Putin sollte zur Gedenkveranstaltung nach Auschwitz eingeladen werden

 

Von Efraim Zuroff

 

Dr. Efraim Zuroff, Leiter des Jerusalemer Büros des Simon Wiesenthal Centers

Es dauerte nicht lange, bis das so viele Menschen weltweit mit den Demonstrierenden in Paris verbindende Gefühl vom letzten Sonntag sich wieder verflüchtigte. Man musste sich nur die ersten beiden [medial so produzierten, d.Red.] Reihen der Solidaritätsdemonstration anschauen. Neben den vielen normalen Pariser Bürgern, die dabei waren, den Terroropfern ihren Respekt zu zollen, gab es auch Staatsoberhäupter und Würdenträger, deren Menschenrechtspolitik sie automatisch hätte disqualifizieren müssen. Ich denke dabei an Mahmoud Abbas, den jordanischen König Abdullah II, den türkischen Premierminister Ahmet Davutoglo und den russischen Außenminister Sergey Lavrov, die zu den offenkundigsten Beispielen dieser Art gehören.

Ironischerweise wurde ich just in dem Moment, als ich darüber nachdachte, von einem Journalisten kontaktiert, der wissen wollte, wie ich dazu stehe, dass Vladimir Putin keine „offizielle diplomatische Einladung“ von Polen zu den Gedenkfeierlichkeiten aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des Todeslagers Auschwitz-Birkenau erhalten habe, einer Veranstaltung an der viele politischen Führungspersönlichkeiten teilnehmen werden.

Im Gegensatz zu den unwürdigen politischen Führern beim Pariser Protestmarsch letzten Sonntag, die keinerlei Referenzen haben, wenn es um die Rede- und Religionsfreiheit geht, ist der russische Präsident ein ganz besonders wichtiger Gast der bevorstehenden Gedenkveranstaltung. Sie erinnert an die Befreiung des größten der Vernichtungslager der Nazis, in dem ungefähr 1,3 Millionen Menschen ermordet wurden, darunter ungefähr 1,1 Millionen Juden.

Schließlich war es die Rote Armee, die Auschwitz befreite und das Massenmorden in diesem Lager beendete – Auschwitz ist zu einem Symbol der Tragödie des Holocaust geworden. Es waren die sowjetischen Kräfte, die so eine bedeutende Rolle in der endgültigen Niederschlagung des Dritten Reiches spielten. Wer weiß, wie viel länger der Zweite Weltkrieg ohne die enormen Leistungen und Opfer der Sowjetunion gedauert hätte.

In anderen Worten, wenn es jemand verdient hat, an der Gedenkveranstaltung in Auschwitz teilzunehmen, dann ist es Vladimir Putin.

 

Die Gründe, ihn nicht einzuladen, sind augenscheinlich die gegenwärtigen Spannungen zwischen der Europäischen Union und Russland bezüglich der Annexion der Krim und der andauernden Unterstützung für die Aufständischen in der östlichen Ukraine, die in der Tat ein schwerwiegendes Problem darstellen. Im Hintergrund könnte es aber vielmehr um die ideologischen Gründe gehen, die uns direkt in die bittere Debatte zwischen Russland und dem postkommunistischen Osteuropa über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust führen. Seitdem die baltischen und viel andere osteuropäische Staaten die Mitgliedschaft in der EU und der NATO bekamen, erleben wir eine systematische Kampagne, die die Einzigartigkeit des Holocaust unterhöhlen möchte und die Lüge von der Gleichheit zwischen Nazi-Deutschland und den kommunistischen Regimes verbreitet. Die Motivation dahinter ist offenkundig, da die Kollaboration mit den Nazis von vielen osteuropäischen Ländern die direkte Beteiligung am Massenmord bedeutete.

Wenn diese neuen EU- und NATO-Länder wählen müssen zwischen einem solchen Täterland oder einem Opferstatus, dann ist klar, was die neuen Demokratien bevorzugen. Anstatt sich mit der blutigen eigenen Geschichte im Holocaust zu befassen, ziehen sie es vor, ihre eigenen Leiden unter der Herrschaft der Sowjets und Kommunisten zu betonen und ihre eigenen Freiheitskämpfer gegen den Kommunismus zu glorifizieren, auch wenn diese am Massenmord an den Juden im Holocaust beteiligt waren.

Die Anwesenheit Putins bei der Zeremonie in Auschwitz wäre eine starke Erinnerung an die Identität der Befreier des Lagers, eine Tatsache, die die osteuropäischen EU-Mitglieder vergessen wollen. Dieses Vergessen wäre jedoch nicht die angemessene Art und Weise, des 70. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz zu gedenken.

An diesem Tag muss die Botschaft lauten, dass das „Dritte Reich“ nur durch die Kooperation aller Anti-Nazi-Kräfte besiegt werden konnte. Dazu mussten zeitweise politische und ideologische Differenzen beiseite geschoben werden, um die existentielle Bedrohung der Welt durch Nazi-Deutschland zu bannen.

Und das sollte eine Lektion sein, wie wir auch heute mit der gegenwärtigen Gefahr für die westliche Welt durch den jihadistischen Islam umzugehen haben.

 

Efraim Zuroff ist der Hauptnazijäger des Simon Wiesenthal Centers (SWC) und der Direktor des israelischen Büros des SWC. Sein letztes Buch ist Operation Last Chance. Im Fadenkreuz des „Nazi-Jägers“ Efraim Zuroff, 2. Aufl. Münster 2013. Seine Homepage ist www.operationlastchance.org, bei Twitter kann man ihm unter @EZuroff folgen.

 

Das Original dieses Textes erschien am 14. Januar 2015 hier. Aus dem Englischen von Dr. Clemens Heni, Direktor des Berlin International Center for the Study of Antisemitism (BICSA).