Das Regierungsbündnis Syriza-Anel in Griechenland: eine unvorstellbare Allianz?

Von Dimitri Kravvaris

 

Am 26. Januar veröffentlichte die französische Zeitung Libération ein Interview mit Daniel Cohn-Bendit, in dem der berühmte Europapolitiker eine erste Einschätzung der Ergebnisse der Parlamentswahl in Griechenland lieferte.[1] Er zeigte u.a. seine Empörung über die Entscheidung von Syriza, sich mit Anel (deutsch: Unabhängige Griechen), einer Partei, deren Mitglieder sich oft homophob, antisemitisch und rassistisch äußern, zu koalieren. Cohn-Bendit stellte die These auf, Alexis Tsipras setze durch dieses Querfront-Bündnis von Links und Rechts die Politik der sozialistischen Regierung von Andreas Papandreou (1981–1989 & 1993–1996) fort, die ebenfalls versucht habe, Linksradikalismus mit Nationalismus, anti-europäische mit anti-amerikanischer sowie antizionistischer Rhetorik zu kombinieren.

Die Verbindung zwischen Tsipras und Papandreou sollte nicht unterschätzt werden; der junge griechische Premier lässt sich tatsächlich von der Rhetorik des charismatischen Sozialisten inspirieren und ein wichtiger Teil des Kaders, der die Politik von Syriza bestimmt, kommt ursprünglich aus dem Pasok, der von Andreas Papandreou gegründeten Partei, die seit der Einführung des Memorandums in Griechenland drastisch an Kraft verlor, maßgeblich aufgrund der von ihr und der konservativen NeaDimokratia vertretenen Sparmaßnahmen zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Meines Erachtens sollte man zwei weitere Aspekte berücksichtigen, um den Zusammenschluss von Syriza und Anel zu verstehen. Erstens ist Syriza nicht die erste Partei in Griechenland, die eine für europäische Standards undenkbare Koalition bildet; Pasok und NeaDimokratia bereiteten 2011 mit der Regierung Papadimos den Weg vor. Zweitens haben Syriza und Anel mehr Gemeinsamkeiten als man annimmt. Es wird in manchen europäischen Medien ausschließlich auf die antisemitischen Aussagen eines Panos Kammenos, des Vorsitzenden von Anel, fokussiert – vor laufender Kamera behauptete er im Dezember 2014, die griechischen Juden würden keine Steuern bezahlen. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Syriza sein eigenes Antisemitismus-Problem hat. Am Beispiel des Vorfalls mit Theodoros Karypidis wird nachzuweisen versucht, dass es uns nicht wundern sollte, dass Tsipras mit Kammenos eine Regierungskoalition bilden wollte und nicht z. B. mit Stavros Theodorakis, dem Vorsitzenden der linksliberalen Partei ToPotami (deutsch: der Fluss), die in der Parlamentswahl immerhin 6,05 % erreichte.

1) Im November 2011 löste das Kabinett der Not-Regierung des Ministerpräsidenten Loukas Papadimos das Kabinett Giorgos Papandreou ab. Überraschenderweise unterstützten die Regierung nicht nur das sozialistische Pasok und die konservative NeaDimokratia, sondern auch die rechtspopulistische Partei Laos (deutsch: „Orthodoxer Volksalarm“), obwohl es, arithmetisch gesehen, gar nicht notwendig gewesen wäre. Laos wurde 2000 vom ehemaligen Journalisten und notorischen Antisemiten Yorgos Karatzaferis gegründet, nachdem er von der NeaDimokratia ausgeschlossen wurde. Karatzaferis ist es sogar 1996 gelungen, den Rücktritt des Außenministers der Regierung Simitis, Christos Rozakis, zu provozieren, denn er behauptete, Rozakis sei jüdischer Herkunft und deshalb seinem Land nicht loyal. 2001 reproduzierte Karatzaferis im Parlament das in der griechischen Gesellschaft verbreitete Gerücht, 4.000 Juden hätten von dem Attentat auf das World Trade Center gewusst und seiennicht arbeiten gegangen, und behauptete, es handele sich um eine Information, die von der israelischen Presse bestätigt worden sei. Das sind nur einige Beispiele einer Strategie, die auf Verschwörungstheorien beruht und Ressentiments gegen Juden sowie gegen die europäischen Institutionen zu schüren versucht.

Ein solcher Politiker wurde in einer griechischen Regierungzum ersten Mal nach dem Ende der Militärdiktatur bzw. Junta (1967–1974) geduldet. Die Teilnahme einer rechtspopulistischen Partei an der Übergangsregierung ermöglichte Karatzaferis, sich sowohl als eine antisystemische Macht als auch als Garant der Einheit der Nation sowie der Fortsetzung der notwendigen Reformen zu präsentieren,[2] auch wenn diese Position einen kurzfristigen Effekt hatte. Laos verlor zwar schnell an Zuspruch, weil es von seiner Wählerschaft letzten Endes als eine Pro-Memorandum Partei wahrgenommen wurde – die Nazis der Chrysi Avgi (deutsch: Goldene Morgenröte) boten hingegen eine konsequente Anti-Memorandum-Linie, es ist aber entscheidend, dass die griechische Gesellschaft den Koalitionspartner Laos als ein sekundäres Problem ansah. Sehr wenige Intellektuelle sprachen von der Überwindung einer roten Linie; ihr Protest blieb eher ungehört.[3]

Die Koalitionspartner Pasok und NeaDimokratia hatten auch in der Regierung Samaras (2012-2015) Rechten und notorischen Antisemiten, wie Adonis Georgiadis und Makis Voridis, die Möglichkeit gegeben, Schlüsselpositionen einzunehmen. Besonders Georgiadis hatte als Laos-Politiker in seiner Fernsehsendung Bücher des Holocaustbefürworters Konstantinos Plevris gepriesen. Als Politiker der NeaDimokratia weist Georgiadis alle Antisemitismus-Vorwürfe vehement zurück und zeigt sich solidarisch mit Israel. Heute vollendet die Regierung Tsipras das Werk der Regierungen Papademos und Samaras mit der Nominierung von Panos Kammenos für das Verteidigungsministerium. Interessant ist hierbei die Antwort, die Yanis Varoufakis, der neue Finanzminister, einer Journalistin der BBC am 30. Januar gab, als sie ihn fragte, ob er die Koalition mit Anel als eine Notwendigkeit betrachtet. Varoufakis stellte eine Analogie her mit der Koalition zwischen der Conservative Party und der Liberal Democrats in Großbritannien: „Does Mr. Cameron endorse everything that Mr. Clegg said?“[4] Für Varoufakis sowie für viele griechische Politiker ist eine rechtspopulistische und antisemitische Partei wie Anel trotz Unstimmigkeiten offenbar ein akzeptabler Koalitionspartner, der keinen Qualitätsunterschied mit einer liberalen Partei hat.

2) Der Name Theodoros Karypidis ist wahrscheinlich vielen in Europa unbekannt. Karypidis ist ein Journalist aus der kleinen Stadt Kozani, der zum Kandidaten Syrizas zu den Lokalwahlen von 2014 designiert wurde. Bereits im Juni 2013 hatte Karypidis einen antisemitischen Kommentar zur Eröffnung des öffentlichen Senders NERITauf Facebook gepostet. Er behauptete darin, dass NERIT vom hebräischen „Nera“, der Kerze zu Chanukkah, stamme, dass Chanukkah ein antigriechisches Fest sei und dass der Vorsitzende des neuen Senders ein Vertrauter der Bilderberg-Konferenz sei. Nach heftigen Reaktionen zunächst seitens der Gesellschaft und danach innerhalb der Partei war Syriza dazu gezwungen, Karypidis abzusetzen, obwohl der lokale Ableger der Partei in Kozani sich weigerte, sich von ihrem Kandidaten zu trennen. Hinzu kommt, dass Syriza die berechtigte Kritik[5] der American Jewish Committee (AJC) zum Vorfall mit Karypidis als Einmischung in interne griechische Angelegenheiten zurückwies.

Die Solidarität der Linken mit Karypidis in Kozani sowie die aggressive Reaktion auf die Kritik der amerikanischen Organisation zeigt, dass dieser Vorfall keine Ausnahme in der griechischen Linken ist, sondern Symptom einer generellen Neigung zu Verschwörungstheorien, die man gewöhnlich im rechten Spektrum des griechischen politischen Lebens findet. Syriza und Anel führen gemeinsam seit Jahren die Front in Griechenland gegen die europäischen Eliten, die das Land unterjocht hätten, gegen die großen griechischen etablierten Parteien, die sie gerne als „Verräter“ und „Mörder“ bezeichnen (Syriza und Anel halten sich für unschuldig an der Finanzkrise) sowie gegen den Zionismus: entweder wird der Zionismus als eine „internationale Bewegung“ betrachtet, die die Reinheit der griechischen Nation bedrohe (Stavroula Xoulidou von Anel[6]) oder als die Personifizierung des Bösen im Nahen Osten (Sofia Sakorafa von Syriza[7]).

In der letzten Parlamentswahl wurde offensichtlich, dass Syriza sich an der Strategie Anels inspirierte, indem sie die Nationalistin Rachel Makri direkt von Anel rekrutierte. In einem Tweet bezeichnete Makri den Bürgermeister von Thessaloniki als „lächerlich“, als er im August 2014 mit einem großen Judenstern auf seiner Jacke zur Vereidigung des neuen Stadtrates erschien, um gegen die Wahl und die Anwesenheit eines Mitglieds der Chrysi Avgi im Stadtrat Thessalonikis zu protestieren. Im Kampf gegen die „fremden Mächte“ haben offenbar solche antisemitischen Äußerungen keine besonderen Auswirkungen auf die Kandidaten. Makri ist ohne Überraschung in Kozani mit Abstand auf dem ersten Platz gelandet. Karypidis konnte trotz des Skandals als unabhängiger Kandidat 2014 kandidieren und wurde zum Präfekt gewählt.Anscheinend ist Antisemitismus in Griechenland kein Nachteil in einer politischen Karriere.

 

Dimitri Kravvaris bloggt auf enantiastonantisimitismo.wordpress.com mit dem Schwerpunkt Antisemitismus in Griechenland; diesen Text hat er extra auf Anfrage für BICSA verfasst, herzlichen Dank dafür!

 

[1] Matthieu Ecoiffier : Syriza-Grecs indépendants : «Cette alliance, c’est vraiment jouer avec le feu» (Interview mit Daniel Cohn-Bendit). In : http://www.liberation.fr/politiques/2015/01/26/syriza-grecs-independants-cette-alliance-c-est-vraiment-jouer-avec-le-feu_1189278.

[2] Vgl. Andreas Pantazopoulos: Die nützlichen Rechten (auf Griechisch). In: Athens Review of Books, Dezember 2011.

[3] Vgl. Stavros Zoumboulakis: Unheilige Koalition. Ein Vortrag zur griechischen Krise. Athen 2011. Im besagten Vortrag wirft Zoumboulakis der griechischen Linke und vor allem Syriza mit ihrer „nihilistischen Kritik“ vor, den Aufstieg von Laos als verlässlichen Koalitionspartner ermöglicht zu haben (S. 26–27).

[4] Das Interview mit Yanis Varoufakis auf youtube: https://www.youtube.com/watch?v=BiIO4YciewU&feature=youtu.be

[5] AJC: Greek Syriza Party Candidate’s Anti-Semitic Facebook Post (2. Mai 2014). In: http://www.ajc.org/site/apps/nlnet/content3.aspx?c=7oJILSPwFfJSG&b=8478375&ct=13642095&notoc=1#sthash.WSOdfXvH.i9YsT5BK.dpuf

[6] Vgl. Central Board of Jewish Communities in Greece: Announcement on the anti-Semitic References in Greek MP’s essay (4. Dezember 2014). In: http://kis.gr/en/index.php?option=com_content&view=article&id=550:announcement-on-the-anti-semitic-references-in-greek-mps-essay&catid=12:2009&Itemid=41

[7] Vgl. Blog AgainstAntisemitism-ΕνάντιαστονΑντισημιτισμό: Greek MEP Sofia Sakorafa believes that Israel imposes apartheid in Gaza (27. September 2014). In: https://enantiastonantisimitismo.wordpress.com/2014/09/27/greek-mep-sofia-sakorafa-believes-that-israel-imposes-apartheid-in-gaza-video/

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