The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

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Massendemo in Jerusalem: „Benjamin Netanyahu als schlimmster Feind des jüdischen Volkes“

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Heute ist Tag 701 seit dem 7. Oktober 2023, als Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad die schrecklichsten Massaker an Jüdinnen und Juden seit der Shoah verübten. 1200 Israelis und einige Opfer anderer Nationalität, wurden auf unschilderbare Weise gefoltert und massakriert. Die männlich-muslimische Gewalt gegen Frauen wundert nicht, ist aber in ihrer unfassbaren Brutalität an diesem Tag wirklich kaum in Worte zu fassen.

Viele Muslime, Palästinenser*innen, Araber, Linke, Neonazis und andere feierten, leugneten oder verharmlosten diese antisemitischen Massaker.

Direkt danach sprachen viele dieser Anhänger*innen der antisemitischen Internationale von „Genozid“ – sie meinten nicht die in der Tat auf den Genozid an Juden zielenden Massaker vom Tag zuvor, nein: die Antisemiten aller Länder vom 8. Oktober meinten damit die bloße Existenz des einzigen Judenstaates, Israel. Kuffiyah und Melonen und „From the River to the Sea“ und „Stop the Genocide“ sind ihre Symbole und Parolen.

Die heutigen weltweiten Holocaustverharmlosungen, Täter-Opfer-Umkehrungen und das Geschwätz von „Genozid“ kann man sich quellengesättigt und kritisch eingeordnet in dieser Wikipedia-Tabelle anschauen („Scholarly and expert opinions on the Gaza genocide„).

Dort sind über 550 Forscher*innen, Aktivist*innen oder NGOs und Forschungsverbünde aufgeführt, die sich seit Oktober 2023 bis heute mit „Genozid“ und „Gaza“ beschäftigten, die meisten davon in antisemitischer und Holocaust verharmlosender sowie antizionistischer Motivation und Diktion.

Es werden aber auch viele wissenschaftliche Stimmen zitiert, die sich gegen diese inflationäre Verwendung des Begriffs „Genozid in Gaza“ wenden.

Dass die aktuellen und unerträglichen Kriegsverbrechen Israels in Gaza zu verurteilen sind und sofort aufhören müssen, ist davon völlig unbenommen. Ich habe gezeigt, dass sie nicht das sind, was einen „Genozid“ ausmacht, der in der kritischen Forschung für den Holocaust verwendet wird.

Die Hungerpolitik Israels, das Erschießen von unzähligen Zivilist*innen und unglaublich viele weitere Kriegsverbrechen in diesem mit riesigem Abstand längsten Krieg Israels müssen sofort aufhören.

Schon jetzt sind auf unabsehbare Zeit wahre Bilder von hungernden Kindern und Erwachsenen – auch der Geiseln – mit Israel verbunden und nicht nur mit der Hamas, deren Perfidie und islamofaschistische Theorie und Praxis schon zuvor bekannt war.

Israel wird zum Paria-Staat – und das unter Freunden, unter Staaten wie England, Frankreich oder Deutschland, die nur wirklich Realitätsgestörte als Feinde Israels bezeichnen würden.

Heute nun, am Tag 701 der Geiselnahme von 251 Israelis und anderer, protestieren wieder Zehntausende, ja Hunderttausende in ganz Israel. Diesmal mit einem Schwerpunkt in Jerusalem, weil dort die Regierung sitzt.

Es geht den Demonstrant*innen, die völlig verzweifelt sind und seit vielen Monaten ihre Wut hinausschreien, um das Versagen der israelischen Regierung, das eigene Volk zu schützen und die Geiseln zu retten.

Während die IDF völlig beliebig, ohne konkrete Terrorgefahr, Hochhäuser in Gaza-City sprengt, sind die jüdischen und israelischen Geiseln am Krepieren. Für den Tod sind die Palästinenser, die Hamas und der Islamische Jihad verantwortlich.

Aber es ist auch die israelische Regierung verantwortlich, darum geht es den Demonstrant*innen. Die Times of Israel berichtet:

Vor einer großen Menschenmenge bezeichnet Einav Zangauker, die Mutter des Geisels Matan Zangauker, Premierminister Benjamin Netanjahu als den schlimmsten Feind des jüdischen Volkes.

„Pharao, Haman, sie haben Pogrome gegen uns verübt – aber Du, Benjamin Netanjahu, Du übertriffst sie alle“, sagt Zangauker, die zu den lautstärksten Kritikern des Premierministers gehört.

Zangauker wirft Netanjahu vor, den Krieg in Gaza trotz der Warnungen einiger Mitglieder des israelischen Sicherheitsapparats vor den Gefahren einer solchen Vorgehensweise ausgeweitet zu haben, um den 7. Oktober aus seinem Vermächtnis zu tilgen.

„Dein einziges Vermächtnis ist das Massaker und das Versagen vom 7. Oktober“, sagt sie.

(Übersetzung aus dem Englischen von CH)

Man kann sich den Schmerz und die tagtägliche Angst, seit 701 Tagen, der Angehörigen und Freund*innen der Geiseln nicht vorstellen. Viele haben seit 701 Tagen nicht eine einzige Nacht geschlafen.

Es geht darum, dass Netanyahu jetzt einen „Deal“ einfach nicht beantwortet, obwohl die Hamas einen vorgeschlagen hat, der fast exakt einem vorherigen Vorschlag Israels entspricht.

Die heutigen Demonstrant*innen wie die Hunderttausenden in den Letzten Wochen und die Millionen der letzten Monate, sehen in Netanyahus Politik eine perfide Politik, der es nur um die Verlängerung des Krieges geht, und nicht um den Schutz der eigenen Staatsbürger*innen, geschweigen denn um die Freilassung der letzten Geiseln.

Natürlich gibt es die Oberschlauen, die meinen, die Hamas sei gar nicht das einzige Problem, das Problem seien „die“ Palästinenser an und für sich. Damit wird es nie eine Friedenslösung geben, weil: die Palästinenser sind da.  Ohne ein Ende des natürlich grotesken „Rückkehrrechts“ von niemals in Palästina vertriebenen, weil in Köln, New York City oder Helsinki geborenen Palästinenser*innen, würde es nie eine Lösung geben.

Diese Leute sind fatalistisch und haben immer die gleiche Antwort: es liegt nur und immer schon an den Arabern bzw. den Palästinensern.

Was diese Leute nie verstanden haben: mit Feinden schließt man Friedensverträge, nicht mit Freunden.

Faschos wie Smotrich oder Ben Gvir irritieren diese Leute nicht, auch wenn sie sie nicht mögen. Dass diese Leute aber den Zionismus und das Judentum, das auf der Torah und Gerechtigkeit basiert, nachhaltig beschädigen, wenn nicht zerstören – egal!

Vor diesem Hintergrund ist es so dermaßen realitätsfern, was die Jüdische Allgemeine schreibt oder was ein Ferdinand von Schirach so von sich gibt, so gut er es als Nazi-Nachfahre, der seine Familie zurecht verabscheut, sicher meint („‚Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören'“, stellte von Schirach mehrfach klar“).

Das ist auch gut so. Aber er sollte sich gegen die israelische Regierung wenden, darum geht es.

Also natürlich nicht gegen Israel, klar – aber gegen jene, die gegen Israel sind und das ist vorneweg, so sehen es auch heute wieder die Hunderttausenden Demonstrant*innen: Benjamin Netanyahu.

Gegen diesen Mann muss man politisch aktiv sein und sich gegen ihn äußern, wenn man für Israel ist und gegen Kriegsverbrechen, für die Freilassung der Geiseln.

Er hat womöglich nicht ganz im Blick, was die Angehörigen der Geiseln durchmachen und weigert sich, die israelische Regierung frontal zu kritisieren, wie es notwendig ist.

Denkt er, die Anghörigen würden sich gegen Israel wenden, wenn sie massiv protestieren und nach Hilfe schreien? Sie wenden sich gegen eine kriminelle und rechtsextreme, religiös-messianische Regierung, die weg gehört.

Der Knessetagabgeordnete Gilad Kariv von der neuen Partei Die Demokraten, einem Zusammenschluss linker und mitte-linker Parteien von 2024, war auf der Demonstration und sagte der Times of Israel:

„Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, weil Netanjahu nicht das Richtige tun wird. Netanjahu wird nicht von Moral und Gewissen geleitet. Netanjahu ist ein Narzisst und ein Borderline- Psychopath“, erklärte Kariv. „Das Einzige, was Netanjahu bewegen wird, sind eine Million Israelis auf den Straßen und Druck aus den USA.“

Es gibt die Hilferufe von Journalisten aus Israel, die sehen, dass die Proteste in Israel allein, seit Anfang 2024 schlicht gar nichts bringen – sie brauchen massive Unterstützung von Israelfreund*innen weltweit! Darum geht es.

Netanyahu ist für den 7. Oktober hauptverantwortlich auf israelischer Seite, er hat es ermöglicht, dass es soweit kommen konnte, weil er die Warnungen von IDF-Soldatinnen nicht ernst nahm und auch viele weitere Warnungen nicht wahrhaben wollte.

Und weil er die Hamas gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die jetzt von Israel in den Ruin getrieben werden soll, in Stellung brachte.

Ein Untersuchungsausschuss wird das irgendwann einmal alles detailliert aufdecken.

Die Oberschlauen werden gleich wieder kreischen, dass Abbas (PA) doch ein Holocaustleugner sei und so weiter und so fort. Sie sehen nicht, welches Spiel Israel spielt und dass es auf eine Zerstörung der Zweistaatenlösung hinausläuft, die ja die Hamas auch nicht will.

Der ehemalige Chef des Mossad, ein Zionist (die Bibi-Fans werden ihn als Antisemiten entlarven!), Yossi Cohen, fordert den sofortigen Rücktritt von Netanyahu.

Würde es in Deutschland Israelfreund*innen geben, so würden sie zu Zehntausenden, ja Hunderttausenden gegen die Kriegspolitik von Netanyahu demonstrieren, einen „Deal“ fordern, die Rückkehr der Geiseln und das sofortige Ende des Krieges.

Sie würden auch für ein Ende der aktuellen Regierung demonstrieren, gegen Rassismus und Nationalismus sowie die Drohung der israelischen Regierung, in wenigen Wochen fast die gesamte Westbank zu annektieren und somit jeglichen möglichen Frieden mit den Palästinensern, die Zweistaatenlösung, zu zerstören, jedenfalls für unabsehbare Zeit zerstören, wenn nicht für immer.

Und ohne eine solche Zweistaatenlösung hat der einzige Judenstaat keine Chance, weder im Nahen Osten noch weltweit. Netanyahu hat die engsten Partner Israels beleidigt, vor den Kopf gestoßen und direkt oder indirekt als Antisemiten beschimpft, England, Frankreich, Deutschland und auch jene Teile des US-Establishments, das sich jetzt – nicht obwohl, sondern weil sie zionistisch sind im US-Kongress! – gegen die israelische Kriegspolitik ausspricht.

Viki Cohen, die Mutter des von der Hamas als Geisel gehaltenen Nimrod Cohen, betont bei einer Großkundgebung in Jerusalem, dass „ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch liegt“, das Netanjahu jedoch nicht unterzeichnen will.

„Es liegt ein vollständiges Abkommen auf dem Tisch, ein Abkommen, das meinen Sohn und alle Geiseln zurückbringen wird“, sagt sie vor der Residenz des Premierministers. „Mein sensibler Junge … Ich habe keine Ahnung, wie er mit dem Höllenfeuer in Gaza zurechtkommt.“

Sie sagt, dass mehrere Familien von Geiseln in der vergangenen Woche Anrufe von Geheimdienstmitarbeitern erhalten hätten, in denen ihnen mitgeteilt wurde, dass die jüngste Ausweitung der IDF-Operation in Gaza-Stadt ihre Angehörigen in Gefahr bringe.

Bekanntlich sind Forderungen nach „Wandel“ oder „was Neues beginnen“ auch Kennzeichen, ewiges Kennzeichen, kapitalistischer Vergesellschaftung. Es geht immer weiter, bis zur nächsten Krise, zur nächsten Innovation, aber es bleibt immer gleich, dass Menschen wie Waren behandelt werden. Daher ist es kein Zufall, dass auch x-beliebige „Manager“ Bob Dylan hören, neoliberale Verwerter der Welt, die Kulturindustrie frisst alles und alles wird zum Fraß. Es gibt über 500 Cover-Versionen des Liedes.

Aber ich würde es denn mal zur Abwechslung friedenspolitisch und zionistisch rezipieren, es muss Wandel geben, die Demonstrant*innen in Jerusalem, Tel Aviv und ganz Israel von heute zeigen ihn an, jedenfalls viele von ihnen. Netanyahu ist aktuell der „größte Feind des jüdischen Volkes“, so sagte es heute Einav Zangauker, die Stimme des Hostage Forum.

Und auch in der Diaspora müssen die Juden endlich aufwachen, genauso wie die nicht-jüdischen Pro-Israel Aktivist*innen, sie müssen ihren Masada-Komplex bearbeiten und ablegen oder überwinden, so schwer das den meisten auch fällt.

Bob Dylan hat 1964 in Worte gefasst, was die biedere, spießige, realitätsferne deutsche Pro-Israel-Szene bis heute nicht gelernt hat und nie lernen wird:

Come mothers and fathers

Throughout the land

And don’t criticize

What you can’t understand

Your sons and your daughters

Are beyond your command

Your old road is rapidly agin’

Please get out of the new one if you can’t lend your hand

For the times they are a-changing.

The Masada-Complex (1-3)

The Times of Israel | Blogs | Clemens Heni | Sept. 2, 5, 8

This essay will be published in three parts:

The Masada-Complex (1)

Until recently, Michael Schiffer worked for the US organization USAID. Prior to that, he was employed by the US Department of Defense and as a staff member of the US Senate Foreign Relations Committee.

Schiffer is an American Jew.

He is a Zionist and has dedicated his entire life to Israel.

Now he is settling scores.

With himself. With American Jews. With Israel under Netanyahu. With me. With you. With ‘us’.

With the pro-Israel scene.

Part 1, Sept. 2, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-1/

Part 2, Sept. 5, 2025

https://blogs.timesofisrael.com/the-masada-complex-2/

Part 3, Sept. 8, 2025

 

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

  • Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.
  • Prof. Eva Illouz, Professor, Sociology, Hebrew University of Jerusalem, Directrice d’Etudes at the École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

c/o Edition Critic

Kolonnenstr. 8

10827 Berlin

Germany

Hilferuf aus Israel: „Wir halten es nicht mehr aus“

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Treffen sich zwei alte Bekannte am Bahnhofskiosk in Berlin, Zoologischer Garten, der eine ist Abonnent einer linken Publikumszeitschrift und hatte sie heute schon im Briefkasten gefunden, der andere blätterte grade in ihr rum:

„Eine Hungersnot! Eine Katastrophe! Stell dir das vor. Zwei!, sagt der Abonnent.

Ja, zwei. Von der Hungersnot bedroht, in unterschiedlicher Intensität. Ja, einfach unglaublich. Und alle schauen weg, grade ‚wir Linken‘.

Ganz genau.

Also zwei Millionen.

Hallo? Ich meinte „ZWEI“ – zwei Menschen sind von der Hungersnot bedroht, zwei israelische Geiseln, es gibt doch die schockierenden Videos der Hamas.

Ja, das ist unerträglich, Nazi-style Propaganda dieser Muslim-Faschos. Aber es gibt neben diesen zwei hungernden Geiseln noch zwei Millionen Palästinenser die hungern.

Spinnst du? Die hungern doch nicht, die essen absichtlich zu wenig, damit Israel wieder als der Böse dasteht.

Das meinst du nicht ernst, oder?

Doch.“

Diese Szene hat es heute wirklich in Berlin am Zoologischen Garten gegeben. Es gibt Zeuginnen und Zeugen.

 

Die Verkommenheit der Linken ist seit Jahren mit Händen greifbar. Aber jetzt dieser Realitätsverlust in Bezug auf israelische Kriegsverbrechen. Diese Autoren dünken sich pro-israelisch, dabei schaden sie dem Judenstaat ganz extrem, wenn sie die Propaganda der israelischen Regierung für die Wahrheit nehmen, dass es keine Hungersnot gebe. Oder dass es keine absichtlichen Morde an Zivilist*innen geben würde. Oder dass es keine Siedlergewalt in extremem Ausmaße im Jahr 2025 im Westjordanland gebe. Oder dass es keine Aufrufe der rechtsextremen Regierungsmitglieder für „ethnische Säuberung“ und Wiederbesiedelung Gazas geben würde.

Während laut dem französischen Soziologen Emile Durkheim von 1893 die „mechanische Solidarität“ die traditionelle, ’stammesgebundene‘ vorindustrielle Solidarität meint, ist die „organische Solidarität“ auf der kapitalistischen Arbeitsteilung basierend. Sie meint auch und gerade die Solidarität der Atomisierten, der Fremden, der Arbeitskolleg*innen, die nicht mit einem verwandt sind. Und diese „organische Solidarität“ gebe es in Israel nicht, so die Haaretz-Journalistin Noa Limone am 28. August 2025. Zwar habe es in Israel eine ganz außergewöhnliche und beeindruckende innerisraelische Solidarität nach dem genozidalen Massaker der Muslimfaschisten der Hamas vom 7. Oktober 2023 gegeben. Ärztinnen und Ärzte halfen spontan und kostenlos, Menschen zu versorgen oder zu therapieren, Bürger*innen spendeten Kleider, Nahrung, boten Wohnungen an, es war ein großer Zusammenhalt in Israel spürbar. Doch was ist jetzt mit der Solidarität israelischer Wissenschaftler*innen mit denen in Gaza, wo es dort keine Unis mehr gibt? Wo die Solidarität israelischer Kameramänner oder TV-Journalist*innen mit den von der IDF im Nasser-Krankenhaus vorsätzlich in einem perfiden Doppelschlag ermordeten Kolleg*innen? Noa Simone sieht da keine Solidarität:

Aus dieser Perspektive ist jeder Journalist, Arzt und Professor aus Gaza automatisch ein Terrorist. In Israel triumphiert immer die nationale Identität, wodurch andere Identitäten und Perspektiven marginalisiert und minimiert werden. Deshalb ist die Solidarität in Israel begrenzt. Deshalb ist auch die Zivilgesellschaft, die wir so sehr gelobt haben, nicht wirklich zivil.

(alle Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Text von CH)

Wir haben es in Deutschland, dem Land mit der größten Moral und den intelligentesten Autor*innen, grade bei den Linken, überhaupt mit einer Volksgemeinschaft der philosemitischen Antisemiten zu tun, die sich hinter Israelfahnen verstecken und weder Emmanuel Levinas noch Eva Illouz oder die Haaretz je gelesen haben oder heute lesen und diskutieren.

Wir haben es mit Leuten zu tun, die so obsessiv dabei sind, der israelischen Regierung noch jede Lüge zu glauben, dass man sie weder als Journalisten oder Autoren noch als Menschen jemals wieder ernst nehmen kann.

Und trotzdem: Es gibt noch etwas Hoffnung in diesen Zeiten des Niedergangs und der moralischen Abgründe.

Ein Journalist der Haaretz schreibt am 27. August 2025 einen Hilferuf an die Welt und vor allem an Europa. Jene, die Israel liebten, sollten die aktuelle Regierung mit allen Mitteln bekämpfen, das ist die Kernforderung. Es geht dem Autoren, Uri Misgav, nicht um die rein formale Anerkennung eines Staates Palästina, er wendet sich logisch gegen einen BDS-mäßigen Boykott Israels. Misgav ist Zionist. Er ist aber ein Linkszionist und er kann es ethisch, moralisch und persönlich nicht mehr ertragen. Er möchte befreit werden von der rechtsextremen, religiös-faschistoiden Regierung von Benjamin Netanyahu:

Wir brauchen dringend Ihre und eure Hilfe. Wir wurden von einer kriminellen Bande entführt, die unser demokratisches System ausgenutzt hat, um an die Macht zu kommen, und nun versucht, diese Demokratie zugunsten eines tyrannischen Regimes mit faschistischen und ultranationalistischen Zügen zu zerstören. Das ist eine alte und bekannte Geschichte, die sich schon an anderen Orten abgespielt hat. Dieses Mal ist es uns passiert. Wir dachten, wir könnten das alleine bewältigen; es schien sogar, als wären wir auf dem richtigen Weg.

Er erwähnt den U2-Musiker Bono, der für seinen Zionismus und seine scharfe Attacke auf Benjamin Netanyahu legendär ist.

Der in Israel für Skandale, Aufdeckungen, aber auch Fehleinschätzungen bekannte Haaretz-Autor Uri Misgav endet seinen Text mit folgender flehender Bitte, die die paar wenigen linken und liberalen Israelfreunde aufwecken sollten, wenn sie noch einen Restbestand an Menschen- und Zionsliebe in sich tragen sollten:

Deshalb brauchen wir Sie, um einen wirksamen Weg zu finden, den Krieg und diese Regierung zu stoppen. Berufen Sie eine große internationale Konferenz ein, wie es in der Vergangenheit bereits mehrfach geschehen ist, unter der Führung Europas. Es stimmt, dass sowohl wir als auch Sie ein ernstes Problem mit der aktuellen amerikanischen Regierung haben. Versuchen Sie, ohne sie voranzukommen. Machen Sie Europa wieder großartig.

Es besteht keine Notwendigkeit, Tel Aviv zu bombardieren, wie Sie es in Serbien getan haben.

Ein Embargo für Angriffswaffen und die Androhung, die Beziehungen abzubrechen, werden ausreichen.

Bringen Sie einfach Netanjahu und seine verabscheuungswürdigen Gefolgsleute in die Knie und helfen Sie uns, ihn in den Mülleimer der Geschichte zu befördern.

Wir flehen Sie an: Jetzt ist es an der Zeit. Wir halten es nicht mehr aus.

Was jedoch die selbst ernannten Israelfreund*innen in Deutschland am wenigsten leiden können, sind nicht Nazis oder die Hamas, nein, was sie wirklich am allermeisten regelrecht hassen sind Linkszionist*innen aus Israel. Sie hassen die Kritik an Netanyahu. Sie hassen den Realitätsbezug der Kritiker*innen in Israel.

Diese „Israelfreund*innen“ lieben den Realitätsverlust und die staatliche Propaganda aus Jerusalem.

Daher wird auch dieser Hilferuf aus Israel bei diesen Fanatiker*innen nicht gehört werden. Aber der bürgerliche Mainstream, welche Ironie, der könnte dafür offen sein. Vorneweg ein Mann, der Israel retten möchte: der französische Präsident Macron, womit sich die Haaretz die letzten Tage intensiv beschäftigt hat.

Was die Linken in Israel gelernt haben, haben die strunzdeutschen Linken nie verstanden: Der Feind steht im eigenen Land. Wenn das in jedem bestehenden Land erkannt wird, dann kommt die Revolution.

Der Masada-Komplex

 

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Michael Schiffer arbeitete bis vor kurzem für die US Organisation USAID, zuvor war er auch im US-Verteidigungsministerium sowie als Mitarbeiter im US Senate Foreign Relations Committee beschäftigt.

Schiffer ist ein amerikanischer Jude.

Er ist ein Zionist und hat sich sein ganzes Leben für Israel eingesetzt.

Jetzt rechnet er ab.

Mit sich selbst. Mit den amerikanischen Juden. Mit dem Israel unter Netanyahu. Mit mir. Mit dir. Mit Ihnen. Mit ‚uns‘.

Mit der Pro-Israel-Szene.

Innehalten.

In seinem Text auf der Times of Israel (TOI) am 25. August 2025, der von der Redaktion der TOI als „featured“ Artikel hervorgehoben und in zwei Tagen über 200 Mal kommentiert wurde, schreibt Schiffer Folgendes:

Als amerikanischer Jude und ehemaliger US-Sicherheitsbeamter habe ich mein ganzes Erwachsenenleben damit verbracht, mich mit der komplexen Beziehung zwischen meiner jüdischen Identität, meinen amerikanischen Werten und meiner Unterstützung für Israel auseinanderzusetzen.

Wie viele meiner Generation wuchs ich mit Geschichten über den Holocaust und das Wunder der Wiedergeburt Israels auf, lernte die Notwendigkeit der jüdischen Selbstbestimmung kennen und wurde gelehrt, dass Israel die besten jüdischen Werte verkörpert, die in einem modernen demokratischen Staat zum Ausdruck kommen. Dieser Glaube ist nun zerbrochen.

(Alle Übersetzungen in diesem Text von CH)

Sein Beitrag hat eine intellektuelle, moralische wie jüdische analytische Tiefe, die man bei nahezu keiner jüdischen zionistischen Autorin, keinem jüdischen zionistischen Autoren in Deutschland und schon gar nicht bei den nicht-jüdischen ach-so-dermaßen-pro-israelischen deutschen und sonstigen Aktivist*innen oder gar Wissenschaftler*innen finden kann.

Denn Schiffer sagt:

Die Folgen dieser Sicht der Dinge sind nun für alle in Gaza sichtbar. Was als legitime Reaktion auf die schrecklichen Angriffe der Hamas vom 7. Oktober begann, hat sich zu etwas entwickelt, das gegen alle ethischen Grundsätze verstößt, die dem Judentum heilig sind. Ganze Stadtteile wurden ausgelöscht. Familien hungern, während Lebensmittel-Lkw an den Grenzen warten. Kinder sterben an vermeidbaren Krankheiten, weil Lebensmittel und Medikamente als Waffen eingesetzt werden. Die Bilder, die jeden Tag über unsere Bildschirme flimmern, zeigen nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern einen moralischen Zusammenbruch, der jeden erschrecken sollte, der behauptet, im Namen jüdischer Werte zu sprechen.

Selbstverständlich ist es sehr gut, wenn Menschen pro-israelisch aktiv sind. Wenn sie nicht unpolitisch dahinleben, sich nur um Konsum und Familie oder Familie und Konsum oder Alleinsein und Konsum, die günstigsten Flugtickets oder das beste Biobrot oder Pärchen-Urlaube und Konsum kümmern, sondern sich einmischen. Demokratisch aktiv sind, sich sowohl gegen Nazis wehren als auch gegen die arabischen und türkischen Antisemiten in den Kiezen von Berlin, wo man selbst eh nicht mehr leben möchte.

Es ist sehr gut wenn Menschen sich gegen Judenhass und Antisemitismus einmischen. Daher gibt es seit ca. 2000/2002 eine neue Pro-Israel-Szene in Deutschland, vorangetrieben von den Antideutschen. Doch auch Liberale, Bürgerliche und zunehmend Konservative mischen seit Jahren in dieser Szene mit. Sie hat erreicht, dass der Bundestag 2019 die antisemitische BDS-Bewegung als antisemitisch deklarierte.

Sie hat einige Preisverleihungen an antiisraelische Agitator*innen verhindert oder gestört. Diese Szene hat ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass Israel aktiv unterstützt werden muss und dass Zionismus Selbstbestimmung und Souveränität bedeutet. Sie haben den linken und muslimischen Antisemitismus seit dem 11. September 2001 klar erkannt und dazu Bücher publiziert, Vorträge gehalten, Demonstrationen und Kundgebungen gemacht, Texte publiziert und Diskussionen entfacht, im bürgerlichen Feuilleton wie in linken Medien.

Viele haben den postkolonialen Antisemitismus decodiert, andere auch den neu-rechten Antisemitismus attackiert und manche gar Holocaustverharmlosung zum Thema gemacht, auch wenn das nur marginal vorkam, da man sich dann ja auch mit dem Antisemitismus in der Ukraine und den Pro-Holocausttäter-Denkmälern dort befassen müsste, und das will diese Pro-Israel-Szene nicht.

Aber unterm Strich hat sie sich zumindest mit dem antizionistischen Antisemitismus intensiv befasst, diese Szene. Seit ca. 25 Jahren.

Und ich war ein Teil davon. Und wir haben alle Schuld auf uns geladen, weil wir zu oft und die meisten immer geschwiegen haben, wenn es um den Masada-Komplex ging.

Mit Sexismus oder Trump hatten nur Teile dieser Szene je ein Problem, mit Holocaustverharmlosung, wenn sie aus Litauen oder der tschechischen Republik oder der Ukraine kommt, hatte diese Szene von Anfang an ohnehin kaum Probleme.

Dann kam auch noch Corona dazu und die Szene feierte die menschenfeindliche, medizinisch katastrophale, nicht evidenzbasierte, irrationale Coronapolitik und den Pandemic Turn der Regierungen Merkel und Scholz. Jeder selbst denkende Epidemiologe und jede Kritikerin wurden als Schwurbler, Nazi oder Antisemit öffentlich auf dem Marktplatz der a-sozialen Medien, im Radio, TV, Supermarkt oder auf der Straße öffentlich gesteinigt.

Dann kam der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.

Anstatt die Friedensangebote des autokratischen Herrschers Putin von Dezember 2021 zu diskutieren und sich zu verpflichten, dass wenigstens die Ukraine kein NATO-Mitglied wird, nachdem der Westen schon mit der Mitgliedschaft nahezu aller anderen osteuropäischen Staaten sein Versprechen von Februar 1990 gebrochen hatte, „not one inch“ würde sich die NATO gen Osten ausbreiten, wenn sich DDR und BRD zusammentäten (wie auch immer das geschehen würde), feierten gerade die Deutschen die Hetze gegen Russland.

27 Millionen tote Sowjetbürger und Russen im Zweiten Weltkrieg durch Nazi-Deutschland?

Historische Verantwortung der Deutschen gegenüber Russland? Lachhaft!

Peanuts verglichen mit den wunderschönen Denkmälern für Holocausttäter, die es in der Ukraine gibt – kleiner zwar, aber doch schöner noch als das Denkmal für ‚unseren‘ Nationalisten und völkischen Patron Hermann den Cherusker in Detmold/Bielefeld.

So handelten und agitierten sie von der ARD und dem ZDF über die CDU, CSU, FDP, SPD, Olaf Scholz hin zu den Grünen. Fast 100 Prozent der Israelszene waren stramm für die arme Ukraine, nutzten das Bild von Selenskyii als Profilbild bei Facebook oder X und schmückten sich auf Instagram, TikTok oder am WG-Fenster oder im Fenster der schicken Altbauwohnung mit Dachterrasse mit einer kleinen Ukrainefahne und wollten keine politikwissenschaftlichen, diplomatiegeschichtlichen oder ideologiekritischen Seminare mehr hören. Waffen für die Ukraine. „Zeitenwende“. „Sondervermögen“ für die Bundeswehr, 100 Milliarden und in Zukunft bis zu 30 Prozent des Bundeshaushalts für das Kriegsministerium!

Das ist Militarismus, wie wir ihn seit 1945 nicht mehr schreien hörten im Parlament und auf den Kasernenhöfen und in den Talkshows, die damals noch anders hießen. Alles für unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde. Und vor allem für die geschundene deutsche Seele seit 1945. Jetzt erst können wir wirklich frei sein und uns an „dem“ Russen rächen. Endlich. Was für eine Zeit!

Das entschuldigt Putin nicht. Aber es setzt Kontexte.

Und hätte die Ukraine wenigstens einmal auf die Kritiker*innen gehört, hätte sie Hunderttausende Tote weniger und nahezu keinen Gebietsverlust (bis auf die Krim), da bekanntlich im April 2022 ein solcher Friedensschluss auf dem Tisch lag und alle dafür waren, Putin, Selenskyii, nur der antikommunistisch-kapitalistische Hetzer Boris Johnson aus England, Panzer-Toni und vor allem fast die gesamte politische Elite in Deutschland – aber zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit der Bevölkerung – wollten das nicht und so geht der Krieg bis heute weiter.

Aber immerhin war die Pro-Israel-Szene weiterhin für Israel, wenigstens etwas. Immerhin.

Denn immerhin setzt die Kritik am Antisemitismus auch jenen Stolzdeutschen ein Stoppschild vor die völkische Nase, die jetzt wieder nassforsch fordern, Israel zu kritisieren, würde „uns Deutsche“ doch erst so richtig frei machen, noch freier als das Schießen auf Russen – weil die sechs Millionen toten Juden „uns“ doch immer noch daran hinderten, auch Juden zu kritisieren.

Doch der Umkehrschluss ist fatal: nur weil Antisemiten sich befreit fühlen, wenn es aus Deutschland kritische Worte an den tatsächlichen Freund Israel gibt – und kein rationaler Mensch wird der aktuellen oder einer der paar letzten Bundesregierungen wirklich Israelhass vorwerfen wollen – darf das nicht heißen, auch aus zionistischer Sicht endlich lautstarke Kritik zu üben.

Und darum geht es Michael Schiffer. Er kritisiert Israel ja aus der Sicht eines amerikanisch-zionistischen Juden.

Was ist nun der Masada-Komplex? Michael Schiffer analysiert ihn:

Der Krieg in Gaza hat etwas zutiefst Beunruhigendes offenbart, was aus Israel unter der Führung von Benjamin Netanjahu geworden ist – und was amerikanische Juden wie ich durch jahrzehntelange reflexartige Unterstützung und vorsätzliche Blindheit ermöglicht haben. Was wir derzeit erleben, ist nicht nur eine fehlgeschlagene Militäraktion, sondern der Triumph einer destruktiven Mythologie, des Masada-Komplexes: eine Belagerungsmentalität, die das Opferdasein verherrlicht, Selbstzerstörung als Heldentum heiligt und jede Herausforderung in einen existenziellen Kampf verwandelt, der jede Reaktion rechtfertigt, egal wie moralisch verwerflich sie auch sein mag.

Und folgende Selbstreflexion von Schiffer ist in Deutschland wirklich von nahezu keinen Pro-Israel Aktivist*innen zu hören, zu einer solchen Selbstkritik und Introspektion sind sie hierzulande einfach nicht in der Lage:

Die amerikanischen Juden tragen eine besondere Verantwortung für diese Katastrophe. Seit Jahrzehnten unterstützen wir die Politik Israels, während wir uns selbst von ihren Folgen abschirmen. Wir haben Israels Erfolge gefeiert und seine Misserfolge ignoriert, Milliarden für die Aufrechterhaltung der Siedlungen gespendet, während wir behaupteten, nichts von deren Zweck zu wissen, und reflexartig Handlungen verteidigt, die wir verurteilen würden, wenn sie von einer anderen Nation unternommen würden.

Diese Mitschuld wurde durch unsere eigene Version des Masada-Komplexes ermöglicht, einer Mythologie, die jede Kritik an Israel als Untreue gegenüber dem Überleben der Juden, jeden Ausdruck palästinensischer Menschlichkeit als Verrat am Leid der Juden und jeden Ruf nach Gerechtigkeit als Einladung zu einem weiteren Holocaust darstellt. Wir haben zugelassen, dass aus einem Trauma eine Doktrin wurde, und die Lehren aus dem Leiden der Juden zur Rechtfertigung für die Unterdrückung der Palästinenser gemacht.

Man muss sich nicht beruflich mit der Philosophie von Emmanuel Levinas beschäftigt haben, um wenigstens zu erahnen, was für schreckliche Folgen diese jahrzehntelange Politik dieser ‚Engagierten‘ für Israel für das Judentum und die jüdische Ethik und für den Zionismus hat:

Dies stellt einen tiefgreifenden Verrat an den jüdischen ethischen Lehren dar. Uns wird geboten, „rachamim b’nei rachamim” zu sein – mitfühlende Kinder mitfühlender Vorfahren. Uns wird gelehrt, dass die Rettung eines einzigen Lebens der Rettung der ganzen Welt gleichkommt. Von unseren Weisen lernen wir, dass „es der Weg der Tora ist, sogar unsere Feinde zu ernähren, wenn sie hungrig sind”. Und die Lehren aus dem Holocaust, aus „Nie wieder”, müssen in den größeren Zusammenhang der Lehre von Rabbi Hillel und seiner zweiten berühmten Frage gestellt werden: „Wenn ich nur für mich selbst da bin, wer bin ich dann?” Doch Israel verstößt heute systematisch gegen jeden dieser Grundsätze, begeht Kriegsverbrechen und verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht, während es behauptet, in unserem Namen zu handeln.

Deshalb muss dieser Krieg jetzt enden. Die Geiseln müssen sofort freikommen. Die Hamas darf keine politische Rolle mehr spielen, aber zu glauben, man könne sie komplett als Guerilla ausschalten, ist völlig aberwitzig und absurd. Das weiß auch die IDF-Führung, wenn sie ehrlich ist.

Es geht aber um viel mehr, wie Michael Schiffer in seinem herausragenden Text betont. Es geht auch um die Siedlungspolitik im Westjordanland, um öffentliche Aufrufe zur „ethnischen Säuberung“, die weder in den USA noch in Deutschland Schockwellen unter Israelfreunden verursachen, sondern Schulterzucken. Und das seit wenigstens 25 Jahren, wo es in Deutschland diese neue und hörbare Israelsolidarität gibt.

Der Masada-Komplex ist wirklich überall zu sehen, seit vielen Jahren.

Da werden zurecht antizionistische Hetzer*innen kritisiert, aber niemals auch anders gelagerte, aber ebenso bekämpfenswerte Tendenzen wie jüdisch-religiöse Fanatiker*innen oder rechtsextreme Politiker Israel in den Blick genommen.

Die meisten glauben wirklich – und viele mit tatsächlich gutem Gewissen oder aus Naivität – dass es doch pro-israelisch genug ist, sich für Israel einzusetzen, mit Städtepartnerschaften oder Austauschprogrammen, Anstecknadeln, Schals, Kettelchen oder Texten, Kundgebungen und Stickern, Aufklebern, Memes und so weiter. Sie merken nicht, dass ohne eine Kritik am israelischen Rechtsextremismus, der IDF-Kriegsführung und religiösen Fanatismus und der Kritik an den offenkundigen Kriegsverbrechen in Gaza kein Frieden jemals kommen wird. Es liegt nicht nur an den Islamfaschisten der Hamas. Punkt.

Diese Leute aus der Israelszene erkennen oftmals noch nicht einmal, was es bedeutet, dass die arabischen Staaten jetzt die Hamas loswerden wollen, ganz ernsthaft und erstmals und den 7. Oktober verurteilt haben. Und was macht Israel? Es weitet den Krieg aus, lässt die Geiseln im Stich und siedelt weiter obsessiv im Westjordanland, das sehr viele genüßlich als Judäa und Samaria bezeichnen, auch säkulare Spinner, die gar nicht merken, wie antiisraelisch das ist.

Es gibt eine riesige Anzahl von Antisemiten in diesem Land. Aktivist*innen, die Israel auslöschen wollen und am 7. Oktober gefeiert oder geschwiegen haben. Wir haben alle Bekannte, Freund*innen, Arbeitskolleg*innen verloren, also jene, die wir eventuell noch nicht während Corona und nicht während dem Ukraine-Krieg verloren hatten, sprich: von den sehr wenigen, die noch da waren, sind noch weniger übrig geblieben.

Viele, die gegen die Corona-Maßnahmen waren, haben sich als Antisemiten gezeigt. Viele, die für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges sind, finden eine Einstaatenlösung für Israel super.

Aber selbst wenn wir ignorieren, dass weiteste Teile der Israelszene geistig, polisch und menschlich während Corona und während dem Ukraine-Krieg völlig versagt haben, bleibt jetzt nicht einmal mehr die herkömmliche Israelsolidarität übrig.

Daher gilt es den Text von Michael Schiffer, der sicher für sehr viele zumindest amerikanisch-jüdisch-zionistische Juden sprechen dürfte, wahrzunehmen, ihn ernstzunehmen und zu diskutieren.

Denn jetzt so zu tun, wie es Netanyahu und alle seine Fans in Deutschland oder USA tun, als ob alle pro-israelischen westlichen Regierung von Paris über London bis Rom und Canberra antisemitisch seien, das ist absurd und indiziert mal wieder einen Realitätsverlust.

Es zeigt zudem und das ist dramatisch, dass Israel und seine „Fans“ wirklich überhaupt nicht verstanden haben, was auf dem Spiel steht.

Michael Schiffer, der sein Leben dem Zionismus und der Unterstützung Israel gewidmet hat, sieht diese Abgründe:

Israel steht am Rande eines Abgrunds, und die amerikanischen Juden stehen ihm zur Seite. Die Frage ist, ob wir endlich den Mut finden werden, uns vom Abgrund zurückzuziehen, oder ob wir der Logik von Masada bis zu ihrem unvermeidlichen Ende folgen werden: einem Mord-Selbstmord-Pakt im Namen eines hohlen Sieges.

Ein Staat Palästina ist eben leider die Basis dafür, dass Israel in Frieden leben könnte. Es wäre ein Staat ohne Panzer und Armee und natürlich wäre es besser, es gäbe kein islam-faschistisches Regime im Iran, das im Zweifelsfall versuchen könnte, einen Staat Palästina aufzurüsten. Aber das ist seit 25 Jahren und noch länger klar.

Israel hatte auch Zeit, Zeichen zu geben für eine Annäherung an die Palästinenser bei gleichzeitigem Kampf gegen Teheran. Doch Israel hat Siedlungen gebaut und möchte weiter bauen, E1 reicht als Stichwort. Es möchte Gaza wieder besiedeln.

All das muss kritisiert und nicht nur mit der vorschnellen (vorschnell? Nach fast 60 Jahren Besatzung? hm… ) Anerkennung Palästinas durch Frankreich und England und andere im September 2025 bei den Vereinten Nationen umgegangen werden. Aber nur auf diese Anerkennung zu schauen und laut „nein“ zu schreien, ohne Israels Politik ganz grundsätzlich der letzten 25 Jahre zu hinterfragen in vielen Aspekten – und das gerade aus zionistischer Perspektive, das ist doch die Pointe – das ist zu billig, zu einfach, zu kurz gedacht, zu reduktionistisch und es ist gefährlich.

Das ist der Masada-Komplex. Wir sind umzingelt und lieber töten wir uns alle selbst, bevor wir in Verhandlungen gehen oder Fehler zugestehen, Kompromisse suchen.

Das meint meines Erachtens Michael Schiffer.

Wann soll denn der Prozesse der Staatenbildung einsetzen, nach bald 60 Jahren Besatzung? Die oberschlauen und de facto Israelfeinde kreischen dann sofort, dass es noch nie einen Staat Palästina gegeben habe. So what? Es gibt eine UN-Resolution an die sich Israel halten wollte, offiziell. Und die besagt, einen arabischen (=palästinensischen) und einen jüdischen Staat.

Millionen Israelis wollen Netanyahu weg haben, den Krieg beenden und alle Geiseln frei haben. Und das gleichzeitig. Zehntausende, manchmal auch Hunderttausende demonstrieren dafür jede Woche und mitunter alle paar Tage im ganzen Land. Ein kleiner Teil davon demonstriert auch dagegen, mit Hunger Krieg zu führen wie es Israel tut.

Die IDF hat nicht unabsichtlich jetzt dieses Krankenhaus beschossen und 5 Journalist*innen ermordet.

Das war kein Zufall. Wer Zeugenberichte der letzten Monate von IDF-Soldaten gelesen hat, weiß das.

Die deutsche Israel-Szene weiß es nicht und diffamiert jeden, der es ausspricht, als Verräter oder Antisemiten. So einfach ist deren Welt. Es ist ein obsessiver Philosemitismus, der viel vom Fanatismus des Antisemitismus hat, nur vordergründig anders gepolt. Am Ende führen beiden zum Ende des einzigen Judenstaates.

Aber all das wollen sie nicht hören.

Die Worte von Michael Schiffer aus den USA werden in Deutschland ignoriert werden, so wie jede substantielle zionistische Kritik an Netanyahu verhallte und weiter verhallen wird.

So lange, bis Israel, moralisch hoch erhoben und ohne einen einzigen Freund, Masada spielen wird, wie die Pro-Israel-Szene in Deutschland und weltweit. Helden, aber tot.

Schiffer resümiert:

Die Entscheidung, vor der wir stehen, ist klar: Wir können den Weg der moralischen Mitschuld weitergehen und zusehen, wie Israel sich selbst zerstört und die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Juden mit sich reißt, oder wir können uns auf die prophetische Tradition besinnen, die Gerechtigkeit fordert, auch wenn – oder gerade wenn – sie die Macht herausfordert.

 

 

 

What is a “genocide”? Some scholary remarks

The Times of Israel | Blogs | 24 August, 2025 | Clemens Heni

There are massive war crimes in Gaza, committed by the IDF, including hunger policies and the intentional shooting of civilians. However, this is still not a “genocide” as all anti-Semites from Australia to Germany and New York City claim. Let us listen for a minute or two to the scholarship of genocide.

Why are there outside of Israel truly nowhere rallies against Hamas AND against the current Israeli government, the War and for a better Zionist Israel?

Then, remember, most antisemitic activists used the slur “genocide” against Israel as early as October 2023, immediately after the genocidal massacres of Oct. 7, where the intention was to kill as many Jews as possible and to humiliate them in the worst way. If Hamas had enough weaponry, they would have killed tens of thousands of Israeli.

https://blogs.timesofisrael.com/what-is-a-genocide-some-scholary-remarks/

 

Das antizionistische Israel und die Hungersnot in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am heutigen 22. August 2025 wurde erstmals im Nahen Osten eine Hungersnot festgestellt.

Im Bezirk Gaza, inklusive Gaza-City, wurde von der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) die Stufe 5 einer akuten Hungersnot erklärt. Die Stufe 5 ist die schlimmste Stufe. Schon vor Monaten wurde vor einer Hungernot gewarnt, aber Israel hat nichts getan, um die von Israel zu verantwortende Krise abzumildern. Im Gegenteil: die aktuell laufende „Eroberung“ von Gaza-City wird nicht nur die Geiseln gefährden, sondern auch die palästinensische Bevölkerung.

Der 59-seitige Bericht der IPC zeigt detailliert, dass die örtliche Nahrungsmittelversorgung, inklusive der Landwirtschaft und der Zugang zu sauberem Wasser, nahezu vollständig in sich zusammengebrochen sind und durch den Krieg zerstört wurden.

Die israelische Regierung gibt entgegen ihrer Leugnung einer Hungersnot in Gaza, zu, dass es diese gibt, und zwar indirekt:

„There is no famine in Gaza,“ the ministry said, accusing the IPC of presenting a report „based on Hamas lies laundered through organizations with vested interests.“

„Over 100,000 trucks of aid have entered Gaza since the start of the war, and in recent weeks a massive influx of aid has flooded the Strip with staple foods and caused a sharp decline in food prices, which have plummeted in the markets,“ the ministry said.

Wie die Tagesschau berichtet, ist das eine viel zu geringe Zahl an LKWs:

Die Zahl der von Israel veröffentlichten Lastwagen-Lieferungen lässt sich derzeit nicht unabhängig bestätigen. 100.000 Lkw-Ladungen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, wie Hilfsorganisationen wiederholt betont haben. Vor dem 7. Oktober 2023 kamen nach Angaben der Organisation Medico International zwischen 500 bis 600 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das ergäbe bei dem seit 685 Tagen andauernden Krieg eine Menge von 342.500 bis 411.000 Lastwagen – deutlich mehr als die von Israel verzeichneten 100.000 Lkw. Hinzu kommt, dass der Bedarf durch die massive Zerstörung der Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen nun deutlich höher liegen dürfte als vor Beginn des Krieges.

Damit wäre nur ca. 25% der notwendigen Menge an Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Gaza gekommen. Zudem hat die komplette Blockade von 11 Wochen im Frühjahr 2025 die 2 Millionen Menschen im Gazastreifen extrem geschwächt, zusätzlich zu den Traumatisierungen durch permanentes Schießen, durch Explosionen, Panzergeräusche, Maschinengewehre und so weiter.

Dass das alles vorbei wäre, würde es einen Aufstand gegen die Hamas geben, ist wahrscheinlich. Aber die Hamas lässt die Geiseln nicht frei und Israel tut spätestens seit April 2024 alles, um einen „Deal“ zu verhindern.

Wie ein ehemaliger enger Berater des damaligen US-Außenministers Blinken jetzt im israelischen Fernsehen auf Channel 13 sagte, hat Netanyahu gleich zu Beginn des Krieges klar gemacht, dass ihm völlig egal sei, was die USA denken und dass der Krieg unendlich lange gehen wird.

Das wiederum hat sehr viel mit der rechtsextremen und religiösen, messianischen Ideologie der aktuellen israelischen Regierung und weiter Teile Israels zu tun. Darauf weist ein Kritiker des Messianismus in einem Gespräch auf Haaretz hin. Er meint, dass in wenigen Jahren kein Linker mehr in Israel leben werde, weil die Gesellschaft total religiös fanatisiert sei. Dafür spricht der rassistische Messianismus des Projektes E1 im Westjordanland, das einen palästinensischen Staat verhindern wird, wie Minister Smotrich verkündet.

Ich habe im Juni 2022 über die katastrophalen Konsequenzen des E1-Projektes berichtet („Schwanengesang der Israelsolidarität, „sekundärer Analphabetismus“ oder Kritik am „linearen Denken“ von Corona über die Ukraine bis zu Israel?“).

Der ehemalige Vizechef der israelischen Luftwaffe Nimrod Sheffer sagt in einem Gespräch mit der Zeit am 18. August 2025, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil er sinnlos ist:

Israel hat in Gaza mehr Gewalt eingesetzt als in jedem anderen Krieg in der Geschichte. Und das auf einem sehr kleinen Gebiet und gegen eine Terrororganisation – nicht gegen die mächtige ägyptische Armee oder die syrische Armee wie 1973. Wie kann der Einsatz von noch mehr militärischer Macht etwas erreichen, was wir in den letzten zwei Jahren nicht erreicht haben? Das geht nicht. Diejenigen, die sagen, wir werden die Hamas völlig vernichten, indem wir noch mehr Gewalt anwenden, führen uns in die Irre.

Der außenpolitische Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit, Jörg Lau, hat in einem Gespräch mit seiner Kollegin, der Journalistin Hannah Grünewald, am 31. Juli 2025 verdeutlicht, dass die aktuelle Kriegspolitik Israel dem Staat Israel enormen Schaden zufügt und dass die Situation für die hungernden Palästinenser*innen im Gazastreifen katastrophal ist. Grünewald unterstreicht das in einem längeren Intro, in dem sie die verschiedenen Kritiken an Israels Kriegsführung in Gaza darstellt. Es wird in dem Gespräch deutlich, dass beide eine pro-israelische Haltung haben und ziemlich fassungslos sind, zumal der langjährige Nahostexperte Jörg Lau, wie Israel sich verhält und Länder vor den Kopf stößt, die doch klar pro-israelisch sind.

Kein Politiker Israels hat Israel so stark isoliert wie Netanyahu. Ob das überhaupt wieder zu reparieren ist, ist völlig unklar. Er unterstellt ja allen diesen Ländern Judenhass und Antisemitismus – und das ist eine Diffamierung von klar als Israelfreunden bekannten Politiker*innen, die aber jetzt die menschenverachtende Hunger- und Kriegspolitik Israels in Gaza nicht mehr mittragen können und wollen.

Das was Netanyahu repräsentiert, ist ein messianisches, nationalistisch-religiöses und somit antizionistisches Israel.

Zionismus basiert auf den Menschenrechten – nicht auf ein herbei fantasiertes Gesetz Gottes.

Zionismus basiert auf der Gleichheit der Menschen bei jüdischer Souveränität im eigenen Land – nicht auf Gesetzlosigkeit, Macht und Gewalt gegenüber jenen, die keine Juden sind im Staat Israel oder den besetzten Gebieten.

Zionismus heißt jüdisch und demokratisch – und nicht religiös-fanatisch, frauenverachtend und 12 Kinder pro Familie und eine Indoktrination der Kinder von Kindesbeinen an.

Zionismus heißt selbst denken und nicht in Yeshivas nachbeten, was andere für Hirngespinste ausgeheckt haben.

All das wird die religiöse Bewegung nicht abschrecken, gerade die israelische Armee IDF weiter zu indoktrinieren, wie der oben zitierte Aktivist und Rechtsanwalt Yair Littman Nehorai sagt. Die Verleihung des Israelpreises an den Rabbiner Eli Sadan 2016 war für ihn so ein Knackpunkt, wo der Staat offiziell eine extrem rechte, messianische Ideologie ausgezeichnet hat:

Eli Sadan ist General in der Armee von Zvi Tau – dem Vorsitzenden der Noam-Partei – und hat in Eli [einer Siedlung im Westjordanland] das Vorbereitungsprogramm für den Militärdienst mit einem klaren Ziel ins Leben gerufen: eine religiöse Revolution im Land anzuzetteln. Er wurde für seine Rolle als „Brücke“ zwischen verschiedenen Teilen der israelischen Gesellschaft ausgezeichnet, während er gleichzeitig eine Institution gründete, die das größte Projekt zur Untergrabung der demokratischen Werte Israels darstellt. Seit Jahrzehnten vermitteln er und seine Mitarbeiter jungen Menschen alle messianischen Werte: Widerstand gegen säkulare Juden, reformierte Juden, konservative Juden, LGBTQ-Personen, Linke. Gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit. (Übersetzung CH)

 

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz warnt in einem Artikel in  Haaretz am 8. August 2025 nachdrücklich und eloquent davor, dass sich die Pro-Israel Szene angesichts der schrecklichen Entwicklungen in Gaza und Israel sowie der Westbank in Schweigen hüllt.

Es muss darum gehen, den Antisemitismus genauso zu erkennen und zu bekämpfen, wie die rechtsextreme Politik von Netanyahu zu erkennen und zu bekämpfen, im Zweifel auch mit Sanktionen – das sagt eine linke Zionistin:

Die Welt braucht rote Linien. Wenn die Regierung Netanjahu die dauerhafte Besetzung des Gazastreifens anstrebt und wenn sie, wie sie es versucht hat, die juristischen – und damit demokratischen – Schutzmechanismen des eigenen Staates untergräbt, dann könnten Sanktionen eine angemessene Reaktion sein.

In der Zwischenzeit dürfen Freunde Israels nicht die Augen vor dem Wesen der Regierung in Jerusalem, ihren fehlgeleiteten Prioritäten, ihrer Inkompetenz und ihrem nicht mehr zu rechtfertigenden Krieg gegen den Gazastreifen verschließen. (Übersetzung CH)

Wenn man sich angesichts dessen Texte in der Jüdischen Allgemeinen oder Äußerungen von Aktivist*innen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft oder nahezu jeder Pro-Israel NGO anschaut, kann man nur den Kopf schütteln: so viel Realitätsverweigerung ist nicht auszuhalten. Diese Leute merken wirklich (!) nicht, dass sie Juden und Israel schaden, wenn sie nicht die Regierung Netanyahu und die rechtsextrem-messianische Ideologie Israels kritisieren.

Mit einer dauerhaften Besatzung Gazas, mit neuen Siedlungen und dem E1-Projekt wird es keinen Staat Palästina geben – und das wiederum wird Israel on the long run zerstören. Wer das nicht sieht, will es nicht sehen und ist kein Freund eines demokratischen und jüdischen Staates Israel, dem einzigen Judenstaat. Die Neue Rechte muss in den USA so bekämpft werden wie in Israel, Ungarn, Italien, Deutschland, Holland oder wo immer – genauso wie der linke Populismus und Antisemitismus kritisiert werden muss, ob er nun Regierungsmacht hat oder in der Opposition ist.

Nimrod Sheffer, der IDF-Soldat, hat mehr Erfahrung von Militär als die meisten in der deutschen Pro-Israel Szene und hält kategorisch fest:

Jeder, der etwas von Truppeneinsatz, Operationen und militärischer Macht versteht, weiß, dass es keine Möglichkeit gibt, den letzten Terroristen zu töten oder das letzte AK-47-Sturmgewehr zu zerstören. Es gibt keinen Grund dafür, den Krieg weiterzuführen und dafür einen so hohen Preis zu zahlen. Das zu tun ist unmoralisch. Wenn das Militär seine Rolle erfüllt hat, die Fähigkeiten der Gegenseite zu zerstören, dann muss die Diplomatie übernehmen. Und das ist der fehlende Teil.

Ob es darüber hinaus strategisch noch besser gewesen wäre, die diplomatische und weltweite Unterstützung Israels direkt nach dem 7. Oktober, in eine Allianz gegen die Hamas und den Iran zu schmieden, wie es der Jurist, Völkerrechtler und Zionist Irwin Cotler meint, sei dahingestellt. In jeden Fall hat der anfangs nachvollziehbare Krieg gegen die Hamas seit langer Zeit seine Berechtigung verloren.

Dass jetzt Israel für die erste Hungersnot im Nahen Osten verantwortlich ist und Milliarden Menschen Israel mit den Bildern von hungernden Kindern assoziiert, das geht auf das Konto der Hamas, die den Krieg begonnen hat und ohne die es ihn nicht geben würde – es geht aber ebenso auf das Konto von Benjamin Netanyahu, der diesen Krieg nur führt, weil er Panik hat, endlich dahin zu kommen, wo ihn Millionen Israelis sehen: ins Gefängnis, wegen Korruption und mittlerweile auch wegen Kriegsverbrechen.

Dass eine Demokratie wie Israel Hunger als Waffe einsetzt, hätte niemals passieren dürfen. Das beschädigt den Zionismus und es tötet Palästinenser und Palästinenserinnen, jung wie alt. Das Bild des bis auf die Knochen abgemagerten 18-monatigen Jungen Mohammed al-Mutawaq ging um die Welt, die New York Times brachte es auch. Und dann gibt es wirklich viele Leute in dieser Pro-Israel-Szene, die sogleich – medizinisch ‚geschult‘ und menschlich am Ende – feststellen wollten, dass der arme Junge genetisch vorerkrankt sei.

Das bringt den Kinderarzt Professor Dan Turner aus Israel völlig aus der Fassung. In einem ausführlichen Gespräch mit der Times of Israel sagt er, dass der Hunger diesen Jungen so zugerichtet hat und keine noch so dramatische genetische Vorerkrankung. Ja schlimmer noch: gerade wenn das Kind vorerkrankt ist, hätte es umso bessere Ernährung und medizinische Hilfe benötigt, so Turner.

Turner berichtet darüber hinaus von Rassismus und menschenverachtenden Maßnahmen in israelischen Krankenhäusern, die man nicht glauben kann, man muss sich den Podcast anhören, um das von einem, der es live gesehen hat, wie Dan Turner gesagt bekommen, wie z.B. ein 12- oder 13-jähriger palästinensischer Junge, dem ein Bein amputiert worden war, weil israelische Soldaten den unbewaffneten Jungen angeschossen hatten (es gab nie ein Verfahren gegen den Jungen wegen Angriffs auf die IDF, so Turner), am nächsten Morgen mit beiden Händen am Bett gefesselt lag.

Noch in vielen Jahren und Jahrzehnten werden die Palästinenser aus Gaza von dieser Hungersnot gezeichnet sein – zwei Millionen Menschen (abzüglich der Muslim-Faschisten der Hamas und des Islamischen Jihad). Das ist ein Trauma und erschütternd. Wie soll da jemals Frieden entstehen?

Es geht ganz grundsätzlich darum endlich zu erkennen, dass beide Seiten große Schuld haben. Die Palästinenser am präzedenzlosen Massaker vom 7. Oktober, der zweiten Intifada und vielen weiteren Terroranschlägen. Und Israel wegen der seit 1967 andauernden Besatzung und der Weigerung, Palästinensern wirklich zuzuhören.

Das muss sich ändern, auch wenn die Chancen dafür nie so schlecht waren wie heute.

Aber die Regierung Netanyahu muss zerbrechen, wenn Israel – als jüdischer und demokratischer Staat – überleben will – und natürlich darf keine Regierung folgen, die genauso extremistisch ist…

Die obige sehr menschenverachtende Krankenhausgeschichte passierte lange vor dem 7. Oktober und zeigt eine (nicht zuletzt patriarchale) Gewaltförmigkeit, die der tief brutalisierten israelischen Gesellschaft eigen ist. Das kommt gleichwohl nicht von ungefähr, seit 1948 ist das Land von Feinden umzingelt.

Aber das rechtfertigt nicht die Demütigung des Anderen, wie Immanuel Kant oder der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas sagen würden.

Der Arzt und Zionist Dan Turner bringt es auf den Punkt:

Unsere Feinde menschlich zu behandeln, macht uns zu Menschen. (Übersetzung CH)

Doch davon will die deutsche Pro-Israel Szene lieber schweigen.

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

 

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

– Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

c/o Edition Critic

Kolonnenstr. 8

10827 Berlin

Germany

Diversity in the Pro-Israel camp?

Is there still diversity in the pro-Israel camp like in the UK, the US or Germany? Recent developments, hunger in Gaza, the ongoing suicidal war of Israel in Gaza and aggressive right-wing activists in the Diaspora are a real problem in the pro-Israel camp. Let’s face it.

https://blogs.timesofisrael.com/diversity-in-the-pro-israel-camp/

See also this report at TOI, including a link to the video with the speech of Rabbis Charley Baginsky and Josh Levy

https://www.timesofisrael.com/progressive-rabbis-booed-off-stage-at-uk-hostage-rally-after-backing-palestinian-state/

The Entire speech by the two rabbis, which has been cut short by the authoritarian organizers of the event, including the group „Stop the Hate“, can be read here:

https://www.jewishnews.co.uk/the-speech-progressive-rabbis-werent-allowed-to-finish-at-downing-st-demo/

Another piece in Jewish News argues that British Jews should acknowledge that the Zionist camp is deeply divided:

https://www.jewishnews.co.uk/opinion-its-time-to-stop-pretending-that-our-community-is-united/

Aufruf zum Generalstreik in Israel

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Das Projekt des Zionismus war klar. Sicherheit und Souveränität für Juden in einem eigenen Staat. So wie alle anderen Völker einen Staat haben – und zudem gar nicht von Vernichtung bedroht sind, weder 1892, 1939 oder heute. Dieses Versprechen ist zentral für den einzigen Judenstaat:

Leave no one behind.

Das macht jede heutige Ablehnung des Zionismus zu einem antisemitischen Vorgang. Wer Juden verweigert, was allen anderen zugestanden wird, ein eigener Staat und vor allem Sicherheit vor Antisemitismus, der oder die handelt antijüdisch, antisemitisch, antizionistisch. Diese drei Adjektive sind dann deckungsgleich.

Sicher sind nicht alle als pro-palästinensisch bezeichneten Demonstrationen nach dieser Definition antisemitisch, aber doch die allermeisten. Gab es zuletzt Redner*innen auf solchen Events, die sich mit Israel- und Palästinafahne in Deutschland (oder England, Belgien, Frankreich, Slowenien oder in den USA) für die Zweistaatenlösung und explizit für einen jüdischen und demokratischen Staat Israel einsetzten?

Israel kämpft um jede einzelne Staatsbürgerin und jeden einzelnen Staatsbürger, und seien es die sterblichen Überreste von vor vielen Jahren.

Doch jetzt ist das zu Ende. Israel lässt die Geiseln sehenden Auges krepieren.

Die rechtsextreme, national-religiöse bis faschistoide Regierung unter Benjamin Netanyhau, der ja selbst ernannte Faschisten wie Bezalel Smotrich angehören („Israels rechtsextremer Finanzminister bezeichnet sich selbst als ‚faschistischen Homophoben‘, will aber ‚Homosexuelle nicht steinigen‘„, Januar 2023, alle englischen Zitate von CH übersetzt), gibt den Kampf um die vermutlich noch lebenden 20 Geiseln und die 30 sterblichen Überreste bereits durch die Hamas und die Palästinenser im Zuge des präzedenzlosen Massakers vom 7. Oktober 2023 Entführten und Ermordeten auf.

Es geht mit der angekündigten vollständigen oder fast vollständigen Besatzung des Gazastreifens um den geplanten Mord nicht nur an palästinensischen Zivilist*innen, sondern auch um die Hinnahme des Mordes durch die Hamas von den verbliebenen und vermutlich noch lebenden 20 Geiseln, von dem Aufgeben der Überführung der Überreste der 30 bereits Ermordeten nicht zu schweigen.

Ein Op-Ed Kommentar in der Times of Israel von Yuval Yoaz, der zuerst auf Hebräisch in einem anderen Medium erschienen war, betont sogar, dass rechtswissenschaftlich gesehen die drei führenden juristischen Vertreter*innen des Staates, die Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara, der stellvertretende Generalstaatsanwalt für internationales Recht Gilad Noam und die leitende Militäranwältin der israelischen Armee IDF Yifat Tomer-Yerushalmi, sich schuldig machten, wenn sie nicht gegen offenkundige Kriegsverbrechen Israels aktiv würden. Das könnte dazu führen, dass diese drei bei Auslansbesuchen Haftbefehle vorgelegt bekommen.

Gleichzeitig forderten gestern Zehntausende Demonstrant*innen in Tel Aviv einen Generalstreik angesichts der angedrohten Ausweitung des Gazakrieges. So sprach sich gestern Anat Angrest für einen Generalstreik aus – ihr Sohn Matan ist einer der 20 vermutlich noch lebenden Geiseln der Hamas, des Islamischen Jihad und der Palästinenser.

Am heutigen Sonntag haben jetzt die Angehörigen der Geiseln zu einem Generalstreik in Israel am kommenden Sonntag aufgerufen. Die Times of Israel schreibt:

Der Generalstreik, der bereits von führenden Persönlichkeiten der Opposition unterstützt wird, wird vom sogenannten Oktober-Rat organisiert, der die Familien vertritt, die vom Massaker der Hamas am 7. Oktober betroffen sind.

Er wird allerdings nicht von der mächtigen Gewerkschaft Histadrut unterstützt, nachdem ein Gericht in Tel Aviv ihr im vergangenen Jahr untersagt hatte, einen Streik auszurufen, um die Regierung zu einem Geisel- und Waffenstillstandsabkommen in Gaza zu zwingen, da es die Angelegenheit als politisch und nicht als mit den Arbeitnehmerrechten verbunden einstufte.

Oppositionsführer Yair Lapid unterstützt den landesweiten Streik und twittert, dass die Forderung der Familien der Geiseln, „die Wirtschaft lahmzulegen, gerechtfertigt und würdig ist. Wir werden weiterhin an ihrer Seite stehen.“

Die befreite Geisel Sharon Aloni-Cunio, deren Mann David Cunio noch gefangengehalten wird von der Hamas, sprach gestern ebenfalls in Tel Aviv:

‚Jetzt, wo die ewigen Kriegstreiber uns alle in eine schreckliche Katastrophe treiben, tun sie das ja nicht einmal für die Geiseln – sie sagen laut und deutlich, dass sie bereit sind, die Geiseln zu opfern‘, sagte sie und kritisierte die Entscheidung der Regierung ganz vehement, die Kämpfe auszuweiten und Gaza-Stadt einzunehmen.

Man kann sich die Qualen nicht vorstellen, die all diese Angehörigen und Freund*innen der Geiseln durchmachen. Gibt es noch Wasser zum Trinken für die Geiseln? Kriegen sie überhaupt noch was zu essen? Werden sie geschlagen, gefoltert, sexuell missbraucht, gedemütigt? Wie können sie ohne Tageslicht überleben? Müssen sie gebückt stehen? Können Sie ausgestreckt liegen? Es ist nicht vorstellbar. Einav Zangauker, die bekannteste Stimme der Angehörigen, sagte gestern in Tel Aviv auf der Demo:

‚Eine ganze Gemeinde wird von der Hamas und der israelischen Regierung als Geisel gehalten‘, sagte Einav Zangauker, Mutter der Geisel Matan Zangauker. ‚Was muss getan werden? Das Land muss jetzt zum Stillstand kommen.‘

Und doch muss man sehen, dass es nur Zehntausende waren, gestern, die demonstrierten, nicht die 300.000 allein in Tel Aviv, die noch 2023 gegen die Justizreform oder die Entlassung des Verteidigungsministers Gallant (der mittlerweile per internationalem Haftbefehl ausgeschrieben ist) demonstrierten. Schon damals ging es allerdings nicht um die Besatzungspolitik und die Verbrechen der Siedler im Westjordanland. Und heute scheint die Hungersnot in Gaza sowie die fast völlige Zerstörung der Infrastruktur – bei unglaublicher Hitze! – keine Hunderttausenden (wenigstens bei etwas weniger heißen Temperaturen am späten Abend) auf die Straßen Israels zu bringen.

Das Land ist müde. Erschöpft. Moralisch von dem nie dagewesenen Massaker auf eigenem Boden vom 7. Oktober geschwächt wie nie. Aber diese Schwäche ist seit spätestens 2024 umgeschlagen in eine ziellose Brutalität und ein Töten, das insbesondere Zivilist*innen trifft.

Wenn, wie zitiert, die eigenen juristischen Mechanismen nicht mehr greifen und nicht klar ist, dass Kriegsverbrechen im eigenen Land geahndet werden – dann hat sogar der Internationale Strafgerichtshof (ICC) juristisch womöglich tatsächlich etwas in der Hand:

Der Internationale Strafgerichtshof kann nur dann eingreifen, wenn ein Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Ermittlungen ernsthaft durchzuführen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen.

Für diese mutwillige Zerstörung jüdischer Souveränität, des Zionismus, jüdischer Ethik und Moral ist vorneweg, weil er die meiste Macht hat, ein Mann persönlich verantwortlich: Benjamin Netanyahu.

 

Update, 12.08.2025

More universities, 70 local authorities, to support Aug. 17 strike in support of hostages

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