Seine Kooperation mit der rassistischen Partei Otzma Yehudit, die in der Tradition der rassistischen Terrorpartei Meir Kahanes steht (die in Israel verboten wurde), ist skandalös, worauf jüngst u.a. der bekannte zionistische Publizist Yossi Klein Halevi hinwies und in scharfen Tönen Netanyahu beschuldigt, den Namen Israels durch sein Kollaborieren mit Otzma Yehudit beschmutzt zu haben.

Das Beispiel der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ zeigt, dass ein wachsamer Blick und Kritik an israelischen Politikern oder Parteien berechtigt ist. Doch an solcher Kritik ist die ‚Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost‘ gar nicht interessiert. Sie streitet mit ihrer Unterstützung der BDS-Bewegung an der Seite einer Organisation, die sich den Beifall der Hamas („We salute and support the influential BDS Movement“) bestimmt nicht durch ihren Einsatz für eine Zwei-Staaten-Lösung verdient hat.

Auch die palästinensische Terroristin und Ikone Leyla Khaled findet in ihrem noch weitergehenderen Kampf gegen den jüdischen und demokratischen Staat Israel BDS sehr hilfreich. Brumlik wird sagen, das seien alles Zufälle und nichts habe mit nichts zu tun, wer solche inhaltlichen Überschneidungen anspreche, sei ein Faschist oder McCarthy-Antikommunist.

Linke oder linksradikale Kritik an diesen „Jüdischen Stimmen“ entwirklicht nicht nur er. Honni soit qui mal y pense.

©ClemensHeni

Ein finnischer Fußballer mit Anstand, ein vulgärer Bayern-Star und eine lächelnde Professorin der FU Berlin in Teheran

Von Dr. phil. Clemens Heni, 9. Januar 2019

Im Januar 2019 weigert sich der finnische Fußball-Nationalspieler Riku Riski zu einem Trainingslager der finnischen Nationalmannschaft nach Katar zu fliegen. Das ist ein herausragendes, ja fast einzigartiges Beispiel für einen selbst denkenden Leistungssportler und für Kritik an einem menschenverachtenden Regime. Riski riskiert damit seine weitere Karriere in der Nationalmannschaft. Er zeigt Anstand und ist angewidert von den vielen Toten, die schon jetzt auf den unsäglichen Baustellen zur geplanten Fußball WM 2022 unter den Augen der fußballgeilen westlichen Welt in Katar zu beklagen sind. Von der Korruption in der FIFA, den TV-Werbeverträgen der kapitalistischen Welt, der Ignoranz der kulturindustriell verblödeten Massen zu sich zu-Tode-arbeitenden asiatischen Arbeitern in Katar ist es nur ein Mausklick.

Der Autor der Zeitung Freitag, Timo al-Faroog, ist ganz begeistert über kopftuchtragende Frauen in Schweden, wie er nach Ankunft eines Fluges mit dem „garantiert judenreinen Unternehmen Qatar Airways von Doha“ in Stockholm schrieb, wie das Blog tw24 sarkastisch kommentiert. Katar is also en vogue.

Es wundert daher nicht, dass dem FC Bayern München diese Baustellen-Toten nichts ausmachen und er auch dieses Jahr in der islamistischen, mörderischen BaustellenHölle von Katar sein Trainingslager bezieht. München hat auch einen Franck Ribéry, der zusammen mit seiner Frau einem Sohn den Namen „Saif al-Islam“ oder auf Deutsch „Schwert des Islam“ gab (was unter Kindesmisshandlung fallen sollte). Angesichts von Kritik an seinem Verzehr von einem goldblattverzierten Steak für 1200€ in einem Restaurant pöbelt er auf vulgärste Weise, betont auch hier seine fanatische muslimische Religiosität und zeigt auf unfassbare Art und Weise, was für Vergewaltigungsfantasien er hat (Ribéry schrieb auf Twitter auf Französisch, Übersetzung und Text von n-tv):

„‘Beginnen wir mit den Neidern und Hatern, die durch ein löchriges Kondom entstanden sein müssen: F**** eure Mütter, eure Großmütter und euren gesamten Stammbaum.‘ Er schulde den Menschen überhaupt nichts, schrieb er weiter und fügte an, dass er seinen Erfolg vor allem Gott, sich selbst und seinen Vertrauten, die an ihn geglaubt haben, zu verdanken habe“.

Der Bayern-„Star“ zeigt sich als Wiederholungstäter (vor Jahren hatte er mit einer minderjährigen Prostituierten Sex, in Frankreich darf er laut einem Gerichtsurteil als „Abschaum“ bezeichnet werden). Dass ein solcher Typ wöchentlich im Fernsehen zu sehen ist und weder die Fans des FC Bayern Anstand haben und seinen Rauswurf fordern mit hunderten Transparenten vor jedem Spiel, verwundert nicht und schockiert doch. Auch die ARD Sportschau oder das ZDF Sportstudio zeigen Bilder dieses Typen weiterhin einfach so.

Niemand hat den Anstand oder Mut, Auftritte von Franck Ribéry zu zensieren, weil Männer mit solchen Gewaltfantasien nichts in der Öffentlichkeit, schon gleich gar nicht im Massenmedium Fernsehen, im Internet oder im Stadion zu suchen haben.

Blick zurück in den Februar 2018. Anfang Februar 2018 erhielt die Professorin für Arabistik an der Freien Universität Berlin, Regula Forster, den Preis für das „Buch des Jahres“ der Islamischen Republik Iran. Die Tehran Times war ganz begeistert und zeigt die lachende verschleierte Forster und den schelmisch grinsenden Hasan Rouhani, den iranischen Präsidenten, der einen großen Coup gelandet hat.

Die Freie Universität war stolz wie selten und postete ein Bild der Preisübergabe auf der offiziellen Seite der FU Berlin auf Englisch und Deutsch.

Was sagt Amnesty International über den Iran 2017/18?

„Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen, wie häusliche Gewalt und Früh- und Zwangsverheiratungen, waren weit verbreitet und wurden nicht geahndet. Geschlechtsspezifische Gewalt war weiterhin nicht strafbar. Ein entsprechender Gesetzentwurf war seit 2012 anhängig. Das gesetzliche Heiratsalter für Mädchen lag nach wie vor bei 13 Jahren. Väter und Großväter konnten bei Gericht eine Erlaubnis einholen, wenn sie Mädchen noch früher verheiraten wollten.

Der Wächterrat ließ keine der 137 Frauen, die bei der Präsidentschaftswahl antreten wollten, für eine Kandidatur zu. Nach der Wahl berief Präsident Rohani keine Frau in sein Kabinett, trotz entsprechender Forderungen aus der Zivilgesellschaft.

Aufgrund des gesetzlichen Zwangs, ein Kopftuch (Hidschab) zu tragen, standen Frauen im Visier von Polizei und paramilitärischen Kräften. Sie wurden schikaniert und festgenommen, wenn Haarsträhnen unter ihrem Kopftuch hervorschauten, wenn sie stark geschminkt waren oder enganliegende Kleidung trugen. Frauen, die sich gegen die Kopftuchpflicht einsetzten, wurden Opfer staatlich unterstützter Verleumdungskampagnen.“

Es ist also wie ein Hohn auf die Frauen im Iran, wenn Regula Forster dort einen Preis empfängt. Mehr noch:

„Gerichte verhängten in zahlreichen Fällen Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Im April amputierte man Hamid Moinee in Schiraz (Provinz Fars) eine Hand und richtete ihn zehn Tage später hin. Er war wegen Mordes und Raubes schuldig gesprochen worden. Es gab mindestens vier weitere Amputationen wegen Raubes. Die Behörden vollstreckten auch erniedrigende Strafen. So wurden im April 2017 drei Männer, denen Entführung und andere Straftaten vorgeworfen wurden, durch die Straßen von Dehloran (Provinz Ilam) getrieben. Ihre Hände waren gefesselt, und sie trugen Wasserkannen um den Hals, die zur Toilettenspülung benutzt wurden. Im Juli wurden acht Männer in Pakdasht (Provinz Teheran) auf ähnliche Weise gedemütigt. Im Mai 2017 verurteilte ein Strafgericht in der Hauptstadt Teheran eine Frau wegen einer außerehelichen Beziehung zu zwei Jahren Leichenwaschung und 74 Peitschenhieben. Der Mann wurde zu 99 Peitschenhieben verurteilt.“

2017 gab es über 507 Hinrichtungen im Iran. In Deutschland ist die Todesstrafe verpönt.

Was sagt Forster ihren Kindern, mit denen sie so peinlich wirbt auf der Seite der FU, so als ob es irgend eine Bedeutung hätte, ob eine Wissenschaftlerin oder Arabistin Kinder hat oder nicht? Da lacht also Regula Forster herzlich in Teheran und empfängt als Arabistin einen Preis des Iran. Auch der Antisemitismus von Rouhani stört sie demnach überhaupt nicht, denn Rouhani ist berüchtigt, Israel wiederholt als „Krebsgeschwür“ bezeichnet zu haben.

Es ist ein weiterer Tiefpunkt der Wissenschaft in der Bundesrepublik, dass eine führende Universität wie die FU Berlin die Verleihung eines Preises aus den blutbeschmierten Händen des Iran an eine Forscherin nicht nur hinnimmt, sondern feiert.

Auch jene Kolleginnen und Kollegen, die in der Habilitationskommission für das nun vom islamistischen Regime in Teheran gepriesene Buch saßen, haben sich meiner Kenntnis nach weder von Regula Forster noch ihrem skandalösen Auftritt bei Rouhani distanziert:

„Gudrun Krämer, Birgit Krawietz, Renate Jacobi, Gotthard Strohmaier, Almut-Barbara Renger, Uwe Puschner, Montserrat Rabadán, Victoria Mummelthei“.

Forsters Arbeit handelt vom „Dialog“ in arabischen Quellen zumal des Mittelalters – „Wissensvermittlung im Gespräch. Eine Studie zu klassisch-arabischen Dialogen“ (Leiden/Boston: Brill, 2017). Wie zynisch muss eine Forscherin sein, die ein autoritäres Regime, das gegen Dialog ist und zumal westliche Forschung diffamiert und höchstens als notwendig für den Bau einer Atombombe anwendet, hofiert?

Forster tut so, als sei sie für den Dialog, ob das nun die von ihr untersuchten arabischen Quellen hergeben, steht auf einem anderen Blatt. Doch so zu tun, als ob frau offen, tolerant, gar wissenschaftsfreundlich sei, und dann in ein hardcore antiintellektuelles, autoritär-faschistoides, religiös fanatisches, islamistisches, freie Wissenschaft bekämpfendes, frauenverachtendes, antisemitisches und den Dialog mit den Gegnerinnen und Gegnern des Jihad im Iran und außerhalb des Iran nicht nur nicht suchendes, sondern Kritiker*innen einsperrendes, folterndes und ermordendes Regime zu fahren und sich selbst zu verschleiern, also zu islamisieren – das ist an Zynismus und brutalem Verhalten schwerlich zu überbieten.

Aber das ist Mainstream an europäischen Universitäten, Regula Forster ist ja weiterhin völlig anerkannt – und das ist der Skandal. Was sagen die Studierenden an der FU dazu, jedenfalls jene Arabistik-Studierenden, die keine Islamist*innen sind? Was sagen Pädagogik-Studentinnen dazu, wenn sie wissen, dass Frauen im Iran nur unter Lebensgefahr ohne Schleier herumlaufen können?

Namentlich Gudrun Krämers pro-islamistische Ideologie habe ich am Beispiel ihrer Rezeption eines führenden sunnitischen Agitatoren, der besonders aggressiv antisemitisch ist, Yusuf Al-Qaradawi, schon vor Jahren analysiert und kritisiert.

Es wundert nicht, dass Forster, die auch an der Birzeit Universität im Westjordanland war (die keine Juden oder jüdische Israelis einstellt, nicht mal Kritiker*innen der Besatzung der Westbank) und offenkundig eine Nähe zu antiisraelischen Kaderschmieden sucht, keine Kritik erfährt, immerhin ist Krämer eine sehr bekannte, ebenfalls preisgekrönte Professorin der FU Berlin.

Was lernen wir daraus? Der finnische Fußballer Riku Riski ist geradezu ein Held, obwohl er doch nur das Allerselbstverständlichste getan hat: Er hat gezeigt, dass er Anstand hat und Menschenrechtsverletzungen nicht einfach so weglächelt. Er ist angewidert von den Hunderten Toten auf den Baustellen in Katar.

Er hat womöglich auch eine Distanz zur Ideologie eines islamistischen Landes wie Katar, wo Yusuf al-Qaradawi seit Jahrzehnten ungestört seine Hetze verbreiten konnte und kann und von deutschen Islamforscherinnen ganz entzückt als „Global Mufti“ und quasi Popstar gefeiert wird (vor Jahren dankte al-Qaradawi Hitler für den Holocaust; Bettina Gräf, eine Schülerin von Gudrun Krämer, hat kurz vor Weihnachten 2005 ihren Helden al-Qaradawi in Doha, der Hauptstadt Katars, getroffen).

Was ist ein Land wie der Iran wert, wo an keiner einzigen Universität in Philosophie, Pädagogik oder einem anderen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Studienfach ein Kurs über „Nietzsches Kritik am Christentum, am deutschen Antisemitismus und an Theodor Fritsch[i] mit Bezug zur Kritik am Antisemitismus der Islamischen Republik Iran“ angeboten werden kann? Was hält Forster von der Freiheit der Wissenschaft? Warum hofiert sie ein Land, das diese Freiheit mit Füßen tritt?

Die wenigsten Wissenschaftler*innen oder Fußballer haben Anstand und würden ihre Karriere wegen der Kritik an einem menschenverachtenden Regime aufs Spiel setzen, Kritik üben und sich dissident verhalten. Riku Riski ist eine rühmliche Ausnahme.

 

[i] Siehe dazu Christian Niemeyer, „Auf die Schiffe, Ihr Philosophen!“ Friedrich Nietzsche und die Abgründe des Geistes (Freiburg: Karl Alber, erscheint Frühjahr 2019).

©ClemensHeni

Von Walser (1998) bis Özdemir (2018): Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Uni Tübingen, die „Rede des Jahres“, deutscher Antisemitismus und Nationalismus

Von Dr. Clemens Heni, 13. Dezember 2018

Der Autor war vom Sommersemester 1991 bis einschließlich dem Sommersemester 1996 Student an der Uni Tübingen (Philosophie, Geschichte, Empirische Kulturwissensschaft (EKW) und Politikwissenschaft) und wohnte u.a. im Annette Kade Wohnheim (sehr günstig auf 8,95 qm, plus 1qm Vorraum mit Waschbecken und einem weiteren Bücherzimmer mit 1qm), schräg gegenüber des Instituts für Politikwissenschaft, wo der alte Nazi (SS-Mann) Theodor Eschenburg noch ein Arbeitszimmer hatte. 1996 während der Goldhagen-Debatte meinte eine Kommilitonin, die „rote Uni Bremen“ sei doch wohl besser für ihn und für die Uni Tübingen sei das auch besser. Und so kam es 😉

 

Im Dezember 2018 gab eine Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Eberhard Karls Universität Tübingen bekannt, dass die von ihr verliehene Auszeichnung für die „Rede des Jahres“ 2018 an den Politiker Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) geht.[i] Seine Rede im Bundestag am 22. Februar 2018 habe sich mit „ciceronianischer Wucht“ gegen die Alternative für Deutschland (AfD) und deren Agitation im Bundestag gewandt.

Doch Özdemir hat in dieser Rede gerade nicht nur die Neuen Rechten oder die neuen Nazis im Bundestag attackiert, sondern vor allem selbst massiv nationalistische und verschwörungsmythische Topoi gesetzt. Das hatte ich als Teil eines längeren Textes am 7. März 2018 analysiert, unten gebe ich jenen Abschnitt des Textes wieder, der sich mit Özdemir befasst.

Übrigens wird diese anmaßende Auszeichnung einer „Rede des Jahres“ seit 20 Jahren verliehen. Erster Preisträger war Martin Walser mit seiner berüchtigten Paulskirchenrede, die als eine der antisemitischsten Reden in die Geschichte der Bundesrepublik einging.[ii]

Die Jury (Prof. Dr. Gert Ueding) sagte damals über Walsers Rede:

Zur „Rede des Jahres 1998“ hat das Institut für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen Martin Walsers Frankfurter Friedenspreisrede gewählt, weil sie in der Tradition der großen humanistischen Beredsamkeit in Deutschland für die ideologisch verfestigten Meinungsschranken unserer Mediengesellschaft die Augen öffnet, sich gegen das organisierte Zerrbild von Gewissen, Moral, Schuldbewußtsein wehrt, das in Grausamkeit gegen die Opfer umschlägt, und schließlich für Vertrauen und Hoffnung in die Zukunft plädiert, ohne die Kraft zur Trauer zu schwächen.

Martin Walser hat mit selbstkritischen und ironischen Untertönen den Meinungsbetrieb in seiner manchmal gutgläubigen, doch meist zynischen Doppelbödigkeit aufgedeckt und als Instrument der ideologischen Macht­ausübung, als profitables Mediengeschäft und intellektuelle Inszenierung erkennbar gemacht. Die maßlose und hämische Kritik an dieser in rhetorischem Ethos, schlüssiger Argumentation und leidenschaftlichem Engagement für eine menschenwürdige Zukunft vorbildlichen Rede bestätigt deren Thesen so eindrucksvoll wie bedrückend.“

 

Entgegen Uedings und der Uni Tübingens hoher Meinung von Martin Walser gab es auch seriöse und kritische, gegen den Antisemitismus gerichtete Analysen wie jene in der Doktorarbeit des Politologen Lars Rensmann:

„Auschwitz gerät von der Chiffre für das unvorstellbare Verbrechen zur bloßen intellektuellen ‚Vorhaltung‘ gegenüber den Deutschen: ‚Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag, an dem sie uns nicht vorgehalten wird.‘ Nicht der Holocaust, die Grausamkeit gegenüber Juden, sondern, im Gegenteil, ein an den Deutschen verübter ‚grausame[r] Erinnerungsdienst‘ der ‚Intellektuellen‘, die den Terror erinnern, wird als Gewalt projiziert; die Erinnerung an den Schrecken an sich wird von Walser abgewehrt.“[iii]

Rensmann resümiert:

„Nach den ‚Walser-Debatten‘ lässt sich jedoch begründet eine zunehmend erodierende Grenzziehung im politischen Diskurs gegenüber erinnerungsabwehrenden Formen des Antisemitismus als ‚legitime Meinungsäußerung‘ befürchten. Seit der Walser-Debatte glauben die antisemitischen Briefeschreiber in der Bundesrepublik kaum mehr anonym bleiben zu müssen, weil sie, nicht ganz zu unrecht, ihre Ansichten und Drohungen wieder für salonfähig oder zumindest für legitim und akzeptabel halten. Das antisemitische Judenbild, das Walser wie auch [Rudolf] Augstein und andere in der politischen Öffentlichkeit rehabilitieren und am Leben erhalten, stößt gesellschaftlich zumindest kaum auf energische Ablehnung. Die Diskussion bezeugt insofern bisher einen ersten Höhepunkt affektiver, gegen Juden gerichteter öffentlicher Tabubrüche in der politischen Kultur der ‚Berliner Republik‘, dessen Folgen und Effekte nachwirken und in den nachkommenden Debatten Widerhall finden.“[iv]

Wenn Özdemir seinen nationalistischen Eifer vom Februar 2018 wieder gutmachen möchte, könnte er nun diese Auszeichnung ablehnen. Das wird Özdemir aber ganz sicher nicht tun, dafür ist er viel zu stolz auf dieses Land.

Cem Özdemir und die „gute“ Heimat, 2018

Es gibt kaum einen besseren Indikator für die politische Kultur in diesem Land, wenige Monate nach dem Einzug der rechtsextremen AfD in den Deutschen Bundestag, als die Rede des Grünen Cem Özdemir in jenem Parlament am 22. Februar 2018 und die überschwängliche Begeisterung derer, die sich im Anti-AfD-Lager befinden. Aufhänger für die neuen Nazis im Bundestag waren vorgeblich „antideutsche“ Texte des Journalisten Deniz Yücel, der dank des Einsatzes der Bundesregierung aus dem Gefängnis in der Türkei entlassen wurde. Zu Recht attackierte Özdemir in seiner Wutrede am 22. Februar 2018[v] die AfD als „Rassisten“, attackierte lautstark die rassistische Hetze gegen ihn, den die AfD am liebsten „abschieben“ wolle, während er aber natürlich ein Deutscher aus „Bad Urach“ ist. Das ist alles sehr gut und treffend. Özdemir sagte aber auch:

„Wie kann jemand, der Deutschland, der unsere gemeinsame Heimat so verachtet, wie Sie es tun, darüber bestimmen, wer Deutscher ist und wer nicht Deutscher ist? (…) Sie verachten alles, wofür dieses Land in der ganzen Welt geachtet und respektiert wird. Dazu gehört beispielsweise unsere Erinnerungskultur, auf die ich als Bürger dieses Landes stolz bin. (…) Dazu gehört – das muss ich schon einmal sagen; da fühle ich mich auch als Fußballfan persönlich angesprochen – unsere großartige Nationalmannschaft. Wenn Sie ehrlich sind: Sie drücken doch den Russen die Daumen und nicht unserer deutschen Nationalmannschaft. Geben Sie es doch zu!“

Was macht Özdemir mit jenen Antifas oder Antideutschen, die „unsere Heimat“ tatsächlich verachten? Sind Antifas oder Antideutsche keine Menschen? Der Logik zufolge verabscheut Özdemir Kritik an den deutschen Zuständen so sehr, wie das die AfD verabscheut und er kategorisiert völlig realitätsblind die AfD in das Lager der Heimatfeinde.

Gerade den aggressivsten Nationalisten, die jemals in solch einer Fraktionsstärke im Bundestag gesessen haben, vorzuwerfen, nicht deutsch-national genug zu sein, ist völliger Blödsinn. Es ist eine absurde Idee und wird exakt auf jene zurückschlagen, mit schwarzrotgoldenem Fanatismus, wie wir ihn namentlich und verschärft seit dem ach-so-zarten „Sommermärchen“ 2006 alle zwei Jahre erleben, die eben tatsächlich nicht für dieses Land mitfiebern, sondern für seine sportlichen Konkurrenten zum Beispiel, oder denen das schnuppe ist. Und das Argument, quasi „Volksverräter“ zu sein, kann bei Nazis nur dazu führen, dass bei nächster Gelegenheit die Anti-AfDler mal wieder als solche bezeichnet werden. Heimat ist auch für Neonazis von allerhöchster Bedeutung.[vi]

Selbstredend hat Özdemir recht, wenn er sich gegen die Hetze gegen das Holocaustmahnmal aus dem Munde von Björn Höcke wendet, was aber wiederum gar nichts darüber aussagt, was für eine stolzdeutsche Ideologie in diesem Mahnmal, zu dem man „gerne gehen soll“ (Gerhard Schröder), und wieviel Degussa-Material darin steckt.

Warum Stolz auf die deutsche Erinnerungskultur? Eine „Kultur“, die es gar nicht ohne die sechs Millionen von Deutschen ermordeten Juden geben könnte?

Stolz zudem auf die Verdrängung der deutschen Verbrechen bis in die 1980er Jahre hinein und dann das unerträgliche Eingemeinden der jüdischen Opfer mit SS-Tätern in Bitburg durch Bundeskanzler Helmut Kohl und später die Trivialisierung des Holocaust durch Typen wie den späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck, der den Kommunismus wie den Nationalsozialismus als ähnlich schrecklich empfindet und Beiträge in den Holocaust verharmlosenden Büchern wie „Roter Holocaust“ (Herausgeber war der Historiker Horst Möller, 1998) publizierte und 2008 die aus dem gleichen totalitarismustheoretischen und Auschwitz nivellierenden Eichenholz geschnitzte Prager Deklaration unterschrieb? Stolz auf ein Land, das derzeit Phänomene erlebt wie Dorfbevölkerungen in Rheinland-Pfalz oder in Niedersachsen, die mit Hitlerglocken oder Nazi-Glocken in ihren Kirchen kein Problem haben, ja stolz auf die lange Tradition sind?

Das sind nur einige wenige Elemente der Kritik, warum Özdemir einen großen Fehler begeht, wenn er ernsthaft meint, Nazis rechts überholen zu können mit noch mehr Stolz auf Deutschland und namentlich auf dessen „So geh’n die Deutschen“[vii] -Fußballnationalmannschaft (2014). Das „Sommermärchen“ 2006 war absolut grundlegend für den schwarzrotgoldenen Wahnsinn von Pegida im Oktober 2014 bis zum Einzug der AfD in den Bundestag und bis heute.[viii] Dabei hatte es so wundervolle Momente wie das Vorrundenaus der Deutschen bei der WM 2018 zuvor bei Fußballweltmeisterschaften eher selten gegeben.

Das Bittere, das so gut wie niemandem auffällt, an Özdemirs Vorwurf an die Nazis, doch nicht deutsch genug zu sein, hat wiederum Pohrt schon am Beispiel eines Textes vom 14.5.1982 in der taz untersucht, dessen Autor Hilmar Zschach die Nazivergangenheit des schleswig-holsteinischen Landtagspräsidenten Helmut Lembke erwähnt, aber das als untypisch für die feschen Schleswig-Holsteiner abtut. Pohrt kommentierte:

„Die gemeinsame völkisch-nationalistische Basis bringt Linke und Rechte dazu, einander undeutsche Umtriebe vorzuwerfen. So irrational, wie die Kontroverse dann geworden ist, so mörderisch sind auch ihre potentiellen Konsequenzen. Es geht eigentlich darum, den Volkskörper von volksfremden Elementen zu säubern, damit endlich das andere, das wahre Deutschland erscheine. Unter dieser Voraussetzung ist es gleichgültig, ob die ‚Antifaschisten‘ oder die Faschisten gewinnen, denn die Verlierer werden allemal Leute sein, die keine Lust haben, sich Deutsche zu nennen.“[ix]

 

[i] „Mit seinem Debattenbeitrag hat Özdemir gezeigt, wie wirksam und kraftvoll eine Parlamentsrede sein kann, wenn ein Redner mit Überzeugung und Leidenschaft antritt – ein herausragendes Beispiel dafür, wie man den Populisten im Parlament die Stirn bieten kann. Jury: Simon Drescher, Pia Engel, Dr. Gregor Kalivoda, Rebecca Kiderlen, Prof. Dr. Joachim Knape, Sebastian König, Prof. Dr. Olaf Kramer, Viktorija Romascenko, Oliver Schaub, Frank Schuhmacher, Prof. Dr. Dietmar Till, Dr. Thomas Zinsmaier. Im Jahr 2018 war mit Oliver Schaub erstmals auch ein von den Studierenden bestimmtes studentisches Mitglied Teil der Jury“, http://www.rhetorik.uni-tuebingen.de/portfolio/rede-des-jahres/.

[ii] Joachim Rohloff (1999): Ich bin das Volk. Martin Walser, Auschwitz und die Berliner Republik, Hamburg: KVV Konkret (Konkret Texte 21); Lars Rensmann (2004): Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 356–414;

[iii] Rensmann 2004, S. 364.

[iv] Ebd., S. 414.

[v] http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19014.pdf.

[vi] Zur Kritik siehe z.B. Lucius Teidelbaum (2018): Kritische Heimatkunde, 05.03.2018, http://emafrie.de/kritische-heimatkunde/.

[vii] https://www.youtube.com/watch?v=6lcaRA4sr4o.

[viii] Clemens Heni (2017a): Sommermärchen bereitete der AfD den Boden, Frankfurter Rundschau, 16./17. Dezember 2017, online: http://www.fr.de/kultur/antisemitismus-sommermaerchen-bereitete-der-afd-den-boden-a-1409276.

[ix] Wolfgang Pohrt (1982): Endstation. Über die Wiedergeburt der Nation. Pamphlete und Essays, Berlin: Rotbuch Verlag, 127 f., Fußnote 4.

©ClemensHeni

Gespräche über „Der Komplex Antisemitismus“ im Radio von WDR 5 und WDR 3

Das Radio hat mich jüngst wieder eingeladen und mit mir über mein neues BuchDer Komplex Antisemitismus“ gesprochen.

Am Montag, 3. Dezember 2018, sprach die Moderatorin Stefanie Junker mit mir in Ihrer Sendung „Scala – Hintergrund Kultur“, die Sendung lief von 14:05 bis 15 Uhr:

Der Komplex Antisemitismus

WDR 5 Scala – Hintergrund Kultur | 03.12.2018 | 10:23 Min.

Die neue Studie des Antisemitismusforschers Clemens Heni untersucht an neuen Beispielen, wie sich das destruktive alte Muster durch unser gesellschaftliches Leben zieht. „Dumpf und gebildet, christlich, muslimisch, „lechts, rinks“, postkolonial, romantisch, patriotisch: Deutsch“.

 

Am nächsten Tag, 4. Dezember 2018, sprach ich bereits ab 8:05 Uhr in der Sendung Mosaik von WDR 5 mit dem Moderator Raoul Mörchen:

„Der Komplex Antisemitismus“

WDR 3 Mosaik | 04.12.2018 | 10:31 Min.

„Dumpf und gebildet, christlich, muslimisch, lechts, rinks, postkolonial, romantisch, patriotisch, deutsch“ – so beschreibt Clemens Heni den „Komplex Antisemitismus“ in seinem neuen Grundlagenwerk.

 

Herzlichen Dank für die Einladung an den WDR und an die Redakteurinnen und die Moderator*innen!

JETZT lieferbar: Clemens Heni – Eine Alternative zu Deutschland. Essays (*Leseprobe * Inhaltsverzeichnis)

JETZT lieferbar:

Clemens Heni

Eine Alternative zu Deutschland. Essays

 

Berlin: Edition Critic, 2017

ISBN 978-3-946193-17-3 | Softcover | 14,8x21cm | 262 Seiten | Personenregister | 15€

Bestellbar in jeder Buchhandlung oder versandkostenfrei direkt beim Verlag:

info[at]editioncritic.de

 

Dieses Buch ist eine intellektuelle Zeitreise von Juli 2006 bis September 2017.

Es zeigt auf, wie es vom »Sommermärchen« 2006 über die Rede vom »Inneren

Reichsparteitag«, Pegida, den Austritt Großbritanniens aus der EU (Brexit), die

Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten bis hin zum Aufstieg der AfD kommen

konnte. Betont wird die Verantwortung der Medien und des Fernsehens für

diesen Aufstieg. Die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag müssen

sich das erste Mal in der Geschichte mit neonazistischen Positionen im Parlament

befassen – doch sind sie darauf vorbereitet?

 

»Wer nach einer Vergewisserung sucht, wo Deutschland heute steht, wird sie in diesem Buch finden. Mit scharfem Verstand und mit angespitzter Feder zeichnet Clemens Heni funkelnde Momentaufnahmen der letzten elf Jahre. Heraus kommt, wie bestürzend sich die zivile Achse des zuvor offenen Selbstverständnisses nach rechts verschoben hat. Wer die Hoffnung auf eine bessere Zukunft teilt, muss die Gegenwart schonungslos kritisch beleuchten. Daraus mag ›eine Alternative zu Deutschland‹ entstehen.«

Gert Weisskirchen, 1976–2009 Mitglied des Deutschen Bundestages (MdB), 1999–2009 außenpolitischer Sprecher SPD Bundestagsfraktion, 2006–2008 persönlicher Beauftragter des OSZE Vorsitzenden im Kampf gegen  Antisemitismus, Prof. (em.).

»Clemens Heni erkennt in der aktuellen politischen Kultur dieses Landes noch immer die Spuren des Judenhasses und des von Deutschen begangenen und zu verantwortenden Mordes an den europäischen Juden. Ohne mit Heni in allen Fällen übereinzustimmen, führen seine Beiträge doch ins Herz der aktuellen Debatte über Deutschland und regen zu fruchtbarem Widerspruch an.«

Prof. Dr. Micha Brumlik, 2000–2013 Professor für »Theorien der Bildung und Erziehung « am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Goethe Universität Frankfurt am Main, 2000–2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts, Forschungs- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust an der Goethe Universität.

»Wo nationalistische Töne sich erheben, ein Schlussstrich unter die deutschen Verbrechen des vergangenen Jahrhunderts gefordert und Judenhass zu einer scheinheiligen Kritik an Israel sublimiert wird, holt Clemens Heni zum grossen Rundumschlag aus: gegen Zyniker, Großaffirmatoren, Antihumanisten und Holocaustverharmloser im Deutschland der Gegenwart. Selbst wenn man ihm nicht immer folgen mag, schreibt er doch mit viel Scharfsinn und Sachkenntnis. Fazit: Unbedingt lesenswert und gerade vor dem Hintergrund der Bundestagswahl von brennender Aktualität.«

Dr. phil. Michael Kreutz, Politologe und Orientalist

»Clemens Heni ist ein Ein-Mann-Korrektiv zum andauernden deutschen Geschichts-Roll-Back, wach, intelligent, unerlässlich in Zeiten der schwächelnden Demokratie.«

Georg Diez, Spiegel-Online-Kolumnist, Buchautor, 2016/17 Nieman Fellow der Harvard Universität, USA

Clemens Heni Eine Alternative zu Deutschland 2017 Inhalt Einleitung (PDF):

Einleitung  7

Das nationale Apriori: Wie aus der BRD endgültig Deutschland wurde  12

Ein deutsches Graduiertenförderungswerk, 2002:  ein Küchlein mit Folgen  13

Ein weiteres deutsches Graduiertenförderungswerk, Juni 2006:
Ich bin deutsch und was bist du?  14

Walk of Ideas, Berlin 2006  15

„Die Nazis wurden doch sportlich, 1936“ – Neu-deutsche Wissenschaft als Rehabilitierungsübung für den Nationalsozialismus  16

Weitere Beispiele ‚linker‘ Wissenschaftler und deren  Verharmlosung der deutschen Verbrechen  21

Das Opfer bringen und singen: „Blüh im Glanze“  „deutsches Vaterland“ –
von Diem zu Klinsmann  22

Keine „Reue“ zeigen: Gegen „amerikanischen Messianismus“ –  Matusseks nassforsche Invektiven oder wie funktioniert  sekundärer Antisemitismus?  25

Joachim Fests Kampf: Über Historismus und Antisemitismus  26

Ästhetizistische Parallelwelten: K.H. Bohrer möchte wieder ein stolzes Deutschland …   29

Deutsche Lust: Zusammen, was zusammengehört: Nation und Sozialismus – „Volkslust“… 32

Kritik an Broders Rechtsruck 2007  35

Martin Mosebach: Gegenaufklärung als sekundärer Antisemitismus  39

„Rheinischer” Revisionismus? Journalisten verlegen Beginn des Zweiten Weltkriegs auf 1935  41

Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“  45

Karl Rössel, der Mufti, und die Aporien des Antiimperialismus  45

Merkwürdiger Komparatismus: Harald Welzer  50

Antisemitismus trivialisieren? Fragen an den Facebookexperten Götz Aly  52

Das ZDF oder wenn Deutsche zu sehr lieben: „Innerer Reichsparteitag“  56

Das grüne Ressentiment: Die Grünen, Paul Bonatz, die „Adolf-Hitler-Kampfbahn“, Stuttgart 21    59

Stuttgart ist keine „Vorstadt von Jerusalem“… Paul Bonatz, der NS und Die Grünen (K21)  61

Erinnern, um zu vergessen: Alfred Grosser  66

„Ausgerechnet Billy Wilder“ – Christian Wulff, die „deutsche Kultur“ und der Holocaust 68

Flanierend die Verbrechen des Nationalsozialismus goutieren  69

Antisemitismus und die Prager Deklaration  75

Banalisierung des Bösen: Hannah-Arendt-Preis für die Trivialisierung des Holocaust 2013  78

Die „Bloodlandisierung“ der Linken am Beispiel Helmut Dahmer  83

Özgida – eine antirassistische Antwort auf Pegida  86

32 Thesen: Pegida zeigt den Extremismus der deutschen Mitte  90

2014: Ein Land gefangen zwischen Islamismus und dem Extremismus der Mitte  95

Exkurs: War Deutschland Teil des Abendlandes?  96

Auschwitz, 27. Januar 1945  98

Eike Geisel und die Erinnerung an den Holocaust 103

Die „Klimaverschärfung“ – AfD und Pegida machen das Land peu à peu unbewohnbar  108

Das Ende des Ludwig-Börne-Preises – Der „post-humanistische Denkraum“ Peter Sloterdijks  116

AfD für „Alphabetisierte“: Peter Sloterdijk am Sinai auf einem „deutschen Weg“  127

Die ganz normalen Deutschen des 13. März 2016  133

Gegen das Brexit-Volk des 23. Juni 138

Deutsche Männer mit Schnappatmung – Zur Kampagne gegen die
Amadeu Antonio Stiftung  142

Von der SED zur AfD? Für die Neue Rechte war die DDR schon
1981 besonders „deutsch“  145

16 Jahre NSU, 15 Jahre 9/11: Deutschland zwischen braunem und grünem Faschismus  150

Schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und der Mob in Berlin vor dem Einzug ins Parlament 152

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke bekommt den Friedenspreis  159

Ein Präsident für die antiwestliche Internationale  167

Die neue Querfront – Mit Hegels „List der Vernunft“ für Trump … 175

Stalingrad, „monströser Zivilisationsbruch“ –

Die Wiedergutwerdung der Deutschen in Aleppo  184

Der Trumpismus, die Fratze des Philoisraelismus und die Chance
des säkularen Zionismus  188

Amerikas 1933 und die „identitäre Demokratie“ (=Faschismus)  192

Locker bleiben. Es ist lediglich der mächtigste Mann der Welt, der
den Faschismus intoniert 194

Erlösendes Gedenken, Norbert Lammert, die „wechselvolle“ deutsche Geschichte  200

Freiheit für Deniz Yücel – Jetzt sofort! Power durch die Mauer, bis sie bricht! 204

G20-Proteste: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ (Brecht)  206

Koscherstempel für faschistische Autoren: Die Berliner Buchhandlung „Topics“  209

Holocaustopfer, schwarzrotgold: Gerhard Richter im Bundestag  214

„Ist doch für einen guten Zweck“: Mafia-Methoden im politischen Diskurs  214

TV-Duell: AfD-Propaganda-Show führender TV-Journalist*innen in
ARD, ZDF, RTL und Sat1  217

Endnoten  223

Personenregister  256

Lesprobe:

Einleitung

Für „Otto Normalvergaser“ wie die Politiker*innen und Wähler*innen der Alternative für Deutschland (AfD) „ist die Welt von gestern noch in Ordnung gewesen“.[1] Das zeigt sich an der Parteivorsitzenden Frauke Petry, die das Wort „völkisch“ wieder verwendet, an dem ehemaligen (1973–2013) CDU-Mitglied und AfD-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl 2017, Alexander Gauland, der „stolz“ ist auf die deutschen Soldaten im „Ersten und Zweiten Weltkrieg“ und an Björn Höcke, für den das Holocaustmahnmal ein „Mahnmal der Schande ist“. Die Welt am Sonntag berichtete am 9. September 2017 über einen E-Mail-Wechsel der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel von 2013, worin es über Mitglieder der Regierung Angela Merkel heißt:

„Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen.“[2]

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 führt das erste Mal dazu, dass Neonazis im Deutschen Bundestag sitzen werden. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach im Vorfeld von der Gefahr, dass „echte Nazis“ im Parlament vertreten sein werden.[3] Der 24. September 2017 war der schlimmste Tag für die parlamentarische Demokratie der Bundesrepublik. Die 12,6% Stimmen für die AfD zeigen die Fratze des Volkes. Die Millionen AfD-Wähler*innen wissen, wie völkisch, rassistisch, nationalistisch, agitatorisch und antisemitisch diese Partei ist und haben sie gerade deshalb gewählt.

Dieses Land braucht eine Alternative zu Deutschland. Es war noch vor fünf Jahren undenkbar, dass eine Partei in den Bundestag einziehen wird, die „Deutschland erwache“ twittert,[4] so wie damals die Nazis mit diesem Spruch agitierten. Eine Partei, die Politiker hat, die so reden wie Goebbels und die Erinnerung an den Holocaust nicht nur abwehren, sondern im Kokettieren mit dem damaligen Propagandaminister die Shoah gar nicht so klammheimlich affir­mieren. Eine Partei, die deutschen Staatsbürgerinnen die Staatsbürgerschaft abspricht und diese in „Anatolien entsorgen“ will. Schließlich eine Partei, die Mitglieder hat, welche die gefährlichste aller antisemitischen Verschwörungsmythen, die Protokolle der Weisen von Zion, unterstützen.[5] Der Mob schreit „Volksverräter“, „Lügenpresse“ oder „Merkel muss weg“, wie es auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD passierte, und möchte die Kanzlerin wegputschen und die Demokratie zerstören. Solche Neo-Nazisprüche und -Ideologie gibt es schon seit Jahrzehnten – aber niemals im Deutschen Bundestag als Teil der Ideologie einer ganzen Partei. Dazu kommen eine ungeheuerliche Agitation gegen die Demokratie und Gewaltfantasien, die rechte Aktivisten von Pegida und Politiker*innen der AfD und deren Anhängerschaft in den sozialen Medien äußern.[6] Wie Bundesjustizminister Heiko Maas knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl schreibt, ist die AfD „in Teilen verfassungswidrig.“[7] Doch die Alternative für Deutschland (AfD) entstand nicht in einem Vakuum, sondern ist Ausdruck eines lang andauernden Prozesses der Renationalisierung dieses Landes wie auch Europas und des Westens. Rassismus, Separatismus und die Hinwendung zum „Eigenen“ sind schockierender Aus­druck sowohl des Brexit im Juni 2016, dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU, wie der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten im November 2016.

Die deutsche Renationalisierung kann hier nicht in allen Einzelheiten untersucht werden. Die jüngste Form der Renationalisierung war ein Epochenbruch: 2006. Eine Kernthese dieses Bandes lautet: Ohne das „Sommermärchen“ von 2006 und den schwarzrotgoldenen Taumel, ohne die „inneren Reichsparteitage“ und gegenintellektuelle Stimmungsmache für mehr Nation und weniger Reflektion, mehr Stolz auf die deutsche Geschichte und weniger Gesellschaftskritik, wäre es nicht zu Pegida und zur Katastrophe der völkischen AfD gekommen. Die AfD hat am Wahlabend die deutsche Nationalhymne gesungen,[8] es ist die gleiche Hymne, die schon zu Nazizeiten gesungen wurde.

Es sind krasse Zeiten. Wir können mittlerweile wählen, ob wir den braunen, nazistischen, oder lieber den grünen, islamistischen Faschismus bevorzugen. Zwischen diesen beiden Polen ist der Westen derzeit gefangen. Der jihadistische Terrorismus, der Islamismus, das Ressentiment auf die westliche Welt, der Antiamerikanismus, der Antisemitismus und der Israelhass des 11. September 2001 veränderten die Welt. Seit jenem Tag wachen wir jeden Morgen auf, und wissen nicht, ob wieder ein jihadistischer Anschlag passierte, ob auf Bali, im Irak, in Syrien, Afghanistan, den USA, Frankreich, Dänemark, Berlin, Tel Aviv, Jerusalem, Brüssel, Toulouse, London, Manchester, Madrid, Djerba, Barcelona, Nizza und unzähligen weiteren Orten. Seit über 16 Jahren geht das so und es ist kein Ende in Sicht. Weltweite massive Sicherheitsvorschriften an Flughäfen, das unwillkürliche Aufmerksamwerden auf isoliert herumstehende Koffer, Taschen oder Rucksäcke an Bahnhöfen, Flughäfen und sonst im öffentlichen Raum waren vor 9/11 nicht denkbar. Unser Blick auf die Realität hat sich verändert. Dazu kommt in der Bundesrepublik ein noch viel heftigerer, massenwirksamerer und seit dem 24. September 2017 auch bundespolitisch mit enormen Konsequenzen und einem Machtzuwachs nie geahnten Ausmaßes ausgestatteter nationalistischer, rechtsextremer und neonazistischer Aufbruch.

Das Volk ist nicht „abgehängt“ oder „perspektivlos“, nein, das Volk ist durchaus böse, rassistisch, antisemitisch, dumpf, brutal und abstoßend. Das zeigt sich nicht nur an Tomaten- wie Verbalattacken auf Angela Merkel bei Wahlkampfauftritten während des Bundestagswahlkampfes 2017 oder bei den Pegida Demonstrationen seit Oktober 2014, sondern zum Beispiel auch im Sommer 2017, als in einem ganz normalen westdeutschen Dorf bekannt wurde, dass dort seit 83 Jahren eine „Hitlerglocke“ im Kirchturm hängt und der Pfarrer (aus musikalischen Gründen, klar) wie der Bürgermeister total „stolz“ sind auf ihre Glocke mit der Inschrift „Alles fuer’s Vaterland. Adolf Hitler“ und darunter befindet sich ein dickes Hakenkreuz. Das hat seit 1945 keinen Menschen in diesem ganz normalen deutschen Dorf in Rheinland-Pfalz (Herxheim am Berg) gestört.

Diese beiden Großthemen, Jihad und der stolzdeutsche Aufbruch, das „nationale Apriori“ der Deutschen, bestimmen in weiten Teilen die politische Kultur, möchte man meinen. Wer aber am 3. September 2017 das einzige TV-Duell der beiden Kanzlerkandidat*innen zur Bundestagswahl am 24. September auf den vier größten Fernsehkanälen ARD, ZDF, RTL und Sat1 gesehen hat, traute seinen Augen und Ohren nicht mehr. Da wurde weit über die Hälfte der Sendezeit nur gegen Nicht-Deutsche gleichsam agitiert, die Fragen hörten sich an, als wären alle vier Fragenden direkt von der AfD bestellt gewesen. Die Gefahr des Rechtsextremismus wurde verleugnet. Die Medien haben eine Hauptverantwortung für den Aufstieg der AfD. Der Journalist Georg Diez resümiert am Vormittag des 24. September 2017:

Die Erfolge der AfD haben auch die Plasbergs dieser Welt mitzuverantworten. Denn die öffentlich-rechtlichen Talker haben den reaktionären Kräften schon früh und dann immer wieder eine Bühne geboten.“[9]

Die AfD hat es in zwei Jahren, seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ Anfang September 2015, geschafft, dieses Thema als das zentrale Thema des ganzen Landes durchzusetzen, auch wenn im Spätsommer 2017 kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland und Europa durchkommen, da die Abschottung jetzt schon in Afrika beginnt. Die Renationalisierung, die in dieser Aggressivität nie dagewesene nationalistische Rede, wurde von der AfD in den Mainstream gebracht und die Medien nahmen das geradezu dankbar und begierig auf. Aufgrund dieses In-die-Zange-Nehmen der westlichen Welt durch den braunen und grünen Faschismus verschwinden andere Themen oft. Der Klimawandel, der von US-Präsident Donald Trump und seinen deutschen Fans geleugnet wird, aber auch viel weiter gefasste Themen wie Entschleunigung, Ökologie und das Mensch-Natur-Verhältnis, vom Atomausstieg über Braunkohleabbau, Windkraft oder Solarenergie hin zum Dieselskandal, der nur die Wahrheit auf den stinkenden Punkt bringt, dass der Kapitalismus nicht zum Vergnügen da ist, sondern zur Profiterzielung. Themen wie das Grundeinkommen, ungebremste Mietsteigerungen in Großstädten und Ballungsräumen, prekäre Arbeitsverhältnisse für die gut und sehr gut Ausgebildeten, Minijobs und Mehrfachjobs für alle und sicherlich die neoliberale Deregulierung vieler Ge­sell­schaftsstrukturen wie die Internalisierung der Imperative des Kapi­ta­lis­mus: Das wären alles sehr wichtige Themen, die aber seit 9/11 und dann seit 2006 sowie später weltpolitisch durch die Wahl Trumps wie den Aufstieg der AfD massiv überlagert werden durch diese beiden Großthemen brauner versus grüner Faschismus.

Dazu kommt: Die Entpolitisierung ist prägend für weite Teile dessen, was früher einmal als „bürgerliche Mitte“ wie auch „die Linke“ (jenseits der Partei) bezeichnet wurde. Unabhängig von bezahlten Jobs in NGOs gibt es nur noch sehr wenige politisch aktive Menschen, die grundsätzliche Fragen an die Gesellschaft stellen und nicht nur Einpunktbewegungen anhängen. Jene, die sich in den letzten Jahren massiv politisiert haben, sind die Völkischen oder „besorgten Bürger“. Der Antisemitismus wird äußerst selten zu einem zentralen Thema der Kritik gemacht. Daher versuchen die Essays in diesem Band ganz unterschiedliche Aspekte des heutigen Antisemitismus zu thematisieren und sie am Beispiel von teils zentralen Akteuren oder Ereignissen im politischen, wissenschaftlichen wie kulturellen Feld zu analysieren. Wenn zum Beispiel ‚linke‘ Aktivisten oder Künstler aktiv werden, sieht das heute so aus: Auf der documenta14 in Kassel sollte es im Sommer 2017 eine Aktion geben mit dem Titel „Auschwitz on the Beach“. Dabei sollten Salzwasser mit Zyklon B und Flüchtlinge mit Juden verglichen und gleichgesetzt, sowie darüber hinaus die europäischen Gesellschaften und Israel als neue „Gauleiter“ zu den Nazis von heute gemacht werden.[10] Diese Abwehr der Er­inn­er­ung an die präzedenzlosen Verbrechen der Shoah geschieht mit dem best­en linken Gewissen, was sich darin zeigte, dass der Event zwar aufgrund von Protesten abgesagt wurde, aber ohne eine inhaltliche Distanzierung der documenta-Leitung von diesem doppelten Antisemitismus. Es handelte sich um einen Antisemitismus, der die Erinnerung an den Holocaust für politische Zwecke instrumentalisiert und zudem noch antizionistisch agitiert. Dann gibt es mittlerweile ‚Linke‘, selbst Kritiker solcher Events auf der documenta, welche die Agitation gegen den Islam als fortschrittlich empfinden und den Rechtsextremismus der AfD schlicht verdrängen. Das ist auch bei vielen Trump-Anhängern so, die sich zuvor als liberal oder links tarnten.

Wie der Spiegel Online Kolumnist Georg Diez wenige Wochen vor der Wahl schrieb, kann man sehen, wie seit Jahrzehnten in Deutschland

„der Diskurs mehr und mehr nach rechts verschoben wurde, von Martin Walsers Paulskirchenrede über Thilo Sarrazin bis zu den Untergangsfantasien von Botho Strauß. In der Sprache von Peter Handke könnte man sagen, es waren Zurüstungen für die Unmenschlichkeit.“[11]

Die Essays in diesem Band spannen einen Bogen vom „Sommermärchen“ 2006 über den „Inneren Reichsparteitag“ (2010) hin zu Pegida (2014), den Brexit, die Wahl Trumps (2016) und den Aufstieg der AfD zur ersten Partei mit Neonaziideologie im Deutschen Bundestag (2017). Während es Hunderte ehemaliger NSDAPler im Bundestag und anderen Parlamenten seit 1949 gab,[12] werden ab September 2017 erstmals neue Nazis im Bundestag sitzen. Die Essays[13] in diesem Band umfassen eine Zeitspanne von Juli 2006 bis September 2017 und können als eine Art intellektuelles Tagebuch betrachtet werden. Mögen sie zur Kritik und Reflektion, zum Nachdenken über eine Alternative zu Deutschland anregen.

[1] Eike Geisel (1998): Triumph des guten Willens. Gute Nazis und selbsternannte Opfer. Die Nationalisierung der Erinnerung, Berlin: Edition Tiamat, 69.

[2] Sven-Felix Kellerhoff/Martin Lutz/Uwe Müller (2017): „Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermächte“, Die Welt, 09.09.2017, https://www.welt.
de/politik/deutschland/article168480470/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten-der-Siegermaechte.html (18.09.2017); „Die WELT AM SONNTAG hält an ihrer Berichterstattung über die Mail in vollem Umfang fest. Der Redaktion liegt eine eidesstattliche Versicherung des E-Mail-Empfängers vor. Um Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit auszuräumen, könnte Weidel ihrerseits bei Gericht eine eidesstattliche Versicherung einreichen, in der steht, was zuvor schon der Anwalt behauptet hatte: Dass sie den Text nicht verfasst hat. Doch dies hat sie bisher nicht getan. Die Abgabe einer falschen Versicherung an Eides statt wird nach dem Strafgesetzbuch mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder Geldstrafe geahndet“, Martin Lutz/Uwe Müller (2017): AfD-Spitzenkandidatin Weidel spricht nicht mehr von Fälschung, Die Welt, 15.09.2017, https://www.welt.de/politik/deutschland/article168695526/AfD-Spitzenkandidatin-Weidel-spricht-nicht-mehr-von-Faelschung.html?wtrid=socialmedia.
email.sharebutton (18.09.2017); „AfD-Spitzenkandidatin Weidel plötzlich kleinlaut. Ein Bericht über eine Wut-Mail hat die AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel erzürnt. Sie sprach von einer Fälschung. Doch davon ist jetzt keine Rede mehr“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.09.2017, http://www.faz.net/aktuell/politik/wut-mail-afd-spitzenkandidatin-weidel-ploetzlich-kleinlaut-15202774.html (18.09.2017).

[3] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl/alle-schlagzeilen/gabriel-attackiert-afd-echte-nazis-am-rednerpult/20315768.html (16.09.2017).

[4] http://www.jc-courage.de/wp-content/uploads/2017/02/Die_AfD_in_Koeln.pdf (16.09.2017), 11; http://www.rp-online.de/nrw/panorama/koelner-hauptmann-und-afd-politiker-soll-ns-parole-getwittert-haben-aid-1.6807113 (15.09.2017): „Die Linken-Politiker werfen [Hendrik] Rottmann vor, am 29. Januar auf Twitter eine Meldung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz, mit den Worten ‚Deutschland erwache‘ kommentiert zu haben – eine Parole, die im Dritten Reich von der Nazi-Organisation SA benutzt wurde. Ein Screenshot des Tweets liegt unserer Redaktion vor – der Twitter-Account, von dem der umstrittene Spruch abgesetzt worden sein soll, existiert nicht mehr.“

[5] So Wolfgang Gedeon aus Baden-Württemberg, siehe dazu meine Analyse: Germany’s Hot New Party Thinks America Is ‘Run by Zionists’, Tablet Magazine, 1. August 2016, http://www.tabletmag.com/jewish-news-and-politics/209243/germanys-hot-new-party (24.09.2017).

[6] „Alle Tünche, die Pegida am Anfang noch trug, war in den sozialen Netzwerken schnell hinfällig. In der scheinbaren Anonymität des WorldWideWeb oder in geschlossenen Facebook-Gruppen, in denen man sich unter sich glaubte, nahmen Mitglieder des Pegida-Orgateams kein Blatt mehr vor den Mund. Verfolgte man Bachmanns inzwischen gelöschten Twitter-Account, der auch in die Zeit vor Pegida zurückreicht, so stieß man auf vulgären Rassismus und Homophobie. Beispielsweise twitterte er am 6. September 2013 über die Grünen: ‚Gehören standrechtlich erschossen diese Öko-Terroristen! … allen voran Claudia Fatima Roth!‘“ (Lucius Teidelbaum (2016): Pegida. Die neue deutschnationale Welle auf der Straße, Münster: Unrast, 31); Die Hannoversche Allgemeine berichtet am 10. September 2017: „Von der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel soll eine E-Mail mit rassistischen Bemerkungen und Demokratie-verachtenden Thesen aufgetaucht sein. Die AfD bestreitet allerdings in Weidels Namen, dass sie die Autorin ist. Die ‚Welt am Sonntag‘ berichtet jedoch, ihr liege eine eidesstattliche Versicherung des Mail-Empfängers, eines früheren Bekannten Weidels, vor. Der Zeitung zufolge heißt es in der E-Mail vom 24. Februar 2013 in Originalschreibweise: ‚Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden.‘ Zudem werde in dem Schreiben die Bundesregierung von Angela Merkel (CDU) verunglimpft: ‚Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen‘, zitiert das Blatt weiter“, http://www.haz.de/
Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Diese-Schweine-sind-nichts-anderes-als-Marionetten (11.09.2017). Der Ex-AfDler Holger Arppe aus Mecklenburg-Vorpommern hat Pro-Nazi und zur Gewalt aufrufende Nachrichten verschickt und war jahrelang eng verbunden mit führenden AfDlern. Sein Austritt aus der Partei ist rein taktisch. Der NDR berichtet über ihn: „Arppes Chatverläufe dokumentieren auch, wie nah die AfD in Mecklenburg-Vorpommern offenbar an die rechtsextreme ‚Identitäre Bewegung‘ (IB) herangerückt ist – obwohl es einen Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei gibt. Über Monate hinweg chattete Arppe ausweislich der Protokolle mit Daniel F., einem der führenden Köpfe der IB. F. war früher bei der NPD engagiert. Im Juli 2015 schrieb Arppe: ‚Diesen Revoluzzergeist brauchen wir! Der [Daniel F.] ist ein absolutes Muss für unsere Partei. Seine Vergangenheit interessiert mich einen Scheißdreck.‘ Die Dokumente zeigen auch, dass Arppe die IB darum bittet, als Ordner für eine Demonstration zur Verfügung zu stehen. ‚Daniel, könnten von Euch welche als Ordner fungieren bei unserer Demo am Samstag? Wir brauchen noch ein paar ordentliche Nazis als Freiwillige‘, schrieb Arppe demnach im Oktober 2015. Der IB-Mann sichert daraufhin drei Helfer aus seinen Reihen zu“, https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Rassistische-Chats-Fraktionsvize-verlaesst-AfD,afd1204.html (11.09.2017). Das Handelsblatt vom 9. September 2017 ergänzt diese Analyse des rechtsextremen Netzwerkes, in das Arppe eingebunden ist: „Arppe war, wie andere umstrittene AfD-Politiker auch, schon früher wegen seiner deutschnationalen Gesinnung aufgefallen. Er übte mit Wissen der Bundespartei offen den Schulterschluss mit der ‚Identitären Bewegung‘, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird und pflegte Kontakte zum Chefredakteur des rechten Monatsmagazins ‚Compact‘, Jürgen Elsässer. Bei einer entsprechenden Veranstaltung im vergangenen Jahr war das AfD-Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg mit dabei. Arppe nahm auch schon am sogenannten ‚Kyffhäuser-Treffen‘ in Thüringen teil. Veranstalter ist die rechtsnationale AfD-Gruppierung ‚Der Flügel‘ der AfD-Fraktionschefs Björn Höcke (Thüringen) und Poggenburg (Sachsen-Anhalt). Am vergangenen Wochenende kamen nach Polizeiangaben 550 bis 600 Teilnehmer zu der Kundgebung am Kyffhäuserdenkmal. Unter ihnen waren neben AfD-Chef Jörg Meuthen auch Vize-Parteichef Gauland und Pegida-Chef Lutz Bachmann“, http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/
bundestagswahl/alle-schlagzeilen/der-fall-arppe-und-die-folgen-staatsrechtler-bringt-afd-beobachtung-ins-spiel/20302334.html (11.09.2017).

[7] http://www.fr.de/politik/meinung/gastbeitraege/heiko-maas-afd-ist-in-teilen-verfassungswidrig-a-1348338?GEPC=s5 (11.09.2017).

[8] https://twitter.com/maria_fiedler/status/911984268355805185 (24.09.2017).

[9] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-wie-der-rechtsruck-herbei-geredet-wurde-a-1169404.html (24.09.2017).

[10] https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2017/08/auschwitz-am-strand-die-documenta-ueber-den-einsatz-von-zyklon (18.08.2017).

[11] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rechtsruck-in-deutschland-die-geistig-moralische-wende-zum-schlechten-a-1166689.html (11.09.2017).

[12] Eine inoffizielle Liste ehemaliger Nazis, die nach 1945 politisch aktiv waren (wie z.B. als Abgeordnete im Bundestag) findet sich hier: https://de.wikipedia.
org/wiki/Liste_ehemaliger_NSDAP-Mitglieder,_die_nach_Mai_1945_politisch_t%C3%
A4tig_waren (21.09.2017).

[13] Bis auf die Einleitung und den Text „Ist doch für einen guten Zweck…“ sind alle Texte dieses Bandes online auf verschiedenen Portalen erschienen und wurden für diese Publikation überarbeitet. Die Datumsangaben am Ende von URLs zeigen das Datum des letzten Abrufs der Seite an.

Auschwitz und andere Gemeinheiten. Carolin Emcke ist gegen „Hass“ und bekommt den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Die Publizistin Carolin Emcke schreibt in ihrem Buch „Gegen den Hass“, das 2016 auf den kulturindustriellen Markt geworfen wurde (Frankfurt a.M.: S. Fischer):

„Das Thema des Zugangs zu Toiletten für Transpersonen ist jüngst vor allem in den USA kontrovers diskutiert worden.“ (S. 158)

Es ist ein Buch über Hass hier und dort, und für Emcke führt die Diskriminierung von „Transpersonen“ ohne Umschweife zu allen möglichen Formen von „Hass“.

Nehmen wir Auschwitz als Beispiel, denn mehr als ein Beispiel ist es kaum. Immerhin nimmt sie EinwanderInnen in die Pflicht, sich auch mit den nicht so tollen Kapiteln eines Landes zu befassen (S. 203) – aber bitte einfühlend, sie hat schließlich Michel Foucault, Judith Butler und Axel Honneth gelesen (siehe Anmerkungen, S. 220–240), die immer wieder herbeizitiert werden. Emcke postuliert:

„Für das Erinnern an Auschwitz gibt es keine Halbwertszeit“. (S. 203)

Puuh, das ging nochmal gut. Der Holocaust war offenbar doch kein chemisches Experiment. Weiter schreibt die Preisträgerin:

„Es wird deswegen nötig sein, mit modernen didaktischen Methoden diese Geschichte als etwas zu erzählen, das sich mit neugieriger Einfühlung selbst aneignen lässt. Die vielen wunderbaren Beispiele aus den Programmen von Museen und Kultureinrichtungen zeigen längst, dass es möglich ist, auch Jüngere anzustiften, sich so kreativ wie ernsthaft mit der Geschichte des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen.“ (S. 203)

„Wunderbare Beispiele aus den Programmen von Museen und Kultureinrichtungen“, die es ohne deutsche Vorarbeit gar nicht geben könnte, hätte an dieser Stelle der Publizist Eike Geisel festgehalten.

Bislang war es ja so gut wie unmöglich für junge Menschen, sich mit dem SS-Staat zu befassen, aber, endlich, dank „moderner didaktischer Methoden“ klappt das jetzt. Vor allem nicht so staubtrocken und nüchtern (wie z.B. ein Buch lesen), sondern mit „neugieriger Einfühlung“. „Frau Emcke, wie fühlt sich das an, einen Tag nackt im Schnee zu stehen und nicht umzufallen, im KZ?“ „Bekamen die danach wenigstens einen heißen Kakao?“ Sowas könnte man als Rollenspiel durchspielen, aber sicherlich einfühlend, nicht grob und unsensibel.

Oder: „Anstiften, hey, das klingt obercool“, denken sich ein paar Teenager, „lasst uns mal schauen, was wir Spannendes oder Schockierendes entdecken, bei den Juden geht immer was Krasses ab, eh“.

Oder sich „einfühlen“ in Anne Frank, der Klassiker schlechthin. „Sich einfach nicht alles gefallen lassen!“ „Tagebuch schreiben!“

Dass Anne Frank in Bergen-Belsen qualvoll starb und alles nur kein „Vorbild“ ist, geschenkt. Diese „Amerikanisierung“ des Holocaust (so der Kritiker Alvin Rosenfeld in „The End of the Holocaust“) ist längst eingermanisiert.

Ideologisierte AnhängerInnen der antisemitischen BDS-Kampagne drucken Anne Franks Bild als Ikone mit einem Palästinensertuch um den Hals und kämpfen so ausgestattet gegen „den“ Juden im Namen „der“ Juden gegen Rassismus und Israel und fügen Juden, Holocaustüberlebenden und ihren Nachfahren damit absichtlich Schmerzen zu, von der Verhöhnung Anne Franks und der Opfer der Shoah nicht zu schweigen.

Doch selbst und gerade die tollen neumodischen Konzepte, die Emcke vorschweben, sind das Problem. Die „Familiarisierung“, wie es die kritische Pädagogik nennt, promotet ein Einfühlen in die Geschichte Nazideutschlands und gerade der Holocaustopfer, suggeriert, „wir“ könnten so tun, als ob wir wüssten, was Auschwitz war und wie es sich „anfühlte“[1] und tut den Opfern somit ein zweites Mal Gewalt an. Die meisten der sich gutfühlenden Erinnerer merken das gar nicht.

Aber unterm Strich, und darauf kommt es ja an, ist Emcke glücklich und fröhlich:

„Mich beglücken die verschiedenen Rituale und Feste, Praktiken und Gewohnheiten. Ob Menschen sich in Spielmannszügen oder bei den ‚Wagner-Festspielen‘ in Bayreuth, ob sie sich im Stadion von FC Union Berlin oder bei ‚Pansy Presents…‘ im ‚Südblock‘ in Kreuzberg vergnügen, ob sie an die unbefleckte Empfängnis glauben oder an die Teilung des Roten Meeres, ob sie Kippa tragen oder eine Lederhose oder Drag – die gelebte und respektierte Vielfalt der Anderen schützt nicht nur deren Individualität, sondern auch meine eigene.“ (S. 195)

„Meine eigene“ – das passt, denn das Buch wirkt wie ein narzisstisches Bekenntnis. Sie sieht sich selbst als gleich doppeltes Opfer:

„Als Homosexuelle und als Publizistin gehöre ich gleich zu zweien der in diesem Kontext besonders verhassten gesellschaftlichen Gruppierungen.“ (S. 71)

So richtig und wichtig Ihre Kritik an Pegida oder AfD, an Homophobie, Rassismus und völkischem Nationalismus, an Antiintellektualismus, an Reinheit und Einheit ist, so völlig analyselos, eklektisch, additiv ist ihre Aufzählung der „Opfer“-Gruppen, was im ganzen Buch so rüberkommt, als ob sie es nur wegen sich selbst geschrieben habe.

Im Grunde analogisiert sie permanent und obsessiv Antisemitismus mit Homophobie, Rassismus und allerlei Diskriminierungen oder auch Hass. Sie verkennt den genozidalen Charakter des Antisemitismus und hat keinen Begriff davon. Keine andere Gruppe wird in aller Welt beschuldigt, an dieser oder jener Verschwörung beteiligt zu sein.

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ inspirierten Deutsche und Hitler dazu, den Juden zu bekämpfen. Christen agitieren bis heute in nicht wenigen Kreisen, Juden hätten Jesus auf dem Gewissen. Arabische Antisemiten wie islamistische fantasieren, Israel und die Juden würden Wasser oder Bonbons vergiften und überhaupt hätten die Juden die Medien, das Kapital und die Regierungen in der Hand.

Ressentiments und Verschwörungsmythen, die nicht wenige Araber und alle Islamisten mit vielen FanatikerInnen in Deutschland bis weit in die Mitte der Gesellschaft teilen. Man denke nur an 9/11 und die diesbezüglichen Verschwörungsmythen, eine Kopplung aus Antiamerikanismus und Antisemitismus.

Juden stünden hinter dem Kapitalismus, dem Kommunismus, den Medien, der Moderne, der großstädtischen ausschweifenden Sexualität usw. usf.: keines dieser klassischen Topoi des Antisemitismus trifft auf Frauen, Homosexuelle, Flüchtlinge, Schwarze oder neue Nachbarn zu.

Die „lethal Obsession“ (Robert S. Wistrich) des Antisemitismus oder der „longest hatred“ (Robert S. Wistrich) zeigen einen obsessiven Hass, ein irrationales Ressentiment und gerade kein x-beliebiges Vorurteil oder eine x-beliebige „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ an. Der Antisemitismus kann sich in unendlich viele Facetten kleiden, wie die Geschichte seit der Antike gezeigt hat.

Aber auch die Abwehr der Erinnerung an die Shoah ist sehr spezifisch antisemitisch konnotiert und gerade nicht Ausdruck einer x-beliebigen „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. Für die nationale Identität in Deutschland ist ein Trivialisieren der Shoah essentiell, wie das geschieht, ist variabel. Gleichsetzende „Vergleiche“ von Nationalsozialismus und Stalinismus oder Sozialismus (Rot=Braun)  sind derzeit beliebt („Schwarzbuch des Kommunismus“, „Prager Deklaration“), postkoloniale Ideologie ist ebenfalls en vogue („Von Windhuk nach Auschwitz“) und natürlich die Pegida-Agitation mit ihren Anleihen bei Goebbels und NSDAP-Propaganda, wie sie nicht zuletzt am 3. Oktober, dem „Tag der deutschen Einheit“ zu erleben war.

Sehr beliebt sind zudem die penetranten Vergleiche von Israel und den Nazis oder der Apartheid, typische Muster der Schuldabwehr und Schuldprojektion. Sodann nicht zu vergessen die Hinweise, welche perfiden britischen oder amerikanischen Bomber diese Brücke oder jenes Haus in Dresden, Hamburg oder Wien „zerstört“ haben und welche tapferen Deutschen oder Österreicher in einem neuen Kraftakt des „wir“ sie nach dem 8. Mai 1945 wieder aufbauten (oder sie als Mahnung gegen Krieg an und für sich stehen ließen, wie in Berlin die „Gedächtniskirche“).

Oder man denke an elaboriertere Theoreme wie jenes der bösen Moderne, die ein „Lager“ und das KZ nur die vollendete bürgerliche Gesellschaft sei, das seit Jahren Teil antisemitischer Trivialisierung der Shoah ist, hier vorgetragen vom italienischen Modephilosophen Giorgio Agamben.[2] All das kommt in „Gegen den Hass“ selbstredend nicht vor, weil das Decodieren subtilen Hasses oder antisemitischer Ressentiments Emckes Geschäft nicht ist.

Das angedeutete Spezifische des Antisemitismus kommt bei der Autorin nicht vor. Für sie sind die unterschiedlichsten Gruppen gleichermaßen, ohne kategorialen Unterschied, Opfer, sie wendet sich gegen Hass auf

die Juden, die Frauen, die Ungläubigen, die Schwarzen, die Lesben, die Geflüchteten, die Muslime oder auch die USA, die Politiker, der Westen, die Polizisten, die Medien, die Intellektuellen.“

Es ist diese Aufzählung, die das genozidale Ressentiment gegen die Juden – womit sie die vernichtungsantisemitische Pointe gegen den Juden treffsicher verpasst – mit Hass gegen die Frauen gleichsetzt; als ob ein Genozid an Frauen stattgefunden habe oder in Planung sei; ganz abgesehen davon, dass natürlich auch deutsche Frauen, oder auch ungarische, österreichische, litauische Antisemitinnen waren und auf andere Weise heute wieder oder noch sind. Wer Sexismus analysieren und bekämpfen möchte, kommt mit solchen undifferenzierten Analogien nicht weiter.

Mehr noch: Wenn Emcke schon ziemlich umfassend alle ihr in den Kopf kommenden Großgruppen, denen Hass begegnet, aufzählt, fehlen, das nur am Rande, einige Gruppen, neben Behinderten, Obdachlosen, frisch Um- oder Zugezogenen vor allem auch Hartz4-Empfänger oder Arme, Opfer des Kapitalismus.

Das mit den ‚frisch Um- oder Zugezogenen‘ („Etabliertenvorrechte“) ist nicht ironisch gemeint, nein, die sind ernsthaft Teil der sogenannten „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ (GMF) und meinen auch ganz normale Deutsche, die – umziehen. Deshalb hätte auch der Erfinder des Wortungetüms „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, Wilhelm Heitmeyer, den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten müssen und nicht Carolin Emcke, das wäre ehrlicher gewesen.

Denn Emcke plappert nur nach, was Heitmeyer seit über 10 Jahren schon formuliert, und ein Kapitel in ihrem Buch heißt denn auch „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Um Nachfragen vorzubeugen: nein, auch der Verfasser dieses Textes ist nicht für „Menschenfeindlichkeit“, „gruppenbezogene“, wobei es gerade mit Blick auf den Deutschen schwer ist, jene nicht zu verspüren.

Auschwitz und die Shoah kommen in „Gegen den Hass“ im Kontext x-beliebiger „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ vor. Ein weiteres Beispiel ist der rassistische Mob gegen Flüchtlinge in Sachsen in Clausnitz, ein anderes Rassismus in USA. Hass auf alle möglichen Gruppen, eben auch Juden. Emcke schreibt explizit, nachdem sie „Antisemitismus“ erwähnte, „[n]och immer gibt es gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (S. 69), also war die Shoah auch eine.

In ihrer publizierten Dissertation spricht Emcke wie der des Deutschen nicht mächtige gewöhnliche Feuilletonredakteur von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, wo es doch „gegen die Menschheit“ heißen muss. Gegen die Menschlichkeit verstößt auch der ganz normale Kapitalismus der Deutschen Bank, oder jeder x-beliebige Vorstand einer Aktiengesellschaft, der Menschen als Ware betrachtet, wie es der Kapitalismus, das ökonomische a priori verlangt.

Der Holocaust hat damit gar nichts zu tun und ist ein Zivilisationsbruch gewesen, der nicht nur gegen die „Menschlichkeit“ gerichtet war, sondern gegen die Juden und die Menschheit.

Geradezu obsessiv verquickt Emcke Juden und Homosexuelle (also sich selbst), sie scheint Opfer sein zu wollen wie die Juden:

– „Es gab diesen diskreten, aber eindeutigen Vorwurf, nun sei doch seitens der Juden oder der Homosexuellen oder der Frauen auch mal etwas stille Zufriedenheit angebracht, schließlich würde ihnen so viel gestattet.“ (S. 13)

Man könnte meinen, Frauen seien Opfer einer Shoah geworden und würden nun so ressentimentgeladen attackiert werden wie Juden.

Weiter geht’s in Emckes Analogieamoklauf, dem friedfertigen, unblutigen und einfühlenden:

– „… das Geraune von einer ‚schwulen Lobby‘ oder jener Sorte Israel-Kritik, die mit einem ‚man wird ja wohl mal sagen dürfen‘ anhebt“ (S. 76)

– „…humorlos zu sein (gegenüber Feministinnen oder auch lesbischen Frauen gehört das zum Standardrepertoire), von der eigenen qualvollen Geschichte ‚profitieren‘ zu wollen (gegenüber Jüdinnen und Juden)“ (S. 102)

So als ob eines der antisemitischen Topoi nach dem Holocaust, die „Holocaustindustrie“, auch nur im Ansatz damit zu vergleichen sei, dass angeblich sehr häufig Feministinnen oder Lesben als humorlos bezeichnet würden. Was für ein additives, ohne jede Struktur mit Wörter herum fuchtelndes Gerede das ist.

Dann bringt sie besonders „surreale Beispiele“:

-„ …wenn an öffentlichen Schulen nur jüdische Feiertage gelten würden, wenn nur homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürften …“ (S. 114)

Für Emcke ist Antisemitismus, auch der sekundäre, um den es hier geht (auch wenn sie das Wort nicht kennen sollte), nicht mehr als eine „abwertende Etikette“ und „strukturelle Missachtung“ (S. 102).

Diese völlige analytische Hilflosigkeit, die weder sozialpsychologische noch politisch-kulturelle oder ideologiekritische Analysemuster kennt, kommt gut an, weil sie „uns“ alle (solange „wir“ zu einer „diskriminierten“ Gruppe gehören) zu einem „wir“ der Opfer zusammen schmiedet, das ist der Tenor hierbei, der das ganze Buch  durchzieht.

Sodann folgt eine Analogie von Morden an Transgenderpersonen mit antisemitischen und rassistischen Morden (S. 156f.), und schließlich setzt Emcke am Beispiel des sog. Islamischen Staats dessen „Hass“ gegen Frauen, Juden und Homosexuelle auf eine Stufe (S. 169).

Jede Differenz wird hier geleugnet. Niemand strebt danach einen Staat der Homosexuellen zu zerstören, niemand agitiert weltweit gegen die Protokolle der Weisen der Transgenderpersonen. Die schrecklichen Diskriminierungen und der homophobe oder transphobe Hass sind schlimm und müssen bekämpft werden. Aber nicht indem man wie Heitmeyer oder Emcke das mit dem Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ macht, indem der einzige weltweite, genozidale Hass, der Antisemitismus (und Antizionismus) völlig als solcher derealisiert wird.

Probleme über die Benutzung von Toiletten von Transgenderpersonen müssen in der Gesellschaft diskutiert und gelöst werden. Aber das auch nur in einem Atemzug mit dem genozidalen Hass auf „den ewigen“ Juden zu vergleichen ist das Ende jeder Analyse.

Es gibt widerliche Hetze gegen Schwule und Lesben oder „Transen“, nicht nur online, auch und gerade offline. Aber das homophobe Geschwätz von einer „schwulen Lobby“ ist eben lächerlich und konsequenzlos verglichen mit der auf die Auslöschung von Millionen Juden gerichteten Hetze gegen die „Israellobby“ oder die „jüdische Lobby“. Wer das nicht kapiert, hat wirklich gar nichts kapiert von der Gefahr, die vom Antisemitismus ausgeht.

Mehr noch: auch das Gendern Emckes von Jüdinnen und Juden in der Shoah ist an Absurdität und Perfidität nicht zu überbieten. Hierzu hat die Autorin Esther Dischereit schon vor über 20 Jahren geschrieben:

„Ende der achtziger Jahre schließlich – noch vor Ausbruch der Pogrom’feierlichkeiten‘ – ich meine die explosionsartig ins öffentliche Bewußtsein drängende Etablierung einer Erinnerungs’kultur‘ – war ich zu Gast bei einer kleinen radikal feministischen Gruppe, die sich vorgenommen hatte, etwas von Frauen zu erfahren, die während des Nationalsozialismus im Widerstand aktiv waren. Die Frauen wollten sich auch mit dem KZ Ravensbrück beschäftigen. Im Verlauf des Gesprächs wurde als Motiv formuliert: Die Jüdinnen seien es, mit denen sie sich befassen wollten, denn daß sie als Frauen so behandelt worden seien, sei das, was sie empörte. Ich weiß noch, daß ich wegen der feministischen Trauerbedürfnisse aufstand und wegging. Mir gelang keine Begründung, weil ich stammelte und mir die Luft wegblieb. Mit war das ganze Ansinnen der Gruppe diskreditiert. Sollte die Asche in männlich und weiblich geteilt werden? (…) Das, was mich so sprachlos machte, war wohl die Rigidität und Erbarmungslosigkeit, mit der mir der Begriff vom Mensch-Sein ersetzt schien durch Frau-Sein. Gegenüber den Lebenden in der patriarchalen Gesellschaft hätte mich solche Übertreibung nicht weiter aufgeregt, vielleicht hätte ich sie für eine Zeitlang als notwendig angesehen. Gegenüber den Toten war sie für mich von einer Grausamkeit, die ich nicht fassen konnte. (…) Der Jude war getötet worden als Jude – als non-human, als Nicht-Mensch –, es spielte vor der Geschichte keine Rolle mehr, ob er nach gender per se ein Patriarch gewesen oder nicht.“ (Esther Dischereit (1995): Übungen, jüdisch zu sein, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 168–170.)

***

Schließlich passt der Friedenspreis zu Carolin Emcke wie zu Martin Walser. Auch Emcke strebt nach einem starken „wir“ (S. 218), sie schreit danach dazugehören, ob nun als Teil einer Opfergruppe in einer Reihe mit Juden oder nicht, Hauptsache „wir“, natürlich kein fixes „wir“, ein offenes, lustiges, glückliches, nicht festgelegtes. Und wer in Buchläden geht, derzeit, sieht den Schrei nach einem „wir“ all überall, nicht nur bei Nazis und Pegidisten, grade auch bei den vorgeblich nicht so Völkischen.

Und sie gehört auch zum Kreis derjenigen um Axel Honneth und das heutige Frankfurter Institut für Sozialforschung, die Adornos Namen in den Dreck ziehen und feierte 2012 ihre alte Freundin (siehe den „Dank“ in der publizierten Fassung der Dissertation von Emcke), die antisemitisch-antiisraelische Autorin Judith Butler, die tatsächlich Adorno-Preisträgerin wurde. Emcke nahm die amerikanische Agitatorin, die nicht nur die Hamas als soziale linke Bewegung betrachtet, sondern vor allem Israel als jüdischen Staat kategorisch ablehnt, gegen Kritik in Schutz;

Emcke zitiert in „Gegen den Hass“ unkritisch die antisemitische Autorin Jacqueline Rose, die dafür berüchtigt ist, an anderer Stelle die unfassbare Lüge geschrieben und gedruckt bekommen zu haben, nach der sich womöglich Hitler und Theodor Herzl während des gleichen Konzerts mit Wagner-Musik für ihre jeweiligen Bücher „Mein Kampf“ oder „Der Judenstaat“ inspirieren hätten lassen. Das hätte bekanntermaßen spätestens im Mai 1895 stattfinden müssen, da zu diesem Zeitpunkt Herzl sein Manuskript abschloss. Hitler war da sechs Jahre alt. Und er kam erst 1940 in des Erzfeindes Land, mit der Wehrmacht.

Doch für Emcke ist das keine Erwähnung wert, für sie ist Rose zitierbar, was nicht wundert, wenn sie auch ein Fan von Butler ist oder dem antiamerikanischen und mit antisemitischen Invektiven nur so um sich werfenden Holocaustverharmloser Giorgio Agamben.

Emcke zitiert Agambens Buch „Homo Sacer“, in dem der Autor die Festsetzung illegaler Einwanderer in Italien 1991 mit der Deportation von Juden aus Vichy-Frankreich oder heutigen Warteräumen für Flüchtlinge auf internationalen Flughäfen gleichsetzt. Agamben schreibt darin auch folgenden Satz, der einer Preisträgerin für den Frieden mit dem Deutschen Buchhandel offenbar runterflutscht wie Honig:

„Jedenfalls wissen die Juden in Auschwitz, und dies wirkt wie eine grausame Selbstironie, daß sie nicht als Juden sterben werden.“

In einem seiner Bremer Vorträge von 1949 redet der deutsche Denker Martin Heidegger von der „Fabrikation von Leichen“, was Agamben im von Emcke zitierten Band ebenso unkritisch wiedergibt, ohne dieses Wort zu analysieren oder den Kontext des Zitats kenntlich zu machen. Heidegger sagt:

„Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“

Die Gleichsetzung der präzedenzlosen Vernichtung der europäischen Juden in Gaskammern mit modernem Ackerbau ist ein Antisemitismus neuen Typs, eine Banalisierung des Unfassbaren wie eine Opferstilisierung der deutschen Täternation.

Für Carolin Emcke gibt es offenbar keinen kategorialen Unterschied zwischen Gaskammern und dem „Hass“, Transgenderpersonen die Benutzung dieser oder jener Toilette schwer zu machen. Sie meint es sicher nur gut, beide „Beispiele“ (für das eine steht Auschwitz) kommen im selben Buch offenkundig als Beispiele für „Hass“ vor.

Carolin Emcke ist eine würdige Preisträgerin, sie ist gegen das Differenzieren und das kritische Denken, für das Geplapper und die Affirmation der Kulturindustriemaschine. So mag es der Betrieb, und alle werden klatschen. Glück wird sich ausbreiten in der Paulskirche, langsam, aber immer stärker.

Für die Publizistin sind St.-Pauli-Fans so bescheuert oder gefährlich, deppert oder skurril wie Jihadisten, die sich 72 Jungfrauen erhoffen, nur böse „liberale Rassisten“ sehen das nicht, weshalb ich schon vor sechs Jahren schrieb:

„Heute spricht die junge und bislang kaum aufgefallene Autorin Carolin Emcke in der ZEIT in einem kulturrelativistischen Amoklauf, der zwischen islamistischen suicide bombern und den Fußball-Fans von St. Pauli keinen nennenswerten Unterschied sehen möchte, von einem ‚liberalen Rassismus‘ der Islamkritiker.“[3]

Die Preisträgerin ist „beglückt“ von den Wagner-Festspielen wie von den Dragqueens, ihre postmodern kapitalistische Offenheit lässt alles gelten. Carolin Emcke ist wirklich „beglückt“, weil nur das, diese vorgebliche Vielfalt, ihr erlaube als Lesbe und Publizistin so zu sein, wie sie ist. Ihr Beglücktsein wird von der Paulskirche ausgehend sich im ganzen Land verbreiten. Und das ist doch das Wichtigste.

 

[1] Zur Kritik an dieser Einfühlung und „Familiarisierung“ siehe die Dissertation von Marion Bremsteller: „Didaktik der Verfremdung. Bertolt Brechts Theater und seine Bedeutung für die Pädagogik, gezeigt am Stück Die Dreigroschenoper“, Berlin: Edition Critic, 2017 [erscheint im ersten Quartal 2017].

[2] Siehe zu Agamben Clemens Heni (2013): Antisemitism: A Specific Phenomenon. Holocaust trivialization – Islamism – Post-colonial and Cosmopolitan anti-Zionism, Berlin: Edition Critic, 375–378.

[3] „[D]er männliche Blick, der junge Mädchen unter den Schleier zwingt, erscheint den einen ebenso sexistisch wie anderen der, der sie sich in High Heels quetschen und rundum entblößen lässt; die Vorstellung der Eucharistie ist den einen so befremdlich wie den anderen der Glaube an 72 Jungfrauen im Paradies; die Wagner-Begeisterten in Bayreuth wirken auf die einen so befremdend wie auf andere die St.-Pauli-Fans am Millerntor“ (Carolin Emcke (2010): Liberaler Rassismus. Die Gegner des Islams tun so, als würden sie Aufklärung und Moderne verteidigen. In Wahrheit predigen sie den Fremdenhass, in: Die Zeit, 25.02.2010).

Solidarität mit Lamya Kaddor – Kampf der „Deutschomanie“

Zuerst erschienen auf Heise.de/Telepolis, am 8.10.2016, hier ein Auszug:

 

Die deutsche Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hat ein enorm wichtiges, kritisches und mutiges Buch geschrieben – Die Zerreissprobe. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht, Berlin: Rowohlt, Oktober 2016 –, aufgrund dessen sie jetzt Morddrohungen von ganz normalen „besorgten Bürgern“, ergo: rassistischen Deutschen bekommt. Sie hat deshalb vorübergehend ihren Schuldienst als Islamlehrerin bis nächsten Sommer ausgesetzt.

Kaddor sagt: „Wir haben ein Rassismusproblem in Deutschland. Lasst uns endlich öffentlich darüber reden.“ (S. 23) Kaddor wurde in Westfalen geboren. Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten aus Syrien eingewandert. Sie ist eine junge, weibliche, muslimische Deutsche und Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes.

(…)

Lamya Kaddor hat die großen Linien der politischen Kultur und des Rassismus in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren im Blick. Sie kritisiert die Verharmlosung der AfD-Wähler, die in der Tat häufig von „gruppenbezogener Mensschenfeindlichkeit“ (egal ob man diesen Begriff nun für sinnvoll hält oder eher nicht) geprägt seien. Ja, viel mehr noch, wie Hermann L. Gremliza schreibt („Wir sind ein völkisch Volk“):

„Keiner – bis auf ein paar Freaks und mich, Leute, die allen stolzen Deutschen als bösartig oder verrückt gelten – nennt die AfD, ihre Wähler oder die Pegida, was klingt wie Napola, Nazis.“ (Konkret 10/16, S. 9)

(…)

Kaddor zitiert zwei Textpassagen heran, die beide den Publizisten Henryk M. Broder aufgrund dessen ‚Islamkritik‘ positiv rezipieren und promoten. Beide Zitate sind ganz ähnlich positiv. Das eine jedoch kommt von der (angeblich) antideutschen Postille „Bahamas“, das andere von der NPD Chemnitz. (S. 102) Das ist die neue „Querfront“

Auch wenn Kaddor das nicht zu ahnen vermag: selbst antideutsche Kritiker*innen werden an ihrer Seite stehen gegen die AfD, Broder, Tichy, Pegida und all die neu-rechten, rechtsextremen („rechtspopulistischen“ und von „besorgten Bürgern“ betriebenen) und neonazistischen Netzwerke, die schon einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sie von weitem die Antifa sehen oder die politische Elite des Landes, die sich jeweils ja gar nicht mögen. Aber der Feind steht rechts und das hat auch ein Norbert Lammert erkannt, auch wenn sein Tonfall immer noch ruhig ist, der Lage nicht unbedingt angemessen.

Wie schreibt Gremliza in seinem Suhrkamp-Band:

„Die Lage des Kritikers korrespondiert mit der Lage der Menschheit vorzüglich. Beide sind hoffnungslos.“ (S. 7)

 

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

Clemens Heni mit Gabriel Bach, Nebenkläger im Eichmann-Prozess, nach einem Vortrag von Heni beim World Jewish Congress am 27. Mai 2013 in Jerusalem

 

Der Autor, Clemens Heni (Jg. 1970), hat neben einer Grundausbildung im „Antifaschismus-Komitee Tübingen/Reutlingen“ von Anfang bis Mitte der 1990er Jahre universitäre Abschlüsse in Empirischer Kulturwissenschaft (B.A.) und Politikwissenschaft (B.A., Diplom) erlangt, 2006 in Innsbruck mit einer Arbeit über die Kritik an der „Salonfähigkeit der Neuen Rechten“ promoviert (Dr. phil, bei Prof. Anton Pelinka), war sodann Post-Doc an der Yale University in USA und gründete 2011 das Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) wie auch den Verlag Edition Critic. Er ist Autor von fünf Büchern und vielen Artikeln in Deutsch und Englisch zu Rechtsextremismus, Neuer Rechter, Antisemitismus, politischer Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Holocaust, Kritischer Theorie, Israel und Islamismus.

 

 

Die Welt schaut auf diese Stadt: Nazis, die AfD und das „Pack“ in Berlin stehen wieder vor dem Einzug ins Parlament

 

Wer AfD wählt hat offenkundig kein Problem mit Rassismus, Deutschnationalismus und Antisemitismus.

Jede Wählerin und jeder Wähler bekommt seit über zwei Jahren mit, wie nazistisch, rassistisch, antisemitisch, völkisch und deutschnational die AfD ist.

Alle wissen das, da es noch nie eine so massenmediale Verbreitung der Hetze einer nicht mal im Bundestag vertretenen Partei wie der AfD gab, von Günther Jauch über Anne Will und Fank Plasberg hin zu Sandra Maischberger etc. pp.

Wir müssen weg von der „Konsensdemokratie“, die noch mit jedem Nazi ernsthaft redet und ihn „zurückholen“ möchte – es geht um klare Grenzen, z.B. Rassisten oder Antisemiten gerade nicht medial zu promoten und nicht in TV-Talkshows einzuladen. Das ist eine Message und Kritik des Spiegel Kolumnisten Georg Diez. Weniger die AfD promoten, denn sie ignorieren oder kritisieren. Ich würde sagen: über die AfD reden, nicht mit ihr. Das ist antifaschistische Grundausbildung.

Antifa (nicht Carl Schmitt) statt Habermas. Kritik statt Konsens.

In der AfD sprechen Agitatoren wie Goebbels, spielen mit einem Schießbefehl auf Flüchtlinge an der Grenze, promoten die antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion, diffamieren das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und sind gegen Abtreibung, alle zusammen hetzen gegen Angela Merkel und wollen am liebsten eine demokratisch gewählte Kanzlerin wegputschen oder gewaltsam entfernen.

Galgen für Gabriel und Merkel auf Pegida-Demo in Dresden – Pegida ist ein ungeistiger wie praktischer Verbündeter der AfD und Pegidisten sprachen schon auf AfD-Veranstaltungen, die AfD ist gegen Moscheebauten wie in Erfurt.

Auf einer AfD-Demo wird gegen die USA agitiert und antiamerikanische Verschwörungsmythen werden promotet. Das vom extremen Rechten Jürgen Elsässer geführte Compact-Magazin fantasiert hierbei davon, das ganze Land sei von NSA und USA  besetzt – so Poster auf der großen bundesweiten AfD-Demo am 7.11.2015 in Berlin:

AfD-Demo, 7. November 2015, Berlin; Foto: Sören Kohlhuber

AfD-Demo, 7. November 2015, Berlin; Foto: Sören Kohlhuber

 

In Berlin fordert ein AfD-Mann alle Flüchtlinge in „Lager“ zu stecken, in unbewohnten Gebieten.

Jene „Klimaverschärfung“, von der die Journalistin der Stuttgarter Zeitung Katja Bauer im November 2015 sprach, ist in einem Maße eingetreten, dass es wohl nur sehr wenige AnalystInnen zu ahnen vermochten.

JEDE Wählerin und JEDER Wähler der Alternative für Deutschland (AfD), von den Funktionären nicht zu schweigen, agieren de facto antisemitisch und rechtsextrem. Es zählt die gesamte Partei und die steht – vorneweg Petry, Gauland, Meuthen, Höcke – für Antisemitismus, Rassismus, Deutschnationalismus und Kokettieren mit dem Nationalsozialismus wie der Trivialisierung und Verhöhnung der Opfer von Auschwitz, wenn Holocaustopfer mit heutigen Flüchtlingen in Zügen analogisiert werden, wie es der Berliner AfD-Vize Hugh Bronson tut.

Ein bekannte Neo-Nazi-Taktik ist heutzutage, die ungeheuerlichsten Sachen zu sagen, die entsprechende Reaktionen zu bekommen, zumindest von dem Teil der Bevölkerung, der nicht antisemitisch, rassistisch und deutschnational oder eiskalt abgeklärt ist, und dann scheibchenweise Nazi-Ideologeme oder andere problematische Topoi wieder zurückzunehmen, was in jedem einzelnen Fall unglaubwürdig ist und die WählerInnen das Augenzwinkern jeder Rücknahme natürlich sehen.

Andere wie die CSU nehmen de facto bestimmte Teile der AfD-Ideologie auf und verschärfen sie sogar noch, wie Claus Kleber im ZDF am Beispiel Horst Seehofer verdeutlichte.

Jeder Wähler und jede Wählerin in Berlin, der oder die AfD wählt, verdient Verachtung und politische und soziale Isolation. Diese Menschen gehören nicht zu einer demokratischen Gesellschaft. Sie gehören bekämpft. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

Nehmen wir als letztes ein besonders krasses und abstossendes Beispiel (als ob es da eine Hierarchie des Ekels geben könnte bei der AfD):

Der Berater der Vorsitzenden der AfD, Frauke Petry, Michael Klonovsky, schreibt am 11.09.2016 auf seinem Blog:

„eine Frau ohne Kinder ist eine traurige, zuweilen sogar tragische Figur. Sie hat den eigentlichen Zweck ihres Daseins verfehlt.“ –

Angesichts dieser Frauenverachtung, die zu den „Lebensschützern“, die am 17. September 2016 in Berlin wieder aufmarschieren,  passt, gilt:

Kein Platz für die AfD, andere Mutterkreuz-Nazis, Frauenverachter und christliche FanatikerInnen in Berlin und nirgendwo sonst.

Die Ideologie der AfD ist ganz offen völkisch.

Es ist moralisch noch viel schlimmer nach 1945 das Wort völkisch zu benutzen denn z.B. 1897, damals bereitete es den Judenmord vor, ohne zu ahnen, ob und wie er passieren wird – nach 1945 ist es eine Zustimmung zu Auschwitz. Ein Wörtchen, das für die Affirmation des deutschen Verbrechens der Vernichtung des europäischen Judentums steht. Natürlich augenzwinkernd, AfD-Taktik.

Doch nicht wenige Journalisten und Historiker (gerade solche, die gegen die AfD sind) scheinen nicht zu verstehen, dass die Neue Rechte nach 1945 agiert und diese Bejahung der deutschen Verbrechen im Wieder-Verwenden eines Adjektivs wie „völkisch“ drin steckt und gerade kein Zurück ins Kaiserreich oder der Weimarer Zeit meint.

Wer heute von völkisch redet wie Petry zwinkert den AnhängerInnen zu: „Auschwitz, not sooo bad“ … Sie weiß ob der Perfidie ihrer Strategie, ohne den Holocaust zu leugnen oder offensiv zu bejahen.

Zur völkischen Ideologie der AfD gehört das Nazi-Mutterkreuz wie die neonazistische Identitäre Bewegung zur ideologischen wie organisatorischen Grundausstattung.

Gerade die Linkspartei versteht jedoch häufig gar nicht den völkischen und nazistischen Charakter der AfD, sondern kapriziert sich oft auf die „soziale Frage“, den „neoliberalen Charakter der AfD“ oder äfft die AfD nach, wie die „heilige Johanna der deutschen Nationalbewegung“, Sahra Wagenknecht. Falsch. Es geht nicht um die „soziale Frage“ bei der AfD. Es geht um Deutschland, Rassismus, Hetze gegen alle Nicht-Deutschen bzw. Deutsche mit der aus Rassistenperspektive „falschen“ Hautfarbe wie Boateng, es geht um Nationalismus, Antisemitismus und das Kokettieren mit dem Holocaust und dem SS-Staat.

Das ist der Kern der Salonfähigkeit der Neuen Rechten und nicht „Abstiegsängste“, geringe Renten oder Arbeitslosigkeit und wie die Ausreden für völkische WählerInnen alle heißen.

Wählt morgen demokratisch und lasst euch vom AfD-Kuschelkurs und der Trivialisierung der Nazi-Gefahr der AfD einer Margarete Stokowski auf SpiegelOnline (SPON) oder eines Gerhard Appenzeller im Tagesspiegel nicht aus dem antifaschistischen und demokratischen Konzept bringen.

Stokowski hatte auf SpiegelOnline ernsthaft geschrieben, dass gerade die deutsche Geschichte doch gezeigt habe, Antifaschismus sei manchmal erfolgreich und manchmal halt nicht. Keine Panik also:

Deutschland ist ein Land, das eine außerordentlich gründlich dokumentierte historische Vorlage hat, auf die man jetzt zurückgreifen könnte, um sich zu informieren, wie rechtes Denken sich verbreitet, wie Widerstand dagegen aussehen kann, warum er manchmal scheitert und manchmal erfolgreich ist.

„Manchmal“ ist der „Widerstand“ halt „gescheitert“. Manchmal!

Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen, Oranienburg, Majdanek sind halt passiert, Pech. Das seien lediglich Zeichen, dass „manchmal“ der Widerstand nicht erfolgreich war. „Manchmal“, Leute, also bitte nicht aufregen oder das Präzedenzlose, nie Dagewesene der Shoah thematisieren. Die ist nur ein Beispiel, wo es halt schief ging mit dem Widerstand.

Ist halt passiert. Dieses flapsig-lässig-geschwätzige Hinweggehen über das präzedenzlose Verbrechen der Shoah durch Margarete Stokowski ist typisch für viele heutige AutorInnen. Was es z.B. für Nachkommen von Holocaustopfern oder für Holocaustüberlebende und deren Nachfahren bedeutet, wenn eine Partei wie die AfD in Parlamente einzieht, ist ihr mit solchem Gerede offenkundig völlig schnuppe.

Und Gerd Appenzeller vom Tagesspiegel, ein erfahrener Journalist, der während des Zweiten Weltkrieges 1943 in Berlin geboren wurde, attackiert gar den Berliner Regierenden Bürgermeister Michael Müller für dessen „Alarmismus“, weil dieser auch AfD-WählerInnen scharf angeht, da die Wahl der AfD als Nazi-Revival weltweit Schlagzeilen machen würde.

Ja, würde es, lieber Tagesspiegel, und dank dem Tagesspiegel wird die AfD auch weiter trivialisiert und lieber die SPD diffamiert in ihrer scharfen Attacke auf die AfD und – das ist so wichtig – dem Fokus auf die WählerInnen der AfD, ganz normale Deutsche.

Bei aller so scharfen Kritik an Sigmar Gabriel, der aus der SPD das gemacht hat, was sie heute ist (inklusive des Kungelns mit dem islamistisch-antisemitischen Regime in Teheran), sein Wort vom deutschen „Pack“ (nicht nur in Heidenau und Sachsen) geht in die Geschichtsbücher ein, weil es die Wahrheit ist. Auch sein Mittelfinger für die Nazis der Identitären Bewegung kam aus tiefstem Herzen und das ist gut so.

Und ganz zu Recht hat Gabriel in seinem Statement in Heidenau deutlich gemacht, dass Nazis auch im Sportverein, auf der Arbeit, im Kirchenchor oder beim Rockfestival, auf der Autobahnraststätte, beim „Odin-sei-bei-mir“-Rufen im Schwarzwald, beim Paintball-Spielen in der Lüneburger Heide, beim Einkaufen, im Fußball-Stadion nicht nur in Dortmund oder Dresden, dem Boxring oder beim Rumlungern und Warten auf das nächste „du Opfer“ oder „du Jude“ (wobei sie diese Ressentiments mit nicht wenigen muslimischen Jugendlichen teilen!) isoliert, attackiert und kritisiert gehören.

Wer nicht erkennt, in welcher gesamtwestlichen, zumal gesamteuropäischen Situation wir uns befinden, wo Rechtsextreme (darunter all jene zärtlich als „besorgte Bürger“, „Rechtspopulisten“, „Protestwähler“ etc. Kategorisierten) Wahlerfolge feiern und die politische Kultur massiv nach rechts verschieben, wie in Ungarn, Österreich, Schweden, Holland, Frankreich, England (und Trump in USA) – die oder der hat nicht kapiert, was diese Zeit auch hierzulande geschlagen hat.

Es geht um die Verteidigung der Demokratie, nicht mehr und nicht weniger, egal welche demokratische Partei man wählt – wobei die CSU eine Art zweite AfD in Bayern ist und es ist wiederum der nach extrem rechts abdriftende Berliner Tagesspiegel, der für eine erzkonservative oder „stramm konservative Politik“ plädiert bzw. sie lobt:

Ist es echt so schlimm? Gehen wir mal kurz die zentralen Forderungen der CSU durch: Flüchtlingsobergrenze von 200.000 Menschen, Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, Burka-Verbot, Vorrang für Zuwanderer „aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“. Sind das verbotene Forderungen, ist es rechtsradikal, gefährden solche Ansichten den sozialen Frieden? Natürlich nicht. Es ist stramm konservative Politik.

Sicher ist ein Burkaverbot höchst angesagt. Die Würde der Frau ist unantastbar.

Aber alles andere ist Rassismus, namentlich der „Vorrang für Zuwanderer aus dem christlich-abendländischen Kulturkreis“ wie auch eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge (!).

Wenn Michael Müller in der taz schreibt:

Die Tage der politischen Leichtigkeit sind vorbei, wir erleben eine Zeit, die mehr Ernsthaftigkeit von allen erfordert.

dann hat er die Zeichen der Zeit klar erkannt. Sicher ist das auch Teil des Wahlkampfes und das heißt nicht, dass man die SPD super-duper-toll finden muss, alleine schon das Ausgrenzen eines anti-islamistischen SPDlers wie Erol Özkaraca ist problematisch und sollte kritisiert werden:

Im Sommer 2015 hatte sich Özkaraca mit seinem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh, wie er Muslim, überworfen. Es ging um die Frage, wie nah Islam und Staat sich kommen dürfen. Özkaraca interpretiert seinen Glauben liberal, er besteht auf einer strikten Trennung zwischen Religion und Staat. Saleh trat dagegen ein für einen Staatsvertrag mit Berlins muslimischen Verbänden, wie in Hamburg und in Bremen. Und er zeigte sich offen für eine Änderung des Berliner Neutralitätsgesetzes, das Lehrern sichtbare religiöse Symbole verbietet, also auch Frauen ein Kopftuch.

Vor dem Bürofenster Özkaracas ist eine ganze Batterie von seinen Wahlplakaten aufgestellt, versehen mit dem Konterfei des Kandidaten sowie politischen Slogans, die angesichts der allgemeinen Einfallslosigkeit der sonstigen gedruckten politischen Aussagen teils frech, teils provokant erscheinen. „Der Rechtsstaat gilt überall. Sogar in Neukölln“ steht dort zu lesen, oder „Religion ist Privatsache. Extremismus nicht“.

Die SPD hat sich als Partei ganz klar als Anti-AfD-Partei gezeigt.

Es gibt auch in Berlin viel zu viele Menschen, die die AfD wählen werden. Es geht darum, den Prozentsatz der AfD so gering wie möglich zu halten und die Neue Rechte auch im Parlament zu bekämpfen, mit allen Mitteln. Das ist Realpolitik.

Auch bisherige oder häufige NichwählerInnen, AnarchistInnen (solange sie nicht eh libertäre Nazis sind), Antideutsche und SkeptikerInnen sollten diesmal wählen gehen, demokratisch.

Die AfD ist nicht nur eine etwas erfolgreichere NPD. Die AfD steht für eine neue deutsche Volksgemeinschaft und für das Mainstreamen von Rassismus, Deutschnationalismus und Antisemitismus. Davon konnte die NPD niemals auch nur träumen.

Leute: Es sind krasse Zeiten und krasse Zeiten verlangen krasse Handlungen. Und sei es, die AfD parlamentarisch zu bekämpfen und wählen zu gehen.

 

 

 

Der Spiegel, das antijüdische Ressentiment und die Verhöhnung der Opfer jihadistischer Gewalt von Brüssel

Am Dienstag, den 22. März 2016, zerfetzen jihadistische Massenmörder in Brüssel bei Anschlägen in der U-Bahn und im Flughafen mehr als 30 Menschen. Die Opfer sind noch nicht alle identifiziert, geschweige denn beerdigt, und das wöchentliche Nachrichtenmagazin Der Spiegel Nr. 13/2016 vom Samstag, 26. März 2016, macht mit einem Titel bzw. einer Titelstory auf, die ungeheuerlicher, Jihad verharmlosender, antichristlicher und zumal antijüdischer nicht sein könnten.

Unter der Headline „Die gefährliche Rückkehr der Religionen – Der Missbrauchte Glaube“ sieht man ein großes Kreuz mit einem gekreuzigten Jesus und einem Totenkopf darunter auf dem Cover (es ist die Osterausgabe!), rechts oben den Präsidentschaftsbewerber bei den Vorwahlen der Republikaner, Donald Trump, der offenbar mit einer Bibel wedelt, rechts unten den russischen Präsidenten Vladimir Putin, der einen offenbar russisch-orthodoxen Patriarchen herzt, und links ein Bild der islamistischen Terrorgruppe Islamischer Staat:

 

Im Heft selbst dann die Coverstory unter dem Titel „Gottes unheimliche Macht. In Europa sind sie auf dem Rückzug, doch in vielen Teilen der Welt entfalten Religionen gerade neue Kraft. Sie nehmen Einfluss auf die Politik – und lassen sich von ihr missbrauche. Oft mit furchtbaren Folgen.“ Wie sehen diese furchtbaren Folgen aus?

„Unter den extremen Christen gibt es Bäcker, die sich aus religiösen Gründen weigern, homosexuellen Paaren eine Hochzeitstorte zu backen; Eltern, die vor Gericht ziehen, weil ihre Kinder in der Schule das islamische Glaubensbekenntnis lernen müssen; Pfarrer, die den Satan für leibhaftig halten.“

Offenbar spielt das AutorInnenteam (Nicola Abé, Jens Glüsing, Bartholomäus Grill, Nils Minkmar, Christian Neef, Jan Puhl, Christoph Reuter, Holger Stark) mit dem ganzen Text  auf die Massaker von Brüssel an, das Blut in der Metro und dem Flughafen ist gerade erst getrocknet bzw. die Leichenteile sind eingesammelt worden.

Doch im Text geht es nicht nur um Islamismus und Jihad, sondern in einer gleichsam obsessiven Art und Weise um Christen und Juden, der Islam kommt geradezu nur additiv hinzu. Diese Massaker wie vor wenigen Tagen in Brüssel werden mit evangelikalen Bäckern in eins gesetzt, die sich weigern „homosexuellen Paaren eine Hochzeitstorte zu backen“. Das ist an Zynismus und kulturrelativistischem Geschwätz unüberbietbar. Die Angehörigen der Opfer des Jihadismus werden sich bedanken.

Es ist ein Ausdruck der Ideologie des Kulturrelativismus, der zwischen problematischen Aspekten einer Religion und weltweitem Jihad und Massenmord seit dem 11. September keinen Unterschied zu sehen bereit ist. Es ist ein gerade fanatischer Zug des Spiegel, die spezifische Kritik am Jihad zu verweigern. Ja, mehr noch: die Opfer des Jihad, neben Muslimen häufig Christen in Syrien oder dem Irak, sowie Juden in Israel, Frankreich und Europa, werden zu (ideologischen) Mit-Tätern. Dieses bekannte Schema – gerade in Deutschland – der Täter-Opfer Umkehr ist typischer Ausdruck des sekundären Antisemitismus, jenes nach Auschwitz. Wenn das Christentum mit verantwortlich war für den Holocaust, dann ist das Judentum verantwortlich für wahlweise Naturunterdrückung (so vor Jahren schon der Katholik Eugen Drewermann), den „Genozid“ an den Palästinensern (so der deutsche und europäische Mainstream) oder das Aufkommen des Monotheismus (so der Spiegel und der Philosoph Peter Sloterdijk). Damit sind wir quitt, die Deutschen und die Juden. Prima Sache! Das ist der Hintergrund vor dem der Spiegel 13/2016 zu sehen ist.

Ein Massaker in Brüssel dient den Spiegel-AutorInnen dazu, gegen Juden und Christen zu polemisieren und agitieren. Ein perfider Text, der die Toten von Brüssel als Aufhänger nimmt, um gegen Juden und Christen Stimmung zu machen.

Mehr noch: Dieses Abwiegeln, dieses Leugnen der sehr spezifischen Gefahr des Islamismus und Jihad ist seit dem 11. September 2001 die Hauptreligion des Abendlandes geworden, zumal in der kulturellen Elite.

Kein kritischer Mensch würde die problematischen und höchst zweifelhaften Aspekte des Evangelikalismus oder orthodoxer Katholiken ignorieren oder beschönigen, von innerjüdischer Kritik an Ultraorthodoxen ganz zu schweigen. Aber kein denkender Mensch würde Kritik am Christentum oder Judentum angesichts zerfetzter Menschen, die von extremistischen Muslimen ermordet wurden im Namen des Jihad und Islam, mit Islamismus und Jihadismus auch nur vergleichen, geschweige denn auf eine Stufe stellen. Das ist eine Verhöhnung der Opfer von Brüssel unsagbaren Ausmaßes.

JournalistInnen, die zwischen Massenmord und der Terrorisierung des gesamten Nahen Ostens, Europas, Amerikas, weiten Teilen Asiens und Afrikas durch den Jihad auf der einen und der problematischen, aber nicht massenmörderischen Religion Evangelikaler oder Russisch-Orthodoxer auf der anderen Seite nicht unterscheiden können, sollten ein anderes Handwerk lernen denn Schreiben, eines, von dem sie auch etwas verstehen.

So wichtig es ist Homophobie unter Christen zu bekämpfen, so unsagbar gleichmacherisch, kulturrelativistisch und unspezifisch ist es, solche homophoben Tendenzen mit dem weltweiten Massenmord von Seiten des Jihad auf eine Stufe zu stellen. Man fasst sich ob soviel Schwachsinn einfach an den Kopf.

Doch es geht noch viel weiter. Der Text hat eine innere Logik und Struktur. Ganz ähnlich wie der Philosoph Peter Sloterdijk greift auch der Spiegel das Judentum an. Die „ultraorthodoxen Juden“ in Israel in „Bnei Brak“ werden kritisiert (und dabei auch Ultraorthodoxie und politischer Zionismus grotesk gleichgesetzt) –wohlgemerkt angesichts islamistischer Massaker in Brüssel – und weit ausholend geschrieben:

„Besonders gut eignen sich offenbar die monotheistischen Religionen für Hasspropaganda und die Abgrenzung von Andersgläubigen. Sie stiften auch dadurch Identität. Es ist kein Wunder, dass auf der schwarzen Fahne des IS die Schahada prangt, das Glaubensbekenntnis des Islam: „Es gibt keinen Gott außer Allah“, steht dort.“

Das freut Jakob Augstein. Wenn die Juden so übel sind wie die Jihadisten, wie kann man dann Antisemit sein, wenn man gegen den Staat der Juden anschreibt? Wie hört sich das Ressentiment gegen das Judentum bei Peter Sloterdijk an?

„Ich nenne das obsessiv wiederkehrende Bundesbruch-Motiv des Tanachs daher das Sinai-Schema. Es macht den Preis der Singularisierung Israels inmitten der intensiven kultischen und militärischen Völkerkonkurrenz fühlbar. In der fiktiven Urszene am Fuß des Gottesberges wurde der Motivzusammenhang zwischen dem Bundesbruch und dem standrechtlich vollzogenen Strafgericht mit archetypischer Wucht exponiert und für Übertragungen in beliebig weit entfernte Kontexte bereitgestellt.“

Die Spiegel-AutorInnen setzen ganz explizit Jihadismus, Massenmord und Islamismus mit Christentum und Judentum gleich, kategorial und theologisch:

„Und wenn IS-Kämpfer die abgeschnittenen Köpfe ihrer Feinde in die Kameras halten, dann strecken sie oft den Zeigefinger ihrer rechten Hand aus – als Gruß. Es gibt nur einen Gott, bedeutet das Zeichen. Und Ungläubige sind Todfeinde. Christen erheben sich gern über die Brutalität, mit der dieser Absolutheitsanspruch durch – gesetzt wird, weil ihre Religion durch die Aufklärung gezähmt worden sei. Aber allzu leicht fällt das nicht: ‚Du sollst keine anderen Götter haben neben mir‘, heißt es im ersten Gebot des Alten Testaments. Auch das Christentum eignet sich also zur Abgrenzung, wenn es missbraucht wird. Und das wird es immer wieder, um Macht oder sogar Gewalt zu rechtfertigen.“

Während das Judentum sich gerade in Abkehr vom Opfer gründete, lebt der Jihad vom Opfer. Während das jüdische Volk eine sehr diesseitsbezogene Religion hat, hassen Jihadisten das Leben und lieben den Tod. Für den Spiegel ist das Einerlei.

Seit 9/11 geht das so im Mainstream-Journalismus, ein Abwiegeln ob der spezifischen Gefahr, die der Jihad darstellt. Alles nichts Besonderes. Christen und Juden seien genauso extremistisch, bar jedweder empirischer Beweise. Es gibt keine christlichen oder jüdischen suicide bomber, keine jüdischen oder christlichen Ideologen, die zur mörderischen, militärischen Bekämpfung Europas, des Westens oder Israels aufrufen. Wer zwischen theologischem Fanatismus und konkreter Gewalt, zwischen evangelikalen Christen oder orthodoxen Katholiken und Jihadisten nicht unterscheiden kann, sollte sich zu Religion im Allgemeinen und Jihad im Besonderen nicht äußern.

Denn die Gleichsetzung von Jihad und Zehntausenden Toten durch jihadistische Anschläge in den letzten Jahren, vom Irak über Syrien nach Indonesien, Pakistan, Indien, New York, Madrid, London, Tunesien, Nigeria, Toulouse, Paris, Brüssel, London und vielen anderen Orten, mit Christentum und orthodoxem Judentum ist ungeheuerlich, sie verhöhnt die Opfer des Jihad und diffamiert orthodoxe Juden oder evangelikale Christen auf die widerlichste Art und Weise:

„Radikale Sunniten und Schiiten, Evangelikale, orthodoxe Juden, Orthodoxe, russische katholische Extremisten – die politische Ambition, auch die politische Instrumentalisierung ist in allen Glaubensrichtungen möglich. Denn das System der Religion lebt nicht vom freien Diskurs, von Beweisen und Abstimmungen. Das Besondere an dieser Sphäre ist ja gerade, dass sie Gewissheiten bietet, die keine Begründung mehr brauchen. Das macht ihre einzigartige Anziehungskraft aus, darin liegt ihr Potenzial zu gütigen, aber auch menschenfeindlichen Handlungen.“

Noch nicht einmal auf den Unterschied zwischen proselytischen, missionarischen und imperialistischen Religionen wie dem Christentum und Islam auf der einen und dem nicht missionarischen Judentum auf der Seite wird hier reflektiert.

Und natürlich: Es gibt keine Sonderkommissionen bei Landeskriminalämtern oder dem Bundeskriminalamt zu gefährlichen Christen oder Juden, die Massaker in Köln, Frankfurt, Augsburg, Berlin, München oder Hamburg planten. Es gibt aber Sonderkommissionen und Expertengruppen zu Islamismus und Jihad. Das weiß man beim Spiegel nicht, möchte es nicht wissen, weil die AutorInnen von der spezifischen und einzigartig gefährlichen Art des Islamismus und Jihad schweigen wollen. Es gibt keine Christen die versuchen sich in Atomkraftwerke einzuschleusen um dort womöglich eine atomare Katastrophe herbeizuführen, wie wir es ganz aktuell aus Belgien hören. Der gesamte Sicherheitsapparat an Flughäfen weltweit existiert nicht wegen schwachköpfiger oder indoktrinierender evangelikaler Prediger, sondern wegen Jihadisten und dem radikalen Islam.

In anderem Kontext ist die Analyse und Kritik an evangelikalen Christen sicher sehr wichtig. Aber die gezielte Vermischung einer solche Analyse und Kritik angesichts von dutzenden zerfetzter Menschen in Brüssel ist nicht nur ungeheuerlich, sondern lässt nach den Motiven suchen. Und logisch durchdacht herrscht hier ein antijüdisches Ressentiment vor, da zeitlich das Judentum den revolutionären Gedanken des einen Gottes gleichsam erfunden hat. Das wird diffamiert und da sind wir bei Sloterdijk und weiten Teilen des kulturellen wie wissenschaftlichen Establishments.

Wer das antimonotheistische Ressentiment des Spiegel zu Ende denkt, kommt unweigerlich auf das Judentum. Der radikal neue Gedanke eines einzigen Gottes war weltgeschichtlich von ungeheurer Bedeutung, weg von der Naturidolatrie der Antike und hin zum geistvollen Nachdenken über Mensch und Gott. Man muss gar nicht gläubig sein, um diesen welthistorischen Bruch oder die Bedeutung des geschriebenen Gesetzes im Judentum in seiner revolutionären, befreienden Natur zu erkennen.

Die Motivation jedoch, gerade angesichts der zerfetzten Menschen von Brüssel vom bösen Judentum zu reden – das der religiöse Ursprung des Christentums ist –, die könnte gerade zu Ostern antijüdischer kaum sein.

 

Für sachdienliche Hinweise ein herzliches Dankeschön an Michael Kreutz.

Perry Anderson und der nüchterne linke Antisemitismus: die Einstaatenlösung

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Der britische Historiker Perry Anderson ist einer der bekanntesten westlichen Linken. In einem Essay in der November/Dezember Ausgabe der führenden Zeitschrift der Neuen Linken, New Left Review aus London, plädiert er in einem über 14.000 Wörter langen Beitrag für die Zerstörung des jüdischen Staates Israels. Er macht das kaltblütig und ohne Bewunderung für die Hamas (wie Judith Butler), die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) oder die herrschenden arabischen Regime.

Anderson, Jahrgang 1938, lebt und lehrt in Kalifornien an der University of California Los Angeles (UCLA), ist in der Bundesrepublik ein bekannter Name. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, war Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und wird von führenden Verlagen wie Suhrkamp publiziert. In einer Übersicht über einige seiner Bücher der letzten Jahre würdigt ihn die FAZ 2015 als luziden wie „angriffslustigen“ Kritiker der Türkei, Italiens, Indiens oder Amerikas. Von seinem Hass auf Israel war in diesem Text Jürgen Kaubes von Anfang Dezember 2015 noch keine Rede.

Anderson folgt dem Guru des Postkolonialismus Edward Said in dessen Plädoyer für die Zerstörung Israels. Dem Historiker Anderson ist Geschichte reichlich egal, die historische Verbundenheit, über 3500 Jahre, von Juden zum Land Israel – unwichtig, nicht erwähnenswert. Die Motivation von Theodor Herzl, den Juden sowohl die Rückkehr in ihr Land als auch, ganz realpolitisch gedacht, einen Schutzraum vor Antisemitismus zu bieten – unwichtig, nicht erwähnenswert. Der glühende Judenhass der muslimischen und arabischen Welt, die zur Kollaboration mit den Deutschen im SS-Staat führte, nebbich.

Muslimische SS-Einheiten im Zweiten Weltkrieg, die Radiosendungen des Mufti von Jerusalem zur Aufpeitschung arabischen Judenhasses im Nahen Osten, die Zusammenarbeit namentlich vom anti-islamistischen, sozialistischen Ägypten unter Nasser mit alten Nazis wie Johann von Leers, der in den 1950er Jahren zum Islam konvertierte und fortan Omar Amin von Leers hieß – unwichtig, nicht erwähnenswert.

Heutige Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat wie von Iran – unwichtig, nicht erwähnenswert. Mehr noch: Anderson unterstützt die iranischen Ambitionen auf Atomwaffen, da damit Parität mit Israel hergestellt sei. Dass Israel nicht damit droht andere Staaten zu vernichten und nicht von einem Hass auf Muslime, Araber oder Iraner getrieben ist – für einen Historiker vom Format Perry Andersons unwichtig, nicht erwähnenswert.

Es gab jetzt ein Symposium der britischen Zeitschrift Fathom, die Kritikerinnen und Kritiker von Andersons Essay versammelt hat. Der Philosoph Michael Walzer ist sichtlich schockiert ob des Tons von Anderson, der nur „Verachtung“ übrig habe für jene Palästinenser, die an einem Ausgleich mit Israel interessiert seien und die Zweistaatenlösung präferierten.

Shany Mor spricht auf dem Symposium von einem „theologischen Antizionismus“, den er bei Anderson untersucht. So würde dieser realitätsfern leugnen, dass es eine spezifische arabisch-palästinsensische Agenda gäbe. Die bewusste Ablehnung eines eigenen Staates, wie er Arafat und den Palästinensern von Ehud Barak sowie Bill Clinton zweimal im Jahr 2000 angeboten wurde, in Camp David und in Taba, wird nicht als solche antizionistische Politik erkannt. Dann ignoriert Anderson den muslimischen und arabischen Antisemitismus, wie Mor unterstreicht. Schließlich sei Israel immer schuld, ob es nun Gaza verlässt und den Palästinensern überlässt oder nicht, in beiden Fällen sind die Juden schuld.

Die israelische Politikwissenschaftlerin, Politikerin und public intellectual Einat Wilf argumentiert gegen Anderson, dass er offenbar einen „Bürgerkrieg“ möchte, denn namentlich die Araber und Muslime sind nicht bereit Juden als Gleiche unter Gleichen im Nahen Osten, geschweigen denn Israel, zu akzeptieren. Historisch gesehen seien die Juden nur „Dhimmis“ unter islamischer Herrschaft gewesen. Eine Einstaatenlösung würde fanatisierte Araber/Palästinenser auf Juden hetzen, von den anti-arabischen Juden in Israel, die es in einer Minderheit auch gibt, nicht zu schweigen.

Perry Anderson steht stellvertretend für Viele in der westlichen Welt, nicht nur für die Linke. Er ist obsessiv daran interessiert, den jüdischen Staat zu zerstören. Er möchte das einbetten in eine Revolutionierung des ganzen Nahen Ostens. Das hört sich lächerlich an, doch entgegen anderen Fanatikerinnen wie Judith Butler hat Anderson gerade kein blind eye auf den Islamismus der Hamas oder die herrschende Klasse in der arabischen Welt. Er hat jedoch wie alle Antizionisten einen erschreckend blinden Fleck was die Geschichte der Juden betrifft. Die Wörter Antisemitismus und Holocaust oder Shoah tauchen in dem langen Essay nicht ein einziges Mal auf. Anderson heuchelt nicht einmal Interesse an der unsagbaren Leidensgeschichte des jüdischen Volkes vor. Als ob es Auschwitz und Sobibor nicht gegeben hätte schreibt der linke Agitator gegen die einzige wirklich sichere Heimstätte für Juden an.

Und für diese Kaltblütigkeit gegenüber Juden, für diese Verachtung für jeden Ausgleich von Palästinensern und Zionisten, für dieses Ignorieren des Holocaust und der jahrtausendealten Geschichte der Juden in exakt diesem Land Israel gibt es ein Wort: Antisemitismus. Perry Anderson ist ein moderner Antisemit, der Juden das Recht auf Selbstbestimmung abspricht. Das sollte der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dem Wissenschaftskolleg zu Berlin oder dem Suhrkamp-Verlag Grund genug sein, bei ihrem Mitglied, Ex-Fellow oder Autoren nachzuhaken. Die Einstaatenlösung ist antisemitisch, weil sie Juden das Recht auf Selbstbestimmung nehmen möchte. Israel ist der jüdische Staat, eine Miniinsel in einem Meer voll arabischer und muslimischer Verachtung für jedwede jüdische Präsenz im Nahen Osten. Dabei waren Juden bekanntlich viel früher im Land als Muslime, der Islam ist nicht nur eine relativ junge Religion, sondern auch eine proselytisch-imperialistische. Juden sind zudem ein Volk und nicht nur eine Religionsgemeinschaft, was oft übersehen wird. Ein Historiker jedoch, der in einem Text über jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert den Holocaust nicht einmal erwähnt, kann nicht anders denn von einem antijüdischen Ressentiment getrieben sein. Diese Kaltblütigkeit im Mainstream westlicher Intellektueller ist unsagbar erschreckend.

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