The Berlin International Center for the Study of Antisemitism

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Das antizionistische Israel und die Hungersnot in Gaza

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am heutigen 22. August 2025 wurde erstmals im Nahen Osten eine Hungersnot festgestellt.

Im Bezirk Gaza, inklusive Gaza-City, wurde von der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) die Stufe 5 einer akuten Hungersnot erklärt. Die Stufe 5 ist die schlimmste Stufe. Schon vor Monaten wurde vor einer Hungernot gewarnt, aber Israel hat nichts getan, um die von Israel zu verantwortende Krise abzumildern. Im Gegenteil: die aktuell laufende „Eroberung“ von Gaza-City wird nicht nur die Geiseln gefährden, sondern auch die palästinensische Bevölkerung.

Der 59-seitige Bericht der IPC zeigt detailliert, dass die örtliche Nahrungsmittelversorgung, inklusive der Landwirtschaft und der Zugang zu sauberem Wasser, nahezu vollständig in sich zusammengebrochen sind und durch den Krieg zerstört wurden.

Die israelische Regierung gibt entgegen ihrer Leugnung einer Hungersnot in Gaza, zu, dass es diese gibt, und zwar indirekt:

„There is no famine in Gaza,“ the ministry said, accusing the IPC of presenting a report „based on Hamas lies laundered through organizations with vested interests.“

„Over 100,000 trucks of aid have entered Gaza since the start of the war, and in recent weeks a massive influx of aid has flooded the Strip with staple foods and caused a sharp decline in food prices, which have plummeted in the markets,“ the ministry said.

Wie die Tagesschau berichtet, ist das eine viel zu geringe Zahl an LKWs:

Die Zahl der von Israel veröffentlichten Lastwagen-Lieferungen lässt sich derzeit nicht unabhängig bestätigen. 100.000 Lkw-Ladungen reichen jedoch bei Weitem nicht aus, wie Hilfsorganisationen wiederholt betont haben. Vor dem 7. Oktober 2023 kamen nach Angaben der Organisation Medico International zwischen 500 bis 600 Lastwagen täglich in den Gazastreifen. Das ergäbe bei dem seit 685 Tagen andauernden Krieg eine Menge von 342.500 bis 411.000 Lastwagen – deutlich mehr als die von Israel verzeichneten 100.000 Lkw. Hinzu kommt, dass der Bedarf durch die massive Zerstörung der Infrastruktur und landwirtschaftlichen Flächen nun deutlich höher liegen dürfte als vor Beginn des Krieges.

Damit wäre nur ca. 25% der notwendigen Menge an Lebensmitteln und Hilfsgütern nach Gaza gekommen. Zudem hat die komplette Blockade von 11 Wochen im Frühjahr 2025 die 2 Millionen Menschen im Gazastreifen extrem geschwächt, zusätzlich zu den Traumatisierungen durch permanentes Schießen, durch Explosionen, Panzergeräusche, Maschinengewehre und so weiter.

Dass das alles vorbei wäre, würde es einen Aufstand gegen die Hamas geben, ist wahrscheinlich. Aber die Hamas lässt die Geiseln nicht frei und Israel tut spätestens seit April 2024 alles, um einen „Deal“ zu verhindern.

Wie ein ehemaliger enger Berater des damaligen US-Außenministers Blinken jetzt im israelischen Fernsehen auf Channel 13 sagte, hat Netanyahu gleich zu Beginn des Krieges klar gemacht, dass ihm völlig egal sei, was die USA denken und dass der Krieg unendlich lange gehen wird.

Das wiederum hat sehr viel mit der rechtsextremen und religiösen, messianischen Ideologie der aktuellen israelischen Regierung und weiter Teile Israels zu tun. Darauf weist ein Kritiker des Messianismus in einem Gespräch auf Haaretz hin. Er meint, dass in wenigen Jahren kein Linker mehr in Israel leben werde, weil die Gesellschaft total religiös fanatisiert sei. Dafür spricht der rassistische Messianismus des Projektes E1 im Westjordanland, das einen palästinensischen Staat verhindern wird, wie Minister Smotrich verkündet.

Ich habe im Juni 2022 über die katastrophalen Konsequenzen des E1-Projektes berichtet („Schwanengesang der Israelsolidarität, „sekundärer Analphabetismus“ oder Kritik am „linearen Denken“ von Corona über die Ukraine bis zu Israel?“).

Der ehemalige Vizechef der israelischen Luftwaffe Nimrod Sheffer sagt in einem Gespräch mit der Zeit am 18. August 2025, dass der Krieg sofort beendet werden muss, weil er sinnlos ist:

Israel hat in Gaza mehr Gewalt eingesetzt als in jedem anderen Krieg in der Geschichte. Und das auf einem sehr kleinen Gebiet und gegen eine Terrororganisation – nicht gegen die mächtige ägyptische Armee oder die syrische Armee wie 1973. Wie kann der Einsatz von noch mehr militärischer Macht etwas erreichen, was wir in den letzten zwei Jahren nicht erreicht haben? Das geht nicht. Diejenigen, die sagen, wir werden die Hamas völlig vernichten, indem wir noch mehr Gewalt anwenden, führen uns in die Irre.

Der außenpolitische Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit, Jörg Lau, hat in einem Gespräch mit seiner Kollegin, der Journalistin Hannah Grünewald, am 31. Juli 2025 verdeutlicht, dass die aktuelle Kriegspolitik Israel dem Staat Israel enormen Schaden zufügt und dass die Situation für die hungernden Palästinenser*innen im Gazastreifen katastrophal ist. Grünewald unterstreicht das in einem längeren Intro, in dem sie die verschiedenen Kritiken an Israels Kriegsführung in Gaza darstellt. Es wird in dem Gespräch deutlich, dass beide eine pro-israelische Haltung haben und ziemlich fassungslos sind, zumal der langjährige Nahostexperte Jörg Lau, wie Israel sich verhält und Länder vor den Kopf stößt, die doch klar pro-israelisch sind.

Kein Politiker Israels hat Israel so stark isoliert wie Netanyahu. Ob das überhaupt wieder zu reparieren ist, ist völlig unklar. Er unterstellt ja allen diesen Ländern Judenhass und Antisemitismus – und das ist eine Diffamierung von klar als Israelfreunden bekannten Politiker*innen, die aber jetzt die menschenverachtende Hunger- und Kriegspolitik Israels in Gaza nicht mehr mittragen können und wollen.

Das was Netanyahu repräsentiert, ist ein messianisches, nationalistisch-religiöses und somit antizionistisches Israel.

Zionismus basiert auf den Menschenrechten – nicht auf ein herbei fantasiertes Gesetz Gottes.

Zionismus basiert auf der Gleichheit der Menschen bei jüdischer Souveränität im eigenen Land – nicht auf Gesetzlosigkeit, Macht und Gewalt gegenüber jenen, die keine Juden sind im Staat Israel oder den besetzten Gebieten.

Zionismus heißt jüdisch und demokratisch – und nicht religiös-fanatisch, frauenverachtend und 12 Kinder pro Familie und eine Indoktrination der Kinder von Kindesbeinen an.

Zionismus heißt selbst denken und nicht in Yeshivas nachbeten, was andere für Hirngespinste ausgeheckt haben.

All das wird die religiöse Bewegung nicht abschrecken, gerade die israelische Armee IDF weiter zu indoktrinieren, wie der oben zitierte Aktivist und Rechtsanwalt Yair Littman Nehorai sagt. Die Verleihung des Israelpreises an den Rabbiner Eli Sadan 2016 war für ihn so ein Knackpunkt, wo der Staat offiziell eine extrem rechte, messianische Ideologie ausgezeichnet hat:

Eli Sadan ist General in der Armee von Zvi Tau – dem Vorsitzenden der Noam-Partei – und hat in Eli [einer Siedlung im Westjordanland] das Vorbereitungsprogramm für den Militärdienst mit einem klaren Ziel ins Leben gerufen: eine religiöse Revolution im Land anzuzetteln. Er wurde für seine Rolle als „Brücke“ zwischen verschiedenen Teilen der israelischen Gesellschaft ausgezeichnet, während er gleichzeitig eine Institution gründete, die das größte Projekt zur Untergrabung der demokratischen Werte Israels darstellt. Seit Jahrzehnten vermitteln er und seine Mitarbeiter jungen Menschen alle messianischen Werte: Widerstand gegen säkulare Juden, reformierte Juden, konservative Juden, LGBTQ-Personen, Linke. Gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit. (Übersetzung CH)

 

Die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz warnt in einem Artikel in  Haaretz am 8. August 2025 nachdrücklich und eloquent davor, dass sich die Pro-Israel Szene angesichts der schrecklichen Entwicklungen in Gaza und Israel sowie der Westbank in Schweigen hüllt.

Es muss darum gehen, den Antisemitismus genauso zu erkennen und zu bekämpfen, wie die rechtsextreme Politik von Netanyahu zu erkennen und zu bekämpfen, im Zweifel auch mit Sanktionen – das sagt eine linke Zionistin:

Die Welt braucht rote Linien. Wenn die Regierung Netanjahu die dauerhafte Besetzung des Gazastreifens anstrebt und wenn sie, wie sie es versucht hat, die juristischen – und damit demokratischen – Schutzmechanismen des eigenen Staates untergräbt, dann könnten Sanktionen eine angemessene Reaktion sein.

In der Zwischenzeit dürfen Freunde Israels nicht die Augen vor dem Wesen der Regierung in Jerusalem, ihren fehlgeleiteten Prioritäten, ihrer Inkompetenz und ihrem nicht mehr zu rechtfertigenden Krieg gegen den Gazastreifen verschließen. (Übersetzung CH)

Wenn man sich angesichts dessen Texte in der Jüdischen Allgemeinen oder Äußerungen von Aktivist*innen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft oder nahezu jeder Pro-Israel NGO anschaut, kann man nur den Kopf schütteln: so viel Realitätsverweigerung ist nicht auszuhalten. Diese Leute merken wirklich (!) nicht, dass sie Juden und Israel schaden, wenn sie nicht die Regierung Netanyahu und die rechtsextrem-messianische Ideologie Israels kritisieren.

Mit einer dauerhaften Besatzung Gazas, mit neuen Siedlungen und dem E1-Projekt wird es keinen Staat Palästina geben – und das wiederum wird Israel on the long run zerstören. Wer das nicht sieht, will es nicht sehen und ist kein Freund eines demokratischen und jüdischen Staates Israel, dem einzigen Judenstaat. Die Neue Rechte muss in den USA so bekämpft werden wie in Israel, Ungarn, Italien, Deutschland, Holland oder wo immer – genauso wie der linke Populismus und Antisemitismus kritisiert werden muss, ob er nun Regierungsmacht hat oder in der Opposition ist.

Nimrod Sheffer, der IDF-Soldat, hat mehr Erfahrung von Militär als die meisten in der deutschen Pro-Israel Szene und hält kategorisch fest:

Jeder, der etwas von Truppeneinsatz, Operationen und militärischer Macht versteht, weiß, dass es keine Möglichkeit gibt, den letzten Terroristen zu töten oder das letzte AK-47-Sturmgewehr zu zerstören. Es gibt keinen Grund dafür, den Krieg weiterzuführen und dafür einen so hohen Preis zu zahlen. Das zu tun ist unmoralisch. Wenn das Militär seine Rolle erfüllt hat, die Fähigkeiten der Gegenseite zu zerstören, dann muss die Diplomatie übernehmen. Und das ist der fehlende Teil.

Ob es darüber hinaus strategisch noch besser gewesen wäre, die diplomatische und weltweite Unterstützung Israels direkt nach dem 7. Oktober, in eine Allianz gegen die Hamas und den Iran zu schmieden, wie es der Jurist, Völkerrechtler und Zionist Irwin Cotler meint, sei dahingestellt. In jeden Fall hat der anfangs nachvollziehbare Krieg gegen die Hamas seit langer Zeit seine Berechtigung verloren.

Dass jetzt Israel für die erste Hungersnot im Nahen Osten verantwortlich ist und Milliarden Menschen Israel mit den Bildern von hungernden Kindern assoziiert, das geht auf das Konto der Hamas, die den Krieg begonnen hat und ohne die es ihn nicht geben würde – es geht aber ebenso auf das Konto von Benjamin Netanyahu, der diesen Krieg nur führt, weil er Panik hat, endlich dahin zu kommen, wo ihn Millionen Israelis sehen: ins Gefängnis, wegen Korruption und mittlerweile auch wegen Kriegsverbrechen.

Dass eine Demokratie wie Israel Hunger als Waffe einsetzt, hätte niemals passieren dürfen. Das beschädigt den Zionismus und es tötet Palästinenser und Palästinenserinnen, jung wie alt. Das Bild des bis auf die Knochen abgemagerten 18-monatigen Jungen Mohammed al-Mutawaq ging um die Welt, die New York Times brachte es auch. Und dann gibt es wirklich viele Leute in dieser Pro-Israel-Szene, die sogleich – medizinisch ‚geschult‘ und menschlich am Ende – feststellen wollten, dass der arme Junge genetisch vorerkrankt sei.

Das bringt den Kinderarzt Professor Dan Turner aus Israel völlig aus der Fassung. In einem ausführlichen Gespräch mit der Times of Israel sagt er, dass der Hunger diesen Jungen so zugerichtet hat und keine noch so dramatische genetische Vorerkrankung. Ja schlimmer noch: gerade wenn das Kind vorerkrankt ist, hätte es umso bessere Ernährung und medizinische Hilfe benötigt, so Turner.

Turner berichtet darüber hinaus von Rassismus und menschenverachtenden Maßnahmen in israelischen Krankenhäusern, die man nicht glauben kann, man muss sich den Podcast anhören, um das von einem, der es live gesehen hat, wie Dan Turner gesagt bekommen, wie z.B. ein 12- oder 13-jähriger palästinensischer Junge, dem ein Bein amputiert worden war, weil israelische Soldaten den unbewaffneten Jungen angeschossen hatten (es gab nie ein Verfahren gegen den Jungen wegen Angriffs auf die IDF, so Turner), am nächsten Morgen mit beiden Händen am Bett gefesselt lag.

Noch in vielen Jahren und Jahrzehnten werden die Palästinenser aus Gaza von dieser Hungersnot gezeichnet sein – zwei Millionen Menschen (abzüglich der Muslim-Faschisten der Hamas und des Islamischen Jihad). Das ist ein Trauma und erschütternd. Wie soll da jemals Frieden entstehen?

Es geht ganz grundsätzlich darum endlich zu erkennen, dass beide Seiten große Schuld haben. Die Palästinenser am präzedenzlosen Massaker vom 7. Oktober, der zweiten Intifada und vielen weiteren Terroranschlägen. Und Israel wegen der seit 1967 andauernden Besatzung und der Weigerung, Palästinensern wirklich zuzuhören.

Das muss sich ändern, auch wenn die Chancen dafür nie so schlecht waren wie heute.

Aber die Regierung Netanyahu muss zerbrechen, wenn Israel – als jüdischer und demokratischer Staat – überleben will – und natürlich darf keine Regierung folgen, die genauso extremistisch ist…

Die obige sehr menschenverachtende Krankenhausgeschichte passierte lange vor dem 7. Oktober und zeigt eine (nicht zuletzt patriarchale) Gewaltförmigkeit, die der tief brutalisierten israelischen Gesellschaft eigen ist. Das kommt gleichwohl nicht von ungefähr, seit 1948 ist das Land von Feinden umzingelt.

Aber das rechtfertigt nicht die Demütigung des Anderen, wie Immanuel Kant oder der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas sagen würden.

Der Arzt und Zionist Dan Turner bringt es auf den Punkt:

Unsere Feinde menschlich zu behandeln, macht uns zu Menschen. (Übersetzung CH)

Doch davon will die deutsche Pro-Israel Szene lieber schweigen.

Woke Zionism – Call for Papers / 31. Oct. 2025

 

CfP Book Project Woke Zionism

 

The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA) invites scholars, authors, intellectuals, columnists, activists and others to send us papers and articles dealing with the timely topic of “woke Zionism”.

The unprecedented crimes of Oct. 7, when Muslim and Palestinian men butchered, gang raped, tortured, burned alive, shot 1200 Jewish women, men, children, babies and Holocaust survivors and other nationals and abducted 251 Jews and others to Gaza, were the worst crimes against the Jewish people since the Shoah.

It was precisely the unthinkable brutality of the killing, the fun of torturing Jewish women and men alike, the burning alive of entire families and the joy of the murderers. Survivors, who were in their safe rooms, heard Palestinian women enjoying the homes of Israelis, they were cooking or watching Arab TV – while their husbands, brothers or sons killed all Jews they could find like in kibbutz Nir Oz.

Today we see an equally unprecedented wave of antisemitism and Jew hatred around the globe. Calls for killing Zionists appear on posters, stickers and are slogans like in Berlin, Naples, Paris, Madrid, London or New York City, to name but big European and American cities.

This book wants to give left-of center, left-wing and woke Zionists a public voice: Fighting antisemitism, including Islamism and secular anti-Zionism, while pursuing peace in the middle east, against Jewish supremacism, racism, the occupation, the War in Gaza and ultra-nationalism as well as religious messianism.

This book project is looking for papers and articles to deal with the very unusual but tremendously timely perspective of left-wing or woke Zionism. Is there still an option for a Palestinian state without abandoning the Jewish and democratic state of Israel? What about violence in the Westbank or the consequences of projects such as E1? What about the judicial overhaul by the Netanyahu government? How to fight queer anti-Zionism?

How can we heal the unprecedented shock of the brutality of Oct. 7 without aligning ourselves with the disastrous and murderous policies of the current Israeli government and the IDF in Gaza? Hunger may never ever become a strategy of war – but Israel does use hunger as a weapon, against Zionist and IDF principles of equal treatment of human beings. When did the „justified war“ against Hamas end and become an „endless war“? Why did the government abandon the hostages and when?

Then, what about Reform Judaism’s role in the current fight against antisemitism and against the War in Gaza? What about women’s rights and current far-right policies in Israel? What about the analysis of capitalist economy and the history of left-wing Zionism, including the socialist kibbutz movement?

Finally: Why do many people in the Diaspora and the (anti-woke) Zionist camps reject any public criticism of Israeli policies? Doesn’t that endanger both Jews outside of Israel and the Zionist project as such? Zionism is not a given. We have to fight for its future in a democratic and Jewish state of Israel, alongside a future Palestinian state, as Resolution 181 from November 29, 1947 stated.

 

These are some of the core topics of “woke Zionism” today. We look very much forward to your contributions. Please send us your papers and articles via email – ranging between 1000 and 5000 words, written in an essayistic or scholarly style – by Oct. 31, 2025. The book will be published by the end of 2025.

Contact information: bicsa@bicsa.org

Editors:

– Clemens Heni, PhD, Director of The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA), former Post-Doc at Yale, former Fellow at the Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism (SICSA) at Hebrew University of Jerusalem, currently teaching at Heidelberg University.

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Benjamin Netanyahus rechtsextreme Politik tötet Palästinenser und den Zionismus

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Die islamistische Terrororganisation Hamas hatte das Ziel, dass Israel nach dem schrecklichsten Massaker an Juden seit der Shoah vom 7. Oktober 2023 unverhältnismäßig zurückschlägt und sich somit international vollständig isoliert. Aber dass Israel der Hamas diesen Gefallen auf diese exzessive und blutige wie selbstmörderische Art und Weise machen würde, das hätten wohl nicht mal die mittlerweile eliminierten Hamasführer gedacht.

Israel betreibt eine völkerrechtswidrige Hungerpolitik, die Tausende, womöglich Zehntausende oder Hunderttausende der zwei Millionen Palästinenser*innen im Gazastreifen offenkundig an den Rand des Hungertods bringt. Jene, die noch Kraft haben, bei unerträglicher Hitze, kaum Wasser und Nahrung, sich ein Nahrungspaket zu sichern, laufen tagtäglich Gefahr, von IDF-Soldaten eiskalt oder in Panik, jedenfalls kriminell und völkerrechtswidrig erschossen zu werden. Der faschistische Minister und Koalitionspartner von Netanyahu, Smotrich, möchte den Gazastreifen zu einem Teil Israels machen.

Es müsste hingegen um eine Demokratie- und Anti-Islamismuspolitik in Gaza gehen – aber dazu sind die Faschisten und der obsessive Machtpolitiker und Narzisst Netanyahu selbst natürlich nicht in der Lage – wie auch? Sie wollen Israel auch im Innern zerstören, warum sollten sie für Demokratie in Gaza werben?

Es wurden, so berichten es IDF-Soldaten, Häuser einfach so zerstört – und zwar ein Großteil aller Häuser im Gazastreifen, der fast komplett unbewohnbar ist, die Flüchtlinge leben in Zelten oder Ruinen. Ob es überhaupt noch lebende Geiseln gibt, ist ungewiss. 20 israelische Geiseln lebten vor einigen Monaten vermutlich noch – aber jetzt?

Schon Ende Juni berichteten IDF-Soldaten in der Haaretz, dass sie wahllos auf Essen wartende Palästinenser schießen, teils auf Befehl. Das war schon zuvor so, weshalb 2024 auch viele, die anfangs für den Krieg waren, ihn lernten abzulehnen.

Wirklich kritische und hellsichtige Menschen wie der Zionist Irvin Cotler, ich habe über ihn berichtet, hatten von Anfang an die Hoffnung, dass Israel nach dem 7. Oktober diplomatisch geschickt agiert und den Iran weltpolitisch isoliert wie seine Proxies Hamas, Hisbollah, Houthis. Aber das Gegenteil passierte, Israel hat zwar die Führungskräfte der Hisbollah und der Hamas getötet und das iranische Atomprogramm angegriffen, aber vermutlich den Kern, auf 60 Prozent angereichertes Uran, wovon es ca. 400 kg im Iran gab, nicht getroffen. Und selbst wenn, es muss um ein Ende des iranischen Regimes gehen, was nur politisch erreicht werden kann – und mit einer Revolution im Iran.

Diplomatisch bekam Israel im Oktober 2023 enorm viel Unterstützung, nicht nur von den USA und England, sondern selbst von Deutschland und Frankreich sowie der EU. Aber der Rechtsextremismus von Netanyahu hat den Ausschlag gegeben, dass er die Geiseln als absolut tertiär für seine Politik betrachtet und die Fortführung seiner Koalition mit Faschisten wie Smotrich oder Ben Gvir hat Priorität.

Ist es nicht ein Wink für Psychoanalytiker*innen, dass Netanyahu vor wenigen Tagen eine Lebensmittelvergiftung hatte – während sie in Gaza an Hunger sterben? Hat sein Körper womöglich mehr Moral oder Ethik als er selbst? Er wird das gar nicht merken in seinem ich-verliebten Wahnsinn und seiner Terrorpolitik im Innern wie nach Außen, in Gaza wie im Westjordanland sowie gegen die Justiz in Israel. Von Arbeiter*innenrechten oder einer Sozialpolitik oder wenigstens dem leichten Einhegen der kapitalistischen Barbarei kann man ja in Zeiten des Turbo-Kapitalismus ohnehin seit Jahrzehnten nicht mehr reden, gerade auch in Israel nicht, so wenig wie in Deutschland oder den USA.

Es geht um alles. Es geht um das Töten von Palästinenser*innen und um das Ende des Zionismus.

Zionismus heißt zwei Staaten für zwei Völker.

Jüdische Faschisten wie Smotrich wollen das nicht und er hat viele Israelis hinter sich. Wären die Israelis so schockiert wie 1982, als christliche Milizen in Sabra und Schatila im Libanon bis zu 3000 Palästinenser*innen massakrierten und die israelische Besatzungmacht nur zuschaute? Damals demonstrierten sofort 350.000 Isarelis in Tel Aviv gegen diese Zulassen eines Massakers an Palästinenser*innen durch Israel.

Und heute? Heute ist Israel selbst an Massakern beteiligt, wie es ausschaut – wenn wir das Erschießen von bis zu 1000 Menschen in Gaza betrachten, die vermutlich großteils von Israel beim Warten auf Essen einfach erschossen wurden, weil ggf. junge IDF-Soldaten Panik vor Tausenden heranstürmenden, aber unbewaffneten und vor allem nur Essen suchenden Palästinensern hatten und einfach auf wehrlose Menschen schießen. Ethik bei der IDF? Das war gestern – oder vorvorgestern. Wobei, klar, das Wort Ethik und Militär ohnehin Widersprüche sind. Aber leider braucht Israel eine Armee, weil die Nachbarstaaten widerwärtige arabische Länder sind, die den einzigen Judenstaat seit 1948 zerstören wollen.

Die Tageszeitung Die Welt schreibt am 23. Juli 2025:

Auch der amerikanisch-palästinensische Analyst Ahmed Fouad Alkhatib vom Atlantic Council, der regelmäßig mit Menschen in Gaza spricht, berichtet von Wut und Protesten der Menschen gegen die Hamas. Gleichzeitig bezeichnet Alkhatib das von Israel neu eingerichtete Hilfssystem als gescheitert. „Der Hunger ist so schlimm wie nie zuvor“, sagt Alkhatib. Die Menschen wollten nur noch eines: „den Gaza-Streifen verlassen“.

Ein Scharfmacher der Jüdischen Allgemeinen und Vorsitzender des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann, hingegen schreibt:

So viele zivile Opfer wie möglich helfen dabei nur. Weshalb palästinensische Mitarbeiter der GHF [Gaza Humanitarian Foundation, CH] ermordet werden, Todeszahlen aufgebläht werden und durch bewaffnete Terroristen Chaos im Umfeld der Verteilstellen gestiftet wird. Denn auch hier gilt: Jeder tote Palästinenser, über den in den Medien berichtet wird, nützt der Hamas und schadet Israel. …
Die Hamas muss endgültig zerstört werden. Ihre Strukturen müssen zerschlagen werden. Und ihr Zangengriff muss aufgebrochen werden. Ein für alle Mal. Wenn Israel etwas aus der Geschichte gelernt hat, wenn es etwas aus dem 7. Oktober gelernt hat, dann gibt es nur eine Entscheidung. Eine schlechte Entscheidung. Aber eine richtige Entscheidung!

Schockiert über das Verhalten Israels scheint die Jüdische Allgemeine und mit ihr weite Teile der selbst ernannten Pro-Israel-Szene in Deutschland nicht zu sein. Die Welt schreibt:

Allerdings gibt es viele von Forensikern als glaubwürdig eingestufte Berichte, dass die meisten Zivilisten durch israelische Kugeln starben. Die Zeitung „Haaretz“ berichtete, dass IDF-Kommandeure den Beschuss von Menschenmengen mit scharfer Munition unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt hätten.

Der Journalist und Herausgeber der Times of Israel, David Horovitz, ist schockiert ob der Verhungerten in Gaza – für die Israel verantwortlich ist. Wenn eine Armee selbst von sich sagt, 75 Prozent des Gazastreifens zu kontrollieren, ist sie auch verantwortlich, was dort passiert. Und zwar zu 100 Prozent verantwortlich, jeder Verhungerte ist ein Opfer Israels. David Horovitz sieht entgegen der Jüdischen Allgemeinen, die sich de facto der rechtsextremen Regierung Israels anschmiegt, Israel in der Verantwortung, ja die aktuelle Politik von Netanyahu hat Israel so stark isoliert wie noch in der Geschichte Israels:

Israel, das selbst innenpolitisch völlig gespalten ist, ist dabei, die meisten seiner engsten Verbündeten zu entfremden, während die große Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit verzweifelt ein Ende des Krieges im Austausch für die Freilassung aller Geiseln fordert. (Übersetzung CH)

Das ist nichts anderes als das exakte Gegenteil zur Jüdischen Allgemeinen. Die Times of Israel fordert damit auch einen sofortigen Waffenstillstand.

Der israelische Präsident Herzog hat bei seinem ersten Besuch in Gaza seit dem 7. Oktober jetzt gezeigt, dass er keinerlei Kritik an der mörderischen Politik der IDF hat, ja er lobt die IDF für ihr angeblich jetzt besseres Kommunikationsverhalten und die Aufnahme einiger weniger ultraorthodoxer Soldaten. Kein Wort zur offenkundigen Hungersnot, von der ja auch zionistische Medien wie die Haaretz oder die Times of Israel oder auch die Welt in Deutschland berichten.

Der aktuell extrem aggressive Antisemitismus weltweit basiert darauf, dass viele das Massaker an Jüdinnen und Juden vom 7. Oktober gefeiert oder verharmlost haben.

Doch im Laufe des Krieges Israels in Gaza, der ohne jedes Ziel ist – außer der Tötung von Palästinenern und einer unglaublichen Hungerpolitik fällt diesen Fanatikern nichts ein – wird es für zionistische Freund*innen Israels zunehmend unmöglich, Israels Politik zu verteidigen – abgesehen davon, dass es eben auch ein rechtsextremes Israel geben müssen darf, ohne mit Vernichtung bedroht zu werden – wir drohen ja auch nicht Italien mit Vernichtung, ’nur‘ weil eine Faschistin oder Post-Faschistin Regierungschefin ist, was auch für Ungarn oder die USA zutrifft. Aber was ist das für ein Argument …

Die taz schreibt:

Es ist nicht kompliziert. Wenn Unschuldige tausendfach sterben, wenn Kinder verhungern, wenn israelische Geiseln in Kerkern sitzen, muss die Antwort heißen: Dieser Krieg muss enden, jetzt.

Wenn Kranke und Verletzte nicht versorgt werden, wenn Ärzte angegriffen werden, wenn Menschen auf der Suche nach Essen erschossen werden, muss es heißen: Dieser Krieg muss enden, jetzt.

Doch wer auch nur einen kleinen Restbestand an Moral und Ethik hat, fordert jetzt einen sofortigen Waffenstillstand und eine Freilassung aller Geiseln und ein Ende der unfassbar völkerrechtswidrigen und zynischen Zurückhaltung und Nicht-Verteilung von Nahrung durch die israelische Armee.

Hat der militärische und mit Hunger Menschen in die Verzweiflung treibende „Druck“ Israels zur Befreiung der Geiseln geführst? Von wegen. Er wird zum Tod der Geiseln führen, die ja bekanntlich schon im April 2024 alle freikommen hätten können – doch der Faschist Smotrich hat Netanyahu gedroht, die Koalition platzen zu lassen und Netanyahu spurte sofort.

Mehr noch: Eine Guerilla-Terrorgruppe wie die Hamas kann man nicht komplett eliminieren. Sie ist tief in der Gesellschaft verankert, doch es gibt massenhaft Hinweise, dass die Bevölkerung in immer größeren Teilen die Hamas ablehnt, davon berichtet auch der oben zitiert Welt-Text.

Auch die israelische Friedensaktivistin Rotem Sivan, die vor 30 Jahren selbst als IDF_Soldatin in Gaza war und weiß, wovon sie spricht, ist unendlich näher dran an der Realität als die Jüdische Allgemeine. In einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte sie vor wenigen Tagen:

Sie haben den Krieg ursprünglich unterstützt, weil Israel sich nach dem 7. Oktober gegen die Hamas verteidigen musste?
Zu Beginn des Krieges bestand die Aufgabe darin, die Geiseln zurückzubringen, die Sicherheit Israels wiederherzustellen. Als mein Sohn später als Reservist in die Armee zurückkehrte, war es schon eine völlig andere Mission. Jetzt ist das Einzige, was die Armee tut, Häuser zu zerstören. Eines nach dem anderen.

Der schockierende, aber so typische extrem rechte Text aus der Jüdischen Allgemeinen hat keinen näheren Einblick in die Situation in Israel, das merkt man beim Lesen – denn alle Waffenstillstandsforderungen beinhalten immer auch die Forderung nach der Rückkehr der Geiseln, aber nicht den „totalen Sieg“ über die Hamas, weil ein Großteil der israelischen Bevölkerung besser denken kann als Netanyahu. Eine Guerillagruppe wie die Hamas kann man nicht komplett ausschalten. Wer das meint, möchte alle Palästinenser vertreiben, was ja Teile der israelischen Regierung auch offen fordern und Netanyahu lässt sie das fordern.

Der in Deutschland Asyl suchende Anti-Hamas-Aktivist und Friedenskämpfer aus Gaza, Hamza Howidy, schreibt täglich gegen die Hamas und gegen den israelischen Krieg. Am 23. Juli 2025 postet er auf Facebook:

Vier Tage lang sind mutige Stimmen in Tel Aviv auf die Straße gegangen, unsere Brüder und Schwestern in Menschlichkeit, um gegen die Hungersnot in Gaza zu protestieren. Sie fordern ein sofortiges Ende des Krieges, ein Ende des Leidens im Gazastreifen und die Freilassung aller israelischen Geiseln.
Genug mit diesem Blutvergießen. (Übersetzung CH)

Und ja, auch ich habe lange Zeit bis 2024 einen Waffenstillstand abgelehnt – weil ich nicht mit Irvin Cotler gesprochen hatte, obwohl ich ihn immer wieder auf Konferenzen bis 2015 in Israel oder den USA getroffen und mit ihm diskutiert hatte. Jetzt fehlte so eine kritische Stimme und ich war gefangen im Delirium und dem fanatischen Kokon jener in Deutschland, die meinen Pro-Israel zu sein. Was viele überhaupt nicht sind, da sie keine tiefere Ahnung von Menschenrechten und dem Zionismus haben.

So sehen es auch sehr viele – sehr viele – junge und bislang zionistische Leute in den USA. Hier ist ein typisches und eloquentes Beispiel:

In den Wochen nach dem 7. Oktober gab es unfassbare Aufrufe von Knessetmitgliedern und Militärs, den Gazastreifen unterschiedslos zu bombardieren, ja den Gazastreifen platt zu machen, „den Feind zu nakben“, Hunderttausende zur Flucht aus dem Gazastreifen zu zwingen, „den Gazastreifen auszulöschen“, die Bevölkerung des Gazastreifens zu Hunger und Durst zu zwingen und einen „territorialen Preis“ für die Rückgabe des Gazastreifens an die Juden zu fordern, an der Tagesordnung.

Ich habe diese Kommentare damals ignoriert oder entschuldigt, weil ich die Psyche der Israelis zu dieser Zeit verstand – weil ich sie auch fühlte.

Nicht die blinde Wut, wahllos zu töten, sondern die Angst, den Kummer und die Sehnsucht nach einem Preis, der zu zahlen ist. Ich hatte nicht erwartet, dass Israel tatsächlich an diesen Punkt gelangen würde, an dem sich diese Emotionen in motivierte Handlungen verwandelt haben, selbst fast zwei Jahre nach diesem schrecklichen Tag. (Übersetzung CH)

Ziemlich exakt so ging es mir auch – aber die typischen Jüdische Allgemeine-Leser*innen oder Maxim Biller-Fans haben eine solche Selbstreflektion vermutlich nicht.

Dabei habe ich schon vor vielen Jahren Netanyahus rechtsextreme Politik scharf kritisiert, aber unter dem schockierenden Eindruck der unbeschreiblichen Gräuel durch die Hamas an Jüdinnen und Juden war auch ich wie gelähmt, was eine kritische Reflektion zumal des eloquenten Menschenfängers Netanyahu betrifft.

Netanyahu persönlich ist verantwortlich für das unfassbare Töten in Gaza und er wird den Zionismus vollends zerstören.

Das wäre dann der komplette Sieg der Hamas, die Benjamin Netanyahu über viele Jahre mit Milliarden Dollar via Katar unterstützt hat, um einen Keil zwischen Gaza (Hamas) und dem Westjordanland (Fatah) zu treiben.

Friedenspolitik geht anders. Zionismus geht anders.

 

Update:

Wie die Times of Israel am 24. Juli 2025 berichtet: Der Faschist Amichay Eliyahu, ein Minister für „jüdisches Erbe“ (Heritage) der israelischen Regierung möchte den ganzen Gazastreifen von Palästinensern säubern und mit Juden besiedeln, eine aktuelle und belegte Hungersnot leugnet der Fascho. Der Oppositionspolitiker Lapid attackiert den Rechtsextremismus und Rassismus von Eliyahu – einem Minister von Netanyahu, der Gaza komplett von Palästinensern säubern will.

Zugleich kündigt der französische Präsident Macron an, im September 2025 den Staat „Palästina“ völkerrechtlich anzuerkennen bei den Vereinten Nationen.

Der Jewish Forward und die Rabbinerin Jill Jacobs nehmen sich am 23. Juli 2025 die amerikanischen Juden vor und sind fassungslos ob deren Schweigen angesichts der Verbrechen der Regierung Netanyahu an den Palästinensern und vergleichen das auch mit dem genauso unethischen und abwehrenden, Israel nicht in Verantwortung nehmenden Verhalten früherer amerikanischer Juden angesichts des Massakers in Sabra und Schatila 1982, wo Israel als Besatzungsmacht einfach zuschaute und das Massaker geschehen ließ:

In 1982, as some 400,000 Israelis took to the streets in protest of the Sabra and Shatila massacre, mainstream American Jewish leaders hemmed and hawed. “We reject the idea of any participation or involvement by the Israel Defense Force in this terrible event,” Julius Berman, then-chairman of the Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, told JTA at the time. Charlotte Jacobson, the chair of the World Zionist Organization’s America section, deplored the “trigger-quick eagerness of the world” to blame Israel for the incident.

When the Israeli commission of inquiry ultimately issued its report, it found that Israel held indirect responsibility for the massacre and that then-defense minister Ariel Sharon held personal responsibility. Nearly 50 years have passed since Sabra and Shatila. Israel is not immune from extremism, war crimes or autocracy. Yet a fear of being labelled antisemitic still deters American Jews and Jewish institutions from taking a position that is not only morally correct, but also the best way to advance love and concern for the Jewish state and its people.

But our own fear must not distract us from the reality that the biggest threat to Israel, and indeed to Judaism itself, is coming from Israel’s governing coalition. Israel is increasingly becoming an autocratic and theocratic state. This is the moment for American Jews — including both leaders and ordinary Jewish community members — to raise their voice.

Israelische Politiker und Jurist*innen fordern: Für ein sofortiges Ende des Gazakrieges, gegen die völkerrechtswidrige „Humanitäre Stadt“ im Gazastreifen („Auffanglager“)

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

 

Es reicht.

Wir können nicht länger unsere Augen verschließen und die Realität ignorieren.

Der in dieser Woche von Nir Hasson und Nurit Yohanan veröffentlichte Bericht über eine ganze Familie, die bei der Bombardierung eines Gebäudes in Gaza getötet wurde, während Rettungskräfte stundenlang daran gehindert wurden, den Ort des Geschehens zu erreichen, wird keine Seele zur Ruhe kommen lassen. Das Gleiche gilt für die Berichte über weitere 20 Menschen, die in einem der von der Gaza Humanitarian Foundation betriebenen Lebensmittelverteilungszentren getötet wurden.

Wir dürfen unsere Augen nicht verschließen. Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken.
Wir dürfen nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem Verlust unschuldiger Menschenleben in einem Krieg, der längst hätte beendet sein müssen.

Die Operation „Schwerter aus Eisen“ hat sich zu einem Krieg der Täuschung entwickelt.
Die Fortsetzung des Krieges fordert einen unmoralischen und ungerechtfertigten Preis – von unseren Brüdern und Schwestern, die als Geiseln gehalten werden, von unseren Söhnen und Töchtern, die im Militär dienen, und von unschuldigen palästinensischen Zivilisten.

Der Krieg muss beendet werden. Bis dahin muss die IDF ihr Verhalten bei Angriffen in dicht besiedelten Gebieten ändern.

Die israelischen Medien müssen über die Geschehnisse in Gaza berichten.
Die israelische Öffentlichkeit muss auf die Straße gehen, um ein Ende des Krieges zu fordern. Und ja, auch meine Partner in der Opposition und ich müssen viel deutlicher und nachdrücklicher ein Ende des Krieges fordern.

Es reicht.

Wir verlieren unsere Werte.
Wir verlieren unsere Widerstandsfähigkeit.
Wir verlieren unseren Weg.“ (Alle Übersetzungen aus dem Englischen in diesem Text von CH)

Das ist ein Statement vom 17. Juli 2025 des Knessetabgeordneten Gilad Kariv von der Partei Die Demokraten. Er plädiert mit großer Vehemenz für ein Ende des Krieges in Gaza.

Ein offener Brief von israelischen Juristinnen und Juristen, Richterinnen und Richtern fordert jetzt einen sofortigen Stopp der geplanten „Humanitären Stadt“ im Gazastreifen, die auf den Trümmern der Stadt Rafah von Israel gebaut werden soll und in der anfangs 600.000 Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen hineingezwungen werden sollen – nach einer Sicherheitskontrolle, dass sie keine Hamas-Leute sind und ohne die Option die Stadt wieder verlassen zu können. Das Ziel ist die Emigration der Palästinenser*innen und eine teilweise Wiederbesiedelung des Gazastreifens mit jüdischen Siedler*innen.

Das ist kriminell. Das ist illegal. Das verstößt gegen das Völkerrecht.

Damit verließe Israel nochmals den Kreis der zivilisierten Staaten, den es mit der aktuellen Kriegsführung ohnehin schon seit spätestens 2024 verlassen hat, da gezielter Hunger eine völkerrechtswidrige Waffe ist. Wer weiß, was für Folgen Hunger hat – auch für die Geiseln – sieht, wie mörderisch und selbstmörderisch die aktuelle IDF-Strategie ist. Es wird nicht nur zu einer, sondern gleich mehreren Generationen von Jihadisten geradezu erzogen, da braucht es keine Hamas, um so den Hass auf Israel zu schüren.

Diese Kriegsführung hat nichts mit Zionismus zu tun. Sie schadet den Geiseln. Sie mordet unentwegt Palästinenser*innen und greift auch – natürlich „zufällig“ und „nicht absichtlich“ – die fast einzige Kirche im Gazastreifen an, wie jetzt geschehen.

Die 16 oppositionellen Jurist*innen in Israel schreiben am 10. Juli 2025:

In Anbetracht der beschriebenen Rechtswidrigkeit stellt jede Anweisung, die Errichtung einer
„humanitären Stadt“ in Gaza vorzubereiten oder voranzutreiben, einen offenkundig rechtswidrigen Befehl dar, der nicht befolgt werden darf.
Die Ausführung dieses Plans könnte sowohl politische Personen als auch IDF-Offiziere und -Soldaten vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und in anderen Gerichtsbarkeiten erheblichen
rechtlichen Risiken aussetzen. Im Gegensatz zu Staatsoberhäuptern, die unter bestimmten Umständen Immunität genießen, genießen Politiker und Militärangehörige keine Immunität, und für die oben beschriebenen Verbrechen gilt keine Verjährungsfrist.
Jeder, der diesen Plan plant, genehmigt oder ausführt, kann persönlich für schwere internationale Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Wir sind der Ansicht, dass aufgrund der offensichtlichen Rechtswidrigkeit die Einrede des höheren Befehls nicht möglich ist, schon gar nicht in internationalen oder ausländischen Foren. Anführer und Befehlshaber, die die IDF-Kräfte anweisen, diesen Plan auszuführen, befehlen ihnen effektiv, Handlungen auszuführen, die eindeutig rechtswidrig sind, und setzen sich damit weltweit der Strafverfolgung aus.
Wir fordern daher alle zuständigen Behörden dringend auf, sich öffentlich von diesem Plan loszusagen, ihn zu desavouieren, und sicherzustellen, dass er nicht umgesetzt wird.

Das ist ein außerordentlich wichtiger offener Brief.

Er wurde auch von zionistischen Juristen unterschrieben, die zuvor Israel gerade noch verteidigt hatten gegen den Vorwurf, in Gaza einen „Genozid“ zu verüben, die Times of Israel berichtet:

Das Schreiben wurde unter anderem von Eyal Benvenisti von der Universität Cambridge unterzeichnet, der einer der Experten war, die Israel in dem von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof angestrengten Völkermordverfahren verteidigten.

Weitere prominente Unterzeichner waren Yuval Shany von der juristischen Fakultät der Hebräischen Universität, der Schriftsätze zur Verteidigung Israels vor dem ICC eingereicht hat, sowie David Kretzmer, Eliav Lieblich, Tamar Megiddo und andere.

Der Jewish Forward und sein Kolumnist Dan Perry aus den USA klagen Benjamin Netanyahu persönlich für den Zusammenbruch des Zionismus an („The scourge of Netanyahu’s self-interest has brought Zionism to its breaking point„) und bezeichnen ihn als den „zerstörerischsten Führer in der Geschichte Israels“ („I first met Netanyahu in 1988. Here’s how he became the most destructive leader in Israel’s history.„)

Die New York Times wiederum hatte berichtet, dass es Netanyahu war, der spätestens im April 2024 einen umfassenden Geisel-Deal, der die restlichen jüdischen und weitere Geiseln der Hamas befreit hätte, nicht unterschrieb, weil seine faschistischen Regierungspartner wie Bezalel Smotrich ihr Veto einlegten und Netanyahu damit keine Mehrheit mehr im Parlament gehabt hätte und sich schutzloser seinen Gerichtsverfahren gegenüber gesehen hätte („How Netanyahu Prolonged the War in Gaza to Stay in Power„).

Zugleich haben jetzt die beiden faschistischen, rechtsextremen israelischen Politiker Bezalel Smotrich und Itamar Ben Gvir Einreiseverbot nach Slowenien, einem EU-Land.

Wer kritisch zu Israel berichtet kann im Zweifelsfall seinen Laptop am Flughafen von der Fluggesellschaft bzw. dem „Sicherheitspersonal“ gestohlen und Tage später kaputt zurück bekommen, wie die taz von einer Kollegin berichtet. Meinungsfreiheit? Freiheit der Presse? Persönlichkeitsrechte? Das soll eine Demokratie sein? Ernsthaft?

Gleichzeitig gibt es nonstop antisemitische Demonstrationen, es werden Pro-Hamas Aufkleber geklebt und bei Antifa-Demos gegen die AfD wie in Heidelberg, werden dann wie selbstverständlich Antifafahnen und Palästina-Fahnen geschwenkt (wie am 18. Juli 2025 in Stadtteil Emmertsgrund). Wären diese Leute für Palästina und für Israel, würden sie auch eine Israelfahne schwenken.

Wieder andere fordern eine Art Konförderation zwischen zwei Staaten – Israel und Palästina – wie die Initiative Two States One Homeland oder A Land for All. Gleichwohl scheint diese Initiative das „Rückkehrrecht“ für alle Palästinenser*innen zu tolerieren (was eine zentrale Forderung der antisemitischen BDS-Bewegung ist), was auch jene Millionen Nachfahren von damals tatsächlich Vertreibenen – von denen nur noch wenige Zehntausend heute leben – bedeutete, was den Staat Palästina extrem vergrößern könnte, da ca. 5 Millionen palästinensische „Flüchtlinge“, die gar keine sind und alle lange nach 1948 in anderen arabischen Ländern oder in Europa, Amerika, Asien etc. geboren wurden, dorthin ziehen könnten.

Wer einen Krieg beginnt, so wie ihn die Araber gegen das von Holocaustüberlebenden, Zionist*innen und in Israel geborenen Juden gegründete Israel 1947/48 anfingen, und ihn verliert – hat auch völkerrechtlich verloren.

Zionismus heißt zwar gleiche Rechte für alle in Israel lebenden Menschen, aber es heißt auch eine sehr deutliche jüdische Mehrheit im Land, seit 1948 bis heute sind ca. 75 Prozent der Bevölkerung in Israel Juden. Das ist ein Zeichen, wie vielfältig dieser Staat ist, arabische Staaten sind extrem homogen und haben nach 1948 ebenfalls ca. 700.000 Juden vertrieben, von Marokko bis Irak. Auch religiös sind arabische Staaten eine nahezu komplette Einöde, es gibt nur den Islam.

Die antizionistische Szene, die als „pro-palästinensisch“ immer falsch tituliert wird, ist hoffnungslos verloren, sie kämpft nicht für ein freies Palästina, sondern verharmlost oder feiert den Islamismus und die Hamas und selbst die anti-Hamas Fraktion ist häufig antisemitisch (im Gegensatz zu Hamza Howidy jedoch!), weil sie den Zionismus und Israel ablehnt.

Die anti-antisemitische Szene ist häufig blind für den Extremismus in Israel, nicht erst seit dem 7. Oktober, sondern seit Jahrzehnten. Sie hätte aber theoretisch die Möglichkeit, innezuhalten, und sich zu ändern. Aber auch hier sind seit dem 7. Oktober noch stärkere Tendenzen des Sich-Einigelns erkennbar, Abweichler*innen werden diffamiert und Selbstkritik ist für viele ein Fremdwort.

Solche kritischen jüdisch-israelischen Jurist*innen gibt hierzulande nicht in der sogenannten Pro-Israel Szene – und wenn es sie gibt, sind die Protagonist*innen meist zu feige, sich zu zeigen und unterscheiden zwischen privaten Äußerungen („Bibi ist ein elender Drecksack“, das kann ich aber öffentlich niemals sagen) und öffentlichen Auftritten.

Dazu kommen die rechtsextremen und konservativen ‚Freunde‘ und ‚Freundinnen‘ Israels, die zum Beispiel keinerlei Problem mit Treitschke- oder Felix-Wankel-Straßen in Deutschland haben, die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf auch auf gar keinen Fall als Verfassungsrichterin in Karlsruhe sehen wollen oder sich in Fragen des Natalismus- und Kinderfetisch und der Frauenverachtung wie Abtreibungsgegnerschaft mit den Ultraorthodoxen in Israel treffen, die im Schnitt 7 Kinder haben – so wie die Präsidentin der EU-Kommission -, was Israel ohnehin in wenigen Jahrzehnten an den Rand des nicht nur geistigen Zusammenbruchs führen wird, wie der Jewish Forward befürchtet:

Der nationale Selbstmordpakt der Haredi: Netanjahu ist inzwischen ganz auf einer Linie mit den bereits erwähnten Haredi-Parteien, die sich in einem massiven Konflikt mit dem Rest der Gesellschaft befinden. Die Haredi-Gemeinschaft, die den Militärdienst überwiegend verweigert und eine niedrige Erwerbsbeteiligung aufweist, wächst explosionsartig und hat im Durchschnitt fast sieben Kinder pro Familie. Sie machen inzwischen ein Sechstel der Bevölkerung aus und verdoppeln ihren Anteil in jeder Generation. Sie weigern sich, ihre Jugend säkulare Kernfächer studieren zu lassen, die sie in einer modernen Wirtschaft beschäftigungsfähig machen würden, sind von der Sozialhilfe abhängig und bestehen auf einem langjährigen Seminarstudium auf Kosten der Steuerzahler. Netanjahu, der ohne ihre politische Unterstützung keine Mehrheit hat, ist ihr wichtigster Ermöglicher geworden. Das Ergebnis ist eine demografische Zeitbombe. Wenn sich die Dynamik nicht ändert, wird es in Zukunft eine Mehrheit geben, die die Werte des modernen Israel ablehnt.

Worum es also geht? Easy:

Für Israel, gegen Benjamin Netanyahu.

Gegen antizionistischen Antisemitismus, aber auch gegen die aktuelle mörderische Militär-Politik der IDF.

Dass die meisten auch Pro-Israelis darüber hinaus ohnehin keinerlei Ahnung von einer rationalen Coronapolitik hatten (in Israel gab es jenseits der Regierung in der Public Health, Immunologie und Medizinforschung insgesamt seriöse Ansätze, Corona rational und nicht totalitär-panisch hygienestaatsmäßig zu begegnen), bis heute, dazu überhaupt keine Probleme mit ihrer Ukraine-Unterstützung haben und nie etwas zu den Pro-Holocaust-Täter Denkmälern in der Ukraine sagen oder sich gegen die Rot=Braun Ideologie des bürgerlichen Mainstream wenden, kommt ohnehin noch dazu, aber wem sage ich das. Und von kapitalistischer Herrschaft und den Verwerfungen durch die neoliberale und post-neoliberale kapitalistische Weltpolitik haben zumal in dieser Szene auch nur zu wenige eine Ahnung, da wird lieber mit CDU-Politiker*innen gekuschelt, als linkszionistisch gekämpft – gegen Kapitalismus und gegen Antisemitismus in all seinen Formen.

Die Situation als ausweglos zu bezeichnen, wäre euphemistisch.

Das idyllische Heidelberg und der Judenhass

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Gibt es eine gleichsam unterirdische Geschichte des Judenhasses von der Heidelberger Romantik um Clemens Brentano, Achim von Arnim, Joseph Görres und anderen Anfang des 19. Jahrhunderts über die Nazi-Zeit und später dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und „Palästina“-Gruppen der 1968er Zeit bis heute? Das wäre doch vielleicht eine ganz aktuelle und interessante Forschungsfrage. Ein paar wenige und vorläufige Hinweise seien im Folgenden gegeben.

Heidelberger Romantik

In Heidelberg gibt es den Wunderhorn Verlag, auf den ich jetzt nicht näher eingehen werde.

Doch in meinem Buch „Der Komplex Antisemitismus“ (2018) schreibe ich:

Zwischen 1806 und 1808 schrieben Achim von Arnim und Clemens Brentano alte deutsche Lieder unter den Titel „Des Knab­en Wunderhorn“ auf. Ahasver wird in seiner antijüdischen Diktion deutlich:

„Er trägt das Kreuz, er trägt die Welt, Er ist dazu von Gott bestellt, Er trägt es mit gelaßnem Muth, Es strömet von ihm Schweis und Blut. 7. Erschöpfet will er ruhen aus, Vor eines reichen Juden Haus,[1] Der Jude stieß ihn spottend weg, Er blickt ihn an, geht seinen Weg. 8. Herr Jesus schwieg, doch Gott der bannt Den Juden, daß er zieht durchs Land, Und kann nicht sterben nimmermehr, Und wandert immer hin und her.“[2]

Jahrzehnte vor Chamberlains antisemitischen Rassetheorien formulierte Achim von Arnim 1811 in dem Text Versöhnung in der Somm­er­frische, dass die Juden an ihre jüdische „Natur“ gebunden seien „wie eine Schnecke an die Last ihres Hauses“, denn: „Es bleibt doch immer ein Jude.“[3] Konsistent lassen Arnim und Brentano in Des Knaben Wunderhorn Ahasver auftreten als den ‚ewigen Juden‘. Und schließlich war es von Arnims Rede vor der christ­lich-deutschen Tischgesellschaft vom Frühjahr 1811 – Über die Kennzeichen des Judentums – die als „der schlimmste antisemitische Text der deutschen Romantik“ charakterisiert wurde, wie die Historikerin Susanna Moßmann festhält. Ein Blick in diese Hetzschrift macht die deutsche Kon­ti­nu­i­täts­linie zu Julius Streichers Hetztiraden deutlich.[4] In Versöhnung in der Sommerfrische spielt Arnim das alte christliche Gebot der Taufe auf offenbar deutsche Weise durch: er lässt einen Seefahrer einen schiffbrüchigen Juden aufnehmen, ihn taufen, um ihn sodann wieder ins offene Meer zu wer­fen.

Mit der Taufe hat der christliche Seefahrer seine Schuldigkeit getan, die Welt von ungetauften Juden zu befreien. Dass er danach ihn ermordet ist gleich­gültig, denn ‚der‘ Jude zählt in seinem christlichen Horizont nur als Erlösungsfaktor für ihn als Christen; als Mensch hat ein Jude kein Recht.

Katholische Nazis vom Bund Neudeutschland

An anderer Stelle in meiner Studie, im Kapitel über den katholischen Bund Neudeutschland, steht:

Rolf Fechter war der Schriftleiter der katholischen Zeitschrift Werkblätter, die diese nationalsozialistische Ideologie propagierte (Rolf Fechter, Heidelberg, Grabengasse 7/III“.[5])

(…)

Das völkische Denken und der Bezug auf deutsche Traditionen von der Romantik über die Jugendbewegung hin zu Hitler zeigen sich in einem Text von Rolf Fechter, „Volk als Begriff und Aufgabe“.

„Wer die Reden von Adolf Hitler, Goebbels u.a. verfolgt hat, der wird sogleich eine negative Abgrenzung des Begriffs, besser des Begriffs-Teils, von dem hier gesprochen wird, vornehmen können. Denn wenn von ‚Volkwerdung‘, von ‚volksverwurzelter‘ und ‚volksfremder‘ Kunst, von den ‚völkischen Auf­gab­en‘ der Wissenschaft, der Universität usw., von ‚völkischer Er­zieh­ung‘ (Krieck) die Rede ist, ist dabei ‚Volk‘ ein anderer Begriff als der, welcher in den Zusammensetzungen ‚Aufruf an mein Volk‘ oder ‚die Kunst dem Volke‘ oder ‚Volksentscheid‘ angewandt ist. ‚Volk‘ meint in dem Sinn, in dem heute das Wort wieder erwacht ist, nicht mehr ‚Untertanen‘, nicht mehr ist ‚Volk‘ polit­isches Gegenstück zur Obrigkeit, auch nicht mehr soziales Gegenstück zu den ‚oberen Zehntausend‘, – es ist weder Untertanenschaft, noch ver­fass­ungs­politische Gruppe, noch Klasse.

Zweifellos geht der wiedererwachte Volks-Begriff auf Herder (dem Winck­elmann mit seiner Kulturkreis-Theorie und Hamann mit seiner Sprach­philosophie wertvolle Vorarbeit leisteten) und auf die Romantik (Arnim, Brentano, Br. Grimm, Fichte, Arndt, Jahn) zurück. Fichte war der erste, der mit dem Begriff Widerhall und Begeisterung in der breiten Masse weckte, allerdings nur für kurze Zeit. Denn hundert Jahre durch kümmerte sich außer einsamen Denkern wie Lagarde und Langbehn niemand mehr darum. Die Jugendbewegung setzte sich dafür ein, – aber erst unsere Tage haben, nachdem die Ideologie der Jugendbewegung weithin in den National­soz­ialismus ein­ge­gangen ist, das Wort wieder so aufgegriffen, daß kein deutscher Mensch sich ihm entziehen kann. Ja, täuscht nicht alles, so enthält der neue Volks-Begriff die bisher fehlende oder wenigstens nie klar ausgeprägte ‚National-Idee‘ der Deutschen.“[6]

Wenn man sieht, welche her­vor­gehobenen Positionen be­kannte Vertreter dieses Bundes später in der Bundes­re­p­u­blik einnahmen, an Uni­versitäten, bei der Caritas, der Redaktion des Rheinischen Merkur, dem Bürg­er­meisteramt der Stadt Münster, der Bay­er­ischen Akademie der Wiss­en­schaften über das Auswärtige Amt[7] bis hin zur Regierungsbank, wird deutlich, wie stark dieser völkische Jug­end­bund auch die politische Kultur nach 1945 prägte. Der spätere Bot­schafter der Bundesrepublik Deut­sch­land in Syrien (1959–1963), Äthio­p­ien (1969–1973) und Irland (1973–1977), Rolf Fechter, führt im Duktus dieser katholischen Neudeutschen im Jahr 1934 aus:

„Die nationalsozialistische Revolution hat der von uns immer bekämpften Ver­man­sch­ung von Religion und Politik ein Ende bereitet, – darüber darf man sich nur freu­en.“[8]

„Möge die innere Erneuerung, deren Ziele sich weithin mit denen des echten Natio­nalsozialismus decken, nicht wieder zugunsten einer falschen Front­stellung hin­aus­ge­zögert werden, – die Lage ist so ernst wie schon einmal in der Geschichte der Kirche (…).“[9]

Soviel aus meiner historischen Analyse des „Komplex Antisemitismus“ und dem Bezug zu Heidelberg.

Sozialistisches Palästina-Komitee Heidelberg (SPK)

In der jüngeren Vergangenheit wie bei den 68ern war Heidelberg pointiert anti-israelisch/antizionistisch, wie die Forschung herausgearbeitet hat:

Die entscheidende Weichenstellung für einen strikt antizionistischen Kurs des SDS erfolgte auf der 22. ordentlichen Delegiertenkonferenz, welche im September 1967 im Frankfurter Studentenhaus stattfand. Insbesondere die SDS-Gruppen aus Frankfurt und Heidelberg engagierten sich für eine konsequent pro-arabische Parteinahme im Nahostkonflikt. Während der Frankfurter SDS eine Hochburg des antiautoritären Flügels war, nahmen die Heidelberger eine Sonderrolle ein: Als erste SDS-Gruppe orientierten sie sich bereits 1967 an der Ideologie des Maoismus. (…)

Besonders die maoistischen Heidelberger profilierten sich weiterhin als antizionistische Vorreiter im bedeutendsten linken Studierendenbund.

Es gibt sicher in einigen Städten eine ähnliche Entwicklung des linken Antisemitismus, aber Heidelberg scheint schon ein Vorreiter dieser neuen Form des Judenhasses gewesen zu sein: des Antizionismus, der Juden das Recht abspricht, einen eigenen Staat zu haben. Das wiederum hat mit Kritik an der Politik des Staates Israel nichts zu tun. Eine solche Kritik ist notwendig und wird in Israel und außerhalb auch permanent geführt. Doch Kritik heißt nicht Ablehnung des jüdischen und demokratischen Staates Israel, das ist und bleibt die Pointe.

In Heidelberg gibt es heute antiisraelische Gruppen „für Palästina“, die großteils gerade nicht die Zweistaatenlösung von 1947 im Blick haben, sondern Israel durch einen Staat Palästina ersetzen wollen. Gab es gar ausgerechnet in Heidelberg eine der ersten Palästina-Gruppen?

Direkt aus den SDS-Ortsgruppen gingen im Angesicht der eigenen politischen Ohnmacht die ersten „Palästina-Komitees“ hervor, welche die Unterstützung des antiisraelischen Kampfes der Palästinenser als ihre zentrale Aufgabe begriffen und sich dabei ebenfalls auf maoistische Traditionen beriefen.

Wieder nahm der Heidelberger SDS hier eine Vorreiterrolle ein und gründete 1969 mit dem Sozialistischen Palästina-Komitee (SPK) Heidelberg eine radikal-antizionistische Organisation, der Jassir Arafats Fatah zu „bürgerlich“ erschien und die deshalb eine uneingeschränkte Parteinahme für die marxistisch-leninistische Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) propagierte.

In seiner eigens zur „Unterstützung des Befreiungskampfes der Völker des Nahen Ostens“ publizierten Zeitschrift Al Djabha – Die Front zeichnete das SPK Heidelberg ein Bild des zionistischen Staates, welches dem der KPD/ML kaum nachstand. Man propagierte die „Abschaffung des rassistischen Staates Israel“ und bezichtigte die israelische Regierung der „Apartheid-Politik gegenüber der arabischen Bevölkerung“.

Ein Faktor bei der Entwicklung antizionistischer Aktionsgruppen in Heidelberg war auch die Präsenz von arabischen Studenten und Studentinnen, wie es in einer publizierten Bachelorarbeit zur Geschichte des Sozialistischen Palästina-Komitees Heidelberg heißt:

Im Sommersemester 1967 waren an der Universität Heidelberg 53 Studierende aus Syrien immatrikuliert, 38 aus Jordanien, 30 aus dem Irak, 27 aus der Vereinigten Arabischen Republik (heutiges Ägypten) und 18 aus dem Libanon. Insgesamt gab es in Heidelberg somit 166 immatrikulierte Studierende aus jenen Ländern, in die palästinensische Menschen 1947 bis 1948 geflohen waren und 1967 flüchteten. Palästinensische Studierende unterstützten Köster-Loßack zufolge die verschiedenen Widerstandsorganisationen. Mit der Mehrzahl von ihnen waren in ihren Augen Diskussionen schwer möglich, da sie der Al-Fatah zugewandt und „ideologisch […] gegenüber vielen Realitäten“ verschlossen gewesen seien. Nach dem Sechstagekrieg habe sie heftige Debatten miterlebt.

Palästinensische Studierende hatten somit früh Einfluss auf die Israelkritik in Heidelberg. Ihre israelischen KommilitonInnen traten dahingegen in Diskussionen kaum in Erscheinung, was auch an ihrer geringen Anzahl gelegen haben kann: Im Sommersemester 1967 waren vier Israelis an der Universität Heidelberg immatrikuliert, 1970 waren es neun.

Neben dem Sozialistischen Palästina-Komitee (SPK) gab es von 1970 bis 1971 auch das bekanntere Sozialistische Patientenkollektiv (SPK), das dann in Teilen in den Linksterrorismus und die Rote Armee Fraktion (RAF) mündete.

Die Verharmlosung des Holocaust und der Verbrechen der Deutschen im Nationalsozialismus war schon damals ein Topos der linken Antizionisten des Sozialistischen Palästina-Komitees Heidelberg:

Ähnlich argumentierte wohl Mohammed Odeh, der eine wichtige Rolle im SPKH einnahm und auch die FPDLP erhob den Vorwurf, den PalästinenserInnen würde von israelischer Seite ein mit dem Holocaust gleichzusetzendes Leid angetan. Eine Doppelseite in einer Ausgabe der Zeitschrift Die Front – es könnte sich um ein abgedrucktes Plakat handeln – zeigt eindrücklich, dass SPKH-Mitglieder dieser Gleichsetzung beistimmten und eine Relativierung des Holocausts in Kauf nahmen. Unter der Überschrift „Die Nachfolger der Opfer Hitlers spielen jetzt selbst Hitler. So bekämpfen die Israelis die ‚Terroristen‘“ sind vier Fotografien abgebildet, die laut Bildunterschrift verschiedene Gewaltakte von israelischer Seite zeigen. Unter den Fotografien ist die Umwandlung eines Hakenkreuzes in einen Judenstern in acht Schritten abgebildet. Als Unterzeichner der Darstellung sind die FPDLP und das SPKH aufgeführt.

In einer anderen Ausgabe der Komitee-Zeitschrift heißt es, „die nazistische Judenverfolgung“ spiele „die Rolle des moralischen Alibis“. Dieser den Holocaust relativierende Blick des SPKH zeigt sich auch an folgendem Beispiel: Ein Al-Djabha-Artikel von 1970 kritisiert die Aufnahme Léon Degrelles in die Vereinigte Arabische Republik. Degrelle war im Zweiten Weltkrieg Anführer der belgischen Rexisten, die mit den Nationalsozialisten kollaborierten. Im Artikel geht es allerdings weniger um ihn als „Judenmörder und Faschisten“, sondern mehr um seine Aufnahme durch die Vereinigte Arabische Republik (heutiges Ägypten). Dadurch diskreditiere diese die „antiimperialistische arabische Widerstandsbewegung“ und legitimiere den Staat Israel und „seine[…] expansionistische[…] Politik“.
Der Bezug auf den Holocaust wird auch hier als reine Strategie Israels abgetan, um die eigene, ungerechte Politik zu rechtfertigen. (ebd.)

Die Heidelberger Anti-Israel Aktivisten scheinen schon damals zu den besonders ‚radikalen‘ gehört zu haben:

Am 23. Februar 1970 besuchte Abba Eban als erster israelischer Außenminister Deutschland. In Frankfurt und in München hatten die SDS-Gruppen eigentlich geplante Demonstrationen gegen seinen Besuch abgesagt. Sie begründeten ihre Absagen damit, dass am 13. Februar 1970 ein Attentat auf ein Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde in München verübt worden war, bei dem sieben Menschen starben, die Mehrheit von ihnen Holocaust-Überlebende. Das SPKH verurteilte die Absage des AStA in München als Absage an eine „Aufklärung über den Imperialismus. Sie stünde im Widerspruch dazu, dass der palästinensischen Befreiungsbewegung die Schuld für den Anschlag gegeben würde.“

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass Mitglieder der deutschen Terrororganisation Tupamaros München den Anschlag verübten. (ebd.) [Nach neuesten Erkenntnissen von 2025 soll es sich vermutlich doch um einen rechtsextremen Täter gehandelt haben, der mittlerweile nicht mehr lebt, CH]

Schließlich zeigt sich schon damals, wie wenig die Anti-Israel Aktivisten sich konkret mit der deutschen Geschichte und mit den jüdischen Opfern beschäftigt haben:

Burkhart Braunbehrens sagte im Gespräch, es habe in der Studentenbewegung ein Mangel an „Empathie mit den Israelis“ vorgeherrscht, Köster-Loßack meinte, der Beschäftigung mit der Geschichte des Holocausts habe es an Tiefgang gefehlt.

Angelika Köster-Loßack in einem Gespräch am 5. Mai 2016:
„Ich glaube auch, dass die Beschäftigung mit der Schreckensherrschaft im Nationalsozialismus
bei den Leuten eher eine abstrakte war und keine konkrete. Das heißt, sie haben nicht mit Überlebenden gesprochen, die haben sich mit den Eltern nicht auseinandergesetzt, nur auf so einer oberflächlichen Ebene, die haben keine direkten Anknüpfungspunkte gehabt.“ (ebd.)

Das Sozialistische Palästina-Komitee Heidelberg wurde dann 1974 zum Nahost-Komitee (ebd.).

Offener Brief aus Heidelberg zu Gaza und Israel, Juli 2025

Im Juli 2025 fordert nun ein Offener Brief aus Heidelberg von Universitätsangehörigen und vielen weiteren Aktivistinnen und Aktivisten einen „sofortigen Waffenstillstand“ im Gazastreifen.

Das fordern in der Tat auch viele Zionistinnen und Zionisten in Israel.

Was die kritischen Stimmen in Israel aber immer betonen und wissen: ohne das genozidale Massaker der Hamas, des Islamischen Jihad und ganz normaler Palästinenser am 7. Oktober 2023 im Süden Israels, als 1200 Jüdinnen und Juden auf unschilderbare Weise gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden sowie 251 in den Gazastreifen entführt wurden, würde es diesen Krieg nicht geben.

Die sexuelle Gewalt von muslimischen Männern an jüdischen Frauen zeigte auf unfassbare Weise, wie tief der Judenhass zumal bei bestimmten arabisch-muslimischen Männern vorherrschend ist, was sicher psychoanalytisch auch sehr viel über das Gewalt affine Verhältnis dieser Männer zu ihren eigenen Körpern und vor allem ihrem Verhältnis zu Frauen aussagte, vor allem aber zu jüdischen Frauen.

Vergewaltigungen sind immer Teil patriarchaler Kriegsführung, das ist schreckliche Realität seit Jahrtausenden, schon das wäre ein Grund, mit dem „Untier“  ein für alle Mal abzuschließen.

Aber die Art der Vergewaltigungen und unsagbar brutalen Ermordungen vom 7. Oktober sind kaum in Worte zu fassen – Täter waren palästinensische Männer, Opfer war jüdische Frauen. Punkt. Während Genozide meist nicht offensiv gefeiert werden, wurde dieses genozidale Massaker in Teilen live im Internet gestreamt, eine Verrohung und Gewaltbejahung nie dagewesener Art, weltweit. Es ging um antijüdische Gewalt gegen Opfer aller Altersgruppen und um sexualisierte Gewalt.

Der Offene Brief aus Heidelberg geht auf dieses schrecklichste Massaker an Juden seit der Shoah überhaupt nicht ein und schreibt:

„Die Freilassung aller israelischen Geiseln im Gegenzug gegen die Freilassung eines Großteils
der 10.000 palästinensischen Gefangenen in Israel und den besetzten Gebieten“.

Damit werden kriminelle Palästinenser, die häufig Blut an ihren Händen haben, Terroranschläge durchgeführt oder vorbereitet haben, mit Partygänger*innen wie vom Nova Festival oder Kibbutz-Bewohner*innen, die am 7.10. von den Islamisten entführt wurden, in einem Atemzug genannt. Offenkundig macht sich dieser Offene Brief damit die Forderungen der Terrororganisation Hamas zu eigen – denn auch die möchte ja alle ‚ihre‘ Gefangenen frei pressen, Tausende kamen ja bei den bisherigen „Geisel-Deals“ schon frei.

Israel wird indirekt mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht, wenn der Offene Brief schreibt:

Deutschland muss klarstellen, dass die großartige und zeitgemäße Losung „Nie wieder ist jetzt“ für
alle gilt. Wir müssen uns gegen Völkermord, ethnische Säuberung, Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit einsetzen, ganz gleich, wer diese Handlungen begeht.

„Nie wieder“ bezieht sich ja auf den Nationalsozialismus und den Holocaust. Hierzulande wird der Slogan meist mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus und neuerdings dem Kampf gegen die AfD assoziiert, so auch in Heidelberg bei einer Massendemonstration im Januar 2024. Wie gut das doch zumal der so gebeutelten deutschen Seele tut, den (ohnehin falschen) Ausdruck „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ nicht nur den Nazis, sondern auch den Juden zuzuschreiben. Yeah! Jetzt sind wir quitt! Das ist die Tonlage, das schwingt da mit und wird natürlich so nie ausgesprochen, aber gefühlt.

Nur am Rande: Ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ist auch jedes Einkaufsradio im Supermarkt, aber „Verbrechen gegen die Menschheit“ sind etwas kategorial davon Verschiedenes, wiewohl dabei häufig die deutschen Täter und die jüdischen Opfer universalisierend und somit derealisierend gemeint sind.

Gab es solche Demonstrationen „Nie wieder ist jetzt“ auch gegen die islamfaschistische Terrorgruppe Hamas nach dem 7.10.? Keineswegs. Auf eine Kundgebung wenige Tage danach auf dem Universitätsplatz Heidelberg kamen nur ca. 500 Personen – zu der Massendemonstration gegen Rechts im Januar 2024 kamen ca. 18.000.

Gab es einen Offenen Brief der gleichen Leute der Uni Heidelberg und ihrer Fan-Basis zu dem Massaker an Jüdinnen und Juden vom 7. Oktober? Mir ist ein solcher Brief nicht bekannt. Erst jetzt, wenn das Re-Agieren Israels im Fokus steht, wird massive Kritik laut.

Dabei ist das Verhalten Israels, das eine rechtsextreme, national-religiöse Regierung hat, in der auch selbst erklärte Faschisten wie Smotrich sitzen, eine Katastrophe für die Palästinenser*innen, aber auch für den Zionismus. Die Kriegspolitik ist ohne jedes Ziel und wenn doch Ziele ausgegeben werden, sind das kriminelle Ziele wie die Vertreibung der Palästinenser*innen innerhalb des Gazastreifens mit der Hoffnung, dass sie auswandern.

Wer jedoch Boykotte gegen Israel fordert, wie es der Offene Brief tut – „Zielgerichtete, aber einschneidende wirtschaftliche Sanktionen, solange Israel betreibt, was Menschenrechtsorganisationen als ethnische Säuberung und Genozid bezeichnen“ -, zeigt nur, was solche Aktivist*innen wirklich umtreibt: das Verhalten von Juden und Israelis.

Wer fordert Boykotte gegen den Sudan oder den Jemen, Länder, in denen seit vielen Jahren massive Menschenrechtsverletzungen passieren und in den dortigen Kriegen Hunderttausende Menschen getötet werden und riesige Hungersnöte herrschen mit Dutzenden Millionen vom Hunger bedrohten Menschen?

Was zumal, wenn auch nicht nur, schauen wir nur nach Spanien oder Irland!, Deutsche bewegt, ihre so tiefschürfenden Offenen Briefe zu schreiben, ist meist das Verhalten von Juden und von Israel.

Zionist*innen haben das Recht und die Pflicht, sich gegen Menschenrechtsverletzungen Israels zu wehren und sie massiv zu kritisieren, was insbesondere aktuell das Verhalten der IDF im Gazastreifen betrifft. Und die Kritik in Israel an Netanyahu war vor dem 7. Oktober wegen der geplanten Zerstörung der Demokratie via Ende der Gewaltenteilung und Zerbröselung einer unabhängigen Justiz, so massiv wie kaum je zuvor in Israel. Und seit dem 7. Oktober gibt es im Laufe der immer irrationaler und brutaler werdenden Kriegspolitik auch massive Kritik an den Militäraktionen. Gerade die Angehörigen der Geiseln fordern seit 2024 ein Ende des Krieges, aber auch sie wissen, dass die Hamas den Krieg hätte beenden können, wenn sie die Waffen niederlegte und alle Geiseln freikommen.

Doch hierzulande, ob in Berlin, München, Duisburg oder eben Heidelberg, wird schon psychologisch ein ganz typisches Muster der Täter-Opfer Umkehr seit Jahrzehnten deutlich: Wenn Juden auch einen „Genozid“ verüben, dann war der tatsächliche Genozid an den Juden durch die Deutschen ja nichts so Außergewöhnliches.

Schon der erste Satz dieses Offenen Briefs aus Heidelberg zeigt, dass das Massaker an Juden diese Leute nicht sonderlich schockierte, sondern nur die Reaktion des einzigen Judenstaates:

„…die militärischen Angriffe auf den Gazastreifen und die weitgehende Verweigerung humanitärer Hilfe
für das Gebiet durch Israel dauern seit nunmehr über 20 Monaten an.“

Nochmal: So beginnt also dieser Offene Brief, der im weiteren Verlauf auf zwei Seiten nicht ein einziges Mal das genozidale Massaker der Hamas, des Islamischen Jihad und der Palästinenser vom 7. Oktober erwähnt, geschweige denn verurteilt.

Dieses Massaker mit 1200 Hingemetzelten war der Grund für diesen Krieg. Wer das vergisst, will es vergessen.

Das einzige Mal, wo die Hamas mit Verbrechen in Verbindung gebracht wird, wird das schrecklichste Massaker an Juden seit dem Holocaust wiederum nicht erwähnt und die Terrororganisation Hamas, die im ganzen Brief nicht ein einziges Mal als Terrororganisation oder als islamistische Terrorgruppe bezeichnet wird, so dargestellt:

Eine offene Sprache, die Verbrechen als Verbrechen benennt, nicht nur, wenn sie von Hamas oder anderen Gegnern, sondern auch, wenn sie von Israel begangen werden.

Bunsen-Gymnasium Heidelberg tanzt nur für Gaza – als „Pflichttermin“ für alle Schülerinnen und Schüler

Da passt es ins Bild, dass in diesem idyllischen Touristen-Hotspot Heidelberg am bekanntesten Gymnasium vor Ort, dem Bunsen-Gymnasium, für Donnerstag, den 24. Juli 2025, in der 4. bis 6. Schulstunde ein „Tanz für Gaza“ stattfinden soll, auf dem Spenden für die Kinder in Gaza gesammelt werden sollen.

Mit keinem Wort wird an diesem ganz typischen deutschen Gymnasium erwähnt, warum es diesen Krieg gibt.

Dafür heißt es:

– Tanz- und Musikauftritte (Einzelne, kleine Gruppen oder ganze Klassen)
– Informationsstand von UNICEF
– Astronomie-Show im Musiksaal
– Graffiti Streetart-Workshop in der Turnhalle
– Kreative Aktionen verschiedener Klassen in Bezug auf Tanz, Musik oder HipHop

Das Ganze ist Teil einer „UNICEF Nothilfe für Gaza“ – was ja in der Tat auch wichtig ist, aber niemals auf diese einseitige Art und Weise. Am Bunsen-Gymnasium wird in der Einladung mit keinem Wort das genozidale Massaker der Hamas, des Islamischen Jihad und der Palästinenser an 1200 Jüdinnen und Juden, Babies, Kindern, Holocaustüberlebenden auch nur erwähnt, geschweige denn verurteilt und als Grund für diesen aktuellen Krieg in Gaza erkannt.

Es wird vielmehr gar nicht mal subtil, sondern aggressiv der Bezug von Juden und dem Leiden von (muslimischen oder arabischen, jedenfalls nicht-jüdischen) Kindern hergestellt.

Der Beutelsbacher Konsens von 1976 für die formale politische Bildung wird in geradezu exemplarischer Manier von den Organisator*innen des Heidelberger Bunsen-Gymnasiums ignoriert:

I. Überwältigungsverbot.

2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.

3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren

Aufgrund der Ankündigung dieses Tages und des „Tanz für Gaza“, wozu auch extra die Schüler*innen an zwei Tagen Gelegenheit bekommen hatten, dafür zu proben, handelt es sich eindeutig um eine Überwältigung.

Es wird nur das Leid in Gaza thematisiert, das Leid der Kinder – und Juden werden logisch als Täter dargestellt und nur als Täter. Was sollen da jüdische Schülerinnen und Schüler oder Schülerinnen und Schüler, die kritisch zu so einseitigen Agitationsveranstaltungen stehen, machen, wenn es doch „verpflichtend“ ist, da mit zu machen?

Wer denkt da nicht an die DDR und ihre Indoktrination in den Schulen, nicht zuletzt was Israel betrifft?

Dass es Kontroversen über die Kriegsführung in Gaza gibt, namentlich die zionistische Kritik innerhalb der IDF und innerhalb Israels, wird komplett ausgeblendet.

Trotz seiner unerträglichen rechtsextremen und national-religiösen Regierung ist Israel weiterhin eigentlich immer noch eine Demokratie mit einer sehr starken Zivilgesellschaft und einer – auch arabischen – Opposition im Parlament, der Knesset.

Das wird einfach ignoriert oder jedenfalls nicht gesagt und die Kinder, Schülerinnen und Schüler werden nicht kritisch oder umfassend informiert, sondern sollen einseitig Partei ergreifen: für die Palästinenser. Für Kinder…

Es wird nicht einmal so getan, als ob man für beide Seiten Empathie empfinde, wie für die jüdisch-israelischen Geiseln der Hamas, und für die Bewohner*innen des Gazastreifens.

Nein, die Geiseln, ein zentraler Grund für den Krieg, werden gar nicht erwähnt in der Ankündigung für diesen „Tanz für Gaza“.

So schlimm die Situation in Gaza ist – der Täter ist die Hamas, ohne die Hamas gäbe es diesen Krieg nicht, was wiederum überhaupt nicht die konkrete Kriegsführung Israels in Schutz nimmt.

Hätte die Hamas nach dem 7. Oktober ihre Waffen niedergelegt und die Geiseln freigelassen, hätte es diesen Krieg nicht gegeben.

Dass Netanyahu wiederum diesen Krieg auf äußerst perfide Art und Weise benutzt, um sich selbst vor den anstehenden Gerichtsprozessen zu schützen, denen er sich gegenübersieht wegen Korruption etc., und die Geiseln laut vielen Beobachter*innen in Israel wie dem Hostage Forum vorsätzlich im Stich gelassen hat und mögliche Abkommen nicht unterschrieben hat bislang, das ist ein zentraler Aspekt dieses Krieges, aber nicht der Ursprung des Krieges.

Der Ursprung des Krieges war die Kriegserklärung der Hamas an Israel vom 7. Oktober 2023.

Noch weiter zurück liegt der Ursprung des ganzen Nahost-Konflikts, also auch dieses Krieges, in der Weigerung der Araber, den UN-Teilungsplan (UN Resolution 181) vom 29. November 1947 zu akzeptieren, der einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah. 33 Länder stimmten für den Teilungsplan, 13 dagegen, 10 enthielten sich. Selten wurde ein Staat wie der später gegründete jüdische Staat Israel, völkerrechtlich besser legitimiert. Dabei spielte der muslimische Antisemitismus eine zentrale Rolle, vorgebliche Gründe wie die konkrete Landaufteilung etc., sind nur Rationalisierungen dieses nicht zuletzt von der Muslimbruderschaft propagierten Judenhasses wie von Hasan al-Banna, ihrem Gründer.

Update, 15. Juli 2025, 20 Uhr:

Aufgrund von vielfältiger Kritik an diesem „Tanz für Gaza“ hat die Schulleitung des Bunsen-Gymnasiums diesen Event jetzt abgesagt bzw. in den Herbst verschoben, wo er in eine größere Spendenaktion für UNICEF ‚eingebettet‘ werden soll.

Heidelberger Kunstverein und eine BDS-Künstlerin

2024 zeigte der Heidelberger Kunstverein eine Ausstellung der pro-israelischen und gegen Antisemitismus engagierten Künstlerin Hito Steyerl. Und heute?

2022 wurde der Stuttgarter Dramatiker*innenpreis doch nicht an die britische Autorin Caryl Churchill vergeben. Plötzlich hatten die Jury oder die sonstigen Verantwortlichen doch noch erfahren, was längst in der Wissenschaft und sogar im Internet zu lesen war: Caryl Churchill ist eine Unterstützerin der antisemitischen BDS-Boykottbewegung gegen Israel.

Sie hat auch ein Theaterstück geschrieben, „Seven Jewish Children“, das der bedeutendste Antisemitismusforscher unserer Zeit, der israelische Historiker Robert S. Wistrich (1945-2015) in seiner umfassenden Geschichte des Antisemitismus – A Lethal Obsession. Anti-Semitism from Antiquity to the Global Jihad – von 2010 als antisemitisch kritisierte (S. 418).

Doch vor allem ihre Unterstützung der vom Deutschen Bundestag als antisemitisch kritisierten BDS-Bewegung war offenbar zentral, ihr diesen renommierten und mit 75.000€ dotierten Preis nicht zu verleihen.

Vom 15. Juni bis zum 07. September 2025 ist im Heidelberger Kunstverein die Ausstellung „Gestual Poethics“ der britischen Künstlerin Rhea Dillon zu sehen („Mit freundlicher Unterstützung der Stadt Heidelberg, des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie der Baden-Württemberg Stiftung“). Darin geht es um Rassismus, Kolonialismus und den weißen Blick auf Schwarze in Geschichte und Gegenwart. Ein wichtiges Thema:

In ihrer Praxis setzt sich Dillon mit den gelebten Erfahrungen Schwarzer Individuen und Gemeinschaften auseinander. Dabei verhandelt sie die existenzielle Frage nach Zugehörigkeit an der Schnittstelle fortlaufender Reflexionen über rassistisch geprägte Geschichtsbilder, strukturelle Diskriminierung und die fortwirkenden Vermächtnisse des Kolonialismus in westlichen Gesellschaften und Institutionen.

Der Südwestrundfunk (SWR) spricht gar von einer „Poetik des Widerstands„:

Wie kann Kunst koloniale Geschichte thematisieren – ohne sie zu wiederholen? Die britische Künstlerin Rhea Dillon findet in ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland eine eigene, poetische Form.

Im Heidelberger Kunstverein zeigt sie minimalistische Skulpturen aus tropischem Mahagoniholz, versehen mit gezeichneten Pik-Assen – Symbole, die sie neu auflädt und ihrer kolonial-rassistischen Bedeutung entreißt. Ihre Kunst verweigert sich gängigen Erwartungen an Schwarze Kunst – sie bleibt opak, widersprüchlich, leise und doch politisch.

Wer wissen will, wie politisch oder poetisch Rhea Dillon denkt, könnte aber auch auf Folgendes stoßen:

Writers Against the War on Gaza (WAWOG) is a coalition of media, cultural, and academic workers who are committed to the horizon of liberation for the Palestinian people. We organize against Zionism and American militarism from within the imperial core. (Herv. CH)

Das ist eine Grundsatzerklärung einer Gruppe „Writers against the War in Gaza“, die sich nach dem 7. Oktober 2023 bildete. Diese Gruppe hat als Ziel, Künstlerinnen, Schriftsteller und wissenschaftliche Autorinnen gemeinsam im Kampf „gegen den Zionismus“ zu vereinen. Es geht hier nicht um Kritik an dieser oder jener Politik Israels oder dieser oder jener Kriegsführung, sondern um eine vollständige Ablehnung des Zionismus, also des einzigen Judenstaates, der als Grundlage die Ideen des Zionismus hat.

In einer Stellungnahme vom 26. Oktober 2023 („Statement of Solidarity With the Palestinian People„) wird das ebenso unumwunden deutlich. Mit keinem Wort wird das genozidale Massaker der Hamas erwähnt, geschweige denn verurteilt, als Frauen ihre Brüste geschreddert wurden oder ihnen immer noch ein Stich mit einem Messer in den Rücken gerammt wurde, wenn sie während einer Vergewaltigung zurückzuckten, so haben es Zeuginnen und Zeugen beschrieben. Es sind unschilderbar brutale Formen des Tötens von Menschen – genauer gesagt haben muslimisch-palästinensische Männer jüdische Frauen auf diese Weise massakriert.

Davon nicht ein Wort dieser internationalen Gruppe von Schriftstellern gegen den Krieg in Gaza:

Israel’s war against Gaza is an attempt to conduct genocide against the Palestinian people. This war did not begin on October 7th.

Israel wird des „Genozids“ bezichtigt, während das tatsächlich genozidale Massaker der Palästinenser an Juden und Israelis (und anderen) wenige Wochen zuvor als Akt des Widerstands gesehen wird, das ist der Tenor des Textes:

We come together as writers, journalists, academics, artists, and other culture workers to express our solidarity with the people of Palestine. We stand with their anticolonial struggle for freedom and for self-determination, and with their right to resist occupation.

Die Writers Against the War on Gaza (WAWOG) fordern:

Since 2004, the Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI) has advocated for organizations to join a boycott of institutions representing the Israeli state or cultural institutions complicit with its apartheid regime. We call on all our colleagues working in cultural institutions to endorse that boycott. And we invite writers, editors, journalists, scholars, artists, musicians, actors, and anyone in creative and academic work to sign this statement. Join us in building a new cultural front for a free Palestine.

Diese antisemitische Erklärung gegen Israel und den Zionismus sowie für die BDS-Bewegung hat auch die Künstlerin Rhea Dillon unterschrieben – jedenfalls findet sich der Name Rhea Dillon in der Liste der Unterzeichner – Rhea Dillon, die jetzt mit ihrer ersten Einzelausstellung vom Heidelberger Kunstverein präsentiert wird.

In der Ankündigung ihrer Ausstellung auf der Homepage des Heidelberger Kunstvereins werden auch andere BDS-Unterstützerinnen wie Gayatri Spivak oder der wegen Holocaustverharmlosung kritisierte Philosoph Achille Mbembe unkritisch, ja als für die Künstlerin inspirierend erwähnt. Die geplante Einladung Mbembes im August 2020 als Redner der Ruhrtriennale in Bochum hat einen Skandal ausgelöst (dabei wurde die Veranstaltung wegen einer Pandemie abgesagt). Schon 2019 hatte ich die Holocaustverharmlosung von Mbembe analysiert.

Die Universität Heidelberg und Gespräche mit den „Students for Palestine“ im August 2025

Aber ja, es ist richtig: Selbst diese Geschichte des Antisemitismus wie des muslimischen Antisemitismus, hat rein gar nichts mit der konkreten und in weiten Teilen verbrecherischen Kriegspolitik Israels im Gazastreifen zu tun.

Seit Ende der 1970er Jahre wird Israel von rechten Parteien unter Führung des konservativen Likud regiert. Die moderate und friedenswillige Position von Jitzchak Rabin („Osloprozess“) führte 1995 zu seiner Ermordung durch einen rechtsextremen und religiös-fanatischen jüdischen Israeli, wobei schon damals Benjamin Netanyahu auf der Seite der Hetzer gegen eine friedliche Lösung mit den Palästinensern war.

Seitdem wurde Netanyahu von Jahr zu Jahr noch fanatischer und rechtsextremer. Die seit Ende 2022 regierende Koalition unter Netanyahu ist die rechtsextremste Regierung in der ganzen Geschichte des Staates Israel seit 1948.

Aber nochmal: Nur Zionist*innen haben moralisch das Recht, die Aktionen der IDF zu kritisieren, Menschen, die den Judenstaat ohnehin ablehnen oder ihn nie unterstützt haben, sind denkbar ungeeignet, Kritik an der israelischen Kriegsführung zu üben.

Denn deren großteils Schweigen (oder Klatschen oder Kichern) am 7. Oktober zeigte sich ja darin, dass es keine Offenen Briefe gegen Islamismus, säkularen Antizionismus und andere Formen des Judenasses gab. Oder habe ich die alle verpasst?

Vielmehr wurde nach dem 7. Oktober das Palästinensertuch zu dem Symbol der Zustimmung zum Judenmord. Andere, wie im „Weltladen“ Heidelberg, hören im Laden lieber jüdische Lieder und tragen gleichzeitig farbige Armbändchen in den Farben Schwarz, weiß, grün und rot – mit der Aufschrift „Palästina“ (Augenzeugenbericht, 12.07.2025).

Es ist wissenschaftlich skandalös und politisch grotesk, dass die Präsidentin der Universität Heidelberg, Frauke Melchior – typisch für das hippe und heute primär von den Natur-, ‚Lebens‘- und Biowissenschaften dominierte Heidelberg, eine „Biochemikerin“ -, ankündigt, im August 2025 mal wieder mit der antizionistischen Gruppe „Students for Palestine“ zu reden:

„Melchior will sich nach Angaben der Universität Mitte August zu einem Gespräch mit Mitgliedern der Students for Palestine und der Studierendenvertretung treffen. Darin solle besprochen werden, wie auch die Universität Heidelberg den Wiederaufbau eines Bildungsangebotes in den vom Krieg betroffenen Gebieten „möglichst effektiv“ unterstützen könne.“ (Rhein-Neckar Zeitung, 11.07.2025)

Diese Gruppe ist für antisemitische Vorfälle berüchtigt wie für Camps auf dem Uniplatz in Heidelberg letztes Jahr und dieses Jahr. Auf Propaganda-Wandzeitungen am Uniplatz in Heidelberg konnte man dort zum Beispiel lesen:

„Exist Resist Return“, daneben eine Person mit einer Steinschleuder,

mit diesem Spruch ist das historisch irrationale, aber intentional antizionistische „Rückkehrrecht“ der 1948 vertriebenen oder freiwillig gegangenen Palästinenser gemeint bzw. vor allem das „Rückkehrrecht“ der Nachfahren der damals vermeintlich oder tatsächlich Vertriebenen (so wie wenn Neonazis heute noch fordern „Schlesien oder Pommern ist unser“).

Die Wandzeitung auf dem Uniplatz Heidelberg dieses Pro-Palästina Camps unterstützt auch die vom Deutschen Bundestag 2019 als antisemitisch kritisierte Boykott-Bewegung gegen Israel, BDS.

Dann gab es dort weitere Hetzparolen, die Gewaltaufrufe sind:

„One Solution Intifada Revolution“

daneben ist dann eine Landkarte von Israel und den besetzten Gebieten gezeichnet, die einheitlich in schwarz gemalt ist und einen Staat meint, wie direkt daneben steht:

„Viva Palästina.“

Bei der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 wurden über 1000 Israelis bei islamistischen und palästinensischen Selbstmordattentaten oder Bomben in Pizzerien, auf Bahnhöfen und Straßen und in Bussen oder an der Hebräischen Universität Jerusalem am Mount Scopus zerfetzt und ermordet und viele Tausend verletzt oder verstümmelt.

„Viva Palästina“ meint so gut wie nie einen Staat Palästina neben Israel – nein, das ist de facto die Aufforderung zur Zerstörung des einzigen Judenstaates und somit zur Tötung von Juden, die ja nicht freiwillig das Land Israel verlassen werden.

All das ist für eine Universitätspräsidentin und Biochemikerin ein Grund, sich mit solchen Agitator*innen zu treffen?

Ernsthaft? Was hat die Rektorin im letzten Jahr gelernt, was den Umgang mit antisemitischen Störer*innen betrifft? Schon beim Sommerfest 2024 an der Uni Heidelberg hatte exakt diese Gruppe Students for Palestine die Veranstaltung gestört, jüdische und andere Studierende fühlten sich massiv bedroht, doch als die Polizei kam, wurde deren Eingreifen ausgerechnet von der Uni-Leitung verhindert.

Das scheint aber in Heidelberg ins Bild zu passen, das Beispiel des Offenen Briefes, den laut Rhein-Neckar-Zeitung ca. 70 Uni-Angestellte unterschrieben haben sollen, wie der geplante Tanz-Event am Bunsen-Gymnasium oder auch die aktuelle Kunstausstellung im Heidelberger Kunstverein mit einer BDS-Unterstützerin sprechen eine deutliche Sprache.

Es gibt auch große Essensauslieferer-Ketten in dieser Neckar-Idylle, die mit dem Fahrrad ihre Ware ausliefern und manch einer hat am Fahrrad wahlweise eine Palästina-Fahne oder eine Deutschland- und eine Palästinafahne hängen, das kann man in Heidelberg im Stadtbild immer wieder sehen (Augenzeugenbericht, Juni 2025).

Kein Mensch würde sich hier in der Idylle am Neckar trauen, am Fahrrad eine Israelfahne zu montieren, schon gleich gar nicht als Essensauslieferer, da man ja nie weiß, welche womöglich gewaltbereiten Antisemiten aller Geschlechter das Essen bestellt haben…

Was tun? Kritik der typischen (angeblich) „Pro-Palästina“ oder der Pro-Netanyahu Camps…

Entscheidend für einen friedlicheren Nahen Osten wäre das Ende der islamistischen Republik Iran, ein Ende der Hamas, des Islamischen Jihad, der Houthis, der Hisbollah, des Islamischen Staates, des islamistisch-diktatorischen Regimes in Ankara sowie der ganzen arabischen Monarchien, die zugunsten von Demokratien aufgelöst gehörten.

Dazu kommt selbstredend auch ein notwendiges Ende der religiös-fanatischen wie rechtsextremen Regierung Israels, was durch Neuwahlen ja nicht unmöglich ist, während es in den genannten arabischen Staaten, der Türkei wie dem Iran jeweils keinerlei freien Wahlen gibt.

Was sollen wir in einem Land wie Deutschland als Nationalismuskritiker tun, wenn jetzt auch bei Frauen-Fußballspielen der widerwärtige deutsche Nationalismus sein Unwesen treibt (aktuell während der EM in der Schweiz)?

Was sollen wir von einem Land wie D-Land erwarten, in welchem entgegen dem laizistischen Frankreich die Kritik am Schleier und Kopftuch als „Muslim- oder Islamfeindlichkeit“ interpretiert wird?

Das ist eine gezielte Übernahme des islamistischen Narrativs – das exakt am Dienstag, den 11. September 2001 – nachdem islamistische Terroristen oder Jihadisten 3000 Menschen im World Trade Center in New York City, im Pentagon und in vier Flugzeugen ermordet und pulverisiert hatten – losging, mit dem Motto:

„Der Islam ist eine Religion des Friedens“ (George W. Bush, damaliger US-Präsident, Republikaner).

Es ist in der Tat von entscheidender Bedeutung, zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden, aber logischerweise haben beide eine nicht geringe Schnittmenge, gehen aber nicht ineinander auf. Es gibt Hunderte Millionen moderate Muslime – nur, wo sind sie? Wo sind deren Demonstrationen gegen Jihad und Islamismus?

Dabei ist die Kritik am Kopftuch eine notwendige zur Befreiung der Frauen, ja eine Forderung gerade auch von Millionen weltlicher muslimischer Frauen.

Wissenschaftlich, gesamtgesellschaftlich wie politisch gilt: Weg mit dem Kreuz in Schulen und öffentlichen Gebäuden und weg mit dem Kopftuch in Schulen, an Universitäten, in Krankenhäusern, Altenheimen und so weiter und so fort. Religion ist eine Privatsache und hat im öffentlichen Raum nichts zu suchen.

Warum hat es exakt eine missionarische Weltreligion so nötig, sich aggressiv und religiös fanatisch in der Öffentlichkeit mit Kopftuch (oder gar Burka oder Niqab) zu zeigen und dabei Frauenrechte mit Füßen zu treten (es ist ein Menschenrecht, das Haar im Wind wehen zu lassen)?

Warum wird hierbei auf geradezu pathologische Weise halluziniert, Männer würden ganz grundsätzlich erregt auf das Haupthaar einer Frau reagieren, aber nackte Füße, Augen oder Hände etc. hätten keinerlei mögliche erotische Bedeutung oder Anziehungskraft, von den inneren Werten (auch wenn die bei den allermeisten Menschen aller Religionen und den Nicht-Religiösen ja eher super selten vorhanden sind) ganz zu schweigen?

Die angeblichen „Pro-Palästina“-Demonstrationen sind fast alle antisemitische Demonstrationen und schaden den Palästinenser*innen – das sieht auch die Wochenzeitung Die Zeit Ende Mai 2025 in einer differenzierten Analyse:

Die Radikalität der propalästinensischen Wortführer schadet der Unterstützung für die palästinensischen Opfer dieses Krieges. Es wäre höchste Zeit für eine andere, für eine breitere und zivilere Solidaritätsbewegung mit den Opfern auf beiden Seiten, gerade in Deutschland.

Long Live the Resistance“ – mit „Resistance“ ist die Hamas gemeint. „There is only one Solution – Intifada Revolution.“ „Zionisten sind Faschisten.“ „Globalize the Intifada.“ „Zios töten.“ „Make Zionists afraid.“ – Das sind einige der terrorverharmlosenden Slogans, die zwar nicht von allen Unterstützern der Protestbewegung mitgetragen, aber von den meisten toleriert werden. Die als Schriftzüge an Universitätstoiletten, Wänden und Litfaßsäulen auftauchen, massenhaft im Internet geteilt und auf Demonstrationen gerufen werden.

Doch solche durchaus differenzierten, im Kern gleichwohl zionistischen wie pro-palästinensischen Stimmen wie in der Zeit (in diesem Text jedenfalls, was ja nicht die ganze Zeitung bestimmt) sind sehr sehr selten, wie Die Zeit schreibt:

Zwischen den Fronten finden sich Menschen, die für ein Ende des Krieges und der Besatzung einstehen, für eine Rückkehr der israelischen Geiseln und den Kampf gegen islamistischen Terrorismus. Die vor der teils genozidalen Rhetorik der israelischen Regierung erschrecken (wenn beispielsweise der Polizeiminister wörtlich von „auslöschen“ spricht), aber auch vor den Vernichtungsfantasien der Hamas. Die Druck auf die israelische Regierung ausüben wollen, ohne Israel als Ganzes zu dämonisieren.

Jenseits linker Identitätspolitik

Doch was sollen wir von Linken erwarten, die in anderen Städten auf Holzbänke „gegen Kapitalismus und Patriarchat“ schreiben und wenige Tage später (mit der gleichen Handschrift) an eine Häuserwand gegenüber „Death to the IDF“ sprühen?

Das ist ein extrem gewaltsamer Spruch des Volksverhetzers und ‚Musikers‘ Bob Vylan, der diese Mordaufrufe – in der IDF dienen ja Menschen, die er offenkundig töten möchte – auf dem riesigen Musikfestival in Glastonbury in England verbreitete, was die BBC live im Fernsehen übertrug (jede seriöse TV-Anstalt hätte das nach wenigen Sekunden abgeschalten).

Es ist notwendig, sich für einen sofortigen Waffenstillstand im Gaza-Krieg einzusetzen und die sofortige Freilassung aller Geiseln.

Es gilt die kleine, aber existente palästinensische Demokratiebewegung gegen die Hamas zu unterstützen, wobei die Politik Israels unter Netanyahu gerade die Hamas begünstigt hat und jetzt ganz neue islamistische Milizen unterstützt, im Irrglauben, ausgerechnet mit Islamisten gegen Islamisten kämpfen zu können.

Es gibt gar keinen Grund anzunehmen, dass nicht auch im Nahen Osten die Demokratie eine Chance haben könnte. Doch das müsste bedeuten, schon immer verfehlte Clan-Politiken, „Großfamilien“-Denken aufzulösen und zu lernen, Menschen als Individuen zu sehen und nicht als Teil einer Religion, eines Clans, einer Großfamilie oder einer bestimmten und festgelegten Kultur.

Diese Art von Deradikalisierung, die Gaza so nötig hätte, braucht realistisch gesehen sicher locker ein paar Hundert Jahre. Doch diese Zeit haben wir nicht … Dann wenigstens realpolitisch ein paar Jahre Deradikalisierung und dann Wahlen einer demokratischen Regierung ohne Hamas, die zuvor ausgeschalten werden muss als militärische und politische Kraft, was nicht heißt, alle Hamas-Kämpfer zu finden, das kann bei einer Guerilla-Gruppe nicht gehen. Aber als militärische und politische Kraft kann man die Hamas ausschalten, auch mit Hilfe der arabischen Nachbarn.

Doch sexualisierte patriarchale Gewalt, die Klimakatastrophe, Wasserarmut, wie die Gefahr durch Atomwaffen, der Militarismus und Nationalismus (Ukraine-Krieg, die weiter schwelende iranische Gefahr, zudem Nordkorea, Pakistan, extreme Aufrüstung in Ländern wie Deutschland), die weltweite Gefahr durch die Gain-of-Function-Forschung und Gentechnik sind die Themen unserer Zeit, die alle betreffen.

Doch so akut diese Gefahren sind, so weit entfernt von demokratischen Lösungen sind wir.

Vor allem: gerade jene, die diese Gefahren jedenfalls teilweise erkennen, die Ach-so-Zärtlichen, Ach-so-Nachdenklichen, Ach-so-Woken, sind hier und heute häufig die allergrößten Judenhasser (und waren oft auch die ZeroCovid-Wahnsinnigen oder sind bis heute die Waffen-für-die Ukraine-Anti-Diplomatischen).

Alles kompliziert und ausweglos, wenn man nicht einfache Antworten haben möchte?

Was bleibt?

„Wenn ich verzweifelt bin, was geht’s mich an?“ (Günther Anders)

 

[1] Hier wird der Schuster nicht nur als Feind von Christus sondern auch als reich imaginiert, Mammon trifft Ahasver.

[2] http://www.musicanet.org/robokopp/Lieder/christdh.html (11.07.2025).

[3] Achim von Arnim (1812), Die Versöhnung in der Sommerfrische, zitiert nach: Susanna Moßmann (1996): Das Fremde ausscheiden. Antisemitismus und Nationalbewußtsein bei Ludwig Achim von Arnim und in der „Christlich-deutschen Tischgesellschaft“, in: Hans Peter Herrmann/Hans-Martin Blitz/Dies. (1996), Macht­phantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vat­erlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 123–159, hier S. 139.

[4] Der „schlüpfrig-heitere Ton der Rede mit ihrer Berufung auf Aristophanes und Eulenspiegel“, Moßmann 1996, S. 152, zeigt an, wie aggressiv Arnim denkt. Er üb­er­legt, ob es nicht sinnvoll wäre Juden zu pulverisieren, um zu ermitteln, wie ihre Körper reagierten, vgl. Achim von Arnim (1811): Über die Kennzeichen des Judentums, in: Ders. (1992), Werke in sechs Bänden. Band 6, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 362–387.

[5] Siehe Umschlag des Heftes (S. 2) der Werkblätter von Neudeutschland-Ält­er­en­bund, 6. Jg., Heft 9/10, Dez. 33/Jan. 34.

[6] Rolf Fechter (1933): Volk als Begriff und Aufgabe, in: Werkblätter, 6. Jg., Heft 7/8, Okt./Nov., S. 160–169, hier S. 161.

[7] Vgl. die Angaben am Ende des Bandes, Rolf Eilers (1998): Konfession und Lebenswelt. 75 Jahre Bund Neudeutschland 1919–1994, Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag.

[8] Rolf Fechter (1934b): Kulturkampf oder innere Erneuerung?, in: Werkblätter, 7. Jg., Heft 2, Juli, S. 55–58, hier S. 55.

[9] Ebd., S. 58.

 

„Schöngeistiger“ Bericht einer Friedensaktivistin und Überlebenden des Massakers vom 7. Oktober?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Am Mittwoch, 28. Mai 2025, sprach in Mannheim in der jüdischen Gemeinde die israelische Kunsthandwerkerin, Mitarbeiterin in einem Reisebüro und Friedensaktivistin Irit Lahav über ihr Überleben am 7. Oktober 2023. Sie ist im Kibbutz Nir Oz geboren worden und lebte bis zum 7. Oktober dort. Das Schweizer Medium Blick hat schon am 12. Oktober 2023 über das Überleben von Irit Lahav und ihrer Tochter berichtet.

Es ging exakt um 6:29 Uhr mit einem Raketenalarm los, wie ihn viele Israelis zumal in der Nähe des Gazastreifens seit vielen Jahren gewohnt sind. Man hat dann 15 Sekunden Zeit, um in den Schutzraum zu gehen. Das machte Irit mit ihrer Tochter. Doch wenige Minuten danach hörten sie wieder Geräusche, die sich als Gewehrsalven von automatischen Waffen herausstellten, zuerst merkte das Irits Tochter, während Irit das nicht glauben konnte.

Danach wussten sie, dass es um ihr Leben ging. Was tun in einem Schutzraum, der nicht so gemacht ist, dass man ihn verriegeln oder abschließen kann? Die beiden Frauen verhielten sich mucksmäuschenstill und hatten kein Licht an. Nach einiger Zeit hatte der Bruder von Irit, der 5 km entfernt in einem Moshav lebt, die Idee, den Schutzraum mit überkreuzten Hölzern oder Ähnlichem zu verriegeln. Da sie in dem Schutzraum allerhand Gegenstände hatten, bekamen sie das mit enormem Erfindungsreichtum, einem Teil eines Paddels und einem Stück des Staubsaugers sowie Leder hin. Später dichtete Irit einen Zwischenraum zwischen Tür und Türrahmen noch mit Silberdraht ab, den sie in ihrer Schmuckwerkstatt, die sich in dem Schutzraum befindet, hatte. Insgesamt versuchten die palästinensischen Terroristen fünfmal, in den Schutzraum zu gelangen, ca. im Zeitraum zwischen 7 Uhr und dem frühen Nachmittag.

Erst kurz vor 18 Uhr wurden die beiden Frauen durch Soldaten der israelischen Armee befreit.

Ihr Schock über das komplette Versagen des eigenen Staates und der eigenen Armee sitzt sehr tief. Irit betonte, dass sie ein Jahr lang weder die israelische Nationalhymne Hatikvah hören noch die israelische Fahne sehen konnte. Bei Beerdigungen hat nicht nur sie sich abgewandt, als die israelische Fahne gezeigt wurde – so tief saß der Schock, dass das zentrale Versprechen des einzigen jüdischen Staates, seine Bewohner*innen immer zu schützen, gebrochen worden war. Bis heute ist unklar, warum und wie die Armee, die Polizei, die Geheimdienste und die Politik die Gefahr nicht sehen wollten, trotz interner Warnungen vor einem bevorstehenden Großangriff der Jihadisten aus Gaza – eine zentrale Untersuchungskommission wurde ja bislang von Netanyahu und der Regierung verhindert.

Doch noch viel schlimmer ist die arabische Sprache für Irit Lahav – sie ist traumatisiert durch das mörderische und brandschatzende Brüllen der Araber/Palästinenser, die in ihrem Haus und im ganzen Kibbutz Nir Oz wüteten. Sie hat schon Panik bekommen, als sie in Mannheim Leute Arabisch sprechen hörte – die Synagoge und das jüdische Gemeindezentrum liegen in den „Quadraten“, der Innenstadt von Mannheim, mit einem sehr hohen Migrantenanteil, speziell Türken und Araber.

Irits Vortrag in Mannheim war sehr emotional, mehrfach musste sie weinen, es sind äußerst dramatische Erinnerungen – Dutzende ihrer Freundinnen und Freunde aus dem Kibbutz sind ermordet worden, 14 noch in Geiselhaft, wo nicht klar ist, wie viele von ihnen überhaupt noch leben.

Es wurden ca. ein Drittel aller anwesenden Bewohner*innen des Kibbutz Nir Oz von den palästinensischen Terroristen am 7. Oktober ermordet oder entführt.

Seit Januar 2024 leben Irit Lahav, ihr Tochter und die anderen Überlebenden des Massakers von Nir Oz in einer Neubausiedlung in Kiryat Gat in einem Hochhaus.

Im Laufe des Abends bei der Diskussion zu ihrem gut 90-minütigen Vortrag sowie im Anschluss an die Veranstaltung wurde noch einiges klarer, was die Beziehung von Israelis, linken, friedensbewegten Jüdinnen wie Irit und einigen hier lebenden irgendwie Pro-Israel Aktivist*innen ausmacht.

Manch eine meinte im Gespräch mit anderen nach der Veranstaltung ernsthaft, „Gott haben seinen eigenen Plan, was er mit uns vorhat“, als andere erwähnten, dass „Gott wohl geschlafen habe“, als Juden lebendig verbrannt wurden von den muslimischen Terroristen.

Irit betonte, dass allein im Kibbutz Nir Oz drei Leute vor dem 7. Oktober regelmäßig palästinensische Patienten und Patientinnen in Krankenhäuser oder zur medizinischen Versorgung nach Israel fuhren. Einer der drei war Oded Lifshitz, am 7. Oktober 85 Jahre alt, er wurde von den Jihadisten ermordet, wie auch der zweite Friedensaktivist. Die dritte im Bunde war – Irit Lahav.

Sie meinte am Ende des Abends, auf die Frage, wie sie heute die Palästinenser sehen würde, dass es sehr schwer sei für sie, diese Situation in Worte zu fassen. Sie dachte wie viele andere auch, dass es primär die Hamas oder der Islamische Dschihad seien, die für den Terror verantwortlich sind. Doch sie hat gelernt, dass Kinder ab dem Alter von 3 Jahren im Gazastreifen bei Theaterstücken oder öffentlichen Auftritten lernen, dass in einem solchen ‚Stück‘ der Kernaspekt ist, Juden zu ermorden.

Sie und andere Bewohner*innen von Nir Oz haben Frauen- und männliche Teenagerstimmen gehört am 7. Oktober, manche Palästinenserin machte für ihre noch blutbespritzten Männer, Brüder, Söhne oder Neffen Sandwiches, sie schalteten die Computer der jüdischen Bewohner an und stellten die Fernseher auf arabische Sender. Eine unfassbare Situation. Mit solchen Menschen jemals Frieden machen?

Irit Lahav sagte, was traditionell zionistisch ist: „Mit FEINDEN schließt man Frieden“ – nicht mit Freunden.

Die Palästinenser*innen stahlen alles, was sie mitnehmen konnten, Löffel, Unterwäsche, Koffer, Laptops, einfach alles.

Was sie nicht fanden, war das hochwertige Rennrad von Irit, das in einem abgeschlossenen Raum auf dem Gelände stand – sie ist Triathletin.

Sarkastisch erzählte Irit dann, wie sie und ihre Tochter in ihrem Schutzraum eine Wand mit Büchern aufstellten, so dass sie, sollten die Terroristen der Hamas und andere eindringen und sofort Gewehrsalven abfeuern, durch die Bücher geschützt wären, vielleicht verletzt werden würden, aber nicht getötet. Eines der oberen Bücher, das ihr dabei in die Hände fiel, war „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“ (ein bekanntes Werk des US-amerikanischen Historikers William Lawrence Shirer von Anfang der 1960er Jahre), darauf Irit: „Maybe this time Hitler will help us!“…

Das einzige Wertvolle, was sie ebenfalls nicht mitnahmen, die palästinensischen Judenmörder und Plünderer, war eine 46 Kilogramm schwere bronzene Buddhafigur im Haus von Irit. Sie ist sozusagen eine zionistische Buddhistin, der Dalai Lama schenkte ihr einen kunstvollen tibetischen Wandteppich, als sie vor Jahren in einem Kloster in Indien war, wie die Times of Israel in einem Bericht im März 2024 schreibt.

Bei der Diskussion in der jüdischen Gemeinde Mannheim hat sie betont, dass sie die aktuelle israelische Regierungs- und Kriegspolitik ablehnt. Ja, sie hat sich schon überlegt, ob sie die Fahrten für kranke Palästinenser*innen wieder aufnehmen würde, wenn ein Waffenstillstand herrschte – und sie meinte „ja“, das würde sie womöglich wieder tun, obwohl sie jetzt weiß, dass ein sehr großer Teil der Palästinenser*innen vom Judenhass getriebene Existenzen sind, böse Menschen.

Aber sie selbst, das betonte Irit, sie möchte kein böser Mensch sein, sondern ein guter Mensch, sie möchte nicht vom Hass getrieben sein, so verständlich der ist von Seiten der Überlebenden und Angehörigen der Opfer des 7. Oktober 2023.

Das brachte ihr im Anschluss an die Veranstaltung von manchem Teilnehmer höhnische Kommentare. Ein Teilnehmer der Veranstaltung sagte in einem privaten Gespräch, das ich mitbekam, er finde es schlimm, dass die israelische Armee „solche Leute“ wie Irit auch noch beschützen müsse (!). Viel perfider geht es kaum noch – das war ein (sich selbst so bezeichnender) „extrem rechter“ Netanyahu-Fan.

Und damit sind wir am heutigen Tag, also nur zwei Tage später, als der ehemalige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Reinhold Robbe dem amtierenden Präsidenten der DIG Volker Beck vorwirft, sich hinter die rechtsextreme Regierung in Jerusalem zu stellen, wie der Tagesspiegel heute (5 Uhr am Morgen) berichtet:

Innerhalb der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) gibt es Streit über den Umgang mit der Gaza-Offensive von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Der frühere DIG-Präsident Reinhold Robbe (SPD) sagte dem Tagesspiegel, der amtierende DIG-Präsident Volker Beck (Grüne) sei „inzwischen zum Sprachrohr der rechtsextremistischen israelischen Regierung geworden“.

Prompt kam ein Dementi, und der Bayerische Rundfunkt berichtete um 15 Uhr, dass Beck sich von den extremistischen Teilen der israelischen Regierung distanziere:

„Meine Aufgabe, Israel zu verteidigen, wird immer schwieriger, weil es in der israelischen Regierung Stimmen gibt, die völlig inakzeptabel sind“, sagte der frühere Grünen-Politiker in einem Interview. „Wenn Minister dazu aufrufen, die Bevölkerung in Gaza auszuhungern oder ‚ins Ausland zu schicken‘, was nichts anderes als eine ethnische Säuberung ist, dann macht das unsere Aufgabe sehr schwierig“, sagte Beck.

Beck bezog sich dabei auf Äußerungen der ultrarechten israelischen Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir. Smotrich drohte kürzlich mit einer „totalen Zerstörung“ des Gazastreifens. Er sagte zudem, die Einwohner sollten im Süden des Küstenstreifens in einer „humanitären Zone“ konzentriert werden. Von dort aus sollten sie dann in großer Zahl das Gebiet verlassen und in Drittländer gehen.

Diese Kritik innerhalb der DIG zeigt, wie tief die Gräben inzwischen innerhalb der Pro-Israel Szene sind. Seit Jahren gibt es ähnliche Zerwürfnisse wegen Trump und Israel, insgesamt kann man eindeutig sagen, dass Linkszionismus für die meisten in der Pro-Israel Szene ein Fremdwort ist.

Irit Lahav betonte am Mittwoch in Mannheim schließlich, dass sie wirklich nicht weiß, wie sie reagieren würde, wenn eine der palästinensischen Frauen aus Gaza, die sie eventuell in Zukunft einmal in ein israelisches Krankenhaus fahren würde, ihre Ohrringe oder sonstigen Schmuck von ihr tragen würde …

Irit hat ihre alte Gemeinschaft von Kibbutzniks jetzt in dieser Hochhaussiedlung, aber auch den Ort in Nir Oz, der wieder aufgebaut werden wird, mit all den Granatäpfelbaumen und der Landschaft, den Feldern, der Kunst und der zionistischen Hoffnung.

Auch hier eine ganz bittere und typische Pointe: Eine Geisel erzählte nach ihrer Freilassung, dass einer der Terroristen in Gaza betonte, dass die Granatäpfel auf Niz Oz so gut schmecken würden – dabei liefert das Kibbutz gar keine Granatäpfel nach Gaza. Könnte es sein, dass das einer der Arbeiter war, der in Israel arbeitet – im Kibbutz Nir Oz – und Teil der Jihadistenbande vom 7. Oktober war?

Ihr Verhalten erinnert stark an den jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas, der das Gewährenlassen durch die israelische Besatzungsmacht von christlichen, katholisch-maronitischen Terroristen vom 16.-18. September 1982, die zwischen 500 und 3000 Palästinenser*innen in Beirut in den Flüchtlingslagern Sabra und Chatila in Beirut im Libanon niedermetzelten, absolut unerträglich fand.

350.000 Israelis demonstrierten daraufhin in Tel Aviv gegen die israelische Armee (IDF) und die israelische Regierung.

Und dann kommen die Rechten, die Neuen oder extremen Rechten und Netanyahu-Fans und lachen über Friedensaktivistinnen wie Irit Lahav, ich habe es selbst gesehen, in Mannheim. Ohne das Wort „Schöngeist“ zu verwenden, meinten sie genau das. Und Irit Lahav hat dieses einnehmende Lachen, trotz dieser unerträglichen Trauer und den Traumata, die sie hat, und den Tränen, die immer wieder kamen.

Und dann kommt Emmanuel Levinas, der in einer ganz ähnlichen Situation war, 1982, als Israel bei Kriegsverbrechen wenigstens zusah, obwohl sie hätten verhindert werden können, und heute womöglich selbst welche begeht – obwohl der Krieg gegen den Antisemitismus und Jihad 1982 so berechtigt war wie heute.

Aber: Er hat Grenzen und die hat Levinas so im Blick wie Irit Lahav. Levinas sagte in einem legendären Radio-Gespräch – wenige Tage nach dem Massaker in Beirut – mit Shlomo Malka, dem heutigen Biographen von Levinas, und Alain Finkielkraut:

Aber der Punkt, wo alles unterbrochen ist, wo alles gebrochen ist, wo die moralische Verantwortlichkeit aller, die die Unschuld betrifft, die sie reklamieren, zum Vorschein kommt und ihnen unerträglich ist, ist in den Ereignissen von Sabra und Chatila erreicht. Verantwortlichkeit aller.

Hier kann niemand uns sagen: Ihr seid in Europa und im Frieden, ihr seid nicht in Israel und ihr erlaubt es euch zu urteilen!

Ich denke, daß genau hier diese Unterscheidung zwischen den einen und den anderen, zumindest für diesen Fall, verschwindet. Man wird uns auch sagen, wie Sie es eben gesagt haben: ‚Ihr seid schöngeistig‘. Hegel ist es, der uns gelehrt hat, daß man alles sein darf, aber kein Schöngeist. Aus Angst davor, Schöngeist zu sein, wird man ein verbrecherischer Geist.

(Israel: Ethik und Politik, in: Emmanuel Levinas (2007): Verletzlichkeit und Frieden. Schriften über die Politik und das Politische. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Pascal Delhom und Alfred Hirsch, Zürich/Berlin: diaphenes, S. 237-248, hier S. 243f.)

Der Journalist Nicholas Potter, gegen den eine sehr gefährliche antisemitische Kampagne von Antizionist*innen in Berlin läuft, schreibt heute über den Tod des 11-jährigen Mädchens Yaqeen Hammad in Gaza, die als „Influenzerin“ im Netz berühmt war, sie starb bei einem israelischen Luftangriff.

Er sieht offenbar „den anderen“, so wie Irit Lahav und Emmanuel Levinas „den anderen“ sehen oder sahen.

Das ist eine zutiefst jüdische Ethik, den anderen zu sehen, wie es das große Lebenswerk von Levinas bezeugt.

Die aktuelle israelische Regierung arbeitet entgegen dieser Ethik, sie will das Westjordanland zu einem Teil Israels machen und Palästinenser aus Gaza vertreiben oder ihnen das Leben dort unerträglich machen oder sie dort in unregelmäßigen Militäraktionen erschießen, absichtlich oder als Kollateralschaden zur perfiden Taktik der Hamas, sich unter Zivilisten zu mischen. Aber die Hamas kann man nicht auslöschen, das glauben nur völlig Irre und Durchgeknallte. Es geht um eine Demilitarisierung der Köpfe in Gaza, um westliche Angebote an Demokratie – das ist das einzige Mittel, dem Terror schrittweise das Wasser abzugraben. Dabei helfen auch diplomatische Kontakte zu moderateren arabischen Regimen – die Israel aktuell auch stark beschädigt.

Levinas hätte diese Politik von Benjamin Netanyahu so scharf abgelehnt, wie sie von Irit Lahav heute abgelehnt wird – im Namen des Judentums und des Zionismus und im Namen der Geiseln – Bring them Home NOW!!!

Das machte diesen Abend in Mannheim so umwerfend, die Kraft, die Irit Lahav ausstrahlt, trotz dieser Todesängste vom 7. Oktober, der unschilderbaren menschlichen Verluste, der massakrierten Freundinnen und Freunde – und trotzdem ihr Betonen, dass „wir“ jedenfalls nicht so sein wollen wie die meisten Palästinenser*innen, gerade auch solche, die zuvor Hilfe von Jüdinnen und Juden, Zionistinnen und Zionisten erfahren hatten die Jahre zuvor.

Dass ein gewisser oder gar substantieller Teil jener, die Irit Lahav zuhörten, das nicht verstehen wollen und können, war ein weiteres Drama dieses Abends und Ausdruck der politischen Kultur unserer Zeit oder eben des Zeitgeistes.

 

„Stoppt den Krieg in Gaza“ (Haaretz, New York Times), aber: Netanyahu isoliert Israel noch weiter – die USA distanzieren sich

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Benjamin Netanyahu ist eine große Gefahr für die Zukunft des jüdischen und demokratischen Staates Israel.

Nach dem nie dagewesenen Massaker der Hamas und der Palästinenser am 7. Oktober 2023, als über 1200 Israelis auf teils unbeschreibliche Weise gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt, erschossen, lebendig verbrannt wurden und 251 Geiseln genommen wurden, von denen 59 noch im Gazastreifen sind, allerdings nur geschätzte 24 leben noch, gab es zwei Reaktionen der Weltgemeinschaft.

Einerseits tiefe Betroffenheit und Solidarität, vorneweg vom damaligen US-Präsidenten und Zionisten Joe Biden, aber auch von vielen europäischen Staaten.

Andererseits gab es umgehend an jenem Samstag, den 7. Oktober, Freudengelächter und Partystimmung, als Araber in Deutschland und weltweit Süßigkeiten verteilten und jubelten. Sie feierten das Abschlachten von Jüdinnen und Juden, schlichtweg.

Zumal die kulturelle Elite und viele ‚Linken‘ in Deutschland haben auf ihre Weise gezeigt, dass sie kein wirkliches Problem mit Judenhass hat, indem sie großteils einfach schwiegen, wenn nicht gar mehr oder weniger offen israelfeindlich agierten und weiter agieren.

Wer hat an jenem Tag nicht auch (alte) Freund*innen verloren, deren Eiseskälte oder Schadenfreude ihren immer schon in ihnen schlummernden Judenhass zum Vorschein brachten wie nie zuvor in den letzten Jahren und Jahrzehnten.

Hätte Israel im Oktober 2023 und seither eine seriöse Regierung gehabt, hätte sie die große Sympathie, die ihnen angesichts des schrecklichsten Massakers an Juden seit der Shoah von der Politik, wie vor allem von den USA, entgegenkam, nutzen können. Aber Benjamin Netanyahu hat panische Angst vor dem Gefängnis, in das er bei einer Verurteilung wegen Korruption oder anderer Delikte, die Verfahren sind noch offen, kommen könnte.

Und von daher macht er da weiter, wo er 1996 angefangen hat: Israels politische Kultur nach rechts zu schieben und im Linkszionismus den größten Feind zu sehen, größer noch als die Hamas, die ja vielmehr gerade parallel zu ihm und mit seiner Hilfe, anwuchs.

Ein Baustein für die linken Antizionisten wiederum in ihrem Kampf gegen den jüdischen und demokratischen Staat ist die sogenannte Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus von 2021, in der es in dem zentralen Abschnitt heißt:

„Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.“

Die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, die eigentlich eine marginale Erscheinung von mehr oder weniger antizionistischen oder mit dem Antizionismus liebäugelnden Forscher*innen ist und sich aggressiv gegen die Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wendet, ist zu einem Kernbestandteil des Kampfes gegen den einzigen Staat der Juden geworden.

Die Antisemitismusdefintion der IHRA, die von 35 Staaten, darunter fast alle euroäischen Staaten, unterzeichnet wurde, ist hingegen in ihrer Klarheit vorbildlich:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Weiter heißt es:

Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.

Die Partei Die Linke hat gestern auf ihrem Parteitag in Chemnitz entgegen der IHRA Definition von Antisemitismus jene Jerusalmer Erklärung zum Antisemitismus angenommen, da der antisemitisch-antizionistische Flügel in dieser Partei seit dem unerwarteten Wiedereinzug in den Bundestag massiv an Schlagkraft gewonnen hat.

Wer vor diesem Hintergrund fabuliert, „Kritik“ an Israel würde von der Antisemitismusdefinition der IHRA verunmöglich, lügt schlichtweg oder verbreitet die beliebten Fake News; der Tagesspiegel berichtet:

In der Aussprache warnte van Aken die Delegierten vor der Annahme dieses Antrags. Die Linke könne einen wissenschaftlichen Streit über die Definition von Antisemitismus nicht per Parteitagsbeschluss entscheiden. Der Parteichef wollte so verhindern, dass der Kompromiss von Halle über den Haufen geworfen wird.

In der Gegenrede erklärte die Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel-Böhlke, dass durch die Definition der IHRA jegliche Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus diffamiert werden könne. ‚Und das akzeptieren wir nicht.‘

Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist – sagen wir die Ablehnung einer bestimmten Regierungspolitik – ist gerade nicht antisemitisch, so die IHRA, aber das kümmert solche Linken nicht, die kokettieren lieber mit der Zerstörung Israels, wie es ja die Jerusalemer Erklärung erlaubt sozusagen.

Selbst Forscher, die viele bislang als Kritiker des zumal linken Antisemitismus kannten oder einschätzten, wie Wolfgang Kraushaar, kokettieren jetzt mit der oben angedeuteten „Einstaatenlösung“, ja fordern sie geradezu ein, und das in einem Gespräch mit der Wochenzeitung Jungle World vom 10. April 2025:

Anschließend führen Sie aus, dass die Zweistaatenlösung, welche bis heute die Hoffnung beflügelt, den Israel-Paläs­tina-Konflikt friedlich beilegen zu können, nicht mehr realistisch sei. Stattdessen schlagen Sie die Einstaatenlösung vor, also einen gemeinsamen Staat von Israelis und Palästinensern. Ist das nicht der utopischste aller Lösungs­ansätze?
Das ist nicht allein meine Vorstellung, eine solche hatte bereits der Religionsphilosoph Martin Buber in den 1920er Jahren ins Spiel gebracht. Im Wesentlichen basiert sie auf der Idee, eine Art von Konföderation unter einem gemeinsamen Dach zu errichten.

Die Einstaatenlösung ist kategorial antizionistisch. Und der Antizionismus ist seit 1948 die aggressivste Form des Antisemitismus, weil er sich gegen jüdisches Leben wendet. Israel ist der Staat der Juden, wer diesen Staat weg haben möchte, möchte Juden weg haben und töten, will Juden ins Meer treiben oder sonst ermorden, abschieben (nach Europa, USA etc.) oder sie zwingen, zum Islam oder Christentum zu konvertieren.

Die Einstaatenlösung wendet sich gegen jüdische Souveränität und Selbstbestimmung. Juden wären nicht mehr in der Mehrheit im eigenen Land, das kein eigenes Land mehr wäre.

Es ist ahistorisch und absurd, hier mit Martin Buber zu kommen. Denn zwischen den 1920er Jahren und heute liegt Auschwitz, liegt der arabische und islamistische Antisemitismus von Hebron 1929, der Aufstand von 1936, die Ablehnung eines palästinensischen Staaten, wie ihn die UN Resolution 181, der Teilungsplan für Palästina, am 29. November 1947 beschloss.

Und nicht zuletzt ignoriert so ein Gerede auch die Kollaboration des Mufti von Jerusalem al-Hussaini mit Hitler und den Deutschen, einem Mufti, der die antisemitische politische Kultur der Palästinenser über Jahrzehnte prägte, was wir bis heute sehen können.

Ja, es gibt moderate und weltliche, Israel akzeptierende Palästinenser*innen. Die gilt es auch mit aller Kraft zu unterstützen. Aber niemals mit einer „Einstaatenlösung“, die das Ende des Zionismus und somit Lebensgefahr für Millionen Juden bedeuten würde.

Wer sich in der Geschichte Israels etwas auskennt, weiß, dass Zionisten wie Gershom Scholem, der 1923 Alija gemacht hatte, anfänglich auch für die binationale Idee offen waren, aber nur wenige Jahre später vom kulturellen zum politischen Zionismus wechselten, weil der Judenhass der Araber schlichtweg überwältigend war.

Die bittere Ironie liegt nun darin: Sowohl die Islamisten und die Hamas, deren Fans wie auch säkulare Antisemiten / Antizionisten sind ebenso für die Einstaatenlösung wie die rechtsextreme israelische Regierung.

Die rechtsextreme Regierung Israels möchte dabei möglichst viele Palästinenser*innen vertreiben, zumal aus dem Gazastreifen, dazu das Westjordanland annektieren, aber ohne politische Rechte für die dort lebenden Millionen Palästinenser.

Es ist also unverantwortlich, gerade als Forscher und Publizist zu (linkem) Antisemitismus, die Einstaatenlösung zu propagieren.

Die rechtsextreme, ultra-nationalistische und rassistische Einstaatenlösung, die Netanyahu und seiner Koalition und einem substantiellen Teil der israelischen Bevölkerung vorschwebt, ist aber ebenso eine riesige Gefahr für den einzigen Judenstaat und für die Palästinenser.

Diese Gefahr zeigt sich jetzt von unerwarteter Seite. Donald Trump scheint sich von Israel abzuwenden. Er wird nächste Woche in den Nahen Osten fliegen und Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar besuchen – aber nicht Israel. Es ist klar, dass Trump eine Vorliebe für Monarchien, Hierarchien und Diktatoren hat. Aber viele seiner Fans – auch in Israel – dachten wohl, dass ein ultranationalistischer Netanyahu wie schon bei der ersten Amtszeit von Trump genau dessen Geschmack treffe. Pustekuchen.

Dass dies nicht so ist, betont ein Kommentar des preisgekrönten Journalisten Thomas L. Friedman in der New York Times vom 9. Mai 2025.  Friedman betont, wie fürchterlich die Hamas den Gazastreifen ins Elend gezogen hat und dass Hamas verantwortlich ist für das Massaker vom 7. Oktober. Aber Friedman betont ebenso, dass aktuell die rechtsextreme Regierung Netanyahu, vorneweg der sich selbst so bezeichnende Faschist Bezalel Smotrich, den Gazastreifen entvölkern wollen und wieder besiedeln – jüdische Siedlungen wieder bauen.

Ein besonders absurdes Argument für eine Einstaatenlösung, wie es auch Kraushaar vorbringt – ohne Kritik der Jungle World – ist die Idee, dass die jüdischen Siedlungen im Westjordanland ein Hindernis seien für eine Zweistaatenlösung? Warum? Warum sollten nicht diesen Juden, wenn sie schon dort leben wollen – freiwillig – Teil eines Staates Palästina werden, als Minderheit so wie die Araber in Israel eine Minderheit sind und zwar sogar ungefähr in einer ähnlichen Größenordnung, ca. 20 Prozent der Bevölkerung.

Trump hatte sich, so Friedman, in seiner ersten Amtszeit für die Zweistaatenlösung ausgesprochen und Friedman, dessen Kolumne sich direkt an den US-Präsidenten richtet, möchte weiterhin eine Zweistaatenlösung mit einem entmilitarisierten palästinensischen Staatsgebiet.

Wer das nicht möchte, möchte den Untergang Israels. Entweder via Ultranationalismus, Messianismus und Siedlungspolitik in Gaza wie im Westjordanland oder via der ‚linken‘, islamistischen oder säkularen Einstaatenlösung.

Friedman beendet seinen Text mit einem Zitat aus dem Editorial der Haaretz vom 7. Mai 2025, das die palästinensischen Opfer jüngster Angriffe Israels betrauert und die Situation unerträglich findet:

We must not avert our eyes. We must wake up and cry out loudly: Stop the war.

Wir wissen, dass jene, die hierzulande mit Palästinafahnen und Kefiyah demonstrieren, nicht für Palästina, sondern gegen Juden und den jüdischen Staat Israel demonstrieren, fast alle auf diesen Demonstrationen sind für die Einstaatenlösung und für die Zerstörung Israels – ansonsten könnten sie ja mit Israel- und Palästinafahne demonstrieren, aber das gibt es hierzulande nicht (in Israel schon).

Von daher gilt es, gegen Netanyahu und gegen die Einstaatenlösung aktiv zu werden, also: den Zionismus wiederbeleben, den Linkszionismus, der gleiche Rechte für alle Menschen fordert und zwei Staaten für zwei Völker, wie es 1947 von den Vereinten Nationen und somit der Weltgemeinschaft beschlossen wurde:

Israel und Palästina, Seite an Seite.

 

 

Ist Benjamin Netanyahu ein antizionistischer Politiker ?

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Zionismus bedeutet jüdische Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit. Das war 1948. Ein wahrhaft historischer Moment.

Die Araber lehnten den einzigen jüdischen Staat ab und wollten den jungen Staat wenige Jahre nach der Shoah an seiner Gründung hindern und umgehend wieder zerstören. Fast alle arabischen Staaten und vor allem der Iran lehnen Israel bis heute ab. Dazu kommen unzählige sogenannte Akademiker:innen, NGO-Aktivist:innen, Neonazis und Linke sowie Islamist:innen sowie weite Teile im bürgerlichen Mainstream, die Israel kategorisch ablehnen und am 07. Oktober 2023 Jubelschreie von sich gaben, kicherten oder schwiegen. Während Hunderttausende völlig zu Recht gegen die Gefahr des Rechtsextremismus und der AfD auf die Straße gingen und gehen, ging von den gleichen Leuten fast niemand für Solidarität mit Juden und Israel auf die Straße. Ein Schelm, der Böses dabei denkt…

Das exkulpiert aber nicht Netanyahu. Der israelische Ministerpräsident ist aktuell die wohl größte konkrete Gefahr für den einzigen Judenstaat. Er wollte schon 2023 vor dem 07. Oktober mit einer geplanten Justizreform Israel in einen autoritären Staat ohne wirkliche Gewaltenteilung verwandeln. Das wird er heute fortführen und den Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, entlassen. Bar war wie Netanyahu hauptverantwortlich für das Versagen Israels, trotz offenkundiger Warnungen, das Massaker vom 07. Oktober 2023 durch die Hamas und die Palästinenser zu verhindern.

Netanyahu ist angeklagt wegen Korruption und international wird er wegen Kriegsverbrechen gesucht. Nicht nur in der Haaretz werden diese Verbrechen auch angeklagt – von zionistischer Seite. Also ist Netanyahu ein antizionistischer Kriegsverbrecher, das ist die Pointe. Das wiederum macht weite Teile Israels nicht weniger verantwortlich für die Verbrechen der IDF im Gaza-Krieg. Die israelische Militärpolizei untersucht zum Beispiel, ob die israelische Armee palästinensische Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbraucht hat. Hingegen sieht ein geplantes Gesetz in Israel vor, Menschen, die dem internationalen Strafgerichtshof – so umstritten der auch bekanntlich ist – Dokumente vorlegt, die mögliche israelische Kriegsverbrechen belegen sollten, mit einer Gefängnisstraße von bis zu fünf Jahren (!), zu verurteilen:

Tamar Meggido, an expert in international law, warned that ‚the definitions in this dangerous bill are so broad that even someone sharing on social media a photo or video of a soldier documenting themselves committing what appears to be a war crime could face imprisonment.‘

According to her, any journalist publishing an investigation that suggests a crime committed by IDF forces would also be at risk of imprisonment if the bill is passed.

Dazu kommt, dass dem israelischen Ministerpräsidenten die Geiseln vollkommen egal sind. Vermutlich werden die Dutzenden noch in den Händen der Muslim-Faschisten der Hamas befindlichen jetzt auch ermordet werden. Überlebende berichteten ja schon, dass nach jedem Scheitern von Verhandlungen und neuerlichen Kriegshandlungen sie gefoltert, geschlagen, gedemütigt und andere gar ermordet wurden. Das weiß Netanyahu, aber es ist im völlig egal. Der Zionismus ist ihm auch völlig egal, der möchte kein souveränes Israel Seite an Seite mit einem palästinensischen Staat – wie ihn zum Beispiel der Anti-Hamas Aktivist und Flüchtling aus Gaza, der jetzt in Deutschland lebt, Hamza Howidy, möchte. Netanyahu möchte nicht wegen Korruption ins Gefängnis. Dafür geht er über Leichen. Es sind vor allem palästinensische Leichen, aber auch jüdische und nicht zuletzt die Leiche des – Zionismus.

Nächste Woche lädt Netanyahu rechtsextreme Politiker:innen aus Europa und der Welt nach Israel zu einer Konferenz gegen Antisemitismus ein, was selbst dem sicher nicht gerade linken Beauftragten der deutschen Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, zu heftig ist und er wird wie der französische Intellektuelle Bernard-Henri Lévy nicht hinfliegen.

Das Drama ist, dass die extreme Gefahr, die Jüdinnen und Juden in Deutschland und weltweit speziell und verschärft seit dem 07. Okober 2023 erleben, von israelischen Politikern wie Netanyahu, Ben Gvir oder Smotrich noch angeheizt wird.

Zionismus hieße, den „Anderen“ ernst zu nehmen als möglichen Verhandlungspartner, was ganz sicher nicht die Hamas inkludiert, aber ebensowenig die gesamte palästinensische Bevölkerung in Gaza ausschließen kann. Der wahnwitzige Vertreibungsplan von Trump bezüglich Gaza fiel ja in Israel auf fruchtbaren Boden.

Joe Biden ist ein alter und kranker Mann, er war ein typischer amerikanischer Kapitalist und Imperialist (und fanatischer Antikommunist), aber er war gleichwohl auch ein zionistischer amerikanischer Präsident. Er hat mehr für den Zionismus gemacht als ein Netanyahu. Ironischerweise war der Antikommunist Biden dem Sozialismus des Zionismus von 1948 unendlich näher als es Netanyahu je war. Er war für Ausgleich und Kompromiss, für Gerechtigkeit, ohne je die jüdische Selbstbestimmung aus dem Auge zu verlieren. Er hatte einen Begriff von Zionismus – das hat Netanyahu nicht, er kennt nur sich selbst und seine rechtsextremen Kumpel, die in Israel aktuell nach Millionen zählen.

Es ist nicht nur rassistischer Fanatismus, der Netanyahu antreibt, nicht nur sein eigenes politisches Überleben, sondern auch bodenlose Dummheit. Eine faschistisch-muslimische Bewegung wie die Hamas kann man nicht komplett eliminieren. Wer das nach fast eineinhalb Jahren Krieg in Gaza und den widerwärtigen Geiselübergaben durch die Hamas-Faschisten nicht kapiert hat, hat wirklich gar nichts verstanden.

Es muss um eine mühsame aber mögliche Deradikalisierung der Palästinenser:innen gehen, primär in Gaza, aber auch in der Westbank und weltweit. Es muss um eine zionistische Antwort auf das genozidale Massaker vom 07. Oktober gehen – nicht um einen Krieg, der nicht zu gewinnen ist und es darf nicht mit weiter mit rechtsextremen, sexistischen, ja in Teilen offen faschistischen Politiker:innen wie Smotrich oder Ben Gvir zusammengearbeitet werden.

Der Zionismus und Israel und die Welt haben Besseres verdient als die aktuelle israelische Regierung. Dazu jedoch muss die gesamte israelische Bevölkerung aufstehen und nicht nur ein paar Zehntausend Demonstrant:innen. Das mehrheitliche Schweigen der ach-so Pro-Israel-Szene zu Netanyahus kriminellen und antidemokratischen Aktivitäten oder seinen Kriegsverbrechen tut ein Übriges.

Wer gegen die Zweistaatenlösung ist, ist Antizionist. Das meint ironischerweise nicht nur linke Israelhasser:innen oder Fans einer selbstmörderischen Einstaatenlösung oder eines binationalen Wahngebildes, das der vormalige Anhänger dieser Idee und Zionist Gershom Scholem spätestens seit Mitte der 1930er Jahre als naiv und eben selbstmörderisch erkannte, sondern gerade auch die aktuelle israelische Regierung und den Mainstream der israelischen Gesellschaft, der weiter paralysiert ist wegen dem 07. Oktober und „den Anderen“ nicht sehen kann oder will und seien es pro-israelische palästinensische Anti-Islamisten, die „Freiheit für Palästina“ fordern

Ein jüdischer Autor aus Ungarn bringt es in der Haaretz angesichts von geplanter Mangelernährung und bewusster Unterversorgung mit Grundnahrungsmitteln in Gaza durch Israel – von den sonstigen brutalen Kriegshandlungen ganz zu schweigen – so auf den Punkt:

Many Jews believe that they have a duty to defend Israel, regardless of its conduct. I believe that, besides our natural support and commitment to the Jewish state, we must draw a line. We cannot sacrifice the universal and Jewish ideal of justice and humanity on the altar of defending Israel, right or wrong, even when it acts in an unjust manner.

Moreover, we are not helping Israel either: we are failing to hold up a mirror to it and continue to allow it to fall into an ever deeper moral abyss. Israel has as much right to exist in the world as any other nation, and when it is attacked, it must be supported in the same way as any other country, but we must also speak out against violations and abuses, including those committed by Jews or the Jewish state. It is the only way to preserve our own moral integrity and, in my view, the only right way to show solidarity with Israel.

Der ehemaligen israelische Ministerpräsident Ehud Barak erkennt bei Netanyahu einen „toxischen Narzissmus„, auch eine Form des Antizionismus.

„Once again, it was a frontal assault launched by Netanyahu against state institutions, particularly Shin Bet, which is responsible for the investigation. And he, Netanyahu, is once again the victim.

‚Netanyahu has completely succumbed to self-delusion. He doesn’t even feel a trace of cognitive dissonance. On the contrary, he remains convinced that he is still saving Israel and even the entire West from an Islamo-Nazi conspiracy,‘ says former Israelis Prime Minister Ehud Barak, 82, who spent four years as Netanyahu’s defense minister beginning in 2009. Barak knows Netanyahu better than most and says the prime minister is suffering from a case of ‚toxic narcissism.’”

Israelische Drohne tötet Menschen im Gazastreifen – Israel wird den Drohnen-Krieg verlieren

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Israel wird den Drohnen-Krieg verlieren. Der berechtigte Krieg gegen die Terrororganisation Hamas wird durch das Töten von Zivilist*innen schrittweise verloren. Eine Drohne vom Typ Hermes 450 hat sieben Mitarbeiter*innen der Hilfsorganisation World Central Kitchen getötet, sechs Männer und eine Frau.

Die Route der drei Fahrzeuge, die am Montag Abend gegen 21.30 Uhr Ortszeit getroffen wurden, war mit der israelischen Armee abgesprochen. Sie wusste also dass diese Fahrzeuge dort zu dieser Zeit fahren werden. Nach dem ersten Treffer meldeten die Mitarbeiter der World Central Kitchen das offenbar umgehend der israelischen Armee (…“notified the people responsible that they were attacked“…), wie die Tageszeitung Haaretz berichtet.

Some of the passengers were seen leaving the car after it was hit and switching to one of the other two cars. They continued to drive and even notified the people responsible that they were attacked, but, seconds later, another missile hit their car.
The third car in the convoy approached, and the passengers began to transfer to it the wounded who had survived the second strike – in order to get them out of danger. But then a third missile struck them.

Doch danach wurde von der Drohne nochmal zweimal geschossen und erst der dritte Treffer tötete alle sieben Mitarbeiter. Die Fahrzeuge waren klar gekennzeichnet mit Logos von World Central Kitchen. Diese Hilfsorganisation hatte nach dem genozidalen Massaker der Palästinenser an Jüdinnen und Juden im Süden Israels am 7. Oktober für die aus ihren Kibbutzim, Moshavs, Dörfern und Städten vertriebenen Israelis gekocht.

Der unglaublich naive Technik-Fetischismus in Israel ist Kern des Problems.

Der 7. Oktober 2023 wäre nicht passiert, wenn Israel besser vorbereitet gewesen wäre. Das liegt primär an der rechtsextremen Regierung unter Netanyahu, die primär das Westjordanland militärisch im Visier hat. Das ist sicherheitspolitisch auch wichtig, aber die Siedlungen sind natürlich ein weiterer Kern des Problems, warum Israels Politik gerade auch in Israel heftig umstritten ist. Ein Großteil der Siedler sind religiöse Fanatiker. Die israelische Armee jedoch war so unglaublich naiv, man kann das bis heute nicht glauben, und dachte, ein paar Kameras und Stacheldraht würden Bulldozer daran hindern mit 3000 Jihadisten ins Land zu kommen. Es gab bekanntlich von bestimmten Einheiten der israelischen Armee Warnungen, dass ein Angriff bevorstünde – weibliche Einheiten der IDF -, doch die wurden lächerlich gemacht. Das muss aufgearbeitet werden.

Den Drohnen-Krieg jedoch wird Israel verlieren und es spielt da mit dem Feuer. Denn so wie Israel mit Drohnen, ohne jede Besatzung, in Syrien, dem Libanon oder dem Gazastreifen Raketen abschießen kann, so können das natürlich theoretisch auch antisemitische Terroristen, früher oder später. Sobald der Iran technisch in der Lage wäre, kleine Atombomben zu bauen, die mit Drohnen transportiert werden können, wäre das eine Katastrophe für den jüdischen Staat.

Mit Technik wird Israel diesen Krieg gegen die Hamas verlieren und nicht gewinnen. Gewinnen wird sie ihn nicht mit einer Armee, die trotz des ersten falschen Angriffs, nochmal zwei Raketen abschießt und sieben Zivilisten tötet. Das könnte ein game-changer werden. Als ob Krieg ein Spiel wäre…

Die Hamas hat mit der Ideologie und Technik des 20. Jahrhunderts am 7. Oktober ein genozidales Massaker verübt. Israel träumte von einer digitalen Abschreckung des 21. Jahrhunderts und wurde blutig überrannt.

Drohnen sind ganz grundsätzlich eine Katastrophe. Wie wir wissen, ist es technisch natürlich möglich, dass ein solches Gerät ohne jede Chance des Eingreifens losfliegt, weiterfliegt und Bomben abwirft oder Raketen losschießt. Ein technischer oder AI/KI-Selbstläufer.

Es ist eine besonders perfide Technik. Und der Unterschied von Überwachungsdrohnen und militärischen Drohnen ist gleich Null. Die Technik ist per se zu hinterfragen. Wir leben ja ohnehin in einer Welt ohne Mensch, wie der Philosoph Günther Anders vor Jahrzehnten analysierte – was den Kafka-„Menschen ohne Welt“ ergänzt.

Dazu kommt menschliches „Versagen“. Aber war das diesmal nur ein Fehler? Auch die Haaretz ist skeptisch. Ein Krieg macht Menschen böse, da gibt es keinen Zweifel. Es gibt auch böse Soldaten und Soldatinnen in der IDF, wie in jeder Armee. Und es ist diesmal fast naheliegend, dass vorsätzlich ein zuvor mit den IDF abgestimmter Konvoi angegriffen wurde. Ein bewaffneter Mann, der zuvor beim Entladen der Hilfsgüter und Nahrung offenbar gesichtet worden war, war nicht in dem Konvoi. Die Hamas zählt auf zivile Opfer, das ist ihr brutales Kalkül, wenn sie Waffen, Munition und Kämpfer in Moscheen, Krankenhäusern, Wohngebieten versteckt.

Aber Menschen ohne direkten Kontakt mit Hilfe von Technik zu attackieren, ist schockierend und wird Israel nicht helfen.

Die Haaretz spricht von „undisziplinierten, rohen Kommandeuren“ der Aktion.

Doch die technische Naivität Israels ist ein großes Problem. Die „Start-up-Nation“ meint, mit Computern alle Probleme lösen zu können. Das hat sich erstens am 7. Oktober als katastrophale Fehleinschätzung gezeigt und zeigt jetzt im notwendigen Krieg gegen die Hamas, wohin es führen kann. Böse Kommandeure und moderne Technik sind eine toxische Kombination.

Mit solchen Fehlern jedoch wird Israel den Krieg der Köpfe verlieren. Nochmal: die World Center Kitchen hatte für von der Hamas vertriebene Israelis nach dem 7. Oktober gekocht.

Sicher, den Krieg würde es nicht geben, wenn die Hamas sich ergeben hätte, alle Waffen niedergelegt, die Mörder vom 7. Oktober ausgeliefert hätte.

Auch im Ukrainekrieg spielen Drohnen eine große Rolle, auch das ist verbrecherisch, von beiden Seiten.

Das entbindet aber die israelische Armee nicht von ihrer Verantwortung. Und dieser Drohnenangriff war womöglich einer zuviel. Das Verhältnis zu den USA ist ohnehin so tief erschüttert wie seit Jahrzehnten nicht mehr, was primär an Netanyahu liegt, dessen Rücktritt und Neuwahlen ja vor wenigen Tagen Einhunderttausend Demonstrant*innen in Jerusalem forderten.

Israel hat Besseres verdient als Benjamin Netanyahu und Drohnen.

Benjamin Netanyahu zerstört Israel und sein eigenes Leben – heute, morgen und die nächsten Wochen

Von Dr. phil. Clemens Heni, Direktor, The Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA)

Israel ist am Rande eines Bürgerkriegs. Die rechtsextreme und national-religiöse Regierung unter Yariv Levin, Itamar Ben-Gvir, Simcha Rothman, Bezalel Smotrich will ihre Zerstörung einer unabhängigen Justiz bis zum bitteren Ende durchziehen. Der eigentliche Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte gestern Abend den zweiten gesundheitlichen Zusammenbruch innerhalb einer Woche.

Letzte Woche hatte er bereits Herzunregelmäßigkeiten, die man beim EKG feststellte (und nicht ’nur‘ einen Zusammenbruch wegen Dehyrierung an einem extremen Hitzetag am See Genezareth, wo er ohne Hut und mit wenig Wasser Stunden verbrachte), er bekam einen Herzmonitor, der gestern Abend anschlug und sofort kam er ins Krankenhaus.

Unter Vollnarkose bekam Netanyahu letzte Nacht einen Herzschrittmacher eingesetzt, gegen 4 Uhr am Morgen verkündeten die beiden Ärzte, dass alles gut gegangen sei. Doch er ist nicht mehr der amtierende Ministerpräsident, formal ist es jetzt Justizminister Yariv Levin, auch wenn sich das stündlich wieder ändern kann.

Israel ist am Ende. Die Demokratie ist am Ende, dabei sah das Land in seiner gesamten Geschichte seit 1948 nie so viele und riesige Pro-Demokratie Demonstrationen wie seit Anfang 2023, als die Pläne für die Zerstörung der Unabhängigkeit der Justiz durch Levin bekannt wurden.

Wer seit Januar 2023 täglich die Times of Israel (TOI) liest, weiß, wie unglaublich dramatisch die Situation ist, auch die Lektüre von Haaretz oder natürlich den hebräischen Medien bestätigt das. Die Times of Israel hat täglich einen Liveblog, neben den Dutzenden weiteren kritischen Berichten. Chefredakteur und Gründer der TOI David Horovitz schreibt regelmäßig Kommentare, die seiner Fassungslosigkeit Ausdruck geben.

Hier in Deutschland ist es relativ ruhig, die selbst ernannte Pro-Israel-Szene schweigt mehr oder weniger, die meisten lieben Bibi seit Jahrzehnten.

Bibi hat Verdienste, aber er wird über sein peinliches Ego fallen, wenn er überhaupt noch lange lebt, sein Gesundheitszustand scheint dramatisch schlecht zu sein – wen wundert es!

10.000 Reservesoldat*innen der israelischen Armee IDF haben angkündigt, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen.

Friedliche Kibbutzniks wurden von Rechtsextremen mit der Waffe bedroht wegen deren Protests gegen den rechtsextremen und vulgären Scharfmacher und MK (Member of Knesset) Amichai Chikli.

Die MK der National Unitiy und ehemalige Ministerin Orit Farkash-Hacohen brach heute während ihrer Rede in der Knesset in Tränen aus und beschuldigt Netanyahu und die Regierung:

„Ihr habt das Land Israel zerstört“.

Gestern Abend hatten wieder Hunderttausende gegen die als Justizreform getarnte Zerstörung Israels als jüdischer UND demokratischer Staat demonstriert. Zehntausende hatten zudem eine Pilgerwanderung von Tel Aviv nach Jerusalem unternommen und viele zelten jetzt unweit der Knesset.

Gäbe es in Deutschland eine Pro-Israel Szene, dann würde es eine Massendemonstration für Israel und die Demokratie geben, so wie es z.B. eine Massendemonstration gegen die Hamas und die antisemitische Gefahr im Jahr 2014 vor dem Brandenburger Tor gab.

Die aktuelle Krise ist um Dimensionen gefährlicher als die Hamas oder der Islamische Jihad etc.

Viele Kritiker*innen sagen, dass der aktuell wichtigste Iron Dome, also Abwehrschirm gegen Gefahren wie Raketen aus dem Gazastreifen, dem Libanon, Syrien oder gar aus dem Iran, die Demonstration gegen Netanyahu und die aktuelle Regierung ist.

Heute um 16 Uhr wird die Gewerkschaft Histadrut und ihr Chef Arnon Ben-David über einen Generalstreik entscheiden. Dieser hatte Ende März für eine Verschiebung der Abstimmungen über die Justizzerstörung geführt, nachdem Verteidigungsminister Gallant entlassen worden war – seine Entlassung wurde rückgängig gemacht.

Wer Israel liebt, kämpft gegen Benjamin Netanyahu und die aktuelle rechtsextreme, religiös-fanatische Regierung! Wenn Netanyahu etwas an seiner Gesundheit und seinem Leben liegt, beendet er den Wahnsinn noch heute und stoppt das Unterfangen und beendet diesen rechtextremen Irrsinn, indem er die Regierung auflöst. Yariv Levin hätte im Gegensatz zu Netanyahu in freien Wahlen als Spitzenkandidat niemals die Mehrheit errungen, davon gehen alle Expert*innen aus.

Für die unverantwortliche und für Israels Demokratie tödliche Politik allerdings ist primär ein Mensch verantwortlich: Benjamin Netanyahu, wie auch David Horovitz in einem seiner letzten Texte betont: Netanyahu würde einen „unverzeihlichen Prozess der Selbstzerstörung“ beschleunigen.

Und mit „Selbstzerstörung“ kann nicht zuletzt das Leben von Bibi selbst gemeint sein, wie wir seit letzter Nacht nachdrücklich wissen.

Dabei sind die Demonstrationen für Demokratie und eine unabhängige Justiz in Israel Zeichen, wie unglaublich stark die Zivilgesellschaft ist. Nie zuvor gab es solche unendlichen zionistischen Fahnenmeere von Hunderttausenden Liberalen, Linken, Konservativen und sogar Religiösen, alle vereint gegen die Regierung.

Aber am Ende des Tages entscheidet die Knesset, deren Ziel es ja aktuell ist, selbst illegale und alle möglichen Menschen- oder Grundrechte missachtenden Gesetze und adminstrativen Aktivitäten nicht mehr durch den Obersten Gerichtshof überüfbar machen zu lassen.

Nochmal: wer wirklich zionistisch und demokratisch ist, kämpft gegen Bibi und somit für seine Gesundheit und vor allem für den Fortbestand der Demokratie in Israel – gegen die Besatzung und für die Rechte der Palästinenser*innen!

Update, 23.07. 18:49 Uhr

Die Jerusalem Post berichtet vor wenigen Stunden, dass insgesamt 100 israelische Diplomat:innen, darunter alle israelischen Botschafter:innen in den 27 EU-Staaten des letzten Jahrzehnts, einen Offenen Brief an Netanyahu und die israelische Regierung geschrieben haben, wo sie die geplante „Justizreform“ ablehnen und eine nie geahnten Vertrauensverlust Israels auf dem diplomatischen Parkett in Europa und weltweit – vor allem den USA – befürchten.

Screenshot, https://www.jpost.com/israel-news/2023-07-23/live-updates-752084

Update, 23.07. 19:05 Uhr

In New York City demonstrieren Hunderte Pro-Israelis auf der Brooklyn Bridge gegen Netanyahu und die geplante Zerstörung einer unabhänigen Justiz in Israel. Zugleich besucht der soeben von seinem US-Besuch zurückgekehrte israelische Präsident Isaac Herzog Netanyahu im Krankenhaus, spricht von einem „Notstand“ und drängt den gesundheitlich schwer angeschlagenen Premier, diese antidemokratische Politik zu stoppen.

Update, 23.07. 20:30 Uhr

Laut der TOI: In Tel Aviv demonstrieren Zehntausende Gegner:innen und Zehntausende rechtsextreme Befürworter:innen der Justiz-Zerstörungs-‚Reform‘, in Jerusalem sind über 100.000 Pro-Demokratie-Demonstrant:innen auf den Straßen. Auf den Demonstrationen in Jerusalem sprachen unter anderem der ehemalige israelische Präsident Reuven Rivlin und der ehemalige langjährige Oberste Richter Aharon Barak.

Update 23.07. 21.08 Uhr

Die Jerusalem Post verlinkt einen Kommentar von heute in der Washington Post, der betont, dass Bibi Netanyahu das größte „Sicherheitsrisiko“ für Israel sei, so wie damals Trump für die USA:

Screenshot, https://www.washingtonpost.com/opinions/2023/07/23/netanyahu-biden-israel-jenin-west-bank/

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