Hegemonieverschiebung des Antisemitismus in Spanien

Von Dr. Benno Herzog, Institut für Soziologie und Sozialanthropologie der Universität Valencia (Spanien)

Dr. Benno Herzog

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@bennoherzog

 

Die Ereignisse um die Ein-, Aus- und Wiedereinladung des amerikanischen Juden Matisyahu zeigen ein tiefes Problem Spaniens und besonders der spanischen Linken mit dem Antisemitismus. Ein Problem, das sich durch die Kommunal- und Regionalwahlen im Mai diesen Jahres und die Parlamentswahlen am Ende des Jahres wohl noch verschärfen wird.

Am 28. Juli eröffnete der amerikanisch-jüdische Sänger Matisyahu die European Maccabi Games 2015 in Berlin. Am 25. August sang der Rapper und Reggae-Künstler in einer Synagoge vor Auschwitz und am 31. August im Rahmen des Jewish Culture Day der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Die Konzerte sind Ausdruck der Bemühungen, jüdischem Leben, jüdischer Kultur wieder einen Platz in Europa zu geben. Doch diese Bemühung wird nicht von allen geteilt wie die Vorgänge um das Konzert bei Europas größtem Reggae-Festival, dem Rototom Sunsplash im spanischen Benicàssim in der Nähe von Valencia, zeigten.

Matisyahu singt das Lied „Jerusalem“ auf dem Festival in Valencia

Was war geschehen? Die lokale BDS-Gruppe (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel) hatte gegen den Auftritt des Sängers mobil gemacht, der, obwohl selbst kein Israeli, so doch nach eigenem Bekunden ein „Freund Israels“ sei. Vor allem über soziale Netzwerke machte die Gruppe Druck auf andere Teilnehmer und erreichte schließlich, dass die Festivalleitung von Matisyahu als einzigem von 250 Künstlern ein klares Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat verlangte. Nachdem Matisyahu auf diese Aufforderung nicht reagierte, wurde er ausgeladen. Erst jetzt reagierten Politiker, jüdische Verbände, Massenmedien und andere Gruppierungen wie die Vereinigung der Roma in Spanien mit einer scharfen Ablehnung dieses antisemitischen Angriffs. Auch die deutschsprachige Presse berichtete relativ ausführlich, wie z.B. der Tagesspiegel, die Frankfurter Rundschau oder auch die Jungle World. Nach breiten Protesten entschuldigte sich die Festivalleitung bei Matisyahu, lud ihn wieder ein und er durfte wie geplant am Abschlussabend auftreten. Einige Palästinafahnen, Pfiffe und Mittelfinger begleiteten sein Konzert.

Die Vorgänge um den Künstler sind leider nicht nur eine isolierte Anekdote, sondern symptomatisch für weite Teile der spanischen Gesellschaft, deren Antisemitismus hegemonial zu werden droht. In Spanien ist der sekundäre Antisemitismus, also derjenige welcher den Juden Auschwitz nicht verzeiht und ihnen im Gegenteil vorwirft, aus dem Holocaust nur Profit ziehen zu wollen, relativ gering ausgeprägt. Gleiches gilt für den islamischen Antisemitismus. Doch sowohl im rechtskonservativen als auch im linken Spektrum sind Ressentiments gegen Juden weit verbreitet.

Auf der rechten Seite mischt sich der nationalistische und rassistische Antisemitismus mit dem tief sitzenden und nie wirklich aufgearbeiteten katholischen Antijudaismus. Ignoranz und Unkenntnis gepaart mit einer Sozialisation durch den Franquismus, welcher im Juden das Gegenbild zum Nationalkatholizismus sah, sorgen hier dafür, dass Blutgerüchte über die Juden unhinterfragt weitergetragen werden können. So geschehen zum Beispiel an Ostern 2014, als die rechtskonservative Tageszeitung ABC von jüdischen Ritualmorden im Mittelalter berichtete, oder als die öffentlich-rechtliche Radioanstalt im Sommer 2015 ein Programm sendete, in welchem die Juden als Anbeter Satans beschrieben wurden. Natürlich muss man schon recht naiv sein um zu glauben, dass es solche abstrusen Positionen in einer pluralen Gesellschaft nicht gäbe, aber dass es bei renommierten Medien niemandem aufgefallen ist, welch gefährliche und haarsträubende Lügen hier veröffentlicht wurden, zeigt die Akzeptanz antijüdischer Vorurteile in weiten Kreisen der spanischen Gesellschaft.

Dieser rechtskonservative Antijudaismus ist zwar weit verbreitet, aber besitzt keine politische Hegemonie. So wurden beide erwähnten Beiträge nach entsprechenden Protesten schnell zurückgezogen. Auch zählt die spanische Beobachtungsstelle Antisemitismus eine Vielzahl von rechten antisemitischen Schmierereien, Tweets und Kommentaren, doch bewegen diese sich glücklicherweise im Abseits des öffentlichen gesellschaftlichen Konsenses.

Ganz anders sieht die Situation beim Antisemitismus von links aus, welcher in der Regel, wie im Falle der Kampagne gegen Matisyahu, als Antizionismus auftritt und stets bestreitet antisemitisch zu sein. Diese Form, welche von der enormen Macht der jüdischen, israelischen oder zionistischen Lobby ausgeht, arbeitet in der Regel mit doppelten Standards, deslegitimiert die Existenz Israels und dämonisiert das Verhalten des jüdischen Staates bei gleichzeitigem Stillschweigen über islamischen und antisemitischen Terror. Dieser Antisemitismus wird offen in breiten, linken Kreisen, von der Vereinigten Linken über die neue Partei Podemos bis hin zu den Sozialdemokraten der PSOE vertreten sowie in einer Vielzahl von sich antirassistisch und antifaschistisch verstehenden Gruppen.

Wenn es aus diesem Spektrum zu antisemitischen Ausfällen kommt wie im Falle der Boykottkampagne gegen Matisyahu, dann werden diese bei Protest eben nicht zurückgezogen. Das Verhaltensmuster der BDS-Gruppe und deren Anhänger kann dabei als typisch angesehen werden. Die Kritik an der Boykottkampagne zeige lediglich, wie sich zionistische Lobby und Machteliten verbündeten. Jegliche Kritik an der israelischen Politik werde gleich als Antisemitismus abgestempelt. Und im Übrigen sei man antizionistisch und nicht antisemitisch, wobei man letzteres schon deshalb nicht sein könne, weil die Palästinenser ja auch Semiten seien und man sich doch als pro-palästinensisch verstehe.

Der ehemalige sozialistische Präsident Spaniens, Zapatero, der sich auch schon mal mit Palästinenserschal fotografieren ließ, brachte die Einschätzung vieler Linken vor einiger Zeit auf den Punkt: „Es gibt keinen Antisemitismus in Spanien […] Antisemitismus, das war die Franco-Diktatur.“ Die spanische Linke ist so sehr damit beschäftigt mit dem Finger nach rechts zu zeigen, dass sie es komplett versäumt, eine differenzierte Haltung zu Israel zu entwickeln und sich von antisemitischer Rhetorik in den eigenen Reihen zu distanzieren. Die Rede von den zwei Spanien, dem rechten und dem linken, zwischen denen eine tiefe ideologische Kluft liegt, hilft, dieses Phänomen zu erklären. Zu klar steht der Feind gerade für die Linken in den Reihen der anderen, zu erbittert wird der (notwendige) Streit um die Aufarbeitung der spanischen Vergangenheit geführt, um den Gedanken zulassen zu können das eine Selbstkritik etwas anderes sein könnte als ein Verrat an der Sache.

Das neue Selbstbewusstsein der Linken durch den Wahlerfolg bei Kommunal- und Regionalwahlen im Mai dieses Jahres und wahrscheinlich auch bei den Parlamentswahlen Ende 2015, könnte dazu beitragen das dieser antizionistische Antisemitismus noch stärker und offener vertreten wird als bisher. Es gibt kaum eine öffentliche Instanz, die dieser Hegemonieverschiebung etwas entgegenzusetzen hätte. Eine Linke ohne Antizionismus ist derzeit in Spanien schwer vorstellbar.

Aufgrund dieser Polarisierung hat es bei der Auseinandersetzung um Matisyahu auch keinen Sieger geben können. Die Einschätzung von Alex Feuerherdt, wonach die BDS-Kampagne mit dem offensichtlichen Antisemitismus ein Eigentor geschossen hätte, da nun ihre üblen Methoden und Ziele deutlicher geworden wären, teile ich ausdrücklich nicht. Sehr wohl mag es von außen nach einer großen Blamage des BDS ausgesehen haben. Die Kritik von Seiten der nationalen und internationalen Medien, die Stellungnahmen aus der spanischen, amerikanischen und israelischen Politik, die Wortmeldungen internationaler Verbände haben den Boykottaufruf als antisemitisch motivierte Untat aufgezeigt. Das Festival hat schließlich Matisyahu wieder eingeladen, womit gezeigt wurde, dass es möglich ist, dieser Art Hetzkampagnen etwas entgegenzusetzen.

In Spanien selbst aber hat sich in den Augen der meisten Linken der BDS jedoch leider überhaupt nicht diskreditiert. Im Gegenteil, die valencianische BDS-Gruppe hat enorme Zustimmung von linken Organisationen, Parteien und Einzelpersonen gerade auch nach der internationalen Schelte erhalten. Sie habe es gewagt, als David gegen den zionistischen Goliath anzutreten. Vor allem aber hat die BDS-Kampagne ihre Position tagelang in den verschiedensten Medien vertreten können. Der Angriff auf Matisyahu war dabei sowieso nur Mittel zum Zweck.

 

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